Der bemerkenswerte Weg des Emmo W.

  • 290. Teil: Das 300. Bundesligator
    (20.11.2021)


    „Papa, dein Auto stinkt und klappert!“


    Tja, Kindesmund tut Wahrheit kund, sagt man. Leider hatte meine sechsjährige Hertha nicht ganz unrecht.


    „Was findest du denn, was ich uns für ein neues Auto kaufen sollte?“, fragte ich sie.


    „Ein ganz großes dickes!“


    Also wohl ein SUV.


    „Nicht vielleicht einen schicken Sportwagen?“


    Da kicherte sie nur. Ich vermute mal, sie dachte dabei an den Jaguar F-Type meiner ältesten Tochter Silvia, aus dem ich in letzter Zeit doch immer etwas schwer herauskam. Also dann halt ein SUV – scheiß auf die Öko-Bilanz!


    Obwohl, eigentlich hätte mir ein Oldtimer gefallen. Nicht so was Halbaltes wie der Capri, sondern ein richtiger Oldtimer. Mit mindestens einem Dreivierteljahrhundert auf dem Buckel. Vielleicht konnte man den ja bald auch auf Wasserstoffantrieb umrüsten.


    „Wart’s ab, Süße“, sagte ich zu ihr, „Papa kauft sich ein ganz tolles Auto, wie du es noch nie gesehen hast!“


    Aber einstweilen musste erst mal noch das alte ausreichen.



    Keine Frage, Emmo hatte die Presse hundertprozentig hinter sich. Selbst nach so einem grottigen Spiel wie dem bei Bayer Leverkusen wurde er noch hochgejubelt. Dabei waren die Lobeshymnen ebenso verfehlt wie der Punktgewinn an sich. Viermal zog Schiedsrichter Christopher Hoheneder in dieser Begegnung eine Karte, oder genauer: sechsmal, zweimal sozusagen zwei zugleich:



    Das hielt Rob Referee aber nicht davon ab, Emmo für ein Abstaubertor zu feiern, das er der Vorarbeit von Gerard Deulofeu zu verdanken hatte. Kurz vor der Pause glich Moussa Sow aus und zu elft gegen neun erzielte Alcacer dann auch folgerichtig die verdiente Leverkusener Führung. Ich muss zugeben, in diesem Moment hätte ich vermutlich gesagt: Geschieht dir recht, Emmo – wenn ich dabei gewesen wäre. Weshalb ich nicht dabei war, sondern auf dem Weg nach Leverkusen etwas früher von der Autobahn abgebogen war, dazu sogleich. Und weshalb ich auf diese Art nur in meinem Bluetooth-Ohrhörer mitbekam, wie Deulofeu kurz vor dem Schlusspfiff doch noch das 2:2 machte. Hier der Vollständigkeit halber das Datenblatt zu dem 13. Saisonspiel:


    13. Spieltag Bundesliga

    20. November 2021

    Bayer 04 Leverkusen – VfB Lübeck


    Aufstellung:

    Elez
    Matthews - Negrão - Meywald - Torosidis
    Maiello - Winter
    Rildo - Ruckendorfer - Ganz - Deulofeu

    eingewechselt: Labyad (ZM), Werner (ST), Esswein (ST)

    Bank: Albornos, Rolff, Rasmussen, Marquet

    Tribüne: Rüdiger, Trindade Meireles; verletzt: Bonaventura, Reus


    Tore:

    0:1 Winter (Deulofeu) (40.)

    1:1 Sow (RA) (42.)

    2:1 Alcacer (ST) (83.)

    2:2 Deulofeu (Labyad) (89.)

    Endstand: 2:2


    Ereignisse:

    :cards: Winter, Meywald (Lübeck)

    bester Lübecker: Dinko Elez (2,0)

    Spieler des Spiels: Dinko Elez

    11 Elf des Tages: ---



    Ja, was war der Grund, weshalb der Sportdirektor des VfB Lübeck heute nicht im Leverkusener Stadion war? Ganz einfach, weil er in einem anderen Stadion war. Schuld daran war – zumindest teilweise – mein guter alter Ford Capri. Denn kurz vor Unna machte der Motor plötzlich Zicken. Ich konnte gerade noch einen Rastplatz ansteuern, dann verabschiedete er sich. Und zwar endgültig. Ich ließ ihn zwar noch in eine Werkstatt schleppen, aber viel Hoffnung machte mir der Meister nicht, auf dessen schwarz-gelbem Schild in großen Lettern „BERND VON BURGSMÜLLER“ stand.


