Der bemerkenswerte Weg des Emmo W.

  • Und jetzt warten alle auf den nächsten Teil. Immer diese Cliffhanger :P


    Aber ich seh das schon kommen; die Bayern werden wieder Meister. Aber wenn ich mir deinen Kader so anschaue und das was man so von den Bayern liest, welche Torschützen da auftauchen, verkaufst du dich eigentlich gut. Wie ist denn das Stärkenverhältnis im FM? Also die Punkte. Bayern dürfte doch bestimmt im 800er Bereich liegen und du doch noch deutlich darunter oder?


    Ach ja, lass uns nicht zu lange warten :)


  • 270. Teil: Zu Besuch an der Lohmühle
    (28.03.2021)


    „Na, da werden doch wohl alle drei gewonnen haben, oder?“, hatte ich Lennard Heiße zuletzt gefragt.


    „Alle bis auf einen“, war seine Antwort, und dem verschmitzten Lächeln konnte ich entnehmen, dass das für uns etwas Gutes bedeutete. „Aber vergiss nicht, dass da ja zwischendurch noch das Rückspiel gegen Arsenal gewesen war.“


    „Ach ja!“


    Nach dem 1:1 in London durfte man ja durchaus ein wenig darauf hoffen, dass wir noch in der Europa League verblieben waren. Andererseits fehlte Alcacer verletzt und Emmo saß eine Gelbsperre ab. Rasmussen (LV) war zwar endlich wieder ins Training zurückgekehrt, nach seiner langen Pause (Kreuzbandriss, 23 Wochen) fehlte es ihm aber noch sehr an der nötigen Fitness.


    „Emmo griff wieder zu dem alten 4-2-4“, erläuterte Lennard, „weil er Labyad als ZM brauchte. Und das lief auch zunächst sehr gut. In der ersten Halbzeit spielten praktisch nur wir. Nach der Pause wurden die Gunners dann besser und hätten uns fast noch in Schwierigkeiten gebracht.“



    „Sehr gut!“, freute ich mich. „Und wer ist nun am kommenden Mittwoch unser Gegner?“


    „Na, wen würdest du dir denn wünschen, wenn du dir die Ergebnisse des Achtelfinales mal so ansiehst?“



    „Hmm, Hoffenheim ist also auch raus, ja? Tja, Chelsea wäre wohl am schwersten…“


    „Okay, okay, ich werde dich nicht so auf die Folter spannen.“



    „Na, das könnte wohl machbar sein“, fand ich.


    Und dann komplettierte Lennard seinen Bericht über die März-Begegnungen des VfB Lübeck, indem er auch noch von dem letzten Bundesligaspiel gegen den FC Carl Zeiss Jena erzählte. Erneut hatte Emmo mit einem 4-3-3 beginnen lassen, von dem er nach einer guten Stunde wieder zum 4-2-4 wechselte. Mir persönlich hätte das zu viel Unruhe ins Team gebracht, aber anscheinend hatte er die Mannschaft gut darauf eingestellt. Und für ihn sprach auch das Gesetz der Serie, denn in bis dahin neun Ligaspielen gegen die Sachsen hatte der VfB Lübeck jedes Mal als Sieger den Platz verlassen. 24:4 Tore rundeten die beeindruckende Bilanz ab. Aber heute gab es auf der Gegenseite ein Wiedersehen mit einem, der an den meisten dieser Spiele auf Lübecker Seite teilgenommen hatte: Christian Kraetschmer (LV).



    „Okay, nicht gut gespielt und doch gewonnen – muss es auch mal geben. Und wer von den beiden anderen hat jetzt verloren? Wolfsburg in Leipzig?“


    „Nö…“



    „Yeah!“, rief ich aus und sprang sogar vom Sessel hoch. „Sieben Punkte Vorsprung bei noch acht Spielen – das müssen die erst mal aufholen!“


    „Sehe ich auch so“, bestätigte Lennard, „Emmo allerdings nicht. Ihm missfällt, dass wir nur selten gut spielen und kaum noch zeitig einen Sieg klar machen. Und wenn man sich mal die letzten sieben Spiele ansieht, hat er da nicht ganz unrecht: zwei Unentschieden, die Niederlage gegen die Bayern, und wenn gewonnen, dann schwach gespielt und mit nur einem Tor Vorsprung.“


    „Aber vier Siege, was will er denn mehr! Und die anderen patzen! Wochenlang haben doch Wolfsburg und München immer schön gleichmäßig gewonnen, und jetzt lässt seit vier Spieltagen jedes Mal einer von ihnen Federn.“


    „Tja, sag das mal Emmo!“


    Das tat ich natürlich nicht. Aber ich nutzte dankbar die Gelegenheit, beim Training und bei den Taktikbesprechungen vor dem anstehenden Europa-League-Spiel dabei sein zu können. Emmo schien mich kaum wahrzunehmen, anscheinend wollte er nicht den Eindruck erwecken, meinen Rat haben zu wollen. Ich machte mir nichts draus. Nur einmal nutzte ich die Gelegenheit, ihm etwas Positives zu sagen.


    „Hat mir gut gefallen, deine Maßnahme im letzten Spiel.“


    „Was meinst du?“


    „Nun, Mitte der zweiten Hälfte von 4-3-3 auf 4-2-4 umzustellen. Offensichtlich funktioniert das mit der Mannschaft sehr gut.“


    Er nickte nur, aber ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass ihm die Anerkennung nicht gleichgültig war.


    Und dann kam der Tag, an dem ich endlich wieder einem Spiel des VfB Lübeck beiwohnen durfte. Und was für ein Ding – man stand im Viertelfinale der Europa League! Das Stadion An der Lohmühle war lange im Voraus ausverkauft, die ganze Stadt war aufgeregt – und ich natürlich auch.


    Aber am Morgen vor dem Spiel erhielt ich noch eine Nachricht, die mich ins Grübeln brachte.



    Wie meistens, wenn ich etwas nicht verstand, rief ich Daniel Lippmann an.


    „Wer oder was ist denn bitte der FC Hornberger Schützen? Davon habe ich ja noch nie gehört!“


    „Echt nicht?“, gab Daniel zurück. „Solltest du aber. Das ist ein junger, aufstrebender Verein aus dem Schwarzwald. Der bisherige Manager, Benno Behrens, hat vor zwei Tagen das Handtuch geworfen, und jetzt hätten sie halt gern dich als seinen Nachfolger.“


    „Eigenartig. Mir sagt das überhaupt nichts. Und zu was für einem Screen soll ich da gehen?“


    „Oh, das ist ganz einfach. Alles, was du brauchst, hängt am Schwarzen Brett im Vereinshaus.“


    Na gut, dachte ich, hier habe ich ja sonst nichts zu tun, also machte ich mich auf den Weg über den Campus. Aber als ich die Tür des Clubhauses öffnete, schwante mir schon etwas. Da saßen sie nämlich alle auf sämtlichen verfügbaren Sitzmöbeln: die Co-Trainer Daniel und Sebastian, Psychologe Pascal Berger, natürlich Lennard Heiße und alle anderen Trainer und Angestellten des Vereins.


    „April, April!“, scholl es mir fröhlich entgegen, und dann gab es ein allgemeines Durcheinander von Begrüßung, Schulterklopfen, Spott und Wiedersehensfreude.


    Anschließend verbrachte ich die Zeit bis zum Spielbeginn mit all denen von ihnen, die nicht unmittelbar mit den Vorbereitungen zu tun hatten. Und dann saßen wir zusammen auf der Ehrentribüne des Lübecker Stadions und sahen uns die Begegnung des VfB gegen FK Dynamo Moskva an, zu der übrigens auch Paco Alcacer erfreulicherweise wieder fit war.



    Anschließend liefen wir alle schleunigst von der Tribüne hinunter um in Erfahrung zu bringen, was mit Paco los war. Wir fanden Emmo und Doc Ehrentraut vor der Kabine, einige der Spieler standen ratlos um sie herum.


    „Schienbeinbruch“, verkündete Emmo mit finsterer Miene. „Für ihn ist die Saison zu Ende.“


    Konkret prognostizierte der Mannschaftsarzt einen Ausfall von elf Wochen. Alle waren konsterniert. Tatsächlich war das natürlich ein herber Verlust für das Team, ausgerechnet in der entscheidenden Schlussphase der Saison. Und am bedenklichsten fand ich, dass Paco in letzter Zeit schon äußerst anfällig gewesen war.



    Im Juli 2017 war er als gesunder 23-Jähriger nach Lübeck gewechselt und die paar kleineren Ausfälle bis zum Beginn der vorigen Saison fielen ja auch nicht großartig ins Gewicht. Aber seit anderthalb Jahren klebte anscheinend das Pech an ihm. Fast stand zu befürchten, dass er sich mit seinen 27 Jahren dicht vor einer Sportinvalidität befand. Ich nahm mir vor, gelegentlich mit Emmo darüber zu sprechen, dass wir uns besser nach einem weiteren starken Angreifer umsahen.


    Aber jetzt machte ich mich erst einmal wieder auf den Weg zurück nach Berlin. Schließlich hatte ich da noch eine Aufgabe zu erfüllen: den Aufstieg des 1. FC Union in die 2. Bundesliga klarzumachen.


  • 271. Teil: Aufstieg hier, Kaderplanung da
    (03.04.2021)



    Um es kurz zu machen: Wir brauchten nicht lange, und die Sache war eingetütet. Vor dem Samstag-Spiel gegen Fortuna Düsseldorf sah es an der Tabellenspitze der Dritten Liga so aus:



    Da die Liga aus 20 Mannschaften bestand, lagen noch neun Spiele vor uns. Im optimalen Fall hatten wir in zwei Wochen die Relegation sicher und einen Spieltag später den Aufstieg. Dabei waren unsere Gegner nicht die leichtesten, handelte es sich doch um drei traditionsreiche Ex-Bundesligisten. Aber das schreckte uns nicht – im Gegenteil zeigten wir ihnen, wer hier aktuell das Sagen hatte.



    Dabei ist es mir ein besonderes Bedürfnis, die Torschützen dieser Begegnungen aufzuführen: Willibald Grasser (ST) erzielte das Tor gegen Düsseldorf, Willibald Grasser traf auch dreimal in Karlsruhe und Willibald Grasser und Mario Schopp (ST) sicherten den Sieg über Bielefeld.


    „Wir hätten ihn nicht gehen lassen sollen“, konstatierte Daniel Lippmann, seines Zeichens Co-Trainer des VfB Lübeck, und er meinte natürlich Willibald Grasser.


    „Vergiss nicht, er spielte in der zweiten Mannschaft und hatte keine großen Aussichten, daran etwas zu ändern“, entgegnete ich.


    „Aber jetzt“, lamentierte er, „jetzt könnten wir ihn hier gut gebrauchen. Alcacer fällt immer öfter aus, Esswein ist schon 31 und nicht so stark wie Willi, da bleibt nur Ganz, denn Reus und Iturbe können nur als deutlich schwächere Nebenposition in der Spitze spielen.“


    Doch ich war außerordentlich glücklich, mit Grasser einen Mann nach Berlin geholt zu haben, der Union den Aufstieg und mir diesen großartigen Erfolg ermöglichte. Und selbst wenn ich nach dieser Saison nach Lübeck zurückkehrte, beabsichtigte ich nicht, den Köpenickern diesen wertvollen Trumpf wieder streitig zu machen.


    Ach ja, ich erwähnte es ja noch gar nicht ausdrücklich: Tatsächlich stand nach den letzten drei Siegen bereits fest, dass der 1. FC Union Berlin künftig zweitklassig spielen würde. Denn allenfalls die Lauterer konnten uns in den verbleibenden sechs Spielen noch einholen.



    Tja, und wie man hier sieht, lief es auch für Martin Wiss und sein Team grandios. Zu gerne wäre ich bei der Begegnung mit Holstein Kiel am 3. April dabei gewesen. Alle hatten viel Spaß – vor allem aber die, die noch die Regionalliga-Derbys miterlebt hatten –, wie Iturrioz (ST) mit zwei Toren und Andy Wittek (ST) mit dem dritten die Störche mit 3:0 nach Hause schickten. Leider war nun nicht auszuschließen, dass dieses Vergnügen für die nächste Saison verloren gehen könnte, denn die Kieler lagen nur knapp vor den Abstiegsrängen.


    Ähnlich souverän gewann Lübeck II übrigens auch in Düsseldorf (4:0) und gegen Karlsruhe (3:0).


    „Na, du brauchst dir wohl nicht den Kopf zu zerbrechen, was Sturmprobleme angeht, was?“, bemerkte ich dem Amateurtrainer gegenüber, als der mich anrief, um mir zum Aufstieg zu gratulieren.


    Aber diese Meinung konnte Martin nicht so ganz teilen.


    „Ich wäre froh, wenn du bald wieder nach Lübeck kämst“, sagte er. „Wir brauchen bald eine vernünftige Kaderplanung für die neue Saison, und mit Emmo ist darüber nicht gut zu reden.“


    Ich kann nicht leugnen, dass ich das gern hörte: Man legte in der Hansestadt wieder Wert auf die Meinung und die Fähigkeiten eines Malte Womerde!


    „Okay“, sagte ich deshalb, „wo drückt dich der Schuh denn am meisten?“


    Und zugleich holte ich mir seinen aktuellen Drittligakader auf den Bildschirm.



    „Zunächst mal darf man sich nicht täuschen lassen: Wir haben da ein paar Spieler, die zwar mittrainieren, aber nicht ernsthaft auch nur für die Bank infrage kommen.“


    „Klar, das sehe ich. Alles unter 40 oder 50 können wir vergessen. Bleiben also von den 21 Mann nur noch 15 oder 16.“


    „Richtig. Hinzu kommen die vier Jungs aus der A-Jugend, die bereits Verträge für die neue Saison unterschrieben haben. Wobei ich dich übrigens sehr darum bitten würde, jetzt doch auch Kubesch (ST) ein Angebot zu machen.“



    „Wird erledigt. Angesichts der aktuellen Stürmersituation kann das auf jeden Fall nicht schaden.“


    „Damit wäre der Angriff dann wenigstens kein so großes Thema mehr. Im Tor haben wir mit Albornos und Schober zwei richtig Gute, da bleibt nur zu befürchten, dass sie von anderen Clubs oder von Emmo für die Profimannschaft abgeworben werden.“


    „Einer mehr wäre also nicht schlecht?“


    „Naja, mehr Sorgen bereiten mir Abwehr und Mittelfeld. Zugegeben, das ist auf hohem Niveau geklagt, aber Spieler wie Michail, Moretti, Hakanpää und Maiello kann ich auf Dauer kaum dafür motivieren, in der Drittklassigkeit zu spielen. Für Aslantas kam übrigens gerade ein lukratives Angebot aus Cottbus.“


    Im Grunde freute ich mich natürlich darüber, dass unsere Jugendarbeit so erfolgreich war. Aber ich versprach Martin, mich um seine Wünsche zu kümmern. Anschließend rief ich gleich noch Alexander Fröhlich, den Jugendtrainer an, um seine Meinung dazu abzufragen.


    „Nun, du weißt ja, wie es hier ist: Ich verliere jedes Jahr ein paar der Besten, weil sie dem Jugendbereich entwachsen sind, und die, die nachkommen, müssen neu aufgebaut werden. Aber alles in allem kann ich nicht klagen. Wenn du irgendwo einen talentierten Jungen auftust – gut; wenn nicht – auch gut.“


    Zuletzt wandte ich mich dann noch einmal an Daniel Lippmann, um mit ihm über den Profikader zu sprechen. Sein Hauptanliegen hatte er mir ja schon geschildert.



