65. Teil: Good Times Gone
(8. März 2014)
Emmo und Wolfgang standen ab heute für eine Woche offiziell im Kader der ersten Mannschaft, und am Samstagvormittag saßen sie mit uns im Bus nach Wolfsburg. Die anderen Spieler kannten sie ja bereits vom gemeinsamen Training, aber natürlich auch von den beiden Testspielen, die sie in dieser Saison gegeneinander bestritten hatten. Gegen Wolfgang wurde sogleich gestichelt, denn seine drei Tore aus dem vorigen Juli waren nicht vergessen worden, und Emmo brachten sie schon deshalb trotz seiner Jugend einigen Respekt entgegen, weil sein außergewöhnliches Talent sofort auffiel, wenn er nur den geringsten Kontakt mit einem Fußball hatte.
Als das Spiel begann, nahmen die beiden auf der Bank Platz zwischen Briant Alberti (TW), der kaum mehr Viertligaerfahrung hatte als sie, und den vier übrigen Feldspielern, die heute auf einen Einsatz hofften.
Der Anpfiff war kaum erfolgt, als mein Handy mir meldete, dass ich eine SMS bekommen hatte. Erst wollte ich sie ignorieren, denn auf dem Platz ging es gleich mächtig zur Sache. Schon nach acht Minuten musste einer der beiden gegnerischen DM raus, weil er sich bei einem Zweikampf verletzt hatte. Aber dann schaute ich doch nach – und wünschte gleich, ich hätte es bleiben lassen.
„Sehe da zwei Jugendspieler auf der Bank.“, schrieb Tim Krause, mein Herzens-Sportdirektor, der irgendwo auf der Tribüne sitzen musste. „Wagen Sie ja keinen Einsatz. Das ist hier kein Kinderkram!“
„Boh!“, machte ich nur, und Daniel sah mich kurz fragend von der Seite an. „Ist nichts.“, wiegelte ich vorsorglich ab und steckte das Handy wieder weg. Aber mir schwante, dass da noch etwas nachkommen würde. Okay, wenn er Streit haben wollte – den konnte er kriegen. In diesem Moment beschloss ich, Emmo und Wolfgang auf jeden Fall zu bringen, wenn es irgendwie zu rechtfertigen war.
Bis zum Halbzeitpfiff ging es beiderseits eifrig, aber ereignisarm hin und her. Martin Willmann (ST) machte ein reichlich schwaches Spiel, sodass es schon mal eine Überlegung wert schien, ihn Mitte der zweiten Hälfte durch Wolfgang zu ersetzen. Zehn Minuten nach der Pause gingen wir tatsächlich durch ein Eigentor mit 1:0 in Führung. Emmo blickte schon fragend zu mir herüber, und obwohl Winkelmann und Kluk auf den ZM-Positionen ein ordentliches Spiel lieferten, war ich nahe dran, auch ihn gleich einzuwechseln. Aber ich zögerte. Ein zweites Tor für uns, und die Entscheidung war klar. Doch momentan schien die Abwehr ein wenig zu schwimmen, und ich beschloss, noch etwas zu abwarten.
„Das sieht eng aus.“, bemerkte Daniel nach einer Wolfsburger Chance in der 70. Minute. Natürlich war ihm bewusst, welche Überlegungen mir durch den Kopf gingen.
„Du hast recht.“, sagte ich und dachte bei mir, dass auch ein Einsatz für die letzten zehn, zwölf Minuten noch ein deutliches Signal war. Ein Signal an Emmo und Wolfgang und ihre Eltern, was ihre Zukunftspläne anging, aber auch ein Signal an Tim Krause, dass ich mich einen Kehricht um seine Ratschläge scherte.
Dann kam die 75. Minute. Noch eine Viertelstunde bis zum Schlusspfiff. Und just in diesem Moment fasste sich Mateusz Klich, der DM, der in den ersten Minuten eingewechselt worden war, ein Herz und jagte den Ball unhaltbar für René Melzer in den Winkel. Mist, dachte ich. Aber ein Punkt gegen den Verfolger wäre ja auch nicht ganz schlecht. Genau dasselbe schien gerade auch Arvid Lang gedacht zu haben. Er war Angreifer der Gastgeber, und im Anschluss an einen Doppelpass mit seinem Sturmpartner schob er den Ball durch vier oder sechs Abwehrbeine hindurch zur Führung für die Wölfe in unseren Kasten.
Okay, damit war die Entscheidung gefallen. Nicht unbedingt über das Spiel, aber über die Personalmaßnahmen. Ich wechselte auf den Positionen ST und ZM, aber statt Wolfgang und Emmo schickte ich Zekiri und Jerat aufs Feld. Enttäuschung pur, das war klar, aber jetzt mussten alle anderen Überlegungen zurückstehen. Dass es am Ende nichts Zählbares brachte, war dann auch schon egal.