    „Sind Sie nicht dieser Trainer – Womerdingen oder so?“, fragte er mich, nachdem er resigniert die Motorhaube hatte zuklappen lassen.


    „So ähnlich“, sagte ich. „Ich war gerade auf dem Weg zu dem Auswärtsspiel in Leverkusen.“


    „Na, dann werden Sie wohl umdisponieren müssen“, stellte er nüchtern fest. „Wenn Sie wollen, kann ich Sie ins Stadion mitnehmen.“ Und mit einem breiten Grinsen fügte er hinzu: „Aber in das richtige!“


    Wie sich heraus stellte, hieß er weder Burgsmüller, noch hatte er ein „von“ im Namen, aber die vorgeblichen Initialen „BvB“ outeten ihn halt für jeden sichtbar als Borussia-Fan. Und dank Bernd landete ich nun unverhofft in der Südkurve des Signal Iduna Parks zwischen lauter bestens gestimmten Anhängern der Heimmannschaft. Der Werkstattmeister gab mir sogar ein Bier aus.


    „Danke“, brüllte ich, denn um uns herum war es schon ganz schön laut, „dann trinken wir mal auf einen hohen Dortmunder Sieg!“


    Nachdem der BVB von den letzten acht Spielen nur eines hatte gewinnen können, war heute der Tabellenletzte aus Cottbus zu Gast. Deren Saisonbilanz war noch erheblich schlechter, denn nach elf Niederlagen in Folge hatte es vorige Woche beim 1:0 gegen Carl Zeiss Jena das erste Erfolgserlebnis für die Lausitzer gegeben. Klar, dass hier jetzt ein deutliches Ergebnis erwartet wurde, und zwei Ex-Lübecker waren auf Dortmunder Seite dabei: Gojko Kacar und Juan Manuel Iturbe.



    Alles in allem hatte die Borussia einen starken Kader. Eigentlich gab es überhaupt keinen Grund, weshalb sie damit nicht ganz oben in der Bundesliga mitspielte. Ob es am Trainer lag? Oder am Manager? An beiden schien das Vereinspräsidium aber weiterhin festhalten zu wollen. Und vermutlich änderte sich daran auch nichts, wenn die Mannschaft hier heute einen souveränen Sieg einfuhr.


    Doch daraus wurde nichts. Nach nur elf Minuten stand es durch zwei Tore von Sercan Yıldırım (ST) 2:0 für Cottbus und im Stadion wurde es ziemlich still. Immerhin verkürzte Mario Götze (RM) in der 37. Minute auf 1:2. Aber was sich danach – vor allem in der zweiten Halbzeit – tat, war eigentlich unfassbar: überhaupt nichts! Trainer Inauen wechselte irgendwann aus schierer Hilflosigkeit Iturbe, Götze und Kacar aus, aber ein bundesligawürdiges Fußballspiel wurde es dennoch nicht, jedenfalls nicht von Dortmunder Seite. Cottbus hatte seinen zweiten Saisonsieg geholt und der BVB rutschte immer näher an die Abstiegsplätze heran.



    „Es ist einfach nur zum Heulen mit denen!“, erklärte mein Kfz-Meister verzweifelt.


    „Das finde ich auch“, erwiderte ich ehrlich.


    Dann richtete er sich vor mir auf und sagte:


    „Könntest du nicht hier mal das Ruder übernehmen?“ Klar, dass man sich inzwischen duzte.


    Und um uns herum fielen die anderen Fans, die natürlich längst bemerkt hatten, wer da unter ihnen saß, mit ein.


    „Ja, Mann – Malte Womerde rettet den BVB! Und führt ihn zum Titel und in die Champions League!“


    Ich lächelte geschmeichelt.


    „Naja, Jungs, ich glaube ja, meine Zeit ist vorbei.“


    Aber das fanden die gar nicht, und sie begannen mich regelrecht zu bedrängen. Schließlich entschied ich mich dafür, mein Heil in der Flucht zu suchen, und tauchte zwischen den zum Ausgang strebenden Massen unter. So gelang es mir, unbehelligt den Bahnhof zu erreichen; mein Auto ließ ich einfach in Dortmund zurück.


    Für den VfB Lübeck stand das nächste Spiel schon wieder am folgenden Mittwoch an. AS Rom war an der Lohmühle zu Gast, und wie bekannt ging es für uns um nichts mehr, da der Gruppensieg in der Champions League bereits feststand. Um Jérôme Vollborn und den anderen VfB-Oberen und -Mitarbeitern aus dem Weg zu gehen, setzte ich mich diesmal nicht in den Vereinsbereich, sondern an die Gegengerade. Ich musste nachdenken.


    5. Spieltag Champions League Gruppe D

    27. November 2021

    VfB Lübeck – AS Rom

    Vorbemerkung:

    Mit Albornos, Rasmussen und Trindade gibt Emmo drei Reservisten eine Chance in der Startelf. Auch Ganz wird geschont. Nach dem 1:0 beim Hinspiel in Rom wollen wir hier heute aber dennoch möglichst gut aussehen und den Fans ein ansehnliches Spiel bieten. Auf der Gegenseite steht wieder Robin Parmander im Tor.


    Aufstellung:

    Albornos
    Matthews - Rolff - Meywald - Rasmussen
    Trindade Meireles - Winter
    Rildo - Ruckendorfer - Werner - Deulofeu

    eingewechselt: Esswein (ST), Rüdiger (IV), Marquet (LA)

    Bank: Elez, Negrão, Maiello, Ganz

    Tribüne: Torosidis, Labyad; verletzt: Bonaventura, Reus


    Tore:

    1:0 Rildo (Elfmeter) (7.)

    2:0 Muñoz (Eigentor) (47.)

    3:0 Rildo (Elfmeter) (82.)

    Endstand: 3:0


    Ereignisse:

    :yellowcard: Rolff, Werner, Ruckendorfer (Lübeck), Großkreutz (Rom)

    bester Lübecker: Emmo Winter (1,0)

    Spieler des Spiels: Emmo Winter


    Kommentar:

    Ganze drei Mal zeigt der Schiri auf den Punkt: zuerst bei einer klaren Schwalbe von Trindade, dann bei einem Foul an Rildo nach 40 Minuten und schließlich noch einmal, als Trindade – nun aber wirklich – von Großkreutz gelegt wird. Was lernt man schon in der F-Jugend: dass der gefoulte Spieler nicht selbst schießen sollte!


    In der zweiten Begegnung unserer Gruppe hatte sich der französische Meister aus Rennes mit einem 4:1 gegen Sporting Lissabon eine gute Ausgangsposition fürs Weiterkommen geschaffen. Allerdings reichte den Römern im letzten Spiel ein Sieg.



    Ein Match stand im Monat November noch auf dem Programm, und das fand ebenfalls vor heimischem Publikum statt. Marco Reus war immer noch angeschlagen und auf Giacomo Bonaventura mussten wir nach Auskunft von Vereinsarzt Thomas Ehrentraut weitere 17 Wochen warten. Außerdem fehlten nach dem Leverkusen-Spiel nun die gesperrten Winter und Meywald.


    14. Spieltag Bundesliga

    27. November 2021

    VfB Lübeck – Werder Bremen

    Vorbemerkung:

    Kennen wir da auf der Gegenseite auch jemanden noch im Lübecker Trikot? Jawohl, Marius Holtorf (ST), der aber zunächst nur auf der Bank sitzt. Unsere Bilanz gegen Werder lautet 6-1-3, wobei der erste Sieg vor fünf Jahren im DFB-Pokal zustande kam. Die anderen grünen Hanseaten sind sehr gut in die Saison gestartet, zuletzt aber weniger erfolgreich gewesen, doch als aktuell Fünfter machen sie sich durchaus Hoffnungen auf Champions oder Europa League.


    Aufstellung:

    Elez
    Matthews - Rolff - Negrão - Torosidis
    Labyad - Maiello
    Rildo - Ruckendorfer - Ganz - Deulofeu

    eingewechselt: Trindade Meireles (ZM), Werner (ST), Rasmussen (LV)

    Bank: Albornos, Rüdiger, Marquet, Esswein

    Tribüne: Reus; gesperrt: Meywald, Winter; verletzt: Bonaventura


    Tore:

    1:0 Ruckendorfer (Torosidis) (13.)

    Endstand: 1:0


    Ereignisse:

    :yellowcard: Trindade Meireles (Lübeck), Arnautović (Bremen)

    bester Lübecker: Adam Matthews (1,5)

    Spieler des Spiels: Adam Matthews

    11 Elf des Tages: Trindade Meireles


    Kommentar:

    Wieder ein so knappes 1:0, bei dem man sich nicht traut, sich nicht drüber zu freuen, obwohl Spielwitz und Aggressivität ebenso vermisst werden wie letzten Endes mehr Tore. Das 4-2-4 ist ja nun schon recht offensiv, aber angesichts der sehr stabilen Abwehr sollte Emmo sich meiner Meinung nach doch überlegen, ob er nicht noch mehr Druck über das Mittelfeld erzeugen und so mehr für das Torkonto tun kann.


    Man musste allerdings auch sehen, dass es heute gleich vier 1:0-Siege gab. Torvermeidung war zurzeit anscheinend deutlich mehr in Mode als offener Schlagabtausch. Und umso besser, wenn dann auch noch die unmittelbaren Konkurrenten verloren, denn sowohl die Bayern als auch die Schalker blieben heute ohne Punktgewinn. Das bedeutete, dass der VfB Lübeck nun schon mit elf Punkten Vorsprung von oben grüßte!



    Und die Dortmunder holten sich die nächste Niederlage ab, ohne dass das Konsequenzen auf die Trainerfrage hätte. Mir war gänzlich schleierhaft, was da passierte.


    Zwei interessante Infos gab es dann noch zum Monatsende: Paco Alcacer wurde wieder einmal Fußballer des Monats und das Lübecker Vereinsmuseum hatte doch tatsächlich ein Plus erwirtschaftet: 4.250 Euro betrug der Monatsgewinn.

  • Aber doch kein SUV! Aus dem Alter, wo man mit solchen Statussymbolen rumprotzen muss, sollte Malte doch raus sein. Klein aber fein ist meine Meinung - dann klappt's nämlich auch mit dem grünen Elektriker.


    Hat Malte denn eine realistische Chance, ein Angebot aus Dortmund zu bekommen? Oder müsstest du da ein bisschen nachhelfen? Ich habe immer wieder ausgedrückt, dass ich kein grosser Fan davon bin, wenn Malte woanders aktiv ist, aber den BVB und die direkte Konfrontation mit Emmo fände ich schon auch reizvoll.


  • 291. Teil: Zwischen zwei wegweisenden Telefonaten
    (01.12.2021)


    „Guten Tag, Herr Womerde. Hier spricht Maximilian Bröcker.“


    Äh – wer war das nochmal? Der Name kam mir bekannt vor.


    „Ah, hallo, Herr Bröcker!“ Ganz schnell rief ich auf meinem Tablet die Datenbank Alle Namen des deutschen Fußballs auf. „Was verschafft mir die Ehre Ihres Anrufs?“


    „Tja, ehm … vielleicht können Sie sich das ja denken?“


    Aha, da hatte ich ihn:



    „Nun, zumindest kann ich mir vorstellen, dass der Grund etwas mit Unzufriedenheit zu tun hat“, versuchte ich diplomatisch zu sein. „Unzufriedenheit mit der momentanen Situation Ihres Vereins.“


    „Das ist richtig“, bestätigte er. „Der BVB befindet sich in einer äußerst schwierigen Situation. Wir haben in der Bundesliga drei Spiele in Folge verloren, nur noch zwei Niederlagen sind wir von den Abstiegsplätzen entfernt. International sind wir schon lange nicht mehr dabei, im DFB-Pokal war in der zweiten Runde Schluss. Und ist Ihnen bewusst, wie es sich seit dem Gewinn der letzten Meisterschaft 2011 für uns entwickelt hat?“



    „Als wäre das nicht schon schlimm genug, finden wir uns aktuell auf Platz 13 der Tabelle wieder.“


    Ich schwieg. Eigentlich konnte man dazu auch nicht viel sagen.


    „Was sagen Sie dazu?“, forderte er mich dennoch auf.


    „Tja, Zeit zu handeln, sollte man meinen.“


    „Genau. Und deshalb rufe ich Sie an.“


    Lächerlicherweise musste ich in diesem Moment an Diego denken, an Josip Duvnjak und Steven Defour – die Spieler, mit deren Hilfe ich vor wenigen Tagen die Champions-League-Trophäe nach Dortmund geholt hatte. Im Football Manager 2005.


    „Herr Bröcker“, sagte ich langsam, „ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie in so einem Moment an mich denken…“


    „Wir haben im Vorstand viele lange Gespräche geführt“, unterbrach er mich, „seit Wochen schon. Eigentlich hätten wir den jetzigen Trainer längst in die Wüste schicken müssen. Aber gestern am späten Abend ist die Entscheidung gefallen.“


    Das klang jetzt für mich aber weniger nach einer Frage als nach einer vollendeten Tatsache.


    „Der neue Trainer von Borussia Dortmund wird Malte Womerde heißen.“


    Soso. War doch eigentlich nett von ihm, dass er mich darüber informierte!


    „Äh, Herr Bröcker, das ist natürlich…“


    „Ja, natürlich ist es das. Wenn Sie noch Zeit zum Überlegen brauchen, dann sagen Sie es mir ganz offen. Heute ist Mittwoch. In drei Tagen haben wir den FC Bayern München im Signal Iduna Park zu Gast. Da wollen wir nicht die vierte Niederlage in Folge kassieren.“


    „Ich verstehe Sie ja, aber ich bin gerade 62 Jahre alt geworden…“


    „Na, sehen Sie! Da sind Sie ja klar jünger als ich. Und Otto Rehhagel hat noch mit 75 bei einem Bundesligisten angeheuert.“


    „Der dann auch prompt abgestiegen ist“, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.


    Für einen Moment war er still. Aber ein kurzes, scharfes „Pling“ verriet mir, dass nicht Sprachlosigkeit der Grund dafür war, sondern er hatte mir soeben eine Tabelle geschickt.



    „Sehen Sie, worauf ich hinauswill?“, fragte er dann.


    Na klar, das brauchte er nicht zu erklären. Dortmund hatte die achtstärkste Mannschaft der Liga und lag auf Platz 13, Lübeck dagegen befand sich meilenweit hinter den Bayern und führte dennoch die Tabelle mit elf Punkten Vorsprung an. Aber gleich mit einer Partie gegen den Rekordmeister zu beginnen? Nein, da konnte man unter Garantie nur schlecht aussehen. Und außerdem: was zog mich eigentlich nach Dortmund?


    Höchstens mein Ford Capri, der da immer noch der Werkstatt „Bernd von Burgsmüller“ stand.


    „Tatsächlich werde ich darüber nachdenken müssen“, sagte ich dann. „Eigentlich hatte ich mir geschworen, kein Traineramt mehr zu übernehmen.“ Das war natürlich gelogen, ich hatte nur nicht ernsthaft darüber nachgedacht. „Und zudem braucht meine Familie mich hier in Lübeck.“


    Letzteres war auch nicht wirklich wahr. Von Anita war ich geschieden, Sabrina hatte mich vor Monaten – zum zweiten und endgültigen Mal – verlassen und meine Kinder, soweit sie noch nicht volljährig waren, lebten bei Silvia.


    „So“, sagte Maximilian Bröcker, was auch immer er damit meinen mochte.


    Wenn ich es mir recht überlegte, hatte der BVB eigentlich einen sehr interessanten Kader. Vielleicht hier und da etwas zu alt, aber mit vielen großen Namen und einigen hoffnungsvollen Talenten.



    Selbstverständlich würde man da zeitnah nach Verstärkungen suchen müssen, aber das hielt mich selbstverständlich am allerwenigsten von einer solchen Aufgabe ab. Und ich ging davon aus, dass Borussia Dortmund ein vermögender und attraktiver Club war, zu dem man durchaus starke Spieler aus aller Welt lotsen konnte.


    „Herr Bröcker, ich sage Ihnen was“, begann ich dann, denn ich hatte einen Entschluss gefasst. „Der BVB spielt ja am 18. Dezember gegen den VfB Lübeck. Das ist das letzte Ligaspiel in diesem Jahr, zugleich ist damit die Hinrunde beendet. Ich sage Ihnen zu, dass ich bis nach diesem Spiel meine Tätigkeit für den VfB auf rein bürokratische Tätigkeiten beschränken werde, wenn Sie verstehen, was ich meine.“


    Ich hörte ihn am anderen Ende aufatmen und fragte mich gleich, ob ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt hatte.


    „Gut, Herr Womerde. Ich verstehe. Nur noch eine Frage zum Schluss: Darf ich meinen Präsidiumskollegen von unserem Gespräch berichten?“


    Da konnte ich nun nicht viel dagegen haben, fand ich, vorausgesetzt, es drang nichts nach außen.


    Drei Tage später machte ich mich erneut auf nach Dortmund. Für den Capri bot mir der Werkstattmeister einen Liebhaberpreis, wie er sagte – fahren konnte man damit nicht mehr. Ich handelte ihn noch um 200 Euro rauf, dann verabschiedete ich mich nicht ohne eine leise Träne von dem Gefährt. Und wie vor zwei Wochen saß ich zwei Stunden später zwischen dem Mann und seinen Kumpels, die ich nun schon kannte, im Dortmunder Stadion und brüllte für den BVB.


    Auf den Knien hielt ich dabei mein Tablet, auf dem ich – rudimentär – meiner Aufgabe als Sportdirektor nachkam, das gleichzeitig stattfindende Spiel des VfB Lübeck zu dokumentieren. Nach dem Abpfiff sah das folgendermaßen aus:


    15. Spieltag Bundesliga

    3. Dezember 2021

    FC Carl Zeiss Jena – VfB Lübeck

    Vorbemerkung:

    Zu Beginn Überraschungsmannschaft, jetzt doch eher Abstiegskandidat – gegen die Jenaer ist der VfB natürlich klarer Favorit. Im Sturm rotiert Emmo jetzt anscheinend regelmäßig, diesmal trifft es Ruckendorfer, der zunächst draußen bleiben muss. Die Lübecker Bilanz gegen diesen Gegner: 8 Spiele, 8 Siege, 25:4 Tore.


    Aufstellung:

    Elez
    Matthews - Negrão - Meywald - Torosidis
    Maiello - Winter
    Rildo - Werner - Ganz - Deulofeu

    eingewechselt: Rasmussen (LV), Ruckendorfer (ST), Reus (RA

    Bank: Albornos, Rolff, Trindade Meireles, Labyad

    Tribüne: Rüdiger, Marquet, Esswein; verletzt: Bonaventura


    Tore:

    0:1 Deulofeu (Winter) (26.)

    0:2 Deulofeu (Ganz) (34.)

    0:3 Ganz (Deulofeu) (58.)

    0:4 Deulofeu (Winter) (78.)

    Endstand: 0:4


    Ereignisse:

    :yellowcard: Ganz (Lübeck), Wagner, Trybull, Mancienne (Jena)

    bester Lübecker: Gerard Deulofeu (1,0)

    Spieler des Spiels: Gerard Deulofeu

    11 Elf des Tages: Deulofeu, Ganz, Winter, Maiello

    Spieler des Tages: Deulofeu


    Kommentar:

    Ganz große Show des spanischen Linksaußen! Jena ist harmlos und versinkt nach der Pause gegen den amtierenden Deutschen Meister in tatenlos bewunderndes Zusehen. Berechtigte Frage eines Zuschauers: Warum müssen wir eigentlich Eintritt zahlen, während die da unten kostenlos die besten Stehplätze haben?


    Ich wurde im Signal Iduna Park dagegen nicht mit so vielen Toren verwöhnt. Dabei ging es ziemlich flott los: In der achten Minute traf Altnationalspieler Bastian Schweinsteiger auf Vorarbeit von Arjen Robben zum 1:0 für die Bayern. Aber danach gab es für die Statistiker nur noch Gelbe Karten und Einwechslungen zu notieren.


    „Hallo, Malte – du hier? Was für eine Überraschung!“


    In der Halbzeitpause hatte ich mich aufgemacht, ein Bier holen zu gehen, als ich plötzlich von hinten angesprochen wurde. Verblüfft drehte ich mich um und blickte in ein Gesicht, das mir vollkommen unbekannt vorkam.



    Die Frau mochte Mitte dreißig sein und hatte einen leichten Akzent, den ich nicht gleich einzuordnen vermochte. Obwohl – irgendwie kam mir diese Stimme bekannt vor!


    „Kennen wir uns?“


    Da lachte sie ein sehr herzhaftes, ansteckendes und attraktives Lachen.


    „Du hast mich wirklich nicht erkannt?“


    Ich trat einen Schritt zur Seite, was sofort dazu führte, dass sich die Schlange der am Bierstand Wartenden hinter mir in einer Weise schloss, das ich mich ganz neu würde anstellen müssen.


    „Um ehrlich zu sein: nein.“


    Wieder lachte sie, und auch das war mir irgendwie entfernt vertraut.


    „Das ist sehr gut!“, sagte sie. „Ich habe auch sehr viel Zeit, Mühe und Kosten dafür aufgewendet, dass man mich nicht wiedererkennt.“


    Und da – ganz plötzlich und ohne dass ich hätte sagen können, woher – fiel bei mir der Groschen. Das war ja wirklich schier unfassbar!


    „Ist nicht wahr!“, rief ich überwältigt aus. „Bist du es wirklich?“


    „Ich bin es wirklich.“


    „Du hast dein Äußeres so verändert … damit hätte ich dich niemals erkannt. Und ich wette, deine vorgeblichen Freunde, die vermutlich hinter dir her sind, erkennen dich ebenso wenig!“


    Ich nahm sie spontan in die Arme, und sie erwiderte die Geste auch innig. Schließlich gab sie mir sogar einen flüchtigen Kuss auf den Mund.


    „Aber mach‘ dir keine Sorgen“, sagte sie dann. „Wie ich von guten Bekannten gehört habe, hat man die Suche nach mir aufgegeben. Ich werde wohl nur nie wieder in meine kroatische Heimat fahren können.“


    Ich nickte. Irgendwie muss ich ziemlich dämlich ausgesehen haben, wie ich da stand und nur noch vor mich hin nickte. Und mein Gegenüber versonnen anstarrte. Seit nunmehr über fünf Jahren hatte ich sie nicht mehr gesehen, das war kurz vor der denkwürdigen ersten Begegnung mit dem FC Bayern München gewesen, dem wir ein 0:0 abtrotzen konnten. Und vor meinem bis heute rätselhaften Sturz vom – oder auf dem – Lübecker Petri-Turm.


    „Ich bin ja so unendlich glücklich, dich wiederzusehen, Draggy!“, erklärte ich und wurde vermutlich knallrot.


    Dann kehrten wir gemeinsam auf die Tribüne zurück, meine neuen Bekannten rückten zusammen, um für Draggy Platz zu machen.


    „Das ist Dragica Dadic, eine gute Freundin“, stellte ich sie knapp vor.


    Von dem weiteren Spiel bekam ich nicht sehr viel mit, und sie vermutlich auch nicht. Denn wir redeten ohne Ende, jeder wollte vom anderen wissen, was inzwischen geschehen war.


    „Deine Geschichte habe ich ja zum großen Teil den Medien entnehmen können“, sagte sie. „Und Emmos bemerkenswerten Werdegang.“


    „Tja, er hat mich im Grunde verdrängt. Aber ich muss zugeben, dass er seine Sache sehr gut macht.“


    „Ich finde es nur schade, dass du keinen Managerjob mehr hast. Willst du gar nicht mehr?“


    „Nun, ich bin mir nicht ganz schlüssig. Neulich hatte ich sogar ein Angebot…“


    Plötzlich riss sie ihre Augen ganz weit auf und wandte sich mir ganz dicht zu:


    „Malte, ich weiß, was du machen solltest! Komm nach Dortmund!“


    Ich verkniff mir ein Grinsen.


    „Warum denn ausgerechnet Dortmund?“


    „Weil ich hier wohne. Seit knapp drei Jahren lebe ich in Dortmund, und natürlich bin ich so auch ein eingefleischter Borussia-Fan geworden.“


    „Naja, ich gebe zu, der BVB könnte mal wieder etwas bessere Zeiten vertragen…“


    Jetzt kam ich aus dem Grinsen gar nicht mehr raus. Los, Draggy, dachte ich bei mir, überrede mich! Mach, dass ich morgen bei Maximilian Bröcker anrufe und ihm sage, dass ich den Job übernehme! Doch sie reagierte völlig anders.


    „Du hast recht, das wäre eine undankbare Aufgabe. Vergiss, was ich gesagt habe!“


    Wortlos besahen wir uns das Gekicke auf dem Rasen, bis der Schiri endlich beim unveränderten Stand von 0:1 abpfiff. Dann strömten wir mit den Massen zum Ausgang. Eigentlich hatte ich vor, sie noch einmal auf das Thema anzusprechen, aber irgendwie geschah es, dass wir einander im Getümmel verloren. Auch Bernd, mein Kfz-Meister, und seine Kumpane waren nicht mehr zu sehen. So nahm ich den direkten Weg zum Bahnhof und machte mir mit Entsetzen klar, dass ich überhaupt nicht wusste, welchen Namen Draggy jetzt trug – Dragica Dadic hieß sie aus Sicherheitsgründen bestimmt nicht mehr.



    Am darauffolgenden Donnerstag flog die Lübecker Profimannschaft nach Lissabon, um ihr letztes Gruppenspiel in der Champions League zu bestreiten. Ich für meinen Teil ersparte mir diesen Trip. Es ging um nichts mehr und Geschäftsführer Lennard Heiße gegenüber gab ich vor, mich um wichtigere Dinge kümmern zu müssen.


    6. Spieltag Champions League Gruppe D

    8. Dezember 2021

    Sporting Lissabon – VfB Lübeck

    Vorbemerkung:

    Der Gruppensieg steht bereits fest, so dass Emmo wieder einigen Spielern eine Chance gibt, die sonst eher auf Bank oder Tribüne sitzen. Zur Erinnerung: das Hinspiel in Lübeck endete mit einem recht knappen 2:1. Das Lissaboner Tor hütet der großartige Slowene Jan Oblak.


    Aufstellung:

    Albornos
    Torosidis - Negrão - Meywald - Rüdiger
    Trindade Meireles - Winter
    Reus - Werner - Esswein - Marquet

    eingewechselt: Rildo (RA), Ganz (ST), Rolff IV)

    Bank: Elez, Rasmussen, Maiello, Labyad

    Tribüne: Matthews, Deulofeu, Ruckendorfer; verletzt: Bonaventura


    Tore:

    0:1 Esswein (Winter) (20.)

    1:1 Bojinov (Soares) (33.)

    Endstand: 1:1


    Ereignisse:

    :yellowcard: Rüdiger, Torosidis, Werner, Esswein, Winter (Lübeck), Soares, Serginho, Capel (Sporting)

    Verletzung: Reus (10.), Prellung, 2 Tage

    bester Lübecker: Emmo Winter (1,5)

    Spieler des Spiels: Emmo Winter


    Kommentar:

    Reus muss früh raus, aber zum Glück ist es nichts Schlimmes. Ansonsten läuft das Spiel trotz der zeitigen Führung recht holprig, es gibt viele Gelbe Karten und außer für Emmo nur mäßige Noten. Und Keeper Oblak hält sehr gut.


    Das ungleich wichtigere zweite Spiel der Gruppe entschied AS Rom mit 2:1 gegen Rennes für sich, was die Italiener ins Achtelfinale brachte.



    Ebenfalls in die nächste Runde zogen die anderen deutschen Teams ein: Wolfsburg (hinter AC Milan) und Leverkusen (hinter Barça) als Gruppenzweite sowie die Bayern, die gegen Donetsk, Málaga und Steaua Bukarest wie wir fünf Siege und ein Unentschieden einