Der bemerkenswerte Weg des Emmo W.


  • 262. Teil: Zusammenfassung der Geschehnisse
    (31.12.2020)


    Über sage und schreibe 25 Spiele der Profis des VfB Lübeck hatte ich in dieser Zeit nicht berichtet. Was für eine Lücke in einer solchen Chronik! Okay, das konnte man natürlich alles bei Emmo nachlesen, aber mein Eindruck war der, dass sich für sein Geschreibsel nicht allzu viele interessiert hatten. Deswegen – und natürlich der Vollständigkeit halber – trug ich nun das Versäumte nach.


    Um mit der Europa League anzufangen: Da hatten wir die Gruppenphase äußerst erfolgreich überstanden. Ein Unentschieden und zwei Gegentore waren die einzigen kleinen Makel, die Emmo und seine Mannschaft zugelassen hatten. Besonders bemerkenswert waren natürlich Essweins vier Tore im letzten Spiel, aber auch Ganz und Alcacer hatten insgesamt ebenso oft getroffen.



    Ähnlich gut war es in der Liga gelaufen. Am vierten Spieltag eroberten wir die Tabellenspitze, die wir danach nochmal vorübergehend für drei Spiele an Wolfsburg abtraten, um sie schließlich bis heute wieder an uns zu reißen. Als grafische Kurve sah das dann so aus:



    Unser Glanzstück war ohne Frage das 7:0 in Gelsenkirchen am 4. Spieltag, aber auch ein 6:0 (gegen 1860 München), ein 5:0 (gegen Jena) und ein 4:0 (in Mönchengladbach) waren dabei. Hier die Liste aller Ligaspiele der Hinrunde:



    Im DFB-Pokal hatten wir bislang zweimal auswärts anzutreten: beim drittklassigen OSC Vellmar und in Mainz. In beiden Begegnungen gab es einen Hattrick zu verzeichnen. Auch in diesem Wettbewerb sind wir mithin weiter auf Kurs.



    Und um auch gar nichts auszulassen, seien auch noch die drei Freundschaftsspiele erwähnt, die wir in dieser Zeit absolvierten: ein 5:1 gegen Brøndby IF, ein mageres 2:1 gegen Anker Wismar und schließlich vor drei Tagen, an Emmos Geburtstag, ein 7:0 gegen unsere A-Jugend.


    So erfreulich das alles lief, so besorgt war ich doch zwischenzeitlich über die Entwicklung unserer zweiten Mannschaft. Als sie Mitte September auf Platz 12 der Dritten Liga abgerutscht war, übernahm ich kurzerhand selbst Aufstellung und Taktik. Ich ließ sie mit dem gleichen 4-2-4 auflaufen wie die Profis, zudem gelang es uns, den Spanier Millán (ZM, 22, 65) für das Team zu verpflichten. Danach errangen wir mit der Reserve sechs Siege in Folge, ehe die für mich unbehagliche Situation entstand, als offizieller Trainer des 1. FC Union Berlin gegen den VfB Lübeck II antreten zu müssen.


    An dem Tag war ich krank. Keine Ahnung, wie es kam, es fing mit Magen-Darm-Beschwerden an und mündete dann in derart penetranter Unpässlichkeit, dass ich einfach nicht bei dem Spiel dabei sein konnte. Sehr zu meinem Bedauern, natürlich. So regelten das Co-Trainer Mike Haak für Union und Amateurtrainer Martin Wiss auf Lübecker Seite. Das Spiel endete 3:0 für die Berliner, die damit sogar die Tabellenspitze der Liga eroberten. Anschließend ging es für Lübeck II zwar nicht ganz so siegreich weiter wie davor, aber nach 20 Spieltagen lag die Mannschaft am Jahresende nun immerhin auf Platz 5.


    Sicher wollt ihr jetzt auch noch wissen, ob unsere A-Jugend womöglich dabei war, das Kunststück von 2018/19 zu wiederholen, nämlich sich den Meistertitel zu holen? Die Antwort lautet: jein. Nach der Hinrunde lagen sie zwei Plätze und vier Punkte hinter Dortmund, konnten sich aber – nicht zuletzt dank des guten Torverhältnisses – durchaus noch Chancen ausrechnen. Dies war die Situation unserer vier Jugendteams zur Winterpause:



    Drei neue Jugendspieler hatten wir in der Zwischenzeit gewinnen können: für die B-Jugend Sergio Tejera (RV, 16, 59) und Torres (IV, 16, 62), beide von Barça, sowie aus unserem Jugendcamp Markus Feulner (LM, 12, 32) zur Verstärkung der D-Jugend.


    So viel zum VfB Lübeck.


    Aber wie ihr wisst, war ich ja auch noch Trainer und Manager des 1. FC Union Berlin. Zumindest offiziell. Irgendwie war es geschehen, dass mein eigentlich per 30. Juni 2020 ausgelaufener Vertrag plötzlich doch weiter Gültigkeit hatte. Zwar hatte der Berliner Verein mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor Gericht keinen Erfolg gehabt, aber damit war die Geschichte noch längst nicht zu Ende. Bereits in der zweiten Novemberhälfte kam es zur „Verhandlung der Hauptsache“, wie es so schön hieß, und da trafen die Anwälte Sebastian Marquardt und Dr. Jürgen Butzmann zusammen. Ich musste glücklicherweise nicht persönlich erscheinen. Obwohl – vielleicht wäre es besser gewesen, denn ich habe keine Ahnung, wie Emmos Schwiegervater, der meine Rechte und Interessen vertrat, es geschehen lassen konnte, dass die Gegenseite den Prozess gewann.



    „Im Klartext bedeutet das“, erläuterte er mir hinterher, offenbar ohne irgendetwas zu bedauern, „dass Sie ab sofort ihre Tätigkeit in Berlin-Köpenick aufzunehmen haben.“


    Übellaunig nahm ich die Übersiedelung in die Hauptstadt vor. Kein Zweifel, da hatte man mich reingelegt! Zu gerne hätte ich gewusst, wem ich das zu verdanken hatte. Aber da nun mal nichts daran zu ändern war, tat ich, was ich musste. Und eins ist klar: wenn ich einen Job mache, dann mache ich ihn richtig! Nach der Übernahme des Trainings durch mich gewann der FC Union jedes der verbleibenden vier Spiele (mit insgesamt 12:2 Toren) und stand zum Jahresende ziemlich souverän an der Tabellenspitze.



    Bleibt noch zu erwähnen, dass auch die kroatische Nationalmannschaft zwei Spiele bestritt. In der WM-Quali-Gruppe Q hatten wir es nicht gerade mit übermächtigen Gegnern zu tun:



    Im Oktober schlugen wir die Ungarn im Heimspiel mühsam mit 1:0, fünf Wochen später folgte ein 1:1 gegen Russland. Damit lagen wir hinter den zweimal siegreichen Belgiern auf Platz zwei der Tabelle. Ach ja, und falls ihr das fragen wolltet: von Dragica Dadic gab es weit und breit keine Spur.


    Sollte sich außerdem noch jemand dafür interessieren, wie es aktuell in der 2. Bundesliga aussah – da kämpften vor allem die Vorjahresabsteiger vehement um den Wiederaufstieg.


  • 263. Teil: Jahreswechsel, Transfers und zwei Hallenturniere
    (01.01.2021)


    Der Lacher des Monats Januar war das Lübecker Hallenturnier. Jedenfalls für mich. Aber der Reihe nach…


    Am Neujahrsmorgen – okay, es mochte schon früher Nachmittag geworden sein – kam ich spontan auf die Idee, mal in Finnland anzurufen.


    „Hey Malte, alte Socke, wie geht’s dir so?“, freute sich Lance, von mir zu hören. „Frohes neues Jahr dir und deiner … äh, ich weiß jetzt gerade nicht …“


    „Ist auch nicht ganz einfach“, gab ich fröhlich zurück. „Mit Anita bin ich weiterhin verheiratet, mit Sabrina wohne ich in Lübeck zusammen, aber wegen meiner Arbeitssituation bin ich zurzeit bei Margit in Berlin-Köpenick untergekommen. Ich werde sie einfach alle von dir grüßen.“


    „Mach das! Wie ich gelesen habe, bist du aktuell ja gleich doppelt Spitzenreiter – in der ersten und der dritten Liga.“


    Wir plauderten munter über Fußball und darüber, wie es früher so war. Lance Lott (RM) hatte ja zeitgleich mit Emmo beim VfB Lübeck in der B-Jugend begonnen und war vor viereinhalb Jahren zu dem finnischen Erstligisten Kuopion Palloseura gewechselt. So ganz zufällig war es allerdings nicht, dass ich ihn heute anrief. Denn für die Rückrunde hätte ich bei Union einen Backup auf seiner Position ganz gut gebrauchen können.


    „Ach nee, weißt du“, lehnte er ab, „ich bin in Kuopio eigentlich ganz zufrieden. In Finnland geht man alles etwas ruhiger an als in eurem hektischen Deutschland. Mir kommt das sehr entgegen.“




    „Na gut“, lenkte ich ein und dachte bei mir: Wenn wir tatsächlich nächste Saison eine Liga höher spielten, dann würde der 1. FC Union für ihn wohl keine Verwendung mehr haben.


    Ansonsten war der Jahresbeginn für mich ja immer eine willkommene Gelegenheit, allerlei Statistiken zu erstellen und zu studieren. So auch diesmal. Zum Beispiel die „Auf- und Abwertungsrunde“, also die aktualisierte Stärkeneinschätzung der Spieler, sagte mir bei Union etwas Interessantes.



    Bereits seit geraumer Zeit ließ ich bei den Berlinern das gleiche 4-2-4 spielen, das auch Emmo von mir in Lübeck übernommen hatte. Und eine Beobachtung, die ich schon lange gemacht hatte, schien sich hier zu bestätigen: Dieses System erforderte nicht nur starke zentrale Mittelfeldspieler, es verbesserte deren Fähigkeiten auch noch. Nicht von ungefähr war Hacioglu gerade Spieler des Monats November geworden, und auch Moldovanov war zu einer extrem wichtigen Stütze geworden. Schade nur, dass beide geliehen waren und ich keine Kaufoption hatte.


    Da würde ich mir bis zur nächsten Saison etwas einfallen lassen müssen. Denn auch die Neuzugänge, die am heutigen Tag nach Berlin wechselten, waren sämtlich keine ZMs. Hier eine Übersicht über alle Transfers von Lübeck und Union zum 1. Januar 2021:



    Grasser (ST, 24), der Lübeck ja hatte verlassen wollen, wechselte innerhalb der Dritten Liga, also von der VfB-Reserve in Unions erste Mannschaft. Gleiches galt umgekehrt für Böhmann (RA, 24). Die Verstärkung der Lübecker Profis durch Rüdiger (LV, 27) und Marquet (LA, 22) hielt ich für ausgesprochene Schnäppchen-Deals.