Durchaus möglich, dass mein abruptes Verschwinden aus dem Stadion und aus Wolfsburg – statt des Mannschaftsbusses nahm ich den Zug – nicht wirklich gut ’rüberkam, aber ich ärgerte mich buchstäblich die Platze! Das Spiel verloren, eine Chance hinsichtlich der beiden Jungs vertan, und was am schwersten wog: der feine Herr Sportdirektor glaubte jetzt sicher, ich hätte mit meiner Entscheidung vor ihm gekuscht!
Auch in den nächsten Tagen wurde meine Laune nicht besser. Reservespieler Deniz Kadah (ST) zog sich einen Achillessehnenanriss zu und fiel für neun Wochen aus. Das hatte zur Folge dass die zweite Mannschaft am nächsten Wochenende ebenfalls nur 16 gesunde Spieler hatte, und da ging es immerhin gegen den Tabellenführer.
Um nicht Gefahr zu laufen, dass da ein Schrumpfungsprozess einsetzte, machte ich gleich mal Verlängerungsangebote für die Reservespieler Felix Lopar (TW) und André Senger (OM), was uns monatlich 23.500 Euro mehr kosten würde. Beide unterschrieben umgehend, und mir war ein ganz klein wenig mulmig im Hinblick auf die Budgets.
Zu den laufenden größeren und kleineren Ärgernissen passte es, dass die B-Jugend am Montag ihr Spiel, das ich mir seit längerer Zeit mal wieder ansah, gegen den Karlsruher SC klar mit 0:2 verlor. Jack und Joe begrüßten mich vor der Begegnung freundlicher, als ich es bei meiner derzeitigen Laune verdient gehabt hätte, und spielten auch nicht schlecht, konnten aber nicht verhindern, dass der Qualitätsmangel dieses Teams nicht zu übersehen war. Immerhin blieben sie mit jetzt acht Punkten Vorsprung auf einen Abstiegsrang Zehnter ihrer Liga. Die A-Jugend gewann beim FSV Frankfurt 3:1, aber daran ärgerte mich nun wiederum, dass Emmo und Wolfgang meinetwegen nicht hatten mitfahren können. Und die Krönung der schlechten Nachrichten war dann – vorerst – die, dass unser bester Jugendspieler, Reginald Zarb (RV), sich beim Training schwer verletzte.
Tja, die guten Zeiten, wie sie sich seit meiner Übernahme der ersten Mannschaft zu Jahresbeginn gezeigt hatten, gehörten momentan eindeutig der Vergangenheit an. Als Sportdirektor Krause mir auf dem Vereinsgelände entgegenkam und ganz kurz so etwas wie ein hämisches Grinsen aufsetzte, wäre ich um ein Haar ausgerastet.
„He!“, rief ich ihm hinterher. „Ist irgendwas?“
Er drehte sich nicht einmal um, als er zurückrief: „Besser, Sie gewinnen am Samstag mal wieder, sonst…“
Den Rest verstand ich nicht. Vielleicht hatte er den Satz auch gar nicht beendet. Aber weshalb regte ich mich eigentlich auf? Selbstverständlich würden wir am Samstag das leichte Heimspiel gegen den HSV II gewinnen! Zumal Kalus (IV) und Duspara (LA) wieder fit waren. Da konnte gar nichts schief gehen, schon gar nicht so schief, dass mir Tim Krause am Sonntagmorgen den Sportteil des „OH Kleeblatt“ mit einem süffisanten Lächeln auf den Schreibtisch werfen würde.
Kaum hatte ich seinen Namen in diesem Wurschtblatt gelesen, sprang ich auf und stürmte um den Schreibtisch herum auf ihn zu.
„Nur zu!“, grinste er, als ich vor ihm stand. „Macht sich auch gut, wenn Sie Ihren populären Sportdirektor verprügeln. Mitten in einer Niederlagenserie. Macht sich ausgesprochen gut!“
Aber ich besann mich, schob ihn nur beiseite und lief hinaus. Pressefreiheit hin oder her, das ging mir entschieden zu weit! Wo fand man um diese Zeit einen wie Rob Referee? Die fällige Karteikarte fertigte ich, wie man sich denken kann, erst sehr viel später an diesem Tag an.
Rob Referee aufzustöbern und zur Rede zu stellen, gelang mir nicht. Nur eine seltsame Beobachtung wusste ich nicht recht einzuordnen: Als ich am frühen Abend nach Hause kam, war mir so, als sähe ich einen Schatten aus der Hintertür unseres Hauses huschen. Einen männlichen Schatten. Aber natürlich konnte ich mich da auch geirrt haben…