    Wenn Alcacer öfter ausfiel, fehlten uns eindeutig ein, zwei gute Stürmer. Nahm man die Situation der zweiten Mannschaft hinzu, dann konnten es auch gern drei oder vier sein. Deshalb versprach ich auch Emmos Co-Trainer, in dieser Richtung aktiv zu werden.


    Nun soll hier aber auch nicht verschwiegen werden, wie es der ersten Mannschaft erging, während ich in Berlin die Erfolgsspur abgraste. Mittlerweile gestattete ich mir dann doch immer mal einen Blick auf das Bundesliga-Geschehen sowie auf die Europa League. Zwar bekleckerte Emmos Team sich nicht extrem mit Ruhm, aber es reichte dennoch fraglos dafür, sich weiterhin in jeder Richtung berechtigte Hoffnungen zu machen. Gegen den Tabellenletzten aus Leipzig fehlten Meywald und Reus aufgrund von Sperren, Alcacer war ja länger verletzt und Trindade Meireles noch nicht wieder richtig fit.



    Trotz dieser schwachen Vorstellung rückte der VfB Lübeck seinem Ziel erneut ein gutes Stück näher. Der FC Bayern gewann zwar in Stuttgart 2:0, aber Wolfsburg ließ beim 1:1 gegen Schalke Punkte liegen, so dass sich der Vorsprung auf fünf Zähler erhöhte. Höchster Tagessieg war das 4:0 von Gladbach gegen Hoffenheim, womit die Borussen jetzt sieben Siege in Folge aufzuweisen hatten und sogar noch ein wenig auf internationalen Fußball hoffen durften.



    Nicht viel überzeugender als gegen Leipzig wirkte Emmos Team im Europa-League-Rückspiel in Moskau. Dass Emmo angesichts der klaren Hinspielsieges ein wenig rotierte, kann dabei nur bedingt als Entschuldigung gelten. Aber eine glückliche Hand hatte er wieder einmal, indem er nach einer guten Stunde beim Stand von 1:0 für Moskau erneut vom 4-3-3 zum 4-2-4 wechselte.



    Die übrigen Ergebnisse des Viertelfinales waren insofern überraschend, als nun kein Vertreter aus England, Spanien oder Italien mehr im Rennen war.



    Lyon, Basel, Istanbul – ich fand, das sah alles nicht wirklich übermächtig aus. Wobei die beiden Letzteren jeweils nur aufgrund der mehr erzielten Auswärtstore weitergekommen waren. Nicht nur deshalb schien mir Olympique Lyon der schwerste Gegner zu sein. Und es kam, wie es kommen musste…



    Aber okay, wenn man die schlug, dann war auch der Titel drin!


    „Das sehe ich auch so“, erklärte Daniel Lippmann am Telefon. „Wir sind hier zurzeit alle ganz schön euphorisch.“


    „Sogar Emmo?“


    „Naja, der zeigt es nicht so. Er macht sich halt Sorgen um den Angriff. Apropos: Hast du schon was bewegen können?“


    Leider war das gar nicht so einfach.


    „Ich war ziemlich aktiv und rechne in den nächsten Tagen mit ein paar Entscheidungen. Aber gute Stürmer zu holen, das wird nicht leicht. Gib mir noch etwas Zeit, ich melde mich wieder.“

  • 272. Teil: Titelträume
    (10.04.2021)


    Nur zwei Tage nach dem Europa-League-Spiel stand für Emmos Team die nächste Herausforderung auf dem Programm: Es ging nach Dortmund zu einem der unberechenbarsten Gegner der Liga. Hatten sie gerade noch in München den Dauermeister der letzten Jahre mit 1:0 bezwungen, so ließen sie dem zu Hause ein müdes 1:1 gegen den Abstiegskandidaten Carl Zeiss Jena folgen. Aktuell waren sie Siebter und schielten nach der EL-Qualifikation. In bislang sieben Bundesligaspielen hatten wir noch nie gegen sie verloren: Vier Siege und drei Unentschieden machten eine Bilanz von 16:6 Toren aus. In ihren Reihen stand übrigens mit Gojko Kacar (IV) ein alter Bekannter.


    Diesmal fiel Deulofeu (LA) wegen einer Gelbsperre aus, für ihn wechselte Iturbe auf den linken Flügel. Und um es vorwegzunehmen: Emmo blieb sich treu, indem er nach einer guten Stunde vom 4-3-3 zum 4-2-4 wechselte. Ob ihn etwa meine diesbezügliche Bemerkung darin bestärkt hatte?



    „Offen gestanden habe ich das Spiel gar nicht so aufmerksam verfolgt, wie ich das eigentlich sollte“, gestand mir Daniel Lippmann hinterher, „sondern ich hatte immer ein Auge auf dem Liveticker von den anderen Plätzen. Das ist mir inzwischen beinahe zur Gewohnheit geworden. Emmo findet das zwar nicht so gut, aber er versteht es wohl irgendwie auch. Und dann ist er doch immer der Erste, der wissen will, wie es bei Wolfsburg und den Bayern steht.“


    Und auch an diesem Wochenende konnten wieder nicht beide Verfolger gewinnen - wie nun schon seit sechs Spieltagen. Diesmal war es wieder der FC Bayern, der mit einem 2:2 im Münchner Derby hinter den Erwartungen zurückblieb. Die Wölfe gewannen indessen knapp in Hannover (2:1). Der höchste Tagessieg gelang Leverkusen mit einem 4:0 über die nun schon seit acht Spielen sieglosen Bremer. Die Begegnung zwischen Dauerverlierer Leipzig und Dauergewinner Mönchengladbach endete übrigens mit einem 1:0 für den Tabellenletzten.



    Nachdem für Union und mich der Aufstieg feststand, gestattete ich mir in Berlin ein paar mehr Freiheiten, als sie mir Präsident Martinschitz und Geschäftsführer Butzmann vermutlich zugestanden hätten, aber das versetzte mich nun nicht mehr in Ängste. Ich entschied einfach selbst, dass das Amt des Lübecker Sportdirektors nicht länger ruhte. Konkret befasste ich mich mit der Suche nach geeigneten Neuverpflichtungen, wobei ich mir von Scout Wegener Zuarbeit leisten ließ.


    Die ersten Zusagen auf Vertragsangebote trafen für die Lübecker U19 ein. Beide Spieler kamen ablösefrei zur neuen Saison und sollten der Drittligamannschaft zu mehr Ausgeglichenheit verhelfen. Beide konnten sich perspektivisch aber auch an die Profis heranarbeiten, und einen von ihnen kannten wir bereits sehr gut.



    Christoph Schlegel war 20 und hatte eine Grundstärke von 70, was mir Hoffnung auf eine vielversprechende Entwicklung machte. Aktuell spielte er für die Werkself-Reserve, die als 18. der Tabelle aus der Regionalliga West abzusteigen drohte. In derselben Liga belegte Oberhausen Platz 3, dort war Martin Dotterweich Stammspieler. Dessen Namen vergaß ich natürlich nicht, aber ich musste doch nachsehen, wann ich ihn nach Lübeck geholt hatte: Das war am 4. Mai 2014 gewesen, also vor mittlerweile fast sechs Jahren. Damals kam er mit 17 und einem Stärkewert von 58 in die A-Jugendmannschaft, die mit Emmos Hilfe gerade in die Zweitklassigkeit aufgestiegen war. Von dort arbeitete er sich bis in die Bundesliga empor, ehe Emmo ihn zu Beginn der vorigen Saison zurück in die Reserve steckte, was ihm nicht so sehr behagte. Deswegen wechselte er zunächst leihweise nach Oberhausen, wo man gegen Saisonende dann die Kaufoption in Höhe von 390.000 Euro zog. Da lag seine Spielstärke bei 66, was immer noch seiner heutigen Grundstärke entsprach.


    Und ganz nebenbei war er auch der jüngste Sohn des mir hinlänglich bekannten österreichischen Co-Trainers René Dotterweich, der mit ein paar Telefonaten an dem Wechsel nicht ganz unbeteiligt gewesen war.


    „Sag mal, Malte“, hörte ich tags darauf Daniels Nachricht auf der Mailbox, „was hast du denn mit Simone gemacht? Der wird ja gerade von Tag zu Tag saurer!“



    Tja, was hatte ich gemacht? Ich hatte mich nur einfach nach Verstärkungen für den Angriff umgesehen, dem Scout ein paar Aufträge erteilt und gemeint, wer sich darüber eigentlich am meisten freuen müsste, wäre Simone Andrea Ganz. Diese drei waren es, die ich im Blickfeld hatte:



    Der junge Ruckendorfer spielte in Freiburg und hatte einen Marktwert von 7,3 Millionen, Benoldi war etwa die Hälfte wert und stürmte für Brescia und Vilna war in Brasilien bei Cruzeiro zu Hause. Benoldi und Vilna musste Markus Wegener aber erst noch fertig scouten. Bis dahin nahm ich vorsichtshalber noch keinen Kontakt zu den Spielern oder ihren Vereinen auf. Keine Ahnung, wie Ganz trotzdem schon davon erfahren konnte.


    Das zur Verfügung stehende Transferbudget lag aktuell bei 4,0 Millionen, aber ich war mir sicher, dass sich daran noch was schrauben ließ.


    Und einen eher unerwarteten Erfolg konnte ich da verzeichnen, wo der Druck eigentlich am geringsten war: auf der Torhüterposition. Denn der A-Jugend-Keeper von Athletic Bilbao reagierte positiv auf eine schüchterne Anfrage meinerseits und stand schon am 15. April im Kader von Alexander Fröhlich.


    „Mann, das ist ja ein Fang!“, erklärte der begeistert.



    Das baskische Talent wies bereits eine Grundstärke von 73 auf, und da er schon 19 Jahre alt war, ließ ich ihm nach seinem Eintreffen gleich ein Vertragsangebot für die zweite Mannschaft vorlegen. Da musste er gar nicht lange überlegen und schlug zu. Fürs Erste spielte er aber natürlich noch in der Jugendmannschaft, die aktuell eine ganz erstaunliche Entwicklung hinlegte.



    Seit dreizehn Spielen ungeschlagen und nach fünf Siegen in Folge – darunter ein 3:2 gegen Tabellenführer Dortmund – stand das älteste Nachwuchsteam seit dem 11. April selbst ganz oben. Wenn sie die Verfolger noch fünf Spieltage lang auf Distanz halten konnten, stand da tatsächlich der zweite Meistertitel in dieser Altersklasse (und des VfB Lübeck überhaupt) ins Haus!


    Selbstredend fuhr ich am nächsten Samstag mit dem 1. FC Union nach Aachen, auch wenn mich mal wieder die Bundesligaspiele mehr interessiert hätten. Einmal mehr war es Willibald Grasser (ST), der mein Berliner Team gegen den Tabellen-Elften in Führung brachte, ein Handelfmeter von Dian Moldovanov (ZM) sorgte für den 2:0-Endstand. Einziger weiterer emotionaler Moment war das Wiedersehen mit Umut Sükür (ST), der auf Aachener Seite nach 72 Minuten eingewechselt wurde.


    Und dann sah ich mir die Aufzeichnung der Begegnung des TSV 1860 München gegen den VfB Lübeck an. Abgesehen von der Pokalniederlage (2:3 n.V.) 2013 hatten wir gegen die Löwen bisher stets gewonnen. Beim 3:1 vor einem Jahr gelang ihnen das einzige Gegentor, ansonsten ging es zumeist sehr deutlich zu unseren Gunsten aus: zweimal 6:0, einmal 4:0, zweimal 3:0. Aber heute wäre Emmo gewiss auch mit einem knappen Sieg zufrieden gewesen.



    Und so langsam begann ich an Wunder zu glauben, denn mit schöner Regelmäßigkeit ließen unsere beiden Verfolger immer abwechselnd den Abstand auf uns größer werden. Diesmal war wieder Wolfsburg dran, ihnen gelang gegen Jena vor eigenem Publikum nur ein 2:2. Die Bayern hingegen wurden heute beim 3:1 in Gladbach ihrer Favoritenrolle gerecht. Einziger Tagessieger unterhalb des ersten Tabellendrittels war der SV Werder Bremen, der mit einem 2:0 gegen Hannover erstmals wieder einen Dreier holte. Und das Abstiegsszenario schien klar: Leipzig würde absteigen, Köln, Jena und Frankfurt machten die Plätze 15 bis 17 unter sich aus.



    Unser Restprogramm kommentierte der Kicker – wie so oft – mit „vermeintlich leichte Aufgaben“. Ich hielt das zwar für möglich, aber wenn man das Spiel gegen Wolfsburg verlor und dadurch aus dem Tritt kam…


  • 273. Teil: Ein Gespräch beim Präsidenten
    (18.04.2021)


    Am Sonntag machte ich mich mit Klein-Hertha, Tramp und einem umfangreichen Programm im Kopf auf den Weg von Berlin nach Lübeck.


    „Vorbereitung auf das Spiel am Samstag“, erklärte ich meinen Mitarbeitern und übertrug ihnen das Training für diese Woche.


    Dabei war, wie man sich vielleicht denken kann, die Drittliga-Begegnung zwischen dem VfB Lübeck II und dem 1. FC Union am Wochenende nur ein eher nebensächlicher Grund für meinen Aufenthalt an der Trave. Weit wichtiger war es mir, schon mal ein Zeichen zu setzen, dass ich meine Tätigkeit als Sportdirektor beim VfB intensiv wieder aufzunehmen gedachte. Zudem waren da meine Bemühungen um eine ordentliche Kaderplanung, was mir vor Ort sehr viel einfacher und vielversprechender erschien als aus der Ferne. Und außerdem hatte ich am Sonntagmorgen eine E-Mail von einem Absender erhalten, der sich schon sehr lange nicht mehr auf diesem Weg an mich gewandt hatte.



    Ich sagte sogleich für Montag zu. Was auch immer der Mann von mir wollte, ich würde mich in jedem Fall um eine Verbesserung unserer Beziehung bemühen müssen, wenn ich in Lübeck wieder Fuß fassen wollte. Und um nicht ganz unvorbereitet zu sein, brachte ich mich via Internet gleich mal auf den aktuellen Stand, was den Präsidenten des VfB Lübeck anging. Zwei Zeitungsartikel, die vor knapp einem Jahr erschienen waren, hatte ich mit großem Vergnügen noch einmal gelesen und sogar ausgedruckt und in meine Mappe gepackt.



    Okay, Senator nannte er sich offensichtlich immer noch. Was war geschehen? Wie wohl jedermann im Lande mitverfolgt hatte, war eine Zersplitterung der DDD-Partei erfolgt, teils wegen illegaler Wahlkampfspenden und hoher Bußgelder nach dem Parteiengesetz, teils wegen extremistischer Tendenzen einzelner führender Mitglieder, deren Parteiausschluss an dem Widerstand der Basis scheiterte. Zudem hatte irgend so ein Österreicher die ganze rechte Szene aufs Lächerlichste blamiert. Jérôme Vollborn saß nun in der Lübecker Bürgerschaft quasi als „Überbleibsel“, weil der Ortsverband seiner Partei für die Wahl im vorigen Herbst nicht mehr genügend passiv Wahlberechtigte hatte stellen können.


    Aber Senator – das war er eindeutig nicht mehr! Ich nahm mir vor, Rechtsanwalt Marquardt danach zu fragen, ob er sich denn noch so nennen durfte, wenn er das Amt gar nicht mehr innehatte.


    In Lübeck angekommen, fuhr ich selbstverständlich erst einmal nach Hause. Vor einem halben Jahr hatte ich ja dieses Country Cottage gekauft, an das ich mich immer noch nicht recht gewöhnen konnte, aber Sabrina ging buchstäblich darin auf.