    Für Union Berlin hatte ich hingegen insgesamt über 1,6 Mio. Euro Transferdefizit gemacht, um schon jetzt für den Fall eines Aufstieges gerüstet zu sein. Die neuen Spieler wechselten alle bereitwillig und zu (noch) günstigen Konditionen in die Dritte Liga: Horn (RM, 25), Drechsel (LM, 23), Friedli (TW, 24), Olejnik (IV, 22) und Madlung (LV, 21). Das Beste aber war: mit Ausnahme des jungen Madlung waren sie sogleich jeweils die Stärksten auf ihren Positionen. Und dass ich je einen RM und LM verpflichtet hatte, lag daran, dass ich in der Rückrunde nicht mehr das bisherige 4-2-4, sondern ein etwas defensiveres 4-4-2 spielen wollte.


    Jetzt aber zum Thema Hallenturnier. Wie Emmo schon berichtete, hatte ich eines in der Lübecker Hansehalle organisiert, und zwar für den 2. und 3. Januar. Zuvor gab es allerdings schon ein anderes in Köpenick, für das Emmo die Teilnahme seiner Mannschaft abgesagt hatte. Es fand am 27. und 28. Dezember statt und endete mit dem Turniersieg des 1. FC Union.



    Okay, gerade Riesen waren diese Gegner nicht, aber ich fand trotzdem, dass wir unseren Fans etwas boten und ziemlich souveränen Fußball spielten. Auf jeden Fall aber waren wir gut eingespielt und mit den Hallenkonditionen vertraut, als wir – nun auch mit unseren Neuzugängen – fünf Tage später zu dem entsprechenden Event an der Trave antraten.


    „Wärt ihr mal nach Berlin gekommen“, sagte ich frotzelnd zu Emmo, als wir uns in der Hansehalle begrüßten, „da hätte es bestimmt ein spannendes Endspiel gegeben.“


    Er grinste. „Na, hier ist das dann ja wohl eher nicht zu erwarten.“


    Da ahnte er natürlich nicht, wie recht er behalten sollte. Allerdings mochte ihm schon etwas gedämmert haben, als der VfB sein erstes Spiel verlor und auch in der zweiten Begegnung des ersten Turniertages über ein Unentschieden nicht hinauskam.



    Wenigstens konnte sein Team das dritte Spiel gegen den Berliner AK knapp mit 2:1 gewinnen und kam so als Gruppenzweiter ins Halbfinale. Gegner waren – wir! Denn nach dem schwachen 2:2 gegen Cloppenburg folgte ein 4:1 gegen Rheden, was uns in unserer Gruppe Platz eins einbrachte.


    „Na gut“, witzelte Emmo, „dann müssen wir euch eben doch selbst erledigen.“


    Es wurde ein sehr unterhaltsames und spannendes Spiel, dem nur eins fehlte: Tore. Alle rannten wie aufgezogen über den Hallenboden, aber weil es sich natürlich um eine sehr prestigeträchtige Begegnung handelte, wollte niemand etwas riskieren. Fazit: es ging ins Siebenmeterschießen. Und da wurde dann allerdings umso mehr ins Tor getroffen – insgesamt 15 mal. Am Ende stand ein 8:7 zu Buche, und zwar für Union Berlin!



    Was Rob Referee geflissentlich verschwieg, die Sache aber noch skurriler machte, war die Tatsache, dass die Torjägerkanone an einen Spieler ging, der keine Woche zuvor noch für den VfB Lübeck gespielt hatte. Ich amüsierte mich bestens!



    Nach dem Ende des Turniers machte Emmo sich dünn. Dabei hätte ich gern noch ein Glas oder mehr mit ihm getrunken. Aber von Lennard Heiße hörte ich, dass er schon abgezogen war. Irgendwie seltsam, fand ich…


    Egal, in der nächsten Zeit sahen wir uns sowieso nicht. Die Lübecker Profis fuhren ins Trainingslager nach Dijon, während für die Köpenicker ein solches Vergnügen derzeit unerschwinglich war. Überhaupt bereitete mir die Finanzsituation von Union einige Sorgen. Es hieß bereits, mein Job sei in Gefahr, weil ich „mindestens zwei Budgets überschritten“ hätte.



    Okay, Infrastruktur und Sonstiges ließen sich mühelos aus der Reserve ausgleichen, was der Vorstand ohne Probleme genehmigte. Und auch sonst hatte ich nicht den Eindruck, dass mein Job hier in irgendeiner Weise gefährdet war. Im Gegenteil: ständig wurde ich daran erinnert, dass mein Vertrag zum Saisonende auslief. Genau wie im vergangenen Jahr…


    „Also, ich würde mich sehr freuen, wenn du in Berlin verlängerst“, kommentierte Margit das, und auch Klein-Hertha fühlte sich bei der Tante sehr wohl. Allerdings wurde sie im Sommer schulpflichtig, und Sabrina bestand natürlich darauf, dass die Einschulung in Lübeck stattfand.


    „Na, lass uns mal abwarten“, erwiderte ich zögerlich, „vielleicht, wenn ich mit Union den Aufstieg schaffe.“


    Irgendwie sah es tatsächlich nach einer interessanten Herausforderung aus, mit den Köpenickern in der 2. Bundesliga zu spielen und eines Tages womöglich sogar ein weiteres Mal in die Erstklassigkeit aufzusteigen, diesmal dann in Konkurrenz zu Emmo. Andererseits: Im Grunde meines Herzens war ich Lübecker und den Grünen nach wie vor mehr verbunden als den Roten. Also – vereinsfarbenmäßig, natürlich.


    Sollte ich nun also in Berlin verlängern oder doch eher nicht?

  • Erstmal schön mal wieder mit dir gesprochen zu haben, sollten wir öfters tun... nur so aus alter Verbundenheit. Tja und dann die Frage kann dir keiner Beantworten, das ist deine Entscheidung und hängt davon ab wieviel Spaß dir Berlin macht. Rein storytechnisch bietet sich da natürlich was an, aber das kann auch schnell in Arbeit ausarten. Daher musst du wissen.

  • Erstmal schön, dass Malte wieder zurück ist! Auch wenn die andere Story durchaus ihrem Zweck, das Sportliche in den Fokus zu rücken, gerecht worden ist und ebenfalls ihren Reiz hatte.


    Die Frage nach Maltes Nebenbeschäftigungen ist ja nicht neu und wurde auch schon diskutiert. Lance hat Recht, die Entscheidung kann dir wohl keiner abnehmen. Ich persönlich sehe Malte lieber in Lübeck "an den Knöpfen" als woanders, und beides zusammen ist langfristig halt schon ein bisschen merkwürdig storytechnisch (auch wenn beim VfB offiziell immer noch Herr Kienast amtet). Natürlich gäbe es die von dir erwähnte Idee, die beiden Vereine in der Bundesliga zusammenzuführen. Aber erstens ist das noch ein längerer Weg (und Malte nicht mehr der Jüngste) und zweitens behagt mir die Vorstellung von Malte und Emmo als Gegenspieler nicht so sehr. Allerdings bin ich auch akut harmoniesüchtig.


  • 264. Teil: Kicken, rennen, klettern – und boxen
    (07.01.2021)


    Auch wenn ich jetzt die meiste Zeit in Berlin zubrachte, ließ ich mir doch wie immer auch berichten, wie es in Lübeck bzw. aktuell im Trainingslager in Dijon lief. Zwei Testspiele bestritt Emmos Team in dieser Zeit in Frankreich. Erster Gegner war der FC Toulouse, aktuell Fünfter in der französischen Ligue 1.



    Als Zweites kam es zum Vergleich des deutschen mit dem französischen Spitzenreiter der jeweiligen höchsten Spielklasse.



    Auch mit dem 1. FC Union bestritt ich dieser Tage zwei Testspiele, allerdings daheim in Berlin und gegen weit weniger spektakuläre, lokale Gegner. Den Lichterfelder SC, Siebter der Regionalliga Nord, schlugen wir 2:0 und gegen die eigene Reserve gab es ein souveränes 6:1. Aber wie ich es auch betrachtete, mir machte das Leben in Köpenick trotz der sportlichen Erfolge nicht den rechten Spaß.


    „Dann musst du es bleiben lassen“, riet mir Margit, und ich wusste, dass sie recht hatte. „Warum hast du den Job überhaupt damals angenommen, vor einem Jahr?“


    Tja, warum eigentlich? Ich ließ die Zeit noch einmal vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Im November 2019 hatte Emmo mir praktisch zugleich Maulkorb und Handschellen verpasst, nachdem ich gegen Vollborns Parteilinie aufbegehrt hatte.


    „Ich glaube, du warst vor allem beleidigt“, behauptete Margit.


    Das stritt ich natürlich vehement ab. Ich traf nicht wichtige Entscheidungen, weil ich mal eben über irgendetwas beleidigt war. In Wirklichkeit wollte ich eine Aufgabe haben, eine Herausforderung und vor allem Verantwortung. Deswegen war ich Trainer und Manager beim SV Eintracht Trier 05 geworden.


    „Aber das war dir dann doch eine Nummer zu klein!“


    Weshalb mäkelte die Frau nur so an mir herum? Hätte sie vielleicht gern gehört, dass ich mich ihretwegen dann im März 2020 dafür entschied, nach Köpenick zu wechseln?


    „Keineswegs“, sagte ich. „Union war damals schon fast designierter Absteiger in die Viertklassigkeit. Das hat mich gereizt: die Aufgabe einer fast unmöglichen Rettung. Und bitte, zehn Monate später peilen wir nun den Aufstieg in die zweite Liga an. Wenn du mich fragst, habe ich alles richtig gemacht.“


    Darauf sagte sie nichts, aber ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass sie ihre Zweifel hatte. Was sie auch nicht sagte und ich immer wieder vergaß: Margit war ja aus tiefstem Herzen Hertha-Fan, und die blau-weißen Berliner kämpften aktuell in der zweiten Liga um den Aufstieg. Falls sie es nicht schafften, waren wir in der nächsten Saison quasi Gegner!


    In dieser Phase der Unzufriedenheit kam mir ein Kurztrip in die Vereinigten Arabischen Emirate ausgesprochen gelegen. Hertha ließ ich bei Margit, Tramp auch, und ich genoss es, mal ganz für mich zu sein unter einer Masse von Leuten, von denen niemand mich kannte. Und ich war fit.



    Das Ergebnis war nicht schlecht. Vor knapp fünf Jahren war ich noch neun Minuten schneller gewesen, gegenüber Paris im vorigen Jahr steigerte ich mich aber um drei Minuten. Insgesamt war das mein vierter Marathon, und ich fühlte mich bei weitem nicht zu alt dafür, noch einige andere in Angriff zu nehmen.



    „Solange du nicht anfängst, Extremsport zu machen“, kommentierte Margit das, als ich wieder zurück war.


    Da wurde ich pampig. „Warum eigentlich nicht?“



    Das fand sie nun komisch. „Hehe, du glaubst doch nicht, dass du das schaffst!“


    „Wieso nicht?“, gab ich zurück. „Ich trainiere ein bisschen, warum sollte ich dann nicht mal auf so ein Bergchen klettern!“


    „Bergchen?“ Jetzt lachte sie schallend. Dann winkte sie ab: „Du hast ja ’nen Knall!“


    Okay, Tatsache war, dass ich bis dahin nur ein einziges Mal einen Berg bestiegen hatte. Das war der Vaalserberg gewesen, eigentlich mehr ein Spaziergang. Achteinhalb Jahre war das her – wie die Zeit verging! Und eigentlich noch unglaublicher war aus heutiger Sicht, mit wem ich diese Tour damals in Angriff genommen hatte: mit Jérôme Vollborn!


    Immerhin sagte mir meine Workout-App, dass ich eine Bergfitness – was auch immer das war – von 22 Prozent hatte. Damit wurde mir eine Besteigung maximal des Scafell Pike in England zugetraut, der 978 Meter hoch war. Ein veritabler Achthunderter also! Okay, für einen Achttausender würde ich wohl noch ein wenig trainieren müssen.


    „Aber versuch’s doch mal“, schlug Margit vor, „mit dem Tulove Grede. Da waren gerade Freunde von mir. Soll super schön sein. Und der ist nur 1120 Meter hoch.“


    „Kroatien?“



    Das war natürlich nicht uninteressant. Bekannt war das Bergmassiv auch durch eine recht spezielle Sehenswürdigkeit: das Grab von Nscho-tschi. Sicher ließ sich das irgendwie mit meinem Job als Nationaltrainer des Landes verbinden, vielleicht sogar in Form eines Teamausfluges. Ohne zu zögern schickte ich gleich mal eine Anfrage raus, die an mehrere Adressaten ging: den kroatischen Fußballverband, ein mit diesem verbundenes Reisebüro, das örtliche Fremdenverkehrsamt und – an die letzte Mailadresse, die ich noch von Dragica Dadic hatte.


    Doch bevor ich eine Antwort erhalten würde, folgte zunächst einmal das nächste Wochenende. Und das bedeutete: der Ligabetrieb ging wieder los. Etwas lustlos übertrug ich das Training der Köpenicker auf die Co-Trainer und gab ihnen die Aufstellung durch, mit der sie gegen den VfR Aalen beginnen sollten. Auch nach Leverkusen fuhr ich nicht, wo Emmos Elf gegen den Vizemeister und aktuellen Tabellen-Fünften anzutreten hatte.



    Der Punktverlust ließ den VfL Wolfsburg, der in Frankfurt 2:1 gewann, wieder bis auf einen Punkt an uns herankommen. Die Bayern dagegen verloren in Hoffenheim mit 1:3, und auch die anderen Verfolger ließen Federn. Bemerkenswert war ansonsten der 2:0-Sieg von Jena bei Werder Bremen.



    Am darauffolgenden Montagmorgen erwachte ich mit einem unguten Gefühl. Irgendwie hatte ich vom Bergsteigen in Kroatien geträumt, konnte mich aber an keine Details erinnern. Nur dass von irgendwoher Gefahr gedroht hatte, das hing mir noch nach.


    Ich machte mir erst mal einen Kaffee und Tramp sein Frühstück. Dann schaltete ich das Handy an. Und es dauerte keine Minute, bis ich eine Mail erhielt.



    Für ein paar Sekunden setzte mein Herzschlag aus. Tramp fiepte leise. Dann fing ich mich wieder und begann spontan, eine Nummer zu wählen. Doch im nächsten Moment überlegte ich es mir anders.


    Einen Josip Ribarević kannte ich natürlich nicht. Vermutlich gab es ihn auch gar nicht. Auch was die ganzen kroatischen Wörter bedeuteten, musste ich eindeutig nicht herausfinden. Denn den nächsten Sturz von einem Kirchturm oder einen sonstigen Angriff, davon war ich überzeugt, würde ich nicht überleben. Besser, ich vergaß Kroatien ein für alle Mal, oder ich widmete mich statt Laufen oder Bergsteigen dem Boxen.


    Oder am allerbesten: beides.

  • 265. Teil: Januar, Monatsende
    (25.01.2021)



    Praktischerweise brauchte ich mit niemandem zu reden und keinen zu treffen oder gar nach Zagreb zu fliegen – ich erklärte einfach online meinen Vertrag mit dem kroatischen Fußballverband für aufgelöst. Eine Rückbestätigung des Verbandes erhielt ich nicht. Dafür konnte ich noch am selben Abend auf dessen Homepage feststellen, dass sie bereits einen neuen Manager hatten. Berne Draskovic hieß der Mann. Na gut, ich wünschte ihm im Stillen viel Glück.


    Ansonsten zog ich mich zurück. Margit wunderte sich ein wenig, ebenso vermutlich Spieler und Mitarbeiter des 1. FC Union. Sabrina sprach ich auf die Mailbox, dass ich am Wochenende nach Lübeck zu kommen beabsichtigte. Und selbstverständlich fuhr ich auch am Mittwoch nicht nach Leverkusen, wo Emmo und sein Team seit Samstag weilten, denn im DFB-Pokal kam es just zu der gleichen Begegnung wie gerade in der Bundesliga. Ich verfolgte das Spiel vielmehr in einer Sky-Kneipe in Spandau, möglichst weit weg von Köpenick.


    Besser als vor vier Tagen spielte Emmos Elf nicht. Kein Wunder, er hatte auch nur zwei Umstellungen vorgenommen: Im Tor stand heute Elez statt Cissé und Iturbe ersetzte den formschwachen Reus.



    Immerhin, der VfB stand im Halbfinale. Zum zweiten Mal; vor einem Jahr hatte es dann das denkwürdige Aus mit einem 0:4 gegen die Bayern gegeben. Diesmal wartete als nächster Gegner Borussia Mönchengladbach. Hier die Ergebnisse aller Viertelfinalspiele:



    Gegen den Sechzehnten der Bundesliga war Lübeck natürlich Favorit. Ebenso der HSV in der zweiten Begegnung gegen den aktuell Sechsten der 2. Bundesliga, Ingolstadt. Wenn man es sich recht überlegte, konnte Emmo sich hier durchaus Hoffnungen auf den Titel machen.


    Ja, wie schon erwähnt: am Wochenende fuhr ich nach Lübeck. Die Geschicke der Unioner für das Spiel gegen den Tabellendritten aus Siegen legte ich erneut in die Hände meiner Co-Trainer. Das hatte beim 3:0 gegen den VfR Aalen am vorigen Samstag ja auch sehr gut geklappt. Zwar war die Vereinsleitung darüber nicht sonderlich erfreut, aber ich erklärte die Dringlichkeit damit, dass wichtige Personalentscheidungen zu treffen waren. Damit meinte ich natürlich den letzten Tag des Transferfensters. Aber auch ein paar andere Dinge.



    Ganze zwölf Jungs aus der A-Jugend wuchsen im Sommer aus ihrer Altersstufe heraus. Aber nur vier erschienen mir geeignet, um ihnen ein Vertragsangebot zu machen. Da Emmo sich für derlei Dinge wie immer nicht interessierte, sprach ich das nur mit Martin Wiss und Alex Fröhlich ab. Schon in den nächsten Tagen nahmen alle Kandidaten die Angebote an. Der Transferschluss hingegen hatte diesmal keine wirklich große Bedeutung. Zwei Lübecker Spieler der zweiten Mannschaft verließen uns: Robert Schumann (ZM, 23, 52) wechselte für 5.000 Euro zum Tabellen-17. der Regionalliga Süd, dem 1. FC Schweinfurt 05, und Lars Schicklgruber (IV, 19, 55) ging für 22.000 Euro zum abstiegsbedrohten FC Hansa Rostock in die 2. Bundesliga. Beide hatte ich früher mal in die Lübecker Jugend geholt, aber durchsetzen konnten sie sich bei den Männern nie.


    Im Gegenzug gelang es mir, einen hoffnungsvollen jungen Mann an die Trave zu holen.



    Der deutsch-griechische Zacharias war erst 18 Jahre alt und galt mit einer Bewertung von vier vollen Sternen als großes Talent. Als Rechtsverteidiger stopfte er unsere größte Schwachstelle im Drittligateam. Dabei hatte er auch außerordentliche offensive Qualitäten mit Höchstwerten in Flanken (94), Vorstößen (92) und Technik (84).


    Aber vielleicht fragt ihr euch ja, ob das alles meinen Ausflug nach Lübeck rechtfertigte, wo ich das doch alles ebenso gut auch von Berlin aus hätte regeln können. Klar, in Wahrheit gab es einen anderen Grund. Am Abend des 31. Januar lud ich Sabrina ganz groß ins „Buddenbrooks“ ein, denn wir hatten etwas zu feiern: Heute vor sechs Jahren hatten wir uns scheiden lassen!


    Vorher konnte ich mir allerdings einen Besuch im Stadion An der Lohmühle nicht verkneifen, wenn auch inkognito in der Kurve. Emmo hielt weiterhin an seiner Taktik fest, mit der die Mannschaft zuletzt nicht wirklich überzeugt hatte. Auf der Gegenseite spielte übrigens ein alter Bekannter: Marius Holtorf (ST), der jedoch nach einer Stunde verletzt ausgewechselt werden musste.



    Wolfsburg schlug Gladbach 3:0 und blieb uns auf den Fersen. Auch die Bayern gewannen (2:0 gegen den 1. FC Köln). Dahinter wuchs der Abstand aber nach Niederlagen von Schalke (1:3 gegen Hannover) und Leverkusen (1:2 in Dortmund). 1860 München brachte Frankfurt mit einem 2:0 in Abstiegsnöte.



    Zum Abschluss des Tages, der Woche und des Monats – nach dem ich wieder nach Berlin aufbrach – blieb zu erwähnen, dass bei der Wahl zum Fußballer des Monats diesmal Bonaventura Dritter wurde, nur sehr knapp hinter Mario Gaspar (Hamburg) und Michael Rensing (Köln). Und dass ich eine wenig überraschende Nachricht erhielt, die mich dennoch irgendwie beunruhigte.



  • Hmm, was auch immer du in Kroatien angestellt hast. Kommt mir irgendwie so vor als wenn ich gerade nur die eine Seite der Medalie kennen würde, es aber eine zweite gibt. Aber das werden wir ja hoffentlich auch noch erfahren.


    Ansonsten leider Buiseness as usuall, irgendwie sieht man vom Clifehanger ab scheinst du gerade keine Lust zu haben, kann das sein?

  • Lancelot: Kroatien musste ich kündigen, weil ich sonst wohl wieder bei Union nicht rausgekommen wäre. Das ist alles. Und keine Lust? Wirkt das tatsächlich so? Weil gerade nichts Romanhaftes vorkommt? In Wahrheit ist der FM mit seinen Inspirationen an seine Grenzen gestoßen, was natürlich irgendwann zu erwarten war. Ich nutze die Situation deshalb dafür, die Saison einem hoffentlich spannenden und erfolgreichen Ende entgegenzuführen. Klar, die Hornberger (und die Oscars) bremsen mich zurzeit etwas aus, aber im Vergleich ist die Emmo-Story immer noch die eigentliche Herzensangelegenheit. Und im Übrigen: auch business as usual ist Business!

  • Hmm, jetzt bin ich enttäuscht, ich dachte echt da kommt noch was mit Kroatien. Stattdesen hat es so einen banalen Grund. Das hast du dann aber richtig toll verpackt und mich somit auf´s Glatteis geführt.


    Und keine Lust? Wirkt das tatsächlich so? Weil gerade nichts Romanhaftes vorkommt?

    Genau deshalb


    Ich sag mal so, kenn ich so von dir kaum, gibt es auch bei dir immer mal wieder und ist auch völlig normal, aber eben bei dir eher selten.

    Und leg meine Worte nicht auf die Goldwaage, ich bin kein Kritiker sondern Fan. Und auch sonst lohnt das kaum

  • 266. Teil: Schwächephase oder Ende der Erfolgsspur?
    (01.02.2021)


    Beinahe die erste Hälfte des Februar verstrich für die Vereinsmannschaften des deutschen Profifußballs ohne Pflichtspiele. Denn es standen mal wieder Länderspiele an. Zum ersten Mal seit einem Dreivierteljahr bestritt die kroatische Nationalmannschaft ein Spiel ohne meine Leitung, was ihr aber keineswegs schadete, denn nach Siegen gegen Armenien (2:0) und in Lettland (2:1), bei denen jeweils der Lübecker Dinko Elez im Tor stand, war man klar auf Qualifikationskurs für die WM 2022. Auch Adam Matthews (RV) bestritt zwei Länderspiele (für Wales), Torosidis (LV, Griechenland), Hakanpää (IV, Finnland) und Labyad (OM, Niederlande) je eins. Wobei sich Torosidis blöderweise einen Muskelfaserriss zuzog, aber für so einen Fall hatte man ja Antonio Rüdiger nach Lübeck geholt.



    Für das Testspiel am Samstag gegen den Zweitligisten Heidenheim beorderte Emmo dann mal wieder die Reservespieler Albornos (TW) und Moretti (LV) in den Kader. Das Ergebnis war schließlich übrigens exakt das gleiche wie in dem parallelen Freundschaftsspiel zwischen dem 1. FC Union und seinem alten DDR-Stadtrivalen BFC Dynamo, das am selben Tag in Berlin stattfand.



    „Emmo, wo warst du?“


    Co-Trainer Daniel Lippmann hatte mich unmittelbar vor dem Spiel angerufen und gefragt, ob ich nicht kurzfristig mit auf der Bank Platz nehmen könne. Es fiel also offensichtlich bereits auf, dass ich meine Zeit wieder mehr in Lübeck als in Berlin verbrachte. Ich hatte natürlich zugesagt und mich dann ebenso wie alle anderen gewundert, dass Emmo nicht kam.


    „Ach, frag nicht“, antwortete er.


    Ich fragte aber doch. Und schließlich bekam ich es dann auch aus ihm heraus. Im Hause Winter gab es nämlich mal wieder ein Auf und Ab der Gefühle.



    „Oh, gratuliere!“, sagte ich, aber er brummte nur. Was ich bei der Gelegenheit quasi nebenbei erfuhr, erstaunte mich beinahe noch mehr. „Du trainierst für den Berg?“


    Wie sich herausstellte, fand auch Emmo seit Kurzem alles reizvoll, was mit Klettern, Bouldern und Mountaineering zu tun hatte. Wie im Übrigen auch einige Freunde von ihm.


    „Hey, nicht schlecht!“, rief ich aus. „Dann können wir ja vielleicht mal was zusammen machen!“


    „Ja, vielleicht.“


    Mehr war im Moment nicht aus ihm rauszuholen, aber ich nahm mir vor, das Thema demnächst mal wieder anzusprechen. Aktuell beschäftigte ihn Manuela offensichtlich mehr, und ich vermutete – so, wie ich ihn kannte –, dass er auf die Nachricht vom neuen Nachwuchs nicht ganz der Erwartung gemäß reagiert hatte. Da konnte schon mal der Haussegen ein wenig in Schieflage geraten.


    Zum Wochenbeginn erreichte uns beide dann eine Nachricht ganz anderer Art.



    „Wieder einer, über den gleich wieder die Presse berichtet?“, erkundigte ich mich bei Matthias Pelz, dem Jugendtrainer des Camps.


    „Nein, diesmal wohl eher nicht“, erwiderte er und fügte im Hinblick auf den fragwürdigen Artikel im „Völkischen Blatt“ vor einem Jahr – betreffend Markus Viertel (ZM) – hinzu: „Da kann es auch keinen Jubel von der falschen politischen Seite geben.“


    Mathieu Blank spielte bevorzugt auf den Positionen DM, RM und LI, die in Emmos System keine Rolle spielten, und hatte da Stärkewerte um 30, was in der B-Jugend unterdurchschnittlich war. Wir entschieden daher, den Jungen bis auf weiteres in dem Jugendcamp zu belassen.


    Am folgenden Samstag spielten Union Berlin und der VfB Lübeck keine 100 Kilometer entfernt voneinander in Sandhausen bzw. Mainz. Ich entschied mich dafür, diesmal wieder bei dem Drittligaspiel dabei zu sein, denn ich wollte meinen Mitarbeitern schon mal vorsichtig beibringen, dass ich meinen Vertrag in Köpenick nicht zu verlängern gedachte. Andererseits sollten sie sich nicht von mir im Stich gelassen fühlen, denn immerhin hatten wir nach wie vor das ehrgeizige Ziel des Aufstiegs im Visier.


    Meine Entscheidung bereute ich insofern nicht, als ich sechs Tore zu sehen bekam, und die fielen alle auf der richtigen Seite. Hacioglu (ZM) traf dreimal, die Ex-Lübecker Stürmer Grasser und Loheider zwei- bzw. einmal. Emmo war hinterher hingegen weniger zufrieden, obwohl – oder vielmehr: weil – er in Mainz noch ein Tor mehr zu sehen bekam.



    Tja, Mainz war halt nicht Heidenheim, und auch das 2:0 davor im Heimspiel gegen Bremen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Emmos Team zurzeit nicht wirklich souverän spielte. Um ein Haar wäre heute die Tabellenführung flöten gegangen, hätte sich Wolfsburg nicht ein 1:1 in Hoffenheim geleistet. Und da auch die Bayern aus Hannover mit dem gleichen Ergebnis nach Hause fuhren, machte sich die unerwartete Niederlage nicht ganz so dramatisch. Trotzdem: die Wölfe standen auf dem Sprung und den Rekordmeister mussten wir sowieso genau so lange fürchten, wie er uns rein rechnerisch noch einholen konnte. Und die Saison war ja noch lang!



    RB Leipzig durfte sich nach einer 0:3-Heimniederlage gegen Schalke nun schon so langsam auf eine Rückkehr in die Zweitklassigkeit einrichten. Alle anderen da unten verloren an diesem Spieltag nicht, und Dortmund verpasste mit einem 1:3 in Bremen die Chance, sich an die Europa-League-Plätze heranzukämpfen.


    Apropos: am Donnerstag stand unsere nächste Begegnung in eben diesem Wettbewerb an. Dazu ging es ins römische Olympiastadion. Lazio war in der Gruppenphase Zweiter hinter einem Club geworden, der gegenwärtig gerade einen ungewöhnlichen Höhenflug erlebte: FC Twente Enschede. Hinter sich gelassen hatten die Biancocelesti die nicht eben riesigen Teams von Sparta Prag und Lokomotive Plovdiv. Insofern erwarteten die Lübecker Fans ganz zu Recht ein relativ problemloses Weiterkommen des VfB Lübeck, zumal Emmo auf seine aktuell beste Elf – einschließlich des genesenen Torosidis – zurückgreifen konnte.



    Das entsprach nun allerdings ganz und gar nicht den Erwartungen. Jetzt war der Druck da, im Rückspiel in einer Woche unbedingt gewinnen zu müssen. Und nach der Niederlage in Mainz sah es ja auch in der Bundesliga nicht eben optimal aus. Nur knapp zwei Tage blieben Emmo, um seine Mannschaft wieder auf- und gegebenenfalls umzubauen. Normalerweise war es ratsam, wenn man ihn in einer solchen Situation in Ruhe ließ, aber ich konnte es mir dennoch nicht verkneifen, ihn direkt auf das Dilemma anzusprechen.


    „Wieso Dilemma?“, fragte er ganz ruhig. „Wir haben zwei Spiele verloren. Auswärts. Das kann passieren. Jetzt kommen zwei Heimspiele, gegen Schalke und Lazio, und dann ist alles wieder gut. Wirst du sehen.“


    Aber ich kannte ihn, das waren nicht mehr als Phrasen zur Selbstberuhigung.


    „Du musst das System ändern“, traute ich mich noch zu sagen, „dein 4-2-4 ist mittlerweile europaweit bekannt, und die Schwachstellen auch.“


    „Jetzt hör mir mal zu, alter Mann!“, konterte er. Wenn er alter Mann sagte, war das stets ein Zeichen dafür, dass ihm die Argumente ausgingen. „Vierzweivier ist nicht gleich Vierzweivier. Wir spielen jedes Mal anders. Und Schwachstellen gibt es auch allenfalls individuell von Spiel zu Spiel, die kenne ich nicht vorher und die kennt der gegnerische Trainer schon überhaupt nicht.“


    „Du willst also sagen, du änderst nichts?“


    „Das wirst du dann schon sehen.“


    Damit ließ er mich stehen. Im Stillen wettete ich mit mir selbst, dass er nicht bei dem System bleiben würde. Und ich gewann die Wette.



    Nach dem Spiel waren sich alle einig, dass es sich bei den beiden Niederlagen doch nur um eine Schwächephase gehandelt haben konnte. Wenn man den Tabellenvierten derart überfuhr, konnte und musste man auch Meister werden! Das fand auch Rob Referee in seinem Sonntagskommentar. Nur ich hielt – vorsichtshalber – meine Klappe.


    Was ich mittlerweile aber selbst für möglich hielt, war, dass die Bayern es nicht mehr schaffen würden, am Ende ganz oben zu stehen. Denn heute hatten sie ihr Heimspiel gegen Leverkusen verloren (1:2), was ihnen nun schon neun Punkte Rückstand bei einem vergleichsweise mageren Torverhältnis einbrachte.



    Unbeirrt schritt dagegen Wolfsburg voran: Das schwere Match gegen den HSV hatten sie ziemlich überzeugend mit 3:1 für sich entscheiden können. Die Farben des Meisters würden dieses Jahr dann wohl endlich nicht mehr rot, sondern grün sein. Unten setzten die blauen Münchner ihre Erfolgsserie mit einem 2:0 gegen Leipzig fort und Gladbach befreite sich durch ein 1:0 gegen Bremen einstweilen aus dem Keller.


    Ausblick: Nächste Woche hieß es Hopp oder Top in der Europa League, danach war ein Sieg gegen den 1. FC Köln Pflicht und im Anschluss daran wartete die Chance, zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte in das Pokalfinale einzuziehen.

  • Die Liga bleibt dank der "Ausrutscher" spannend und es scheint sich ein Zweikampf zwischen Lübeck und Wolfsburg zu entwickeln. Trotzdem würde ich die Bayern noch nicht abschreiben. Bei 13 verbleibenden Spielen sind noch viele Punkte zu vergeben.


    Spannend wird auch die weitere Zusammenarbeit zwischen Emmo und Malte, wenn dieser wieder zu 100% in Lübeck ankommt.


  • 267. Teil: Freude und Ärger
    (25.02.2021)


    Ein italienisches Team zu Gast in Lübeck, und das in einem europäischen Wettbewerb – das hatte es noch nie zuvor gegeben! Dreimal hatten wir hier schon gegen Teams aus Italien gespielt (2:0 gegen Savona Calcio, 6:2 gegen US Foggia und 0:2 gegen den AC Milan), aber das waren alles Freundschaftsspiele gewesen. In der K.O.-Runde der Europa League – das war dann doch etwas völlig anderes. Entsprechend aufgeregt waren Spieler, Trainer, Fans und ganz Lübeck.


    Emmo begann das Spiel mit exakt der gleichen Formation und Startelf wie gegen Schalke. Verlierer war dabei in gewisser Hinsicht Alexander Esswein (ST), für den es nicht mal mehr einen Platz auf der Bank gab. Nach dem 2:3 im Hinspiel war ein Sieg natürlich Pflicht.



    „Hast du irgendwelche Zweifel?“, fragte Emmo, als ich ihn hinterher darauf ansprach. Er war sichtlich zufrieden und hatte ja auch allen Grund, es zu sein.


    „Nicht wirklich.“


    Seine Mannschaft hatte jetzt zwei sehr überzeugende Vorstellungen abgeliefert, und geschickt fand ich es auch, dass er, als der Sieg praktisch feststand, Iturbe als Ersatz auf die neue OM-Position schickte. Gut möglich, dass sich dieses spezielle 4-3-3 als nicht nur kurzfristig geeignet erwies.


    In den übrigen fünfzehn Begegnungen dieses Spieltages gab es keine großen Überraschungen. Hoffenheim kam weiter, Schalke nicht, als nächsten Gegner konnten wir auf eine von sechs Mannschaften aus den FIES-Ländern treffen (Frankreich, Italien, England, Spanien), wobei bemerkenswerterweise gar keine spanische Mannschaft mehr im Wettbewerb war.



    Die Auslosung verfolgten wir noch am selben Abend im Vereinshaus. Natürlich hofften wir auf ein vermeintlich leichtes Los.


    „Fenerbahçe!“, sagte Emmo.


    „Hoffenheim!“, war mein Wunsch.


    „Basel oder Trabzonspor!“, kam von einigen anderen.


    Aber so einfach sollte es dann doch nicht sein. Wenigstens hatten wir im Rückspiel Heimrecht und dann hoffentlich sowohl eine große Kulisse als auch noch gute Chancen aufs Weiterkommen.



    Für den Rest der Woche blieb ich in Lübeck, was nicht nur Sabrina, sondern auch meine sämtlichen Kinder erfreute. Den überraschend sonnigen und milden Freitag verbrachten wir alle zusammen bei einem Ausflug, zu dem ein ausgiebiger Besuch im „Sea Life Timmendorfer Strand“ gehörte. Und auch am Samstagmorgen hatte ich keine Lust, nach Wuppertal zu fahren, wo der 1. FC Union auf den Tabellenletzten der Dritten Liga traf.


    „Mike? Malte hier“, sprach ich dem Köpenicker Co-Trainer auf die Mailbox, „ich bin gerade unterwegs ins Ruhrgebiet, aber, sorry, ich werde nicht zum Spiel kommen. Das schafft ihr auch locker ohne mich. Ciao!“


    Keine Ahnung, weshalb der VfB Lübeck so oft während der Karnevalszeit beim 1. FC Köln anzutreten hatte, aber diesmal war das wieder mal der Fall. Mit großem Vergnügen dachte ich an den Februar vor fünf Jahren zurück, als wir zum ersten Mal hier spielten, die Geißböcke waren ungeschlagener Tabellenführer der 2. Bundesliga und wir reisten als Aufsteiger und krasser Außenseiter an. Wer erinnert sich noch? Kein Geringerer als Giacomo Bonaventura traf zweimal, nachdem die Kölner schon ganz planmäßig mit 1:0 in Führung gegangen waren. Marius Winkelmann steuerte ebenfalls ein Tor bei und am Ende hatten wir den Narren und Jecken mit 3:2 aufs Heftigste die Feierlaune ausgetrieben.


    Zum zehnten Mal trafen wir heute auf die Rot-Weißen. Mit vier Siegen, drei Unentschieden und zwei Niederlagen (bei 16:13 Toren) war die Bilanz insgesamt positiv, den höchsten Sieg (2:0) landeten wir bei dem letzten Auswärtsspiel in der vorigen Saison. Und Emmos Startelf? War wieder die gleiche wie in den beiden vorangegangenen Partien. Auf der Gegenseite erwarteten uns übrigens wieder zwei alte Bekannte: Benedikt Höwedes (IV) und Jordan Ayew (ST).



    Wenn man mich hinterher fragte: ja, ich bekam mit, wie das Spiel in Wuppertal ausgegangen war. Ich hatte sogar immer mal auf dem Handy den Zwischenstand abgefragt. Aber obwohl es natürlich recht peinlich war, als Spitzenreiter gegen den Tabellenletzten 0:1 zu verlieren, dachte ich mir erst mal nichts dabei.


    Im Gegenteil: ich freute mich an dem unveränderten Tabellenbild der Bundesliga, wobei die erwarteten Siege der Wolfsburger (4:1 in Bremen) und Bayern (2:0 in Leipzig) die Freude nicht zu trüben vermochten.



    Ansonsten war an diesem Spieltag allenfalls noch bemerkenswert, dass Gladbach den zweiten Sieg in Folge holte (4:2 in Mainz) und die Münchener Löwen erneut nicht verloren (1:1 auf Schalke).


    Doch am Sonntagmorgen hatte ich ein seltsames Déjà vu.



    Tramp kläffte glücklicherweise nicht, sondern blickte nur fragend zwischen mir und den beiden Beamten hin und her.


    „Ziehen Sie sich was an!“, blaffte der eine.


    „Äh, darf ich mal fragen…?“


    Aber ich durfte nicht. Der zweite, dickere Polizist brummte nur etwas wie „zivilrechtliche Amtshilfe“ oder so. Immerhin durfte ich mein Handy mitnehmen, und als wir im Auto saßen, rief ich Sebastian Marquardt an.


    „Hab‘ ich schon kommen sehen“, sagte der in seiner feinfühligen Art.


    „Wie, das haben Sie kommen sehen?!“, brüllte ich. „Aber mir mal was sagen, ist Ihnen nicht eingefallen, oder wie?“


    „Nun regen Sie sich erst mal ab!“


    Aber ich regte mich nicht ab. Nicht während des Telefonats, das ich dann abrupt und wutentbrannt beendete, und nicht während der gesamten Fahrt. Auch nicht, als der dicke Beamte seine Butterbrote auszupacken begann und mir versöhnlich eins anbot.


    „Das können Sie sich…“ Zu meinem vermutlichen Glück sprach ich den Satz nicht zu Ende.


    Die meiste Zeit fuhren wir über die Autobahn. A20 und A24. Spätestens am Kreuz Wismar wusste ich, wem ich das hier zu verdanken hatte. Und als wir am Funkturm vorbeifuhren, hatte ich mir auch längst klargemacht, dass sie recht hatten. Um auf das unvermeidlich bevorstehende Gespräch wenigstens einigermaßen vorbereitet zu sein, las ich mir auf dem Handy eine Spielzusammenfassung durch.



    In der insgesamt ziemlich überforderten Union-Abwehr hatte Tobias Urbad (LV) einen gegnerischen Angreifer geradezu tölpelhaft im Strafraum zu Fall gebracht und damit quasi die Partie entschieden. Der Tabellenletzte hatte danach offenbar keine großen Probleme, die Führung gegen den Tabellenführer über die Zeit zu bringen. Das Wuppertaler Publikum sang aus vollem Hals Schmählieder. Und das, obwohl dieser Sieg ihre Mannschaft dem Klassenerhalt nicht wirklich näher brachte.



    Die Bullenschaukel brachte mich direkt zur Villa der Geschäftsleitung am Rande der Wuhlheide. Die zwei Beamten führten mich sogar – immerhin ohne Handschellen, aber doch mit kräftigem Griff – bis hinein in den großen Sitzungssaal. Dort durfte ich mich ganz am Ende des langen Tisches niederlassen, während ich am anderen Ende Präsident Martinschitz, Geschäftsführer Marcel Butzmann, Sportdirektor Wurzinger, die beiden Co-Trainer und noch ein paar weitere Vereinsmitarbeiter ausmachen konnte.


    Jeder Platz an diesem Tisch war mit einem Mikro ausgestattet. Dabei hätten wir uns sehr gut ohne jede Technik verständigen können, wenn ich weiter oben hätte Platz nehmen dürfen.


    „Herr Womerde“, hörte ich die Stimme des Präsidenten aus den Lautsprechern, „wir sind heute hier zusammengekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie Ihren Vertrag erfüllen werden.“


    „Jawohl“, sagte ich und klackte unter dem Tisch die Hacken zusammen.


    „Das bedeutet zunächst im Klartext, dass Sie am Samstag, dem 6. März, folgende konkrete Vorgaben zu befolgen haben: Erstens, Sie halten sich in Berlin auf; zweitens, Sie legen Aufstellung und Taktik von Union in dem Spiel gegen Unterhaching fest; drittens, Sie sitzen während des gesamten Spiels auf der Berliner Trainerbank, und viertens, Sie gewinnen dieses Spiel!“


    Ich wollte schon fragen: Und was, wenn nicht? Aber ich ließ es und sagte stattdessen:


    „Jawohl.“


    „Und noch etwas, Herr Womerde“, ergänzte Martinschitz nach einer Pause. „Mit der Vereinsleitung des VfB Lübeck ist verbindlich abgestimmt, dass Ihr dortiger Vertrag als Sportdirektor bis zum Saisonende ruht. Darüber hinaus hat der 1. FC Union als Ihr Arbeitgeber die Erwartung an Sie, dass Sie in diesem Zeitraum Berlin nur verlassen, um Auswärtsspiele von Union als Trainer zu leiten. Und schließlich erwarten wir von Ihnen, dass Sie jegliche Kontakte und Informationen, die den VfB Lübeck betreffen, während Ihrer restlichen Vertragslaufzeit hier in Berlin unterlassen. Haben wir uns verstanden?“


    Dass er mich verstanden hatte, nahm ich nicht an. Ich hatte ja nichts erklärt. Aber ich hatte ihn verstanden.

  • Wie sagte Marquardt?

    „Hab‘ ich schon kommen sehen“

    Ähm ich auch, zu dumm aber auch das du dich vor Fernsehkameras wie in Köln zeigst. Das kann man durchaus geschickter anstellen Herr Womerde.


    BTW geschickt, ja ich hätte es auch gern geschickt, das PDF.

  • 268. Teil: Eisern Union
    (28.02.2021)


    „Jegliche Kontakte und Informationen unterlassen – wie soll denn das gehen?“


    Margit stellte genau die Frage, die ich nicht beantworten konnte, als sie das Zimmer in ihrer Köpenicker Wohnung wieder für mich einrichtete.


    „Ich vermute mal, ich soll mich einfach auf Union konzentrieren.“


    Ein paar Sachen hatte ich noch bei ihr im Keller gelassen. Die stellte ich jetzt wieder an den Platz, den sie zuvor gehabt hatten.


    „Denn ob du mit Emmo telefonierst oder ein VfB-Spiel im Live-Stream verfolgst, können die ja gar nicht kontrollieren.“


    Darüber war ich mir nun allerdings nicht so sicher. Im Jahr 2021 gab es praktisch nichts, was eine mittelmäßig vernetzte Organisation nicht herausfinden konnte. Aber um Margit nicht zu beunruhigen, sagte ich das nicht.


    „Ich werde einfach tun, was sie wollen: Lübeck völlig ausklammern und den 1. FC Union zum Aufstieg in die Dritte Liga führen.“


    Und damit fing ich dann auch gleich mal an, indem ich dem Hauptsponsor des Vereins – einem Sport-Ausstatter namens „Golf Solitär“ – 500 Freikarten für das nächste Spiel an der Wuhle zukommen ließ. Selbstredend leitete ich auch ab sofort persönlich das Training, besprach mich mit sämtlichen Mitarbeitern und pflegte engen persönlichen Kontakt mit allen Spielern.


    „Und wenn du nun gegen Haching verlierst?“, fragte Margit. „Was meinst du, was dann passiert?“


    „Keine Ahnung. Sie werden mir ja wohl kaum den Gefallen tun, mich zu entlassen.“


    Trotzdem wollte ich das Spiel gegen den Tabellenvierten unbedingt gewinnen. Erstmals seit längerer Zeit sah ich mir den Kader genau an. Mit Buδra Hacioglu (ZM) fiel eine wichtige Stütze der Mannschaft leider verletzt aus, aber dennoch setzte ich wie in Lübeck auf das Mittelfeld und entschied mich für das dort schon mehrfach erfolgreiche 4-4-2.



    Für Hacioglu (Stärke 67) setzte ich den ungleich schwächeren, aber mit 34 Jahren routinierten Markus Karl (58) neben dem zweiten Leistungsträger im zentralen Mittelfeld, Dian Moldovanov, ein. Und siehe da, schon nach einer guten Viertelstunde brachte das den ersten zählbaren Erfolg.







    Erleichtert klatschte ich mich mit Co-Trainer Mike Haak ab. Danach setzte die Mannschaft genau das um, was wir für diese Situation abgesprochen hatten: sicheres Passspiel, Gegner laufen lassen, gegebenenfalls schnelle Konter. Tatsächlich hatten wir das Spiel fest im Griff. Nach einer Stunde verwandelte Moldovanov einen Foulelfmeter, wenig später markierte er auf Vorlage von Willibald Grasser (ST) das 3:0 und nach einem unglücklichen Gegentreffer – ein eigentlich harmloser, abgefälschter Ball – markierte der eingewechselte junge Christian Madlung (LV) mit seinem ersten Treffer den 4:1-Endstand.


    Auf dem Weg aus dem Stadion kamen mir freudestrahlend der Clubpräsident und sein Geschäftsführer entgegen. Ich wich ihnen aus.


    Eine Woche später durfte ich dann tatsächlich auch die Stadt verlassen, als wir in Duisburg anzutreten hatten. Erfreulicherweise war Hacioglu für diese Begegnung wieder fit. Der MSV war aktuell Zwölfter in der Tabelle, aber vor heimischem Publikum nicht zu unterschätzen. Den Fehler begingen wir auch nicht, und obwohl es eine recht ausgeglichene Partie war, sorgten unsere beiden Stürmer Mario Schopp und Willibald Grasser schon in den ersten 35 Minuten für die Vorentscheidung. Lediglich der frühere Lübecker Luis Romero (RM) ärgerte uns noch ein bisschen, indem er mit einem schönen Solo den Anschlusstreffer zum 1:2 vorbereitete. Dies war unsere Aufstellung:



    Als Spieler des Spiels wurde Mario Schopp ausgezeichnet. Das Ziel Aufstieg schien danach nun durchaus in greifbarer Nähe zu liegen.



    „Machen Sie weiter so, Womerde!“, war alles, was die Vereinsführung dazu auf meiner Mailbox hinterließ.


    Aber ich erhielt auch andere Anrufe.


    „Malte, meld‘ dich doch mal!“


    Das war Emmo. Und einmal ging ich sogar ran, weil ich zuvor nicht auf das Display gesehen hatte.


    „Malte, endlich erreiche ich dich mal. Hör zu, ich wollte dir erklären…“


    Doch ich legte auf. Wenn er es für richtig hielt, hinter meinem Rücken mit der Vereinsleitung von Union zu vereinbaren, dass mein Job in Lübeck ruhte, dann brauchte er mich auch nicht. Ich ging sogar so weit, allen in meinem Umfeld zu verbieten, mir irgendetwas über die Ergebnisse des VfB Lübeck oder überhaupt der Bundesliga und der Europa League zu erzählen. Klar, die amüsierten sich. Aber auf diese Art gelang es mir, mich wirklich ausschließlich auf meine Aufgabe in Berlin zu konzentrieren.


    Ich ging sogar so weit, dass ich mir am Sonntag ein Spiel der Union-Reserve anschaute. Da waren ja mit Rüdi Fana, Luc Boule, Lukas Streicher und Alex Toogfirs ein paar alte Bekannte aus Lübecker Zeiten dabei. Heute ging es in der Oberliga NOFV-Nord gegen den FC Hansa Lüneburg, von dem ich – wenn ich ehrlich war – bis dahin nie etwas gehört hatte. Ich hätte sogar gewettet, dass es so einen Verein überhaupt nicht gab. Doch immerhin waren sie Tabellenvierter, während sich unsere zweite Mannschaft standardmäßig in den unteren Tabellenregionen tummelte. Aber ob es die Motivation durch meine Anwesenheit war oder das Frühlingswetter, auf jeden Fall spielten sie richtig gut und kamen am Ende zu einem verdienten 2:1-Sieg. Mit dem Abstieg, so sah es aus, würden sie dieses Mal wohl definitiv nichts zu tun bekommen.



    Mittlerweile begannen die Berliner Fans, mich für alles und jedes zu feiern, auch wenn ich gar nichts damit zu tun hatte. Zum Beispiel für die Erfolge der Fünftligamannschaft oder den bevorstehenden Aufstieg der A-Jugend, die tatsächlich zurzeit alles abräumte. Und erst recht am nächsten Drittligaspieltag für den Heimsieg der Profis gegen den 1. FC Saarbrücken. Da erzielten in einem insgesamt recht einseitigen Spiel Horn (RM), Schopp (ST) und Drechsel (LM) binnen fünf Minuten drei Treffer, denen Grasser (ST) in der Schlussminute noch das 4:0 folgen ließ. Dabei wurden zwei weitere Tore für uns nicht gegeben (allerdings zu Recht). Bei noch zehn ausstehenden Spielen hatten wir damit nun schon neun Punkte Vorsprung auf den zweitplatzierten 1. FC Kaiserslautern und vierzehn auf den Relegationsplatz.


    So sehr ich mich jetzt auch auf meine Aufgabe in Berlin fokussierte, ließ es sich doch nicht vermeiden, dass ich mal eine Schlagzeile mitbekam, die die Bundesliga betraf. Und die versetzte mich allerdings nicht nur in Erstaunen, ich war regelrecht entsetzt!



    Was war da passiert? Hatte der VfB die drei letzten Spiele womöglich verloren? Ich wusste natürlich im Schlaf, wie die Gegner hießen: Hamburg, Bayern und Hannover. Sollte es den Krachledernen doch wieder gelingen, am Ende ganz oben zu stehen? In mir tobte ein heftiger Widerstreit: Sollte ich mich doch mal über den aktuellen Stand informieren? Aber nein, ich blieb standhaft. Ohne ausdrückliche Zustimmung des Union-Präsidiums würde ich nicht gegen die Auflagen verstoßen. Wenn wir das nächste Spiel ebenfalls gewannen, konnte ich ja vielleicht mal vorsichtig anklopfen.


    Dieses nächste Spiel war für mich persönlich ein besonderes. Der Gegner hieß Holstein Kiel! Sechsmal hatte ich es mit denen bereits zu tun gehabt, allerdings selbstredend nicht auf der Bank von Union, sondern vom VfB Lübeck. Zwei Jahre lang spielten wir gemeinsam in der Regionalliga – puh, war das lange her! Und vorige Saison hatten wir sie mit 5:0 aus dem Pokal gehauen. Da war es den Störche-Fans vor fast genau einem halben Jahr natürlich ein ausgesprochenes Fest gewesen, gegen mich als Trainer in Berlin mit 1:0 zu gewinnen. Und das wollten sie heute im heimischen Stadion wiederholen. Ich sagte meinen Spielern aber, dass wir hier heute auf Revanche setzten. Dementsprechend aufgeheizt war die Atmosphäre, und beachtliche 9.851 Zuschauer empfingen uns – und speziell mich – im Holstein-Stadion bereits lautstark mit Pfiffen.


    Besonders „auf dem Kieker“ hatten die Kieler den dreifachen Torschützen des Pokalspiels vom 30. Oktober 2019, Willibald Grasser (ST), der damals noch Lübecker gewesen war. Jedes Mal, wenn er am Ball war, gab es Pfeifkonzert und Wutgeheul. Aber den störte das herzlich wenig, und schon nach 21 Minuten war ausgerechnet er es, der für unsere Führung sorgte. Zwar glichen die Kieler wenig später aus, aber eine Viertelstunde vor Schluss machte Manuel Drechsel (LM) den Deckel zu und wir fuhren mit einem 2:1-Erfolg in der Tasche nach Berlin zurück.


    „Malte Womerde hier, ich hätte gern Herrn Butzmann gesprochen.“


    Seit dem Prozess vor dem Berliner Arbeitsgericht, wo der Bruder des Union-Geschäftsführers als klägerischer Anwalt aufgetreten war, waren Marcel Butzmann und ich uns nicht sonderlich grün. Aber der Weg zu dem, was ich wollte, führte nun mal nur über ihn.


    „Butzmann hier.“


    „Verehrter Herr Butzmann!“ Kotzen konnte ich ja in Ruhe später, jetzt brauchte ich sein Wohlwollen. „Ihnen ist sicher nicht entgangen, dass ich drauf und dran bin, das gesteckte Ziel mit dem FC Union zu erreichen.“


    „Richtig“, gab er zurück. „Und da machen Sie jetzt genau so weiter!“


    „Mach‘ ich“, versicherte ich, „aber ich denke doch, dass es inzwischen unbedenklich ist, wenn ich mich mal etwas näher darüber informiere, wie es beim VfB Lübeck steht.“


    Schweigen kam mir entgegen. Ich schwieg ebenfalls.


    „Na, okay“, sagte er dann, „fahren Sie meinetwegen unter der Woche nach Lübeck. Aber spätestens am Freitag sind Sie wieder hier bei Ihrer Mannschaft, verstanden?“


    Und wie ich das verstanden hatte! Lediglich eins tat ich noch, bevor ich aufbrach: Ich sah mir die alljährliche Veröffentlichung des Kicker unter der Überschrift „Beste Newcomer der Saison“, betreffend die Dritte Liga, an – und hatte einen Grund mehr, mit mir zufrieden zu sein.


  • Nach dreifacher Lektüre aller Kapitel seit letztem Sommer habe ich mich entschieden NICHT rückwirkend auf ältere Threadseiten zu antworten. Da hätte ich über meinen eigenen Kommentar keinen Überblick mehr und würde stattdessen zwischen durch mehrere Kapitel "Krieg und Frieden" reinkopieren, weil es eh keiner merken würde.


    Was ich zuletzt vorgefunden habe klingt für mich definitiv nicht lustlos, eher etwas "müde". Der Ansatz mit dem Emmo-Spinoff war interessant und zumindest für Stammleser eigentlich eine halbwegs "realistische" Lösung des Personalproblems. Bei dieser Frage darf dann auch nur "entweder, oder" gelten. Gefühlt läuft es auf eine Re-Fusion hinaus. Auch recht. Ich werfe mal den Gedanken in den Raum, ob es für die Phase vor Maltes unvermeidlicher Rückkehr zum VfB (mittlerweile eben auch eine Storykonstante, selbst wenn es nie so vorgesehen war) nicht storyintern wechselnde Berichterstatter fürs Sportliche geben kann (natürlich stets sichtbar abgesetzt, wenn es mal nicht Malte ist).


    Die Balkan-Connection schwelt also immer noch vor sich hin. Schade, dass wir immer noch auf die Auflösung warten müssen und dass die Technik auch zum Handeln zwang (Ende mit Kroatien). Aber immerhin kann man das noch ausbauen. Und wenn Malte wieder in der ersten Liga ist (egal mit welchem Verein zu jenem Zeitpunkt), dann kann er vielleicht auch mal bei einer titelfähigen Nation landen.


    Die Unions-Affäre hat mittlerweile schon einen grotesken Hauch. Ich weiß nicht, ob die schleswig-holsteinische Polizei berechtigt ist, einen berlinerischen Hausarrest umzusetzen und ob es auch so etwas wie Büro- und Stadionarrest gibt. Offenbar ist die Gesellschaft durch die politischen und medialen Begebenheiten der 2010er schon so abgebrüht, dass selbst Knastologe Malte im mediendurchfluteten Profisport glauben kann, unbeobachtet zu bleiben (Daum musste für weniger noch ins Ausland). Dass er dabei zu tollkühn wurde, tut dem ja keinen Abbruch. Na dann erfüllt Malte halt seinen Pflicht-Vertrag. Die Rolle eines unfreiwilligen Managers hatten wir ja auch noch nicht so oft. Ob es da noch spannende Duelle mit BiBaButzmann oder anderen Berliner Figuren geben wird?


    Sportlich bleibt der Fokus, wenn auch derzeit erzähltechnisch verborgen, auf Lübecks Titelträumen. Die Aussicht war lange nicht mehr so gut (wobei ich Emmos Mitschuld durch Erfolg alleine noch nicht vollständig gesühnt sehe). Die EL ist dabei in meinen Augen ein ganz, ganz, wichtiges Ziel. Die, wie bereits von dir erklärt, einzige Chance auf den kleinen europäischen Wettbewerb hat einen immensen Wert für das Renommee des Vereins. Das gilt sowohl erzählerisch (wobei hier eine bittere Finalniederlage natürlich noch dramatischer wäre) als auch spieltechnisch (die transferrelevanten Prestigepunkte für den Menschlichen Spieler sind halt zäh zu erlangen). Und erstmals seit Beginn des gesamten Projekts schwächeln die Bayern in der Liga. Diese Chance muss einfach mal genutzt werden, und zwar gerne von den "richtigen" Grün-Weißen. Was dann mit den ganzen potentiell existenzbedrohenden Vereinbarungen aus Maltes VfB-Zeit wird? Nun, da sind wir doch alle gespannt, oder?

  • Nachdem ich das letzte Jahr nur hier und da still mit gelesen habe und mit anderen Dingen zu beschäftigt war, nutze ich die wohl konstanteste und spannendste Geschichte hier, um mal wieder aktiver zu sein. Zum Glück hatte ich die Wege von Winter und Wormerde immer ein wenig verfolgt.


    Gibt es eigentlich eine Story die sich so lange hielt und die so viele Wendungen und Überraschungen drin hat? Einfach grandios was du da erschaffen hast, sei es in Form diverser persönlicher Personen (durch die vielen Frauen steigt man kaum noch durch), dem Kontakt zu früheren Spielern und Mitarbeitern oder Randfiguren bei denen du es immer wieder schaffst sie so einzubinden, dass sie mehr als nur Beiwerk sind. Dazu sind die Storylines prima und einfach spannend, wobei vieles noch nicht mal auserzählt ist. Was ist in Kroatien passiert? Wieso ist es um Vollborn eigentlich so ruhig geworden? Wird Lübeck nun Meister oder haben es doch wieder die Bayern geschafft? Und natürlich gibt es auch in und um Berlin noch einiges zu erzählen.


    Witzig ist übrigens, dass bei dir in der Story Alcacar schon auftauchte, lange bevor er beim BVB in den Fokus rückte und bei dir ja schon überzeugte. Mal drüber nachgedacht bei Zorc anzurufen und dich als Scout zu bewerben? :D Nicht ganz so witzig finde ich dagegen, dass meine Schalker schon wieder als politisches Aushängeschild benutzt werden, doofe Verbindung zum 3. Reich :/


    Ach, ein Satz der mir auffiel: "Ach was, du kümmerst dich um Union, nicht um Hertha." War das so gewollt, dass das ganz schön zweideutig klingt und nicht nur auf das Kind zu beziehen wäre?


    Zum Abschluss noch ein ganz kleines bisschen Kritik oder Anregung: Du solltest bei aller Spannung aufpassen, dass es nicht zu fantastisch wird. Die Storyline mit Union und dem abholen durch die Polizei bekam ja doch schon ein paar unrealistische Züge. Wichtig fände ich es aber auch, wenn du nicht zu viel offen lässt; also speziell denke ich dabei daran dass mich z.b. interessieren würde was aus dem Lübecker Präsidenten wurde, wie das ganze seiner politischen Karriere geschadet hat usw.!? Um den ist es wirklich sehr still geworden.


  • 269. Teil: Was indessen in Lübeck geschah
    (28.03.2021)


    „Möchtest du einen Single Malt?“


    „Was hast du denn für einen?“


    Ich saß bei Lennard Heiße, dem Geschäftsführer des VfB Lübeck, auf der Couch und fühlte mich zum ersten Mal seit Langem wieder richtig wohl und ungezwungen.


    „Einen Bushmills. Und du kommst nicht drauf, woher ich den habe!“


    „Woher hast du ihn denn?“, fragte ich brav.


    „Aus Restbeständen von der letzten Oscar-Verleihung.“


    „Wie – von der Oscar-Verleihung?“


    „Ja, klar von der Oscar-Verleihung!“


    „Wie bist du denn da rangekommen?“


    „Oh, man hat halt so seine Kontakte. In diesem Fall zu dem Betreiber der Spirituosenbar, die von Whiskey bis Buttermilch buchstäblich alles hatte.“


    „Donnerwetter!“


    Und natürlich ließ ich mir gern einen Bushmills eingießen.


    „So, und du hast tatsächlich kein bisschen verfolgt, was sich mit dem VfB getan hat?“ Lennard konnte es gar nicht glauben.


    „Ich schwöre, so wie ich hier sitze, habe ich null Ahnung und kenne als letztes Ergebnis das 3:0 in Köln am 27. Februar. Da lagt ihr dann punktgleich mit Wolfsburg an der Spitze und neun Punkte vor den Bayern.“


    „Tja, das hat sich in der Tat ein bisschen geändert.“


    „Sag jetzt bloß nicht…“


    „Na, lass mich mal der Reihe nach erzählen. Und nimm dir ruhig ein paar von den Gürkchen.“


    „Zum Whisky?“


    „Oder auch nicht. Pass auf, der Reihe nach: Als Nächstes kam das Pokalspiel gegen Mönchengladbach. Halbfinale. Wo hab‘ ich denn jetzt hier das Datenblatt… Hm, das muss mir irgendwie zerrissen sein.“



    „Aha, da sehe ich immerhin schon mal, dass ihr ein Tor geschossen habt.“


    „Richtig. Das war ein Konter über Emmo, der schickt Marco über rechts, Marco lässt Dante aussteigen und knallt das Ding in den Winkel. 85. Spielminute. In der ersten Halbzeit hatte Ganz auch schon mal getroffen, aber das war Abseits.“


    „Ja – und? Nun mach‘ es nicht so spannend, hat Gladbach denn auch ein Tor erzielt?“


    „Ach so, ja. Oder besser: nein. Wir waren klar überlegen und hätten eigentlich deutlich höher gewinnen müssen.“


    Irgendwie hatte er eine Art zu erzählen, die mich auf die Palme treiben konnte.


    „Na, Mann, das ist ja super! Dann steht der VfB Lübeck zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte im Pokalendspiel! Das nenne ich mal einen Erfolg!“


    Darauf hatte ich natürlich gehofft, aber jetzt versetzte mich die Tatsache, dass das wahr geworden war, noch nachträglich in eine ausgesprochene Euphorie. Könnte ich doch bloß ganz nach Lübeck zurückkehren, um das Finale dieser großartigen Saison hier live mitzuerleben! Aber klar, meine Verpflichtungen in Berlin ließen das nicht zu.


    „Und wer ist jetzt unser Gegner im Endspiel?“


    „Na, du wirst staunen!“



    „Wow, der Zweitligist haut den HSV raus? Ist ja ‘n Ding! Dann holen wir uns womöglich tatsächlich den Pott?“


    „Könnte sein“, sagte er trocken.


    Favorit im Pokalendspiel, Tabellenführer in der Bundesliga und in der Europa League ging womöglich auch noch was – wie irre war das denn!


    „Okay, weiter. Die Hamburger kamen dann drei Tage später sicher mit einiger Wut im Bauch an die Lohmühle.“


    „Das kannst du wohl sagen. Immerhin als Tabellen-Fünfter schielen sie natürlich auf einen Champions-League-Platz, also ein einfaches Spiel wurde das nicht!“


    „Hat Emmo denn wie gegen Gladbach wieder das 4-2-4 gespielt?“


    „Zuerst nicht. Schon wegen Alcacers Gelb-Sperre. Aber wie in dem Köln-Spiel hat er zur Halbzeit dann doch das 4-3-3 aufgegeben. Denn nach Toren von Reus (RA, 9.) und Sturridge (LA, 41.) stand es 1:1, und das war uns zu wenig. Doch dann kam die 68. Minute…“



    „Und damit nicht genug: Wolfsburg kassierte zu Hause eine 0:2-Klatsche gegen Mainz, so dass wir uns direkt etwas absetzen konnten.“



    „Hey, Wahnsinn!“, rief ich aus. „Und ich hatte schon geglaubt, wir würden die Tabellenführung noch verlieren. Womöglich sogar an die Bayern.“


    „Na, wart’s ab“, sagte er vieldeutig.


    „Nee, oder?“


    „Emmo war natürlich ganz schön optimistisch, als wir eine Woche später nach München mussten. Aber vorher stand ja noch das Spiel gegen Arsenal an. Europa League, Hinspiel.“


    „Ach ja, richtig. Und wie lief’s? Im Emirates Stadium war für Emmos Mannen sicher nicht viel zu holen, was?“


    „Ach, sag das nicht. Es lief jedenfalls besser als erwartet. Die Gunners sind allerdings inzwischen auch ziemlich überaltert – der Altersdurchschnitt beträgt da beachtliche 32,5 Jahre! Und eigentlich hätten wir sogar mehr holen müssen.“



    „Na, immerhin. Dann reicht uns im Rückspiel ja schon ein torloses Remis. Oder – hat das nicht sogar schon stattgefunden?“


    „Sicher“, antwortete er, „aber wir wollen doch schön der Reihe nach vorgehen, oder?“


    Ihm schien es richtig Spaß zu machen, mich auf die Folter zu spannen.


    „Warte erst mal – ich sehe, da hat sich gegen Ende des Spiels ein Lübecker verletzt?“


    „Ja, Torosidis. Das war aber nur ‘n Bluterguss, das hatte Doc Ehrentraut nach einem Tag schon wieder im Griff.“


    Okay, es blieb also bei dem Ausfall von Rasmussen und Trindade Meireles. Allerdings fiel schon auf, wie oft Torosidis mit seinen bald 36 Jahren irgendwelche Zipperlein hatte.


    „Schön, also: was war denn nun mit dem Bayern-Spiel?“, wollte ich jetzt aber doch wissen.


    „Tja“ – Lennard holte kurz hörbar Luft – „das war schon ein ziemlich besonderes Match. Einige haben sogar mal wieder das Wort vom Jahrhundertspiel gebraucht. Obwohl, das scheint mir denn doch vielleicht ein bisschen…“


    „Lennard! Würdest du bitte zur Sache kommen!“


    Da konnte er sich ein Grinsen dann doch nicht verkneifen.


    „Okay, kurz gesagt: es fing ziemlich beschissen für uns an.“


    Schon nach fünf Minuten durfte nämlich Thomas Müller (ST) mutterseelenallein im Lübecker Strafraum stehen und eine weite Kopfballvorlage von Luka Modrić (ZM) an Cissé vorbei ins Tor schieben. 1:0. Und keine zehn Minuten später kurvte Mario Gomez (ST) unbehelligt durch die gegnerischen Abwehrreihen, Torosidis hatte wenigstens mal eine kurze Ballberührung, aber mehr auch nicht, und dann stand es 2:0.


    „Na großartig!“ Mehr fiel mir dazu nicht ein.


    „Die Abwehr war einfach irgendwie nicht vorhanden. Okay, Negrão fehlte wegen einer Gelbsperre, aber es waren die beiden Routiniers Torosidis und Meywald, die sich insgesamt eine glatte Fünf verdienten. Und übrigens – als das zweite Tor fiel, waren wir schon nicht mehr komplett.“


    „Wie das?“


    „Tja, ungeschickte Aktion von Reus, hab‘ ich selbst nicht so richtig sehen können, jedenfalls zeigt ihm Schiri Hirschbühl sofort glatt Rot!“



    „Der spinnt ja wohl! Hirschbühl? Ist das nicht ein Bayer?“


    „Na, an dem Tag bestimmt! Aber zum Glück hatten wir ja noch einen geradezu genialen Mann auf dem Platz!“


    „Emmo?“


    „Ja, der auch. Denn der hatte sich wieder für das 4-3-3 entschieden, mit Labyad als OM. Und was soll ich sagen? 35. Minute, Emmo auf Labyad – nur noch 2:1. Und dann nach der Pause, 51. Minute, Manuel Neuer klatscht einen Alcacer-Schuss ab, Labyad ist da – Ausgleich!“


    „Puh, da haben wir ja wohl gerade nochmal Glück gehabt, was? Und das in Unterzahl!“


    „Nee, denkste. Dabei hätten wir das durchaus gewinnen können. Leider hatte Alcacer großes Pech, und das gleich doppelt.“



    „Und trotzdem war der Schiri mit dem Ergebnis offensichtlich noch nicht zufrieden. Er lässt doch glatt so lange nachspielen, bis es Toni Kroos (ZM), Mario Gomez (ST) und Franck Ribéry (LM) in einer Gemeinschaftsaktion gelingt, Cissé noch ein drittes Mal zu überwinden!“


    „Mist!“


    „Die gute Nachricht war allerdings, dass wir dennoch Tabellenführer blieben.“



    So war an diesem 24. Spieltag außer den Bayern noch ein paar anderen Teams ein wichtiger Schritt gelungen. Gladbach und Köln punkteten im Abstiegskampf, Leverkusen meldete sich mit dem Sieg gegen Wolfsburg für die Champions League an und auch Dortmund hatte nach dem Erfolg beim Schlusslicht Leipzig durchaus wieder Aussichten auf internationalen Fußball.


    „Alcacer fiel jetzt erst mal für zwei Wochen aus. Außenbandanriss. Bis jetzt hat er noch nicht wieder spielen können.“


    „Sehr ärgerlich! Aber davon, dass die Bayern doch noch Meister werden könnten, kann ja eigentlich keine Rede sein, oder?“


    Doch da täuschte ich mich, denn die entsprechende Nachricht von sport.de stammte erst vom darauffolgenden Wochenende.


    „Eine Woche später hatten sie tatsächlich beinahe aufgeschlossen. Da gewannen sie in Jena zwar nur knapp mit 1:0, aber sowohl die Wölfe wie auch wir kamen in unseren Heimspielen über ein 1:1 nicht hinaus.“


    „Wie, nur Unentschieden gegen Hannover?“


    „So ist es. Beide Tore fielen in Halbzeit eins. Erst macht Schlaudraff (ST) im Alleingang das 1:0 für die Gäste, dann köpft Meywald (IV) nach einer Ecke zum Ausgleich. Bei den 96-ern flogen zwar noch Pander (DM) und Haggui (IV) vom Platz, aber ein Tor ist uns nicht mehr gelungen.“


    „Wieder eine schwache Vorstellung also.“


    „Und kein Glück.“


    Der Blick auf die Tabelle nach dem 25. Spieltag verschaffte mir dann tatsächlich ein mulmiges Gefühl. Denn vier Punkte Vorsprung auf den Dauermeister schienen mir bei noch neun ausstehenden Spielen nicht wirklich ein beruhigendes Polster zu sein. Zumal sie sich in einer ihrer gefürchteten Siegesserien befanden.



    Borussia Mönchengladbach hatte mit dem fünften Sieg in Folge die Leverkusener gebremst (1:0), Dortmund verlor das Derby gegen Schalke mit 1:3, ansonsten hatte es keine Überraschungen gegeben.


    „Ich fand es an dem Punkt, ehrlich gesagt, nicht erstaunlich, dass die Presse die Bayern schon wieder zum Meisterschaftsanwärter machte. Und die Bayern-Bosse natürlich erst recht. Sogar Rob Referee unkte in seinem Leitartikel, am Ende würde es wieder aussehen wie jedes Jahr.“


    Typisch Rob. Zu schade, dass ich nicht länger in Lübeck bleiben konnte. Aber ich beschloss, ihn mir gelegentlich mal wieder zur Brust zu nehmen. Doch jetzt wollte ich natürlich von Lennard hören, wie es weitergegangen war.


    „Und am nächsten Spieltag mussten wir dann nach Jena, nicht?“


    „Ja. Außerdem spielten die Bayern zu Hause gegen Dortmund und Wolfsburg durfte nach Leipzig reisen.“


    „Na, da werden doch wohl alle drei gewonnen haben, oder?“

  • wechselnde Berichterstatter fürs Sportliche

    Geliefert wie bestellt. Freundlicher Kontakt. Gerne wieder.

    Ich saß bei Lennard Heiße, dem Geschäftsführer des VfB Lübeck, auf der Couch und fühlte mich zum ersten Mal seit Langem wieder richtig wohl und ungezwungen.

    Auf der "magischen" Couch? Ach ne, die ging ja irgendwann mal auf den Sperrmüll, oder? Mich freut es für Malte, dass er sich wohlfühlt. Ruhe vor dem (nächsten) Sturm, also?

    „Zum Whisky?“

    Natürlich! Alleine schon als Vorsichtsmaßnahme. Ich wette Malte hatte sich wieder nicht um eine "Grundlage" gekümmert.

    Irgendwie hatte er eine Art zu erzählen, die mich auf die Palme treiben konnte.

    Schlecht für Malte, Grandios für uns!

    Favorit im Pokalendspiel

    Na, ob das dem VfB so gut tun wird? Also mit dem HSV als Gegner (btw: wäre ein nettes Derby) wäre ich da deutlich weniger skeptisch gewesen, als mit einem vermeintlich einfachen Zweitligisten.

    „Ja, der auch. Denn der hatte sich wieder für das 4-3-3 entschieden, mit Labyad als OM.

    4-3-3 in Unterzahl, also nach Adam Riese mit dem Torhüter als Feldspieler. Finde ich ja schon mutig. ^^ :P

    Typisch Rob. Zu schade, dass ich nicht länger in Lübeck bleiben konnte. Aber ich beschloss, ihn mir gelegentlich mal wieder zur Brust zu nehmen. Doch jetzt wollte ich natürlich von Lennard hören, wie es weitergegangen war.

    Genau so sieht's aus!

    „So, und du hast tatsächlich kein bisschen verfolgt, was sich mit dem VfB getan hat?“

    DAS ist für mich auch das größte Mysterium dieses Storyabschnitts. Malt-Man hat sich in seine geheime Malt-Höhle (eine umgebaute ehemalige U-Bahn-Station unterm Kreuzberg) zurückgezogen, um sich von der medialen Informationsflut über die VfB-Spiele abzuschirmen. Lediglich die Infos zum 1.FC Union lässt er sich gezwungenermaßen von seinem getreuen Butler Arran Penderyn unter der Tür hindurchschieben. :D

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