    „Toll, dass ihr da seid!“, begrüßte sie uns und bestand auch gleich darauf, dass Kind und Hund nun endgültig bei ihr blieben. „Hertha kommt ja im Sommer in die Schule, und da gebe ich sie jetzt bestimmt nicht wieder her!“


    Zur Erinnerung (derer ich selbst auch immer mal wieder bedurfte): Die fünfjährige Hertha war ihr leibliches, später von Anita und mir adoptiertes Kind.


    „Hast du von Anita eigentlich mal was gehört?“, fragte ich sie, obwohl ich als der Ehemann da eigentlich besser hätte Bescheid wissen sollen.


    „Überhaupt nichts. Soviel man der Klatschpresse entnehmen kann, hält sie sich hauptsächlich in den Staaten auf.“


    Sei’s drum. Den Rest des Tages und den halben Montag widmete ich mich erst einmal der Kaderplanung für die kommende Saison. Bekanntlich sollte ein Stürmer her, koste es, was es wollte. Markus Wegener hatte zwischenzeitlich seinen Scoutbericht über den 28-jährigen Brasilianer Vilna vorgelegt, und der sah gar nicht mal so schlecht aus. In den offensiven Eigenschaften erwies er sich als brillant, zudem war er ein exzellenter Freistoß- und Elfmeterschütze. Seine Grundstärke lag bei 80.



    Und der Marktwert betrug 6,3 Millionen, was mich nicht davon abhielt, noch am späten Sonntagabend ein Angebot für ihn rauszuschicken. Keine zehn Stunden später hatte ich die Antwort: Sie lautete Nein. Er wolle nur zu den besten Vereinen der Liga wechseln. Hallo? Gab es in der Liga einen besseren Verein als den VfB Lübeck?


    Aber das war genau das, was mir Männer wie Max Stehle und Alex Fischer schon vor ein paar Jahren gesagt hatten: In die Phalanx der wirklich erfolgreichen Clubs kannst du nur eindringen, wenn du viel Geld hast und die Unterstützung von wirklich einflussreichen (also korrupten) Lobbyisten.


    Auch über Massimo Benoldi (ST, 23) von Brescia Calcio fand ich einen Scoutbericht vor, aber der hatte nur eine Grundstärke von 74, weshalb ich beschloss, eine Entscheidung in dieser Hinsicht erst noch einmal aufzuschieben.


    Mit meinem nächsten Gegner, der zweiten Lübecker Mannschaft, befasste ich mich einstweilen noch nicht näher. Die hatte gerade Arminia Bielefeld so knapp wie mühsam mit 1:0 geschlagen. Mit bedeutend größerem Interesse las ich den Spielbericht des gestrigen Jugendspieles, in dem die Lübecker A-Junioren die Jungs von Werder Bremen auf deren Platz mit 4:0 überfahren hatten.



    Danach lagen sie weiterhin mit einem Punkt Vorsprung auf Bayern München an der Tabellenspitze. Zu schade, dass die Mannschaft nur über einen einzigen Stürmer verfügte: Oliver Kubesch (Stärke 48), der die zweite Männermannschaft in der nächsten Saison ergänzen, aber kaum wirklich bereichern würde.


    Am Montagnachmittag um 16 Uhr hatte ich den Termin bei Senator … äh, vielmehr: Herrn Vollborn, dem Präsidenten des VfB Lübeck. Zwei Minuten zu früh stand ich vor dem Haus, in dem er sein Büro hatte. Kurzentschlossen machte ich, ehe ich dort klingelte, noch einen zehnminütigen Spaziergang. Nur nicht zu interessiert wirken, und schon gar nicht ehrerbietig!


    Seine Sekretärin mit dem schönen Namen Annemieke Moinsen führte mich in eine Art Vorraum zu seinem Allerheiligsten. Fotos von Jérôme Vollborn mit wichtigen Persönlichkeiten hingen an allen Wänden: hier mit der Bundeskanzlerin, dort mit dem Geldmagnaten Jack Warner (dessen Sohn einst mit Emmo in der Jugend gekickt hatte) oder auch mit Vertretern aus der Wirtschaft, deren Gesichter ich aus der Presse kannte. Immerhin: Rechtsradikales oder Deutschnationales nach Art der DDD gab es hier nicht.


    „Malte Womerde, mein alter Busenfreund – lass dich begrüßen!“


    Mit diesen Worten wogte der Präsident plötzlich aus seiner Tür auf mich zu und streckte mir seine Hand entgegen. Er hatte zugenommen. Nach einigem Hin und Her waren wir jetzt also offenbar wieder beim Du. Und ich stieg sofort darauf ein.


    „Jérôme, alter Junge, gut siehst du aus!“


    Prompt bekam seine Miene etwas Selbstzufriedenes. Ich kam mir zwar etwas verlogen vor, aber wenn sich von diesem Mann etwas erreichen ließ, dann vergab ich mir mit ein paar Komplimenten nichts. Immerhin war sofort sehr deutlich, dass er mir nicht mehr grollte, ja dass er womöglich komplett vergessen hatte, wie er mich im November 2019 praktisch aus seinem Verein geschmissen hatte. Nun, er war halt ein Lobbyist reinsten Wassers: Vergessen und Erinnern ist für solche Menschen wie Essen und Trinken – beides muss täglich und wohldosiert stattfinden. Er bat mich in sein Büro, wo wir an einem großen, runden Eichentisch Platz nahmen.


    „Soso, du bist also jetzt Sportdirektor beim VfB.“ Anscheinend wollte er so tun, als habe er das gerade erst erfahren. „Ich bin überzeugt, dass du da genau der richtige Mann am richtigen Platz bist.“


    Wir palaverten etwa anderthalb Stunden in der Weise, dass wir ungerechtfertigte Freundlichkeiten austauschten, unsere Weltsichten bezugslos nebeneinanderstellten und ihm gestatteten, sich mit fortschreitender Zeit mehr und mehr als der Überlegene, Gönnerhafte, in allen mich betreffenden Dingen Allmächtige darzustellen. Dazu tranken wir einen teuren Kentucky Bourbon, weil er sich erinnert hatte, dass ich Whisky mochte, aber vermutlich keinen schottischen von einem amerikanischen unterscheiden konnte. Das Zeug schmeckte trotzdem ganz passabel.


    Der Zweck der Veranstaltung war mir sehr schnell klar: Jérôme Vollborn wollte sein angekratztes Renommee zurückgewinnen, und zwar mit dem, was er am besten – wenn nicht als Einziges – konnte: mit Wichtigkeit. Aus der Politik würde er sich vermutlich zurückziehen, aber Vereinspräsident war er noch für weitere zweieinhalb Jahre, so dass er dort seine Aktivitäten konzentrierte. So kam es dann nicht eigentlich überraschend, als unser Gespräch vom Allgemeinen ins Konkrete wechselte, indem er ganz unverblümt fragte:


    „Mein lieber Malte, jetzt sage mir: Was kann ich dir Gutes tun?“


    Ich beschloss sofort, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Nur das entsprach der Geisteshaltung eines solchen Menschen.


    „Erstens“, sagte ich, „nehme ich gern noch ein Glas von diesem hervorragenden Whiskey.“


    Geschmeichelt schenkte er mir nach.


    „Zweitens“, fuhr ich fort, nachdem ich ihm herzinnigst zugeprostet hatte, „braucht der VfB Lübeck einen Stürmer. Und zwar einen richtig, richtig guten.“


    Da schmunzelte er siegessicher. Aber statt etwas zu sagen, machte er nur eine Handbewegung, die mich zum Weiterreden aufforderte. Da nahm ich allen meinen Mut zusammen.


    „Und drittens bis zehntens – oder, wenn du so willst: hundertstens – geht es wie immer ums Geld. Denn wenn der VfB Lübeck, wie ich hoffe, in einem Monat Deutscher Meister ist, dann wird eine Zahlung von 35 Millionen Euro fällig.“


    An dieser Stelle vermutete ich, dass er laut lachen, schimpfen oder zumindest entsetzt aufspringen würde. Oder dass er mit ernstem Blick eine nähere Erklärung verlangte. Aber nichts davon. Stattdessen erteilte er mir – einmal mehr – eine Lektion darin, was einen wahren Lobbyisten ausmacht: Er kennt zwar vielleicht nicht den Unterschied zwischen Whisky und Whiskey, aber dafür weiß er alles, was mit seinem Betätigungsfeld zu tun hat. Auch die größten Geheimnisse und die geschütztesten Daten präsentieren sich ihm in einem offenen Buch.


    „Ja, mein Gutster, es ist völlig in Ordnung, dass du das ansprichst“, sagte er, während ich ihm einigermaßen aufgeregt auf die wulstigen Lippen schaute. „Aber das mit den 35 Emmchen ist eine Sache zwischen dem Max und mir, darüber mach‘ dir mal keinen Kopf.“


    Ich war sprachlos. Und wenn er nicht ohnehin nur auf sich selbst geachtet und sogleich weiter gesprochen hätte, hätte ihm auffallen können, dass diese Sprachlosigkeit bei mir für einige Momente mit einem Atemstillstand, wenn nicht gar einem Herzstillstand einherging. Jérôme Vollborn stand offenbar tatsächlich in unmittelbarem Kontakt mit Max Stehle – was für eine Allianz!


    „Worüber wir hingegen sprechen sollten, das ist das Stürmer–Thema. Darüber weiß ich natürlich Bescheid. Emmo Winter braucht gar nichts zu sagen, ich merke sofort, wenn er ein Problem hat. Und deshalb habe ich mich schon mal mit einer Lösung für dieses Problem befasst.“


    Es folgten einige langatmige Ausführungen quasi-fußballerischer Art (obwohl sich sein Sachverstand in dieser Hinsicht bekanntermaßen bestenfalls auf die Farbe des Rasens in einem Fußballstadion beschränkte), die mir mitteilen sollten, dass er keinerlei Lücken in seinem Netzwerk zuließ. Und am Ende ging es natürlich – wie sollte es anders sein – um einen seiner „guten Bekannten“.


    „Er ist mir sehr verbunden und, wie es der Zufall will, seit Kurzem Manager eines Drittligavereins. Ähm, bist du nicht zurzeit auch in der Dritten Liga tätig? Dann solltest du eigentlich von ihm gehört haben.“


    Mit einigem Stöhnen langte er hinter sich auf seinen Schreibtisch und griff dort nach einem Papier, das er sodann vor mich auf den Tisch legte.



    „Aha“, machte ich, „Walter Moinsen – ist der verwandt mit…?“


    Die Frage war natürlich überflüssig.


    „Der Vater“, erklärte er. „Aber ich möchte deine Aufmerksamkeit auf einen anderen Namen lenken.“


    „Panagiotis Ballas?“, riet ich, weil ich annahm, dass es um einen Stürmer ging.


    „Nein. Timo Werner – schon mal gehört?“


    Ich schüttelte den Kopf. Der Name sagte mir überhaupt nichts.


    „Ein 25-jähriger Stuttgarter, spielt aber seit neun Jahren in Pfullendorf. Eigentlich ein Riesentalent, nur anscheinend jahrelang auf der völlig falschen Position eingesetzt. Sagt Walter Moinsen.“


    168 Spiele hatte der Mann für den SCP als Verteidiger absolviert, aber erst dem neuen Trainer und Manager war aufgefallen, dass seine wahre Stärke im Angriff lag.



    „Stärke 74 – immerhin“, kommentierte ich.


    „Ja, aber das ist noch lange nicht alles. Sagt Moinsen. Seine Grundstärke liegt über 80, und wenn er entsprechend trainiert und eingesetzt wird, kommt er da auch in Kürze hin.“


    Das hörte sich allerdings gut an.


    „Nicht schlecht. Und meinst du, er kommt zu uns?“


    Wieder so eine überflüssige Frage.



    Ich musste zugeben, dass ich Jérôme Vollborn immer noch klar unterschätzt hatte. Der Mann hatte zwar vom Fußball keine Ahnung, aber alles, was sich mit Kontakten bewerkstelligen ließ, machte er möglich – und das zu einem Spottpreis!


    „Ach, und noch etwas“, sagte er, als er eigentlich schon angedeutet hatte, dass meine Audienz bei ihm jetzt so langsam zu Ende ging, „damit wir auch für die Zukunft gut aufgestellt sind, haben Walter und ich uns gleich noch über einen Perspektivspieler verständigt.“



    Dabei handelte es sich um einen 18-jährigen Brandenburger, den Walter Moinsen aus Cottbus geholt und dabei den Hoffenheimern weggeschnappt hatte. Ich wollte etwas sagen, aber mir blieb einmal mehr buchstäblich die Sprache weg. Und dann war das Interesse des Präsidenten an mir auch urplötzlich erloschen.


    „Annemiekchen?“, rief er durch die Tür. „Herr Womerde – äh, Kienast möchte jetzt gehen.“


  • 274. Teil: Zu Besuch daheim
    (22.04.2021)


    Ich muss zugeben, das Gespräch mit Jérôme Vollborn hatte mich irgendwie verunsichert. Unter mehreren Gesichtspunkten. Ganz zum Schluss hatte er zu erkennen gegeben, dass er – wie auch nicht! – von meinem Doppelspiel als Lübecker Sportdirektor unter falschem Namen wusste. Wie lange schon? Immerhin hatten Emmo und ich das ja überhaupt nur seinetwegen eingefädelt, als er auf mich … ehm, nicht so gut zu sprechen war. Und was war mit den beiden Spielern, die nach Lübeck wechseln sollten – konnte und durfte ich darüber schon sprechen? War das überhaupt sicher?


    Fürs Erste unternahm ich mal nichts weiter. Stattdessen genoss ich es, mit Sabrina, Hertha und Tramp so etwas wie ein Familienleben zu haben, außerdem traf ich mich mit meiner Tochter Silvia (36), bei der ja außer ihrer Tochter Leonie (7) auch meine Kinder Lukas (8) und Malte (14) lebten. Denn wenn ich im Sommer tatsächlich wieder nach Lübeck zog, dann sollten – wenn es nach ihr und Sabrina ging – alle Kinder wieder bei ihren Eltern wohnen. Doch mir war das alles irgendwie zu kompliziert, und so blieb das Thema einstweilen offen.


    Am Mittwoch dieser Woche fanden die Halbfinalhinspiele der Europa League statt. Emmo und seine Mannschaft samt Gefolge waren deshalb schon am Vortag nach Lyon aufgebrochen. Aber zu meiner Freude konnte ich feststellen, dass das Finnegan – einst unsere Vereins-Stammkneipe, heute nur noch gelegentlicher nostalgischer Treffpunkt – neuerdings auch Live-Übertragungen zeigte, und so traf ich mich mit meinen alten Kumpels Arne Rolff, Kristian Gentner, Daniel Celio und einigen mehr am Abend zum gemeinsamen Fußball-Gucken bei Guinness, Whisky und Whatever.


    Emmo begann das Spiel mit der stärksten Elf, die ihm zur Verfügung stand. Damit hatte er ja zuletzt bei den Münchner Löwen 3:0 gewonnen.



    Das war natürlich schon eine großartige Ausgangsbasis! Die zweite Halbfinalpartie zwischen dem FC Basel und Fenerbahçe Istanbul endete mit einem 2:1-Sieg der Schweizer. Damit war durchaus noch offen, auf wen wir im Endspiel treffen würden. Denn dass wir das Finale erreichten, stand für mich heute bereits zweifelsfrei fest.


    Und am folgenden Tag wurde mir bewusst, dass Jérôme Vollborn tatsächlich nur quasi mit dem Finger zu schnipsen brauchte, damit das geschah, was er wollte.



    Der Neue würde ein Grundgehalt von 1,5 Millionen erhalten, womit er im Mittelfeld der Bundesligaprofis lag. Für drei Jahre mit je zwei Jahren Verlängerungsoption für beide Seiten banden wir ihn an den VfB Lübeck. Was mich kurz stutzen ließ: Seine Spielstärke war hier nun schon mit 75, also einem Punkt mehr angegeben. Stellte er womöglich bald auch einen Paco Alcacer in den Schatten?


    Die Reaktionen auf diesen Deal waren sehr verhalten.


    „Wer soll das sein?“, fragte Daniel Lippmann, und auch Geschäftsführer Heiße sowie ein paar andere Trainer und Mitarbeiter äußerten sich skeptisch.


    Emmo dagegen war sehr kurz angebunden, nachdem er alle Informationen über seinen künftigen Neuzugang zur Kenntnis genommen hatte:


    „Ist okay“, sagte er nur, und: „Da machen wir was draus.“


    Die Lokalpresse reagierte erst mal überhaupt nicht darauf. Nun, mir sollte es recht sein. Sodann wandte ich mich an den Berater des zweiten Stürmers, den der Präsident zu uns lotsen wollte. Aber zu meiner grenzenlosen Überraschung ließ der 18-jährige Maximilian Beier mitteilen, dass er nicht im Geringsten die Absicht hatte, den SC Pfullendorf zu verlassen. Natürlich rief ich umgehend bei Vollborn an, aber Frau Moinsen erklärte mir nur, dass der Senator nicht da sei und dass sie ihm eine Nachricht zukommen lassen würde.


    Alles in allem mochte ich noch nicht so recht daran glauben, dass wir unser Stürmerproblem gelöst hatten. Ein umgelernter Innenverteidiger als Offensivgenie? Dazu ein Jüngling, der keine Lust hatte? Am liebsten wäre ich am folgenden Samstag auf direktem Weg nach Pfullendorf gefahren, um mir das Ligaspiel dieser Mannschaft gegen Alemannia Aachen anzusehen. Aber nein, es stand ja ein ganz anderes Highlight auf dem Programm.



    Martin Wiss und ich begrüßten uns vor Spielbeginn sehr herzlich. Da für meine Mannschaft der Aufstieg bereits feststand und seine ohnehin nicht aufstiegsberechtigt war, hatte das Ganze für uns den Charakter eines Freundschaftsspiels. Nicht so aber für die Spieler: Die Unioner brannten darauf, „meinen“ Lübeckern eine möglichst heftige Abreibung zu verpassen, während in der VfB-Reserve jeder zeigen wollte, dass ich ihn künftig durchaus auch für das Bundesligateam in Betracht ziehen konnte. Auf diese Art wurde es tatsächlich ein spannendes, hochklassiges Spiel, in dem sich das Publikum über insgesamt sechs Tore freuen durfte.



    In Halbzeit eins hätten bereits durchaus einige Treffer mehr fallen können, aber beide Keeper – Albornos und Friedly – hielten einige Male großartig. Dennoch gelang Iturrioz (21.) die Lübecker Führung, die Mario Schopp (26.) prompt mit einem wundervollen Heber ausglich, ehe erneut Iturrioz (36.) aus Nahdistanz für den 2:1-Halbzeitstand sorgte. Nach der Pause bauten meine Unioner sichtlich ab und Willibald Grasser hatte gegen seine alten Kameraden mehrmals Pech mit seinen Schüssen. Nach dem 3:1 durch Andy Wittek (65.) sorgte er trotzdem noch für den Anschlusstreffer (83.), aber Iturrioz (90.) stellte kurz vor Schluss aus 13 Metern den alten Abstand wieder her. Der Lübecker Angreifer wurde dann auch folgerichtig zum Spieler des Spiels erklärt, wenngleich ich ihn durchaus nicht so viel stärker als sein Berliner Gegenüber gesehen habe.



    „Wenn ich denke, dass die beiden vor fünf Monaten noch zusammen gespielt haben…“, sagte Lübeck-II-Trainer Martin Wiss hinterher etwas wehmütig.


    „Ich bin froh“, erklärte ich demgegenüber. „Iturrioz hat gezeigt, dass er für dein Team sehr wertvoll ist, aber weder er noch der Willy hätten nächste Saison eine Option für Emmo dargestellt.“


    Da schaute Martin etwas zweifelnd.


    „Du meinst tatsächlich, dieser – wie heißt er noch? Werner? Der soll als Angreifer bundesligatauglich sein?“


    Aber solche Bemerkungen bekam ich jetzt öfters zu hören, und ich nahm kaum noch Notiz von ihnen.


    „Wart’s ab, da wird noch ein zweiter kommen. Vielleicht ja sogar als Verstärkung für deinen Kader!“


    Durch die Niederlage meiner Elf änderte sich auf den vorderen Plätzen der Tabelle nichts. Nur konnten wir bei zwölf noch zu vergebenden Punkten heute wohl davon ausgehen, dass wir die Saison als Ligameister beenden würden. Der SC Pfullendorf hatte Aachen übrigens mit 3:1 geschlagen; die Namen Werner oder Beier suchte man unter den Torschützen vergeblich.



    Aber natürlich soll hier auch das Spiel erwähnt werden, das Emmos Profimannschaft zeitgleich im Lohmühle-Stadion ausgetragen hatte. Es war übrigens schon das 50. Pflichtspiel der Saison – das hatte es für den VfB Lübeck noch nie gegeben! Den zuletzt formschwachen Reus ließ Emmo diesmal draußen, und ansonsten war das Spiel mehr als alles andere von einem Ereignis in der 24. Minute geprägt.



    Da stand es zu seinem Glück bereits 2:0. Und weil Emmo natürlich auch nicht als Trainer auf der Bank sitzen durfte, übernahm Daniel Lippmann die Verantwortung. Anders als Emmo wechselte er nur einmal aus und beließ es bis zum Spielende bei dem 4-3-3 der Anfangsformation. Allerdings glaube ich kaum, dass das der Grund dafür war, weshalb dem Team diesmal in der letzten halben Stunde kein Tor mehr gelang.



    Dass auch dieses Mal die Verfolger nicht beide ihre Spiele gewinnen würden, stand schon vor dem Anpfiff fest. Denn heute empfing der Titelverteidiger FC Bayern München den VfL Wolfsburg! Und das Spiel war – Kunststück! – deutlich spannender und aufregender als das der Lübecker. Ich sah es mir in voller Länge als Aufzeichnung an, aber wenn ihr mich fragt, für wen ich war – das hätte ich nicht sagen können. Einerseits hätte ich uns natürlich einen größeren Vorsprung auf die Wölfe gewünscht, andererseits war die Furcht vor den Bayern immer noch recht erheblich. Nun, wie es schließlich kam, war es mir dann auch recht.



    Damit war der Dauermeister praktisch weg vom Fenster. Und weil Bayer Leverkusen im Kampf um die Champions-League-Plätze den HSV sehr deutlich mit 5:0 abgefertigt hatte, waren die Bayern Platz vier nun sogar näher als der Vizemeisterschaft. Unten hatte die Frankfurter Eintracht durch ein 1:1 in Dortmund ihre Chancen auf den Klassenerhalt leicht verbessert.



  • 275. Teil: Emmo und Malte – wird das gehen?
    (26.04.2021)



    Wieder zurück in Berlin, überflog ich die Sportnachrichten vom Wochenende. Tatsächlich hatten die Lübecker Jungs mit dem 7:0 vermutlich jeden bis dahin existierenden Vereinsrekord eingestellt – von Freundschaftsspielen abgesehen. Unser Jugendcamp-Eigengewächs Walter Speiser (LA), der im Sommer in das Drittligateam von Martin Wiss wechseln würde, hatte mit vier Treffern maßgeblichen Anteil an dem Erfolg. Der Vorsprung der A-Jugendmannschaft auf die Bayern betrug nun drei Spieltage vor Schluss unverändert einen Punkt, zwei Zähler lag man vor Dortmund, und das überragende Torverhältnis war so viel wert wie ein weiterer Punkt.


    Aber war das Emmos Verdienst? Die intensive Jugendarbeit ging wohl eher noch auf meine Zeit zurück, während Emmo sich darum nicht wirklich kümmerte. Doch wenn ich demnächst endgültig in die Hansestadt zurückkehrte, würde sich erst erweisen, ob wir wirklich zusammen arbeiten konnten. Insofern erschien mir Rob Referees Frage absolut berechtigt: Überwogen zwischen uns die Gegensätze? Und wenn ja, gab es für mich auf Dauer wirklich einen Platz in seinem Verein? Über all das dachte ich nach, als ich dieser Tage von Geschäftsführer Lennard Heiße ein Angebot auf Verlängerung meines Vertrages als Sportdirektor erhielt.


    Das Rückspiel am Mittwoch gegen Olympique Lyon um den Einzug ins europäische Finale war eine ebenso klare wie aufregende Sache. Größter Aufreger für die Gäste war die Rote Karte für Maikel Kieftenbeld (LV) nach einer Viertelstunde wegen eines Ellenbogenstoßes. Eine harte, wenngleich vertretbare Entscheidung, durch die anschließend nur noch das Heimteam nebst Anhang Spaß am Spiel hatte. Dabei hatte Emmo sich nach dem 3:0 im Hinspiel bereits vorab sehr sicher gefühlt und den bisher weniger eingesetzten Spielern wie Elez, Matthews und Marquet ihre Chance eingeräumt.



    Unser Gegner im Finale würde Fenerbahçe Istanbul heißen. Die Türken verschafften sich den entscheidenden Vorteil schon nach elf Minuten, die Mannschaft des FC Basel hatte dem nicht genug entgegenzusetzen.



    Zu Emmos derzeitigem Höhenflug passte es natürlich auch, dass er bei der monatlichen Umfrage des Kicker zum Fußballer des Monats April gewählt wurde. Und diesmal belegten sogar wieder nur Lübecker die ersten drei Plätze: Hinter Emmo (37,6 %) lagen Simone Ganz (32,8 %) und Giacomo Bonaventura (29,6 %). Den Titel in der Dritten Liga gewann übrigens Iturrioz.


    Zwei Tage später ließ ich der Lübecker Vereinsführung dann auch mitteilen, dass ich ihr Angebot für eine Verlängerung des Vertrages als Sportdirektor angenommen hatte. Zwar bekam ich nun 33.000 Euro weniger, dafür blieb ich aber für weitere zwei Jahre dabei.



    Noch am selben Tag erhielt ich einen Anruf von Lennard Heiße.


    „Moin, Malte. Alles klar mit dem Vertrag. Nur eines, das sage ich dir ganz offen, gefällt Emmo nicht, und das ist deine Loyalität.“


    Ich konnte nicht leugnen, dass das nicht so sonderlich gut aussah. Eine Loyalität von 33 war eindeutig zu wenig, und ich selbst hätte so einen Angestellten nicht in meinem Verein beschäftigt.


    „Versteh‘ ich“, erwiderte ich deshalb, „aber Emmo soll sich mal nicht immer so an simplen Zahlen hochziehen. Ist ja nicht mein Wunsch gewesen, noch ein weiteres Jahr hier bei Union zu arbeiten.“


    Darauf hörte ich Lennard zustimmend brummen. Schließlich hatte ich die unfreiwillige Verlängerung meines Berliner Vertrages nicht zuletzt Emmo zu verdanken gehabt.


    „Aber du kennst mich: Wenn ich ab Sommer wieder ganz in Lübeck bin, dann stehe ich auch hundertprozentig für den Verein zur Verfügung.“


    Das stellte ihn zufrieden. Und um das Thema zu wechseln, informierte er mich gleich noch über zwei Personalien: Die seit Januar bis Saisonende an Hertha BSC ausgeliehenen Uwe Jahn (LA, 21) und Rildo (RA, 23) würden im Juli nach Lübeck zurückkehren. Jahn hatte sich in der Zwischenzeit um drei Stärkepunkte auf 72 verbessert und Rildo von 76 auf 77, womit er sogar eine ernst zu nehmende Konkurrenz für Reus und Iturbe darstellte. Beide kamen für die ST-Position allerdings nicht infrage. Mir gefiel ihre Entwicklung dennoch, was ich auch sehr nachdrücklich sagte.


    „Meinst du denn, Emmo wird dich überhaupt wieder in seine Entscheidungen miteinbeziehen?“, wollte der Geschäftsführer daraufhin wissen, und irgendwie klang die Frage besorgt.


    „Tja, das weiß ich natürlich nicht“, gab ich zurück. „Zurzeit habe ich eher das Gefühl, dass er sich mir gegenüber abgrenzen will.“


    Insgeheim war ich bereits darauf eingestellt, dass für mich nur Aufgaben betreffend die zweite Mannschaft und die Jugend übrig bleiben würden. Aber so ganz leicht wollte ich es Emmo damit nicht machen, denn immerhin verband man den steilen Aufstieg des VfB Lübeck immer noch mit Malte Womerde!


    Der 1. Mai, Tag der Arbeit, bedeutete dann wieder business as usual. Für meine Unioner und mich stand ein Heimspiel gegen Rot-Weiß Frankfurt an, den Zehnten der Drittligatabelle. Dank eines glänzend aufgelegten Mario Schopp (ST), der allein fünfmal traf, gewannen wir – etwas zu hoch – mit 6:0. Damit war uns der erste Platz nun auch theoretisch nicht mehr zu nehmen, und ganz Köpenick feierte den 1. FC Union, seine Spieler und den Trainer. Das Team von Martin Wiss war übrigens mit 2:0 in Aachen erfolgreich (Tore: Iturrioz, Wittek). Und als zweiter Aufsteiger stand nun auch der 1. FC Kaiserslautern fest.


    Zeitgleich hatte Emmos Mannschaft die Chance, sich vorzeitig die Deutsche Meisterschaft zu sichern! Dazu mussten sie einfach nur gewinnen: Verfolger VfL Wolfsburg, aktuell sieben Punkte zurück, war Gastgeber für das Spitzenspiel, nach dem in den verbleibenden drei Partien nur noch neun Punkte zu vergeben waren. Emmo bot nun natürlich wieder seine vermeintlich stärkste Elf auf, lediglich Alcacer war weiterhin verletzt. Ach ja, und er selbst war nach der Roten Karte im Stuttgart-Match gesperrt – immerhin nur für dieses eine Spiel. Wenn es seinen Männern gelang, den besten Torschützen dieser Saison, Daniel Dober, auszuschalten, hielt ich einen Sieg durchaus für möglich.



    Bei Iturbes Verletzung handelte es sich um eine Verstauchung des Knöchels, die ihn für zehn Tage ausfallen ließ. Nicht schlimm also. Dass die Meisterfrage noch ein wenig offen blieb, fand ich persönlich nicht so schlecht, Emmo soll aber nach dieser Niederlage ziemlich getobt haben. Ansonsten war es jetzt eigentlich nur noch im Kampf um die Europa-League-Teilnahme und den Relegationsplatz spannend. Die Bayern fielen zwar nach einem 0:0 in Mainz auf Platz vier zurück, aber von dort waren sie nicht mehr zu vertreiben.



    Prompt veröffentlichte der Kicker – wie nach dem 31. Spieltag üblich – seine Meisterprognose, und wie nicht anders zu erwarten, sah man uns am Ende vorn, sechs Punkt vor Wolfsburg. Die erwarteten Ergebnisse unserer restlichen Spiele lauteten: 2:1 (gegen Gladbach), 1:1 (in Hoffenheim) und 3:0 (gegen Frankfurt).


    In etwa so stellte auch ich mir das vor. Trotz der nicht ganz unerwarteten Niederlage in Wolfsburg würde Emmo sich die Butter gewiss nicht mehr vom Brot nehmen lassen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mitunter immer mal wieder an ihm zweifelte – daran, ob ich ihn wirklich richtig kannte, ebenso wie an der Zuverlässigkeit seiner Professionalität. Okay, er war erst 25 Jahre alt und man hatte ihm vor drei Jahren ziemlich plötzlich diese verantwortungsvolle Aufgabe übergeholfen. Aber zeitweise schienen nicht nur mir Zweifel daran gerechtfertigt, inwieweit man von ihm erwarten durfte, dass er den eingeschlagenen Weg konsequent weiter ging.



    Die gegebene Antwort ließ die allgemeine Moral um zwei Punkte sinken. Und ich fragte mich, in wessen Hand er seine Zukunft wohl liegen sah – in meiner etwa? Nun, eins war sicher: wir würden demnächst mal ganz grundsätzlich miteinander reden müssen.

  • 276. Teil: Entscheidung um die Meisterschaft
    (05.05.2021)


    Um drei wesentliche Entscheidungen ging es an den letzten drei Spieltagen der Saison – und dies war die Ausgangsposition:



    Entscheidung eins: die Meisterschaft. Unsere verbleibenden Gegner waren Mönchengladbach, Hoffenheim und Frankfurt, während Wolfsburg gegen Dortmund, 1860 München und Stuttgart zu spielen hatte. Kaum jemand glaubte, dass die Wölfe das aufholen konnten.


    Entscheidung zwei: EL-Teilnahme. Da durfte sich Dortmund kaum noch Hoffnungen machen, während Schalke die beste Ausgangsposition hatte. Blieb das Duell zwischen Hamburg und Hoffenheim. Der HSV hatte das schwerere Programm, aber vor allem kam es auf den vorletzten Spieltag an, wenn Hamburg die Bayern und Hoffenheim den VfB Lübeck zu Gast hatte.


    Entscheidung drei: der Klassenerhalt. Die Eintracht hatte es eindeutig am schwersten, denn sie mussten noch zu den Bayern und nach Lübeck reisen. Blieben Köln und Jena: Die Geißböcke hatten mit Leverkusen, Hannover und Leipzig drei Gegner, für die es um nichts mehr ging. Die Optiker dagegen mussten nach Spielen gegen Mainz und Frankfurt am Schluss noch gegen Hoffenheim antreten.


    Voraussichtlich aber würde es an diesem Mittwoch noch keine definitiven Klarheiten geben. Gegen Gladbach war Emmo nach seiner Sperre wieder spielberechtigt und auf der rechten Seite gab er Reus diesmal den Vorzug gegenüber Iturbe. Besonderes Augenmerk galt beim Gegner dessen ZM, Andrea Foggia, während Reus und Ganz auf ihren alten Club trafen.



    Der nächste große Schritt in Richtung Meisterschaft war getan! Ein Wermutstropfen war natürlich die Verletzung von Meywald, der mit einer Innenbanddehnung zwei Wochen ausfallen würde, also für beide verbleibende Ligaspiele. Und wie hatte sich der VfL Wolfsburg geschlagen?



    Nein, der Sekt musste nochmal zurück in den Kühlschrank, die Wölfe hatten in Dortmund 2:0 gewonnen. Und in Mia-san-mia-Town war nach dem 2:2 gegen Eintracht Frankfurt jetzt eigentlich ein Trainerrausschmiss überfällig. Der HSV musste nach seiner überraschenden 1:2-Niederlage in Leipzig nun ernsthaft um die EL-Teilnahme bangen, während sich im Kampf um die Plätze 15 und 16 nichts Vorentscheidendes getan hatte – allenfalls durften die Frankfurter wieder ein klein wenig Hoffnung schöpfen.


    Im Meisterschafts-Finale ging es drei Tage später für Emmos Mannen in Hoffenheim weiter. Anstelle des verletzten Meywald rückte Rolff (IV) in die Startelf, ansonsten änderte sich gegenüber dem Gladbach-Spiel nichts. Auch nicht, dass es wieder ein recht schwaches Spiel war und dass Ganz und Reus für Zählbares sorgen mussten.



    „Glückwunsch von mir zu…“


    „Wie bitte? Ich kann nichts verstehen, hier ist gerade nur ein einziges Spektakel!“


    „Ich wollte euch zur Meisterschaft gratulieren!“ Ich brüllte aus Leibeskräften ins Handy.


    „Was? Okay, ich nehme an, du willst uns zur Meisterschaft gratulieren…“


    „Genau! Gib das bitte vor allem auch an Emmo weiter! Ihm gebührt ja…“


    „Du, ich muss jetzt Schluss machen, ich bin schon klitschnass vom Champagner. Danke für deinen Anruf, und ich denke, wir sehen uns dann demnächst hier in Lübeck wieder!“


    „Ja, ganz bestimmt!“, schrie ich noch zurück, aber er hatte bereits aufgelegt. Bloß – wen hatte ich da eigentlich gerade am Apparat gehabt?



    Nicht nur die Lokalpresse überschlug sich am Sonntag und war voll des Lobes für diese großartige Mannschaft und ihren Trainer und Manager. Nebenbei: von einem Malte Womerde, der den VfB Lübeck aus der Viertklassigkeit bis in die Bundesliga geführt hatte, war natürlich nirgendwo die Rede. Naja…


    Was die Qualifikation für die Europa League anbetraf, schien an diesem Wochenende keiner seine Chance nutzen zu wollen. So kam es, dass Schalke schließlich trotz eines 1:4 in Leverkusen zumindest Platz sechs sicher hatte. Außer Hoffenheim verlor auch der HSV (1:2 gegen den FC Bayern), so dass die beiden das nächste Woche im Fernduell entscheiden mussten: Die TSG spielte in Jena, Hamburg auf Schalke. Am Tabellenende stand für Frankfurt nach einem 0:1 gegen Jena der Abstieg nun endgültig fest, der 1. FC Köln (0:0 gegen Hannover) durfte aber auch noch auf den direkten Klassenerhalt hoffen. Hier lauteten die entscheidenden Schlusspaarungen: Jena gegen Hoffenheim und Leipzig gegen Köln.



    Beinahe zur Nebensache waren in all der Aufregung die Spiele des 1. FC Union Berlin geworden. Dabei hatten wir mit zwei souveränen Siegen – 2:0 in Vellmar und 4:0 gegen Worms – durchaus wieder beeindrucken können. Auch die zweite Mannschaft des VfB Lübeck holte zwei Zu-Null-Siege (4:0 bei RW Frankfurt und 1:0 gegen den OSC Vellmar). Und die Lübecker A-Jugend lag immer noch aussichtsreich im Meisterschaftsrennen, denn sie hatte ihre eindrucksvolle Siegesserie gegen Duisburg (3:0) und Augsburg (4:0) fortsetzen können und wies vor dem letzten Spieltag an der Tabellenspitze zwei Punkte Vorsprung gegenüber Borussia Dortmund auf.


    „Lieber, verehrter Herr Womerde!“


    Nein, ich war wahrlich kein Freund von Ehrenbekundungen dieser steifen Art – aber was soll man machen? Geschäftsführer Marcel Butzmann und Präsident Markus Martinschitz hatten es sich nun mal in den Kopf gesetzt, mich mit einem pressewirksamen Handschlag von Union und aus Berlin zu verabschieden. Infolge von Terminkollisionen des Vorstandes musste das am Tag unmittelbar vor dem letzten Saisonspiel erfolgen. Es gab allerlei Blitzlicht, viel Lob und ein üppiges kaltes Büffet. Nachdem das einigermaßen schadlos überstanden war, machte ich mich schon mal auf nach Kaiserslautern, wo ich morgen zum letzten Mal auf der Bank des 1. FC Union sitzen würde. Im Auto rief mich – natürlich per Freisprechanlage – Martin Wiss an.


    „Na, bist du schon wieder mehr Lübecker oder immer noch eher Berliner?“, wollte er wissen.


    Ich musste grinsen. „Glaub‘ bloß nicht, ich würde nicht ahnen, worauf du hinauswillst!“


    „Ach nee, was denkst du bloß von mir?“


    „Natürlich nur das Beste. Aber sag mal, sitzt du auch gerade im Auto? Dann sind wir ja vermutlich in der gleichen Richtung unterwegs.“


    „Stimmt. Wir treten heute in Worms an.“


    „Dann lass uns doch auf der Raststätte hinter Darmstadt gleich mal ein kurzes Treffen vereinbaren.“


    So kam es dann kurz nach Mitternacht zu einem konspirativen Meeting an der Autobahn, wo zwei Drittligatrainer heimliche Absprachen trafen. Oder nein, es war natürlich alles ganz legal, denn jeder wollte ja ohnehin sein letztes Saisonspiel siegreich gestalten. Aber wenn man sich die Tabellensituation mal ganz genau betrachtete…



    „Es geht nicht nur um Fernsehgelder, sondern auch um meine persönliche erfolgsbezogene Prämie“, sagte Martin.


    Ich schmunzelte und nippte an dem reichlich dünnen Kaffee, den man hier ausschenkte.


    „Das brauchst du mir nicht zu erklären. Und ich sehe natürlich auch ganz genau, wie sich die Lage darstellt.“


    Wormatia Worms war für die Lübeck-Reserve insofern ein unbequemer Gegner, als die Mannschaft unbedingt punkten musste, wenn sie den Karlsruher SC noch überholen und sich damit den Klassenerhalt sichern wollte. Ein knapper Sieg reichte Martins Team aber auch dann nicht, wenn Lautern gegen uns verlor – es sei denn, die büßten dabei ihre um vier Treffer bessere Tordifferenz ein.


    „Um es einfach zu machen: Ihr schlagt eure Pfälzer 3:0 und wir holen gegen unsere Pfälzer einfach die drei Punkte.“


    „Perfekt, so machen wir das!“


    Anschließend klönten wir noch eine halbe Stunde und freuten uns auf die wieder zu erwartende gemeinsame Zeit in Lübeck, ehe wir jeder unsere Fahrt zum Auswärtsspiel fortsetzten.


    Meinen Spielern sagte ich selbstverständlich nichts von dem Gespräch. Sie sollten in der letzten Begegnung nur einfach Spaß haben und zeigen, dass wir der stärkere Aufsteiger in die 2. Bundesliga waren als die Gastgeber. Als ganz so einfach erwies sich die Sache dann aber doch nicht. Zwar sorgte Mario Schopp (ST) schon früh für unsere Führung, aber nach einer knappen halben Stunde glich Lautern durch Pierre de Wit (OM) aus. Danach taten wir uns sehr schwer. Ganz anders dagegen – wie ich online verfolgen konnte – die Mannschaft des VfB Lübeck II in Worms: Iturrioz (ST, 6.), Luca Moretti (LV, 25.) und Raffaele Maiello (ZM, 51.) hatten bald die drei Tore Vorsprung herausgeschossen, die wir eigentlich hatten liefern sollen. Nach einer guten Stunde erzielte Andy Wittek (ST) sogar das 4:0. Da war es mir nun natürlich außerordentlich peinlich, wenn wir uns von den Lauterern eine Punkt abnehmen ließen! Aber glücklicherweise war kurz vor Schluss Mario Schopp noch einmal zur Stelle, so dass wir schließlich mit 2:1 gewannen und Martin Wiss mit seiner Mannschaft noch den zweiten Tabellenplatz eroberte.


  • Nach etwas über einem Monat Abstinenz hier im Forum bin ich zurück und sehe mit Vergnügen die Entwicklungen in Lübeck.

    Herzlichen Glückwunsch zur Meisterschaft!


    Ich bin gespannt wie sich die Situation zwischen Malte und Emmo entwickelt. Aber viel mehr bin ich auf die Seilschaften eines Jerome Vollborn gespannt, die im Hintergrund den VfB Lübeck zu lenken scheinen.

  • Tja, da sorgen unsere Grün-Weißen für die Meisterschaft von euren Grün-Weißen - herzlichen Glückwunsch :cheers2:


    Aber bei Malte kann man doch auch nur den Kopf schütteln, das schreit doch regelrecht nach dem nächsten Skandal. Und dann für einen Aufsteigsplatz, der am Ende sowieso nicht wahrgenommen werden darf. Werden die Prämien dann überhaupt vom FM ausgezahlt? Egal, Rob R. freut sich bestimmt schon.


    Und ich freue mich auch, und zwar auf ein weiteres Jahr Lübeck. Es gibt doch viele schöne Sidestories mit Vollborn, Malte und Emmo und evtl. ja auch mal wieder mit einer gewissen Kroatin? Ausgelutscht ist die Story jedenfalls für mich nicht (auch wenn einige andere hier diese Befürchtung scheinbar haben).


  • 277. Teil: Kein normales Wochenende
    (15.05.2021)


    Es gibt Tage, in die scheint ein ganzer Monat hineinzupassen. Oder auch mal ein Wochenende, in das ein ganzes Jahr passt. So kam es mir am 15./16. Mai vor. Dabei war der Fußball-Samstag weit weniger spannend als so mancher andere.


    Emmo Winter und seine Meistermannschaft bestritten ihr letztes Ligaspiel vor eigenem Publikum gegen die Eintracht aus Frankfurt. Daraus wurde für die einen eine gloriose Meisterfeier mit Übergabe der Schale, für die anderen der erneute traurige Abschied aus der höchsten Spielklasse. Das Spiel selbst war da eigentlich beinahe nebensächlich. Emmo ließ noch einmal diejenigen in der Startelf auflaufen, die in dieser Saison eher weniger zum Zuge gekommen waren, und schonte ein paar Stammkräfte für die beiden anstehenden Pokalfinals.



    Platz sechs – und damit die EL-Teilnahme – sicherte sich Hoffenheim durch ein 3:0 in Jena, das für die Carl-Zeiss-Städter zugleich das Abrutschen auf den Relegationsrang bedeutete, weil der 1. FC Köln bei RB Leipzig mit 1:0 gewann. Die Bayern konnten zwar Werder mit 1:0 schlagen, aber Leverkusen behauptete dank eines 5:0 in Hannover Rang drei. Auch Wolfsburg (1:0 in Stuttgart), Dortmund (3:1 gegen Mainz), Schalke (3:1 gegen den HSV) und Gladbach (2:1 bei 1860 München) konnten ihre letzten Spiele noch gewinnen.



    Für mich standen in Berlin noch ein paar Termine an wie Saisonabschlussfeier, Spielerauszeichnungen und Essen gehen mit dem Team. Dessen ungeachtet erreichte mich am Sonntagmorgen schon wieder ein Anruf von Annemieke Moinsen. Erinnert ihr euch? Das war die Sekretärin des sogenannten Senators.


    „Sie sind ja sicher sehr beschäftigt“, flötete sie mir ins Ohr, „aber der Herr Senator besteht darauf, Sie hier zu sprechen.“


    „Kann er mich nicht anrufen?“, fragte ich misslaunig.


    „Nein“, sagte sie bestimmt. „Herr Senator Vollborn ist ein vielbeschäftigter Mann. Er erwartet Sie morgen Vormittag um zehn Uhr in seinem Büro.“


    Wie es schien, wollte sie schon auflegen, aber ich rief so energisch, wie ich konnte, in den Hörer:


    „Dann sagen Sie ihm, dass daraus nichts wird!“


    Schweigen. War sie noch dran?


    „Hören Sie, ich will Ihnen und Ihrem Chef ja keine Unannehmlichkeiten machen…“


    „Ja?“


    Sie war also noch dran. Ich überlegte mir, dass ich genau hier und jetzt verhindern musste, dass Jérôme Vollborn mich nach Belieben herumkommandierte, wenn ich in die Hansestadt zurückkehrte.


    „Er kann mich anrufen“, sagte ich knapp. Und als keine weitere Reaktion kam, fügte ich aufs Geratewohl hinzu: „Und den Senator sollte er – jedenfalls mir gegenüber – künftig besser weglassen, wenn er nicht Scherereien wegen Titelmissbrauchs oder Hochstapelei bekommen will.“


    Wieder war Schweigen die Antwort. Dann kam:


    „Sie hören von uns.“


    Volltreffer! Ich wettete mit mir selbst, dass Vollborn persönlich noch innerhalb der nächsten zwei Stunden anrufen würde.


    In der Zwischenzeit las ich ein paar Nachrichten und Infos, zu deren Lektüre ich zuletzt nicht gekommen war. Zum Beispiel, dass der VfB Lübeck als Liga-Preisgeld die hübsche Summe von 16,8 Millionen erhielt. Und dass sich der Präsident am Vorabend bei der sehr ausgiebigen Feierei äußerst zufrieden mit dem Übertreffen des Saisonziels gezeigt hatte. Jaja, was der nicht so sagte! Eine alte Nachricht, die ich wieder auf ungelesen gesetzt hatte, erinnerte mich daran, dass Maximilian Beier – entgegen Vollborns Versprechungen – nicht zum VfB Lübeck kommen wollte. Und im privaten Bereich gab es für mich derzeit – angeblich – zwei Probleme.



    Das mit dem Vertrag war natürlich unbeachtlich. Schließlich wollte ich ja nicht verlängern, und der 1. FC Union konnte es nicht. Jedenfalls hoffte ich das – diesmal! Unter meiner Beziehung war selbstverständlich nicht die mit Sabrina, sondern mit Anita zu verstehen. Sollte da irgendetwas ungeklärt sein? Eigentlich war ich der Meinung, dass alle mit der gegenwärtigen Situation zufrieden waren. Nun, ich würde mich darum kümmern müssen.


    Wir aus dem Osten gehen immer nach vorn…


    Das war der Klingelton von meinem Handy. Ich nahm mir vor, nächste Woche die Union-Hymne durch den neuen VfB-Lübeck-Song zu ersetzen.


    „Ich höre“, sagte ich in das Gerät, nachdem ich gesehen hatte, wer der Anrufer war.


    „Malte, alter Kumpel, Glückwunsch zum Aufstieg!“


    Dazu hätte Jérôme mir eigentlich schon vor anderthalb Monaten gratulieren können.


    „Und zur Lübecker Meisterschaft!“, fügte er überraschenderweise hinzu. „Denn ohne dich wären wir heute ja wohl nicht da, wo wir sind!“


    „Danke“, erwiderte ich. „Du wolltest mich sprechen?“


    Über das Thema mit dem Senatorentitel sagte er nichts, aber es war deutlich zu spüren, dass er mich gewogen stimmen wollte. Stattdessen hatte er ein ganz anderes Anliegen, doch Vollborn wäre nicht Vollborn, wenn er sogleich darauf zu sprechen gekommen wäre.


    „Ja, ich wollte dir versichern, dass wir alle hier dich sehnlichst zurück in Lübeck erwarten – als Sportdirektor.“


    „Ich freue mich auch darauf“, sagte ich wahrheitsgemäß.“


    „Gibt es denn Wünsche deinerseits? Irgendetwas, das ich für dich tun kann?“


    Aha, dachte ich bei mir. Er will was. Jetzt gab ich ihm besser nicht die Gelegenheit, mich zu Dankbarkeit zu verpflichten. Deshalb erinnerte ich ihn nur an das, was er ohnehin zugesagt hatte.


    „Maximilian Beier, du erinnerst dich? Der Stürmer aus Pfullendorf, den du nach Lübeck lotsen wolltest. Aktueller Stand ist nach meiner Information, dass der Verein ihn nicht hergeben und er selbst nicht zum VfB wechseln will.“


    „Ach so, das“, erwiderte er dazu, als wäre das eine lästige Nichtigkeit. „Das regele ich gleich mal. Bleib dran!“


    Es ertönte Marschmusik, während er offensichtlich von einem anderen Gerät aus telefonierte. Keine sieben Minuten später meldete er sich wieder.


    „So, das sollte jetzt eigentlich klappen.“


    Ein scharfes „Pling“ an meinem Computer zeigte an, dass ich eine Nachricht erhalten hatte. Sie hatte einen Anhang, und über den staunte ich jetzt nicht schlecht.



    Soso, auf einmal waren sich alle einig, und kosten sollte der Transfer auch nichts! Wenn das so funktionierte, dann sollte Jérôme Vollborn seinen Senatorentitel von mir aus gern weiter führen!


    Aber natürlich musste jetzt noch etwas von ihm kommen.


    „Ehm, lieber Malte, du könntest mir ein wenig aus der Bredouille helfen.“


    „Sprich nur frei heraus!“, ermunterte ich ihn, allerdings nicht ohne ein mulmiges Gefühl.


    „Es ist gar nichts so Gravierendes. Für dich eine Kleinigkeit. Ich kam drauf, weil wir neulich über Stürmer sprachen.“


    „Hast du noch einen für uns?“ Das war dann jetzt allerdings vielleicht doch etwas zu viel des Guten.


    „Hör zu: Mein Bruder, du wirst ihn nicht kennen, Unternehmer in Frankfurt. Eigentlich ganz in Ordnung, nur leider als Vater ein Versager.“


    „Er hat einen Sohn?“, riet ich. Und so war es.



    „Mein Patenkind. Aber – Frankfurt! Malte, du weißt, wovon ich spreche: Industriestadt, Kriminalität, internationales Drehkreuz für Drogen, Geldwäsche und so weiter…“


    Ich musste mir ein Lachen verbeißen.


    „Du meinst, im friedlichen Lübeck mit seinen rein deutschen Drehkreuzen wäre er besser aufgehoben?“


    Er schwieg einen Moment, was ich als Bestätigung wertete. „Kannst du nicht dafür sorgen, dass er herkommt? Auf mich hört er nicht.“


    „Gut. Ich werde sehen, was ich tun kann“, versprach ich.


    Dann tauschten wir noch ein paar Freundlichkeiten aus, und das war es. Ich machte mich gleich daran, Kontakt zu dem Vollborn-Bengel aufzunehmen. Aber als sein Berater hörte, dass es um Lübeck ging, witterte er wohl den Onkel dahinter und erteilte mir eine Absage.


    Zum Glück hatte ich mich bei ihm – wie ich das immer machte – mit Anton Kienast gemeldet. Und zum weiteren Glück war ich ja auch immer noch Manager des 1. FC Union. So versuchte ich es in dieser Eigenschaft gleich noch einmal, und siehe da: Es gelang mir, ein Angebot für ihn abzugeben. Jetzt hieß es nur noch warten.


    Weil ich gerade am PC saß, machte ich gleich noch die letzten Termine in meiner Eigenschaft als Union-Manager fix: Essen gehen mit der Mannschaft übermorgen, nächste Woche dann Spielerauszeichnungen, Saisonabschlussfeier und Urlaubsbeginn. Aber damit war der Tag noch lange nicht zu Ende.


    „Hi Malte.“ Das war Alexander Fröhlich, der Lübecker Jugendtrainer. „Du bist nicht zufällig gerade in München?“


    „Nein, rein zufällig nicht. Weshalb sollte ich in München sein?“


    „Na, weil wir da heute Deutscher Meister werden wollen!“


    Richtig, die A-Jugend hatte heute ja ihren letzten Spieltag. Eigentlich hätte ich es aus dem Kopf wissen sollen, aber ich musste mir doch die Tabelle auf den Bildschirm holen, um zu erfassen, wie die Lage war.



    Unseren Jungs reichte also aller Voraussicht nach ein Unentschieden, aber der Gegner hieß ausgerechnet Bayern München. Ein Auswärtsspiel. Die Dortmunder mussten gleichzeitig beim Tabellen-Sechsten in Bremen antreten; Leverkusen spielte bereits keine Rolle mehr.


    „Ich drücke euch die Daumen!“, sagte ich.


    „Danke. Wir werden in BayernSport übertragen. Wirst du es dir ansehen?“


    Und ob ich mir das ansah! Vorher besorgte ich noch einen Extra-Eimer Kartoffelchips für Tramp und mich, dann konnte es losgehen. Allerdings passierte in der ersten Halbzeit herzlich wenig.



    Dortmund führte zu diesem Zeitpunkt mit 2:0. Ich rechnete schnell: 16 Tore mussten sie noch schießen, um uns bei einem Unentschieden zu überholen. Andererseits genügte ein einziger Bayern-Treffer…


    Nach einer Stunde verletzte sich unser Linksverteidiger, Joachim Scholl. Das war an sich nicht so schlimm, weil es sich nicht um einen Leistungsträger handelte. Aber er war bis dahin bester Mann (1,5) und vor allem: wir hatten keinen anderen Linksverteidiger. Alex Fröhlich schickte für ihn Oliver Sündorf aufs Feld, einen etatmäßigen DM mit der geringsten Spielstärke des ganzen Kaders. Ob das so gut war? Brachte uns das vielleicht um den Titel?


    Aber es tat sich weiterhin nichts. Alex ließ seine Jungs sehr weit hinten spielen und der Münchner Angriff erwies sich ein ums andere Mal als harmlos. Die Zeit lief für uns, wenn auch quälend langsam. Und dann kam die Nachricht aus Bremen: Dort stand es 2:2! Als wäre das Ergebnis dieses Spiels dadurch nun völlig belanglos geworden, schoben sich Münchner wie Lübecker nur noch die Bälle zu, und dann ertönte der Schlusspfiff – die A-Jugend des VfB Lübeck hatte sich zum zweiten Mal nach 2019 den Meistertitel gesichert!


    Ich schickte Alexander sofort einen Glückwunsch. Wahnsinn – die zweite Lübecker Meisterfeier innerhalb von nicht einmal 24 Stunden! Und dies waren die Helden des Tages, deren Namen man sich möglicherweise merken musste:



    Am Ende war es natürlich ein besonderes Bonmot, dass der eingewechselte Sündorf zum Spieler des Spiels avancierte. Sechs dieser Jungs hatten bereits Drittligaverträge für die kommende Saison unterzeichnet: Berruezo, Bartosch, Zlamal, Speiser, Kubesch und Schober. Dagegen hatten Scholl, Stoop, Karagiannis, Reinhard, De Napoli und Fleischer zum letzten Mal für den Verein gespielt. Auf jeden Fall aber war es für alle ein Erlebnis, das sie ihr Leben lang nicht vergessen würden: deutscher Fußballmeister der A-Jugend geworden zu sein!


    Ich machte mir – und Tramp – eine Flasche Champagner auf und führte einige Telefonate. Zwei Titel waren diese Saison nun bereits nach Lübeck gegangen, und es gab einige, die daran glaubten, dass noch ein oder zwei weitere folgen würden.


    Das Wochenende des 15./16. Mai neigte sich dem Ende zu. Aber wenn ich geglaubt hatte, dieses Ende würde happy sein, dann sah ich mich um kurz nach 23 Uhr getäuscht.



    Seltsamerweise war das, was mir am meisten einen Stich gab, der Satz: „Es hat nichts mit dir zu tun.“ Aber klar, natürlich hatte es mit einem anderen Mann zu tun.


    Ich kippte den Rest des Champagners in Tramps Wassernapf und öffnete mir eine Flasche 18-jährigen Glendronach.

  • Ich bin echt gespannt, wie es weitergeht!


    Das mit Anita, habe ich schon kommen sehen. Sie hätte auch in der bisherigen Form keinen sonderlichen Einfluss auf die Geschichte haben können.


    Und eigentlich kann jetzt ja nur noch die Champions League anstehen. Obwohl ich lieber sehen würde, dass Malte dieses Kunststück angerechnet wird als Emmo.


    Aber du warst bisher ja immer für eine Überraschung gut :thumbup:

  • 278. Teil: „Wir holen das Triple!“
    (18.05.2021)


    Am Dienstag flog ich nach Moskau. Das war der Tag, an dem auch diese Nachricht eintrudelte:



    Ich kann nicht behaupten, dass mich das jetzt noch überrascht hätte.


    Weshalb ich nach Moskau flog? Ganz klar, da fand am Mittwoch das Endspiel der Europa League statt. Unser Gegner war Fenerbahçe Istanbul und hatte in der Gruppenphase Villareal, Malmö und Baku ausgeschaltet, um dann durch Erfolge über Maccabi Haifa, Juventus Turin, den FC Porto und FC Basel ins Finale zu gelangen. Juve und Porto – das waren schon Hausnummern. Einen solchen Gegner unterschätzte man besser nicht. Zumal wir bereits einmal gegen die gespielt und nicht sehr gut ausgesehen hatten: Im Trainingslager vor 22 Monaten endete ein Testspiel 1:1. Damals stand Dinko Elez zwischen den Pfosten und verschuldete den Gegentreffer.


    Vielleicht war das der Grund, weshalb Emmo auch heute wieder Elez – und nicht Cissé – ins Tor stellte. Trotz der Verletzungen von Meywald (IV) und Alcacer (ST) galten wir als Favoriten, aber das Moskauer Publikum stand zum größeren Teil hinter dem Außenseiter.



    Es wurde ein Spiel ganz so, wie es für Emmo Winter und den VfB Lübeck typisch war. Es war noch nicht viel Zeit von der Uhr runter, da brachte Bonaventura nach einem weiten Einwurf von Deulofeu Ganz geschickt ins Spiel, der einen Tick schneller war als sein Gegenspieler und den Ball präzise gegen den langen Pfosten zirkelte, von wo er ins Tor ging. 1:0 nach nur elf Minuten! Danach bestand die Taktik erst einmal darin, den Gegner auszubremsen. Die Türken kamen kaum einmal bis vor das Lübecker Tor, und wenn, dann stand da die sichere Viererkette. Nur einmal musste Rolff etwas härter hinlangen, was ihm auch prompt die Gelbe Karte einbrachte. Mit dem 1:0 ging es in die Pause, und danach änderte sich im Prinzip wenig.


    Bis Emmo wieder auf das 4-2-4 umstellte. Esswein kam in der 73. Minute – wie schon so oft – für Labyad, und es dauerte nicht lange, bis das zählbaren Erfolg brachte: Konter über Esswein, Abspiel auf Deulofeu – 2:0. Da waren keine 77 Minuten gespielt. Und als die Istanbuler hinten etwas mehr aufmachten, schickte Bonaventura mit einem langen Pass Emmo auf die Reise und der ließ den mitgelaufenen Ganz zum 3:0 vollenden. Unmittelbar danach durften auch Trindade und Rasmussen noch ein wenig mitmischen, aber dann war der Erfolg perfekt!



    Wir feierten bis weit in die Nacht. Ja, richtig gelesen: wir feierten. Spätestens seit heute war ich wieder Lübecker mit vollständiger Akkreditierung von allen Seiten. Es war fast, als wäre ich nie weg gewesen. Im Ararat Park Hyatt flossen Krimsekt und Schampus nur so in Strömen. Allerdings gab es um Punkt Mitternacht einen angeordneten Alkohol-Stopp für die Spieler. Schließlich hatten sie diese Woche noch ein wichtiges Spiel vor sich!


    Am frühen Vormittag des nächsten Tages ging schon der Flieger zurück in die Heimat. Wir landeten in Hamburg, von wo die Spieler den Mannschaftbus nahmen, während Lennard Heiße mir anbot, in seinem Privatwagen mitzufahren.


    „Auf dem Weg kann ich dich gleich mal auf den neuesten Stand bringen“, sagte er. „Einige unserer Spieler haben sich im letzten halben Jahr nämlich gewaltig verbessert. Hier, sieh dir mal diese Liste an!“


    Damit reichte er mir einen Computerausdruck, der mir nicht unbekannt vorkam. Offensichtlich hatte er meine Gewohnheit übernommen, regelmäßig eine „Auf- und Abwertungsrunde“ vorzunehmen. Und da hatten sich tatsächlich bis auf Elez und Matthews sämtliche Profis des Bundesliga-Kaders verändert und ganz überwiegend verbessert.



    „Wow, das ist ja beinahe unglaublich“, staunte ich. „Und sieh mal an, Torosidis, der alte Recke, legt trotz seiner 35 Jahre noch einmal ordentlich zu!“


    „Ja, Emmo dürfte auf der LV-Position weiterhin die Qual der Wahl haben. Dabei lag da im vorigen Sommer noch sein größtes Problem.“


    Sogar Alcacer hatte sich trotz seiner langwierigen Verletzung insgesamt verbessern können. Lediglich Iturbe büßte einen Punkt ein, was ihm seine Situation nach der Rückkehr von Leihspieler Rildo (RA) im Sommer zusätzlich erschweren würde. Für mich war er der erste Kandidat für einen Verkauf, auch Trindade, Marquet und Rüdiger sah ich nächste Saison nicht mehr unbedingt im Lübecker Trikot.


    „Und wie sieht’s mit unserer zweiten Mannschaft aus?“, wollte ich wissen.



    Da stand Maiello nun eindeutig auf dem Sprung in die Erste. Ansonsten ließ sich derzeit nicht viel sagen, weil ja sechs Jugendspieler dazustoßen würden und mit Sicherheit der eine oder andere bessere Perspektiven bei anderen Clubs sah.


    „Trotzdem finde ich das enorm, was für Potenziale sich da abzeichnen.“


    Da musste ich Lennard beipflichten.


    „Und die Jugendspieler, gibt es da auch nennenswerte Verbesserungen?“


    „Nicht wirklich. Eigentlich nur Heiko Bartosch (IV), der jetzt mit Stärke 61 zu bewerten ist und sich mit Sicherheit gut in die Drittligamannschaft reinfinden wird.“


    Und dann gab es da noch eine gute Nachricht.



    „Na, da kann man dann ja mal gespannt sein, ob es uns gelingt, den Meistertitel zu verteidigen“, bemerkte ich. „Gibt es eigentlich schon Transfergerüchte um unsere Spieler?“


    „Naja, offiziell haben sie natürlich noch absolute Stillhaltepflicht. Aber ein paar Interessensbekundungen sind schon eingegangen, namentlich an Matthews, Meywald, Elez und Cissé.“


    „Na gut, auf jeden Fall dürfte es spannend werden.“


    In Lübeck angekommen, trennten sich dann erst einmal unsere Wege. Aber die liefen natürlich am darauffolgenden Samstag wieder zusammen, als das letzte Pflichtspiel der Saison anstand.



    Die Schanzer hatten in jedem ihrer fünf Spiele auf dem Weg ins Finale so ihre Schwierigkeiten gehabt. Schon gegen den Drittligisten Unterhaching benötigten sie eine Verlängerung, dann folgten zwei Zweitligisten und zwei Bundesligisten, wobei dreimal ein Elfmeterschießen den Ausschlag gab.


    „Besser wir lassen es darauf nicht ankommen“, sagte Daniel Lippmann schmunzelnd.


    „Besser nicht“, stimmte ich zu. „Am besten, wir tüten das ganz sicher ohne Verlängerung ein.“


    Auch die Lübecker Fans, die in Scharen die Reise nach Berlin antraten, freuten sich auf den zu erwartenden Pokaltriumph – ebenfalls den ersten in der Lübecker Vereinsgeschichte. „Wir holen das Triple!“, war dementsprechend die Parole, die Rob Referee auch in großen Lettern im OH-Kleeblatt verkündete. Mit dieser Vision sollte der 22. Mai 2021 der Höhe- und Schlusspunkt einer grandiosen Saison des VfB Lübeck werden. Das war der Plan.


    Das Berliner Olympiastadion war mit 74.244 Zuschauern ausverkauft. Eine gewaltige Kulisse, die für die Fans beider Mannschaften extrem ungewöhnlich war – schließlich hatte der VfB Lübeck sich erst in den letzten Jahren zu einem Spitzenclub entwickelt, während der FC Ingolstadt noch niemals in seiner Vereinsgeschichte in der Bundesliga gespielt oder in einem Pokalendspiel gestanden hatte. Aber selbstverständlich feuerten sie ihre Teams so ausgelassen und stimmgewaltig an, wie es Dortmunder oder Münchner nicht besser gekonnt hätten.


    Mittendrin saß ich. Na gut, in einer der üppig ausgestatteten VIP-Lounges, gemeinsam mit dem kompletten Vereinsvorstand und diversen Lübecker Honoratioren. Margit, Klein-Malte, Kristian Gentner und etliche andere hatten zwar ebenfalls Karten bekommen, mussten aber im weiten Rund Platz nehmen. Doch wo auch immer sie alle saßen – auf der Bank, in der Kurve oder unter den Ehrengästen –, alle waren sie hergekommen, um den dritten Titel der Saison zu feiern. Oder sogar den vierten, wenn man die A-Jugend-Meisterschaft mitberücksichtigte. Dementsprechend gut war die Stimmung von Beginn an. Der VfB war klarer Favorit, und natürlich spielte er in der gewohnten, starken 4-3-3-Formation, wobei Meywald (IV) und Alcacer (ST) verletzt fehlten und Schmelzer (RV) formbedingt zunächst draußen blieb.



    Nach nervösem Beginn übernahmen die Lübecker ziemlich bald die Initiative. Chancen hatten in der ersten Halbzeit eigentlich nur die Grünen. Bis auf eine Szene nach genau einer halben Stunde.



    Der Ingolstädter Anhang war total aus dem Häuschen und auch das Berliner Publikum jubelte mit dem Außenseiter. Der Tabellen-Vierte der zweiten Liga führte hier gegen den neuen Deutschen Meister und Europa-League-Gewinner – welch ein Ereignis!


    „Hoho, was für ein Schönheitsfehler!“, hörte ich Jérôme Vollborn hinter mir lachen.


    Aber bis zur Pause gelang Emmos Mannschaft nicht der nun fällige Ausgleich. Und auch nach dem Seitenwechsel wirkte die Mannschaft nervös, als könnte sie mit dem ungewohnten Druck, gegen ein weit schwächeres Team zurückzuliegen, nicht gut umgehen. Emmo selbst fiel dabei mit am meisten auf – in negativer Hinsicht.



    Konsequenterweise ging er zehn Minuten später vom Platz – Einsichtsfähigkeit besaß er ja, das musste man ihm lassen. Für ihn kam Esswein, Labyad rückte zurück und vorn sollte nun das bewährte 4-2-4 für die Wende sorgen. Wenige Augenblicke später verletzte sich beim Gegner Daniel Lück (ZM), was Trainer Heiko Herrlich zu einem Doppelwechsel zwang. Die Lübecker Überlegenheit nahm sichtbar zu, aber ein Tor wollte einfach nicht fallen. Drei Schanzer holten sich Gelbe Karten ab, weil sie das Spiel verzögerten oder taktische Fouls begingen, und so tickte die Zeit herunter. Zehn Minuten vor Schluss brachte Emmo – aus meiner Sicht überfällig – Schmelzer (RV) für Matthews, dann kam auch noch Marquet für den nachlassenden Deulofeu. Und in der letzten, wirklich in der allerletzten Spielminute – man glaubt es kaum – geschah es dann doch noch: Simone Andrea Ganz (ST) war durch, sein Gegenspieler versuchte ihn noch zu stoppen, erst durch Ziehen am Trikot, dann durch eine Grätsche von hinten, die allerdings ins Leere ging. Schließlich konnte der Lübecker Stürmer sich die Ecke aussuchen, holte aus – und setzte den Ball genau in die Arme des Ingolstädter Torhüters Sebastian Peter!



    Sprachlos verfolgte ich, wie die Spieler des FC Ingolstadt den Pokal überreicht bekamen, während die Lübecker Spieler total bekniffen daneben standen. Vollborn hatte die VIP-Lounge mit viel Gepolter verlassen, allen anderen fehlten ebenso die Worte wie mir.


    Heute, im Nachhinein betrachtet, war es vielleicht ein heilsamer Schock für Emmo, für alle anderen Verantwortlichen, für die Spieler und für die Fans. Es ist nie gut, wenn die Bäume von heute auf morgen in den Himmel wachsen. Jetzt gab es ein paar neue Herausforderungen: diese Schmach und Enttäuschung zu verarbeiten, neue Aufgaben und Ziele zu definieren und den Verein wie den Kader auf die kommende Saison vorzubereiten.

  • Aus Spielersicht: Mit der Pokalpleite hätte ich nicht gerechnet.


    Aus Story-Sicht: Das verlorene Finale gegen Ingolstadt bietet viel Raum für spannende Wendungen. Emmo könnte wieder mehr auf Malte zugehen. Vollborn könnte aus blinder Wur doch wieder Malte als Cheftrainer einsetzen.


    Für mich ist die Kaderzusammenstellung immer das Spannendste beim FM, deswegen freue ich mich schon auf die nächsten Parts! :thumbup:


  • 279. Teil: Viel grauer Dunst
    (23.05.2021)


    An die Zeit nach dem Pokalendspiel erinnere ich mich wie durch einen grauen Dunst hindurch. Am Sonntag hatte ich einen Ausflug nach Timmendorf gemacht, wo die zweite Mannschaft von Union Berlin ihr letztes Saisonspiel beim NTSV Strand 08 bestritt. Gemeinsam mit dem Team um die Ex-Lübecker Rüdi Fana, Lukas Streicher, Alex Toogfirs und Luc Boule freute ich mich über einen souveränen 3:0-Sieg, der am Ende noch für einen ordentlichen elften Platz in der Abschlusstabelle der Oberliga NOFV-Nord sorgte.


    Zwei Tage später waren die Spielerauszeichnungen sowohl bei Union als auch beim VfB fällig.



    Nicht ganz Compliance-konform war – zugegebenermaßen – ein Vorgehen meinerseits, das einen talentierten Jugendspieler betraf. In Luxemburg scheint man mit 16 gern schon mal einen ehrgeizigen Berater zu haben, und so hatte ich bei dieser Anfrage ein paar Tage zuvor einfach mal auf Ja geklickt.



    Zwar hatte ich erwartet, dass es nun – wie so oft in derartigen Fällen – ein Wettbieten mehrerer von dem Berater kontaktierter Clubs geben würde, aber nein: zwei Tage nach dem denkwürdigen Pokalfinale hatte der Junge nicht nur zugesagt, sondern war bereits zur B-Jugendmannschaft gestoßen – des 1. FC Union, wohlgemerkt! Es zeigte sich, dass er ein für sein Alter beachtlich entwickelter Rechts- und Innenverteidiger war mit mindestens drittligareifen Qualitäten in den wesentlichen Eigenschaften wie Tackling, Manndeckung und Kopfball. Zudem war er bereits U17-Nationalspieler.


    „Eigentlich schade um ihn“, sagte ich in einem vertraulichen Gespräch zu Alex Fröhlich, dem Lübecker Jugendtrainer, und der nickte einmal vernehmlich durchs Telefon. „Also dann, starte ich doch einfach mal eine Anfrage an mich selbst…“


    Gesagt, getan. Und zwei Wochen später erhielt ich in meiner Eigenschaft als Union-Manager eine gar nicht so überraschende Nachricht.



    Aber weshalb eigentlich erst am Ende der Saison? Klare Antwort: das war eine Falschmeldung. Richtig war, wie ich sogleich in meinem Postfach als Lübecker Sportdirektor sehen konnte, dass der Junge bereits in Lübeck eingetroffen war und in der Lübecker B-Jugend spielte. Diesem etwas – ehm, ungewöhnlichen, wenn nicht sogar grenzwertigen Hin und Her ist es sicher auch geschuldet, dass auf der Karteikarte unseres neuen Vereinsmitgliedes die Vereinsfarbe nicht stimmte: Statt des Lübecker Grün prangte da noch das Union-Rot. Naja, Nebensächlichkeiten halt.



    Ob mir diese eigenwillige Aktion peinlich ist? Ich werde euch sagen, was mir wirklich peinlich ist! Mein Privatleben war ja immer schon ein wenig – sagen wir: turbulent. Das alles wurde von den Ereignissen dieser Tage aber locker getoppt. Es begann damit, dass mich mein digitaler Kalender an etwas erinnerte, das ich in der Vergangenheit gern immer mal vergessen hatte: Sabrinas Geburtstag. Am 26. Mai wurde sie – bitte nicht weitersagen! – 53 Jahre alt. Das Dumme war bloß, dass ich meinen Kalender taggenau eingestellt hatte, will heißen: der dezente Erinnerungston gelangte exakt um 0:00 Uhr an mein Ohr, als ich gerade gemütlich mit Sabrina und Tramp zusammensaß und über die neuesten Berliner und Lübecker Ereignisse palaverte.


    Wie von der Tarantel gestochen, schoss ich von meinem Designer-Ledersessel hoch.


    „Meine liebe Sabrina…“


    „Malte! Ich bin überwältigt! Du hast doch nicht etwa an meinen Geburtstag gedacht?“


    „Aber doch, selbstverständlich, meine Liebste!“


    Kurz und gut, es war eine harmonische Stimmung, wie man sie in einer Kitsch-Soap nicht besser hätte vorfinden können. Das Einzige, was zu dem vollkommenen Glück noch fehlte, war an dieser Stelle ein passendes Geschenk. Denn selbstverständlich wäre ohne ein solches meine Farce aufgeflogen.


    „Und zum Beweis meiner Liebe schenke ich dir etwas, das…“


    Mein krampfhaftes Überlegen, wie ich die Situation jetzt noch retten konnte, wurde von Sabrina selbst unterbrochen.


    „Nein, Malte! Du willst wirklich…? Ich kann es gar nicht glauben! Und du hast es dir als Geburtstagsüberraschung für mich aufgehoben?“


    Ehrlich gesagt wusste ich überhaupt nicht, wovon sie redete. Ich hatte buchstäblich keinen Schimmer. Aber meine Erfahrung mit Frauen – sorry, wenn das jetzt etwas machistisch klingt – hat mir gezeigt, dass man in solchen Situationen am besten gar nichts tut – und sie weiterreden lässt. Völlig außer sich vor Freude fiel sie mir um den Hals.


    „Ich hatte es mir ja so gewünscht! Und schließlich leben wir ja jetzt auch schon fast ein Jahr zusammen. Du wirst sehen, das geht alles ohne Schwierigkeiten…“


    Bruchstückweise wurde mir klar, in welche Richtung es ging, immerhin hatte ich auf diese Weise ein wenig Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen, und am Ende blieb mir dann auch überhaupt nichts anderes übrig, als das zu bestätigen, was sie sich quasi selbst als ihr Geburtstagsgeschenk zurechtgelegt hatte.



    Am folgenden Morgen rief ich Anita in Honolulu an, und sie war sofort einverstanden. Da das Trennungsjahr auch praktisch schon als vollzogen gelten konnte, würde es keine Schwierigkeiten geben. Zwei Tage lang regelte ich alle Formalitäten. Aber weil wir von Peinlichkeiten sprachen: schon am dritten Tag geschah etwas Unvorhergesehenes.



    Wie das kam? Details wollt ihr nicht wissen! Es ist halt einfach so passiert. Leider hatte ich nicht die geringste Chance, auch nur in Erwägung zu ziehen, ob ich Sabrina das verheimlichte, denn die Neuigkeit machte in meinem Umfeld sofort die Runde. Kurz und gut, tut mir den Gefallen, nicht weiter nach diesem Thema zu fragen! Lasst uns einfach zum Fußball zurückkehren.


    Sowohl in Berlin als auch in Lübeck gab es jeweils, wie man sich vorstellen kann, eine sehr ausgelassene Saisonabschlussfeier. Alexander Vollborn, der Neffe des Lübecker Präsidenten, unterschrieb tatsächlich einen Vertrag bei Union mit Wirkung ab dem 1. Juli. Simone Andrea Ganz wurde erstmals zum Fußballer des Monats gewählt und war sehr stolz darauf. Auch in der Elf des Jahres standen wieder Lübecker Spieler, allerdings deutlich weniger, als ich erwartet hatte.



    Voriges Jahr waren es noch vier gewesen (die beiden hier plus Meywald und Cissé), ebenso wie vor zwei Jahren (Ignjovski statt Cissé). Über die Gründe dafür konnte mal nur rätseln. Rätselhaft fand ich auch, dass der Spieler des Jahres 2020/21 in der Top-Elf gar nicht vertreten war.


    „Malte, wir müssen reden.“ Das war Lennard Heiße.


    „Das klingt ernst.“


    Der Lübecker Geschäftsführer hatte mich zu sich gebeten, und ich ahnte nichts Schlimmes. Der erste Punkt war auch kein wirklicher Aufreger.


    „Es ist mal wieder an der Zeit, die Mitarbeiterverträge zu überprüfen. Klar, darum musst du dich nicht kümmern, das mache ich schon. Die meisten auslaufenden Verträge habe ich auch bereits verlängert.“


    „Gut so“, sagte ich, „schließlich haben wir eine sehr gut funktionierende und aufeinander abgestimmte Crew.“


    „Stimmt. Nur ein Vertrag ist noch offen. Und auch wenn Emmo sich in diese Dinge normalerweise nicht einmischt, hier wollte er, dass ich ihn nicht verlängere.“


    „Um wen geht es?“



    Vor über drei Jahren hatte ich diesen – zugegeben – deutlich unterqualifizierten Mitarbeiter eingestellt, weil er der Vetter von Alex Fischer war. Aber was war eigentlich aus Alex Fischer geworden? Er hatte sich damals bei uns einige lukrative Bauaufträge an Land gezogen, doch inzwischen hatte ich seit einer gefühlten Ewigkeit nichts mehr von ihm gehört.


    „Ist denn das A. Fischer Engineering Office in letzter Zeit noch für uns tätig gewesen?“


    Das verneinte Lennard. Und so, wie ich den Schlaufuchs Alex Fischer kennengelernt hatte, ahnte ich, dass die Cousins sich überworfen hatten.


    „Okay“, sagte ich deshalb, „ich habe keine Einwände. Lass den Vertrag auslaufen, dann kümmern wir uns um einen richtig guten Bauleiter. Und was ist dein zweites Problem?“


    „Na, ich kann dir sagen – das ist deutlich gravierender!“



    Ich sprang auf.


    „Regelung des Weltverbandes? Was für eine verdammte Regelung ist das, verflucht?“


    „Weißt du das wirklich nicht?“, fragte er.


    „Nie davon gehört!“, war meine Antwort.


    „Nun“, fuhr Lennard ganz ruhig fort, „ich habe in den Annalen des VfB Lübeck nachgeschaut, und wir hatten das Problem schon mehrmals.“


    „Was, echt?“


    „Vor drei Jahren verließ uns Jonathan Schmid (RM) mit genau der gleichen Begründung.“


    „Ach ja…“


    „Und noch länger her, aber nicht vor deiner Zeit war es, dass ein gewisser Marius Winkelmann (ZM) dasselbe tat. Und jetzt erzähl mir bloß nicht, dass du das hier auch vergessen hast!“



    Sabrina war es, glaube ich, die mir manchmal vorgeworfen hatte, dass ich mich gern an unbequeme Dinge nicht mehr erinnerte. Realitätsverlust nannte sie das. Ich war da immer anderer Meinung gewesen. Aber hier blieb mir jetzt wirklich nicht mehr viel zu sagen als:


    „Scheiße!“


    Natürlich fiel es mir nun auch wieder ein. Kristian Gentner hatte es mir seinerzeit erklärt: Wenn ein Spieler, der schon ein paar Jahre beim Club war, unzufrieden wurde, konnte er den Vertrag einseitig kündigen, wenn ihm ein weiteres Dableiben nicht zuzumuten war.


    „Lässt sich da was machen? Haben wir Anwalt Marquardt schon eingeschaltet?“


    „Erstens nein, zweitens ja“, antwortete Lennard auf beide Fragen. „Die Frage der Zumutbarkeit ist natürlich theoretisch justiziabel, aber praktisch entscheidet das Sportgericht immer zugunsten des Spielers.“


    „Also können wir das vergessen.“


    „Sieht so aus.“


    Wenigstens erhielt die Verpflichtung der Stürmer Werner und Beier damit nachträglich noch einmal einen zusätzlichen Sinn. Wenn die beiden denn was taugten.


    Im Juni durften die Spieler dann in den wohlverdienten Urlaub gehen, soweit sie nicht am Confed Cup in Katar teilnahmen. Ein paar Personalentscheidungen gab es natürlich dennoch in dieser Zeit. So brachte unser Jugendcamp mal wieder ein Talent hervor.



    Es kam mir ein bisschen wie ein Déjà vu vor, denn Markus Eisele ähnelte dem gerade erst verpflichteten Romain Ferrier sehr.



    Der gravierendste Unterschied zwischen den beiden bestand in ihrem Alter: Markus war vierzehn Monate jünger als Romain und deshalb für die B-Jugend spielberechtigt – wohin er selbstverständlich gleich einbestellt wurde, ehe etwa andere Vereine auf ihn aufmerksam werden konnten.


    Einen Tag später erreichte mich die Nachricht, dass Paco Alcacer bei Bayer Leverkusen unterschrieben hatte.

  • Malte ist ja auch ein Schlawiner! Verheiratet...aber quasi seit ewigen Zeit getrennt lebend...Bandelt mit der Ex an... und dann kommt noch die "heimliche" Geliebte um die Ecke, die dann nach der Scheidung mehr will. Also in Maltes Privatleben ist ja mehr los als in jeder Soap auf RTL.


    Und sportlich mauschelt er auch schon wieder mit dem Transfer vom Romain Ferris rum. Hoffen wir mal das ihm das (nicht) auf die Füße fällt. ;)

  • 280. Teil: Das Statistiken-Kapitel
    (12.06.2021)


    Zum Saisonabschluss sind natürlich stets alle möglichen Auswertungen dringend erforderlich. Mir persönlich dient das auch als Archiv (in der Hoffnung, es dann auch wieder aufzufinden, wenn ich es mal brauche). Zwar ist das nicht unbedingt eine typische Aufgabe für den Sportdirektor, aber da ich das nun schon seit zehn Jahren hier machte, wäre niemand anderes auf die Idee gekommen, sich dem selbst zu widmen.


    Die finalen Tabellen von erster und dritter Liga sind ja bereits bekannt, fangen wir deshalb also mit der 2. Bundesliga an.



    Die drei Vorjahresabsteiger liefen damit in exakt der gleichen Reihenfolge ins Ziel ein, mit der sie vor zwölf Monaten das Ende der Bundesligatabelle gebildet hatten. Pokalsieger Ingolstadt hatte den Aufstieg am letzten Spieltag knapp verpasst. In den Relegationsspielen setzte sich Carl Zeiss Jena dann mit 1:1 und 2:1 durch, so dass Nürnberg für eine weitere Saison in Liga zwei planen musste. Ganz anders sah es unten aus: Da hatten sich die Aufsteiger Bochum und FSV Frankfurt schon zeitig den Klassenerhalt sichern können, während Rostock und Aue nun den SV Babelsberg als einzigen Ost-Verein in der Liga zurückließen. Der 1. FC Heidenheim begleitete die beiden in die Drittklassigkeit, denn in der Abstiegsrelegation setzte sich die SpVgg Unterhaching mit 1:0 und 0:0 durch.


    In den wichtigsten anderen europäischen Ländern gab es, wie ich fand, keine wirklich großen Überraschungen, am ehesten vielleicht noch in Frankreich und Portugal.



    Den Titel in der Champions League konnte sich diesmal übrigens Real Madrid mit einem 0:0/5:4 n.E. gegen den Erzrivalen FC Barcelona sichern – da durften sich die Katalanen dieses Jahr gleich zweimal ärgern.


    Ein ganz besonderes Vergnügen bereitete es mir jedes Jahr, einen Blick auf unsere Jugend zu werfen. Die Ältesten hatten ja nach 2019 gerade zum zweiten Mal die Deutsche Meisterschaft geholt, aber auch die Ergebnisse der anderen konnten sich sehen lassen.



    Während die C-Jugend mit Malte junior den Aufstieg knapp verpasst hatte, schafften die Jüngsten den Sprung in die zweite Spielklasse. In der Bewertung der Jugendarbeit belegten wir national gleichwohl nur den sechsten Platz, international rangierten wir auf Platz 16. Wobei mir diese Zahlen weniger bedeuteten als die stets mit Spannung erwartete Kicker-Liste der besten Jugendspieler der Welt, und in der waren wir dieses Jahr gleich zehn Mal vertreten.



    Dann gelang es mir sogar noch, einen talentierten Jugendspieler vom SV Werder Bremen abzuwerben: Andreas Brandt (RM, 16 Jahre, Stärke 44, dreieinhalb Sterne).


    Was gab es sonst noch Interessantes? Den Konföderationen-Pokal holte sich die deutsche Nationalmannschaft – unter Mitwirkung von Marco Reus – durch ein 2:1 im Finale gegen Argentinien. Bei den „Spielern der Saison“ tauchten zwei Lübecker auf, nämlich Paco Alcacer („der Effektivste“) und Zakaria Labyad („der Joker“), außerdem hatte der VfB Lübeck den besten Sturm, die beste Abwehr und war das beste Heimteam der Bundesliga. In der Torschützenliste waren wir diesmal ziemlich dicht an der Spitze dran, ganz oben war die Entdeckung der Saison, der Wolfsburger Daniel Dober, am letzten Spieltag noch von dem Leverkusener Routinier Goran Pandev abgefangen worden.



    Was mich zu den Leistungen unserer Spieler bringt. Da stach Simone Andrea Ganz hervor, der insgesamt nicht nur die meisten Spiele (68) bestritten, sondern auch mehr Tore als Paco Alcacer erzielt hatte. Emmo fiel als der Spieler mit den meisten Karten – neben Christoph Meywald –, aber auch mit den meisten Vorlagen auf. Was die beste Durchschnittsnote angeht, landete er knapp hinter Giacomo Bonaventura. Alles Nähere lässt sich der nachstehenden Übersicht entnehmen.



    Natürlich blieben im Juni auch Anfragen nach einigen unserer Spieler nicht aus. Ich hörte mir stets alle Angebote an, aber immer dann, wenn der Spieler gern bei seinem Verein bleiben wollte, verlangte ich mindestens den doppelten Marktwert. Das wirkte. Nur in zwei Fällen musste ich darauf achten, den Spielern nichts zu verbauen und sie dadurch womöglich zu verärgern: Bei Raffaele Maiello (ZM, 29) wäre die Ehefrau gern in eine andere Stadt gezogen (was hatte sie gegen das schöne Lübeck?); da verhandelte ich hinhaltend mit dem interessierten Club, Rapid Wien (okay, ist ja auch eine schöne Stadt!), beorderte Raffaele aber sogleich in die erste Mannschaft, denn das hatte er sich diese Saison eindeutig verdient. Im zweiten Fall sah es schon komplizierter aus, als der AC Mailand Interesse an Stefan Schmelzer (RV, 24) zeigte und der verlauten ließ, er würde gern mal in einem anderen Team spielen. Ich verlangte 12 Millionen, 4,25 mehr als Stefans Marktwert.


    Ich hoffte schon, die Sache wäre damit vom Tisch, als Milan anderthalb Wochen später 10 Millionen bot. Angeblich fand Schmelzer, der VfB Lübeck hätte ein überaltertes Team ohne Zukunft – hallo? Wir hatten eins der jüngsten Teams der Liga und sahen uns auf jede Menge weitere Titel zusteuern!



    Vielleicht war das ja nur ein fader Vorwand und in Wahrheit steckte auch da die Ehefrau dahinter, die gern nach Italien ziehen wollte. Meinetwegen, sollten sie! Doch bevor ich meine Zustimmung gab, sah ich mir mal sehr gründlich die Situation auf der fraglichen Position an. Rechter Verteidiger konnten spielen:



    Okay, der junge Michail war ein 8-er-Talent, musste sich aber noch entwickeln. Auf den 35-jährigen Torosidis wollte ich lieber nicht allzu sehr bauen, die anderen fielen stärkemäßig zu sehr ab, so dass allein Matthews blieb. Sei’s drum, der Sommer war lang, irgendwo fand sich schon der Richtige – ich gab Schmelzer frei, und am 24. Juni verließ der uns dann auch schon in Richtung Lombardei.


    Tja, das war eine Woche vor Beginn der neuen Saison. Und fünf Tage, nachdem ich überraschend wieder Single geworden war. Aber wer konnte denn auch ahnen, dass Frieda, meine neue Flamme, schon so bald Geburtstag haben und dann derart empfindlich reagieren würde!



    Irgendwie hatte ich mit den Frauen einfach kein Glück. Okay, konzentrierte ich mich also einfach auf meinen Job als Sportdirektor des VfB Lübeck. Als solcher konnte ich mit Stolz feststellen, dass wir in der Europäischen Vereinsrangliste aktuell auf Platz zwei (hinter Real Madrid) rangierten. Geschäftsführer Heiße tat ferner kund, dass wir die Saison mit einem Verlust von 4,8 Mio. Euro abgeschlossen hatten, so dass wir diesmal keine Steuern zu zahlen brauchten. Dabei waren alle Budgets eingehalten worden. Und zum Schluss seien hier noch die Auf- und Absteiger in den vier höchsten deutschen Spielklassen erwähnt.



    Zufrieden klappte ich meinen Statistik-Ordner zu und freute mich darauf, nicht mehr die Last der Verantwortung als Trainer und Manager zu haben, sondern mich ganz und gar auf meinen bescheidenen Angestellten-Job beim VfB Lübeck konzentrieren zu können – als der Sportdirektor Anton Kienast.

  • Zunächst einmal gratuliere ich dem VfB Lübeck zum Gewinn der deutschen Meisterschaft sowie der Europa League! Ich find's gut, dass sich das Geschehen der Story aktuell wieder an die Lohmühle verlagert. Wie du selbst schreibst, ist es dafür wohl gar nicht schlecht, dass das Pokalfinale wider aller Erwarten verloren ging. Es müssen schliesslich noch ein paar Ziele übrig bleiben, bei denen wir Emmo und Malte weiter begleiten können. Zuweilen sah es ja sogar aus, als würde letzterer sogar seine privaten Dinge einmal geregelt kriegen, aber die neue Flamme Frieda ist da wohl anderer Meinung.


    An dieser Stelle übrigens ein Dankeschön, dass du immer mal wieder bei der alten Bande um Lance, Rüdi, Taddeo etc. nach dem Rechten siehst. Und ich mag Statistiken fast so sehr wie Malte Anton Kienast.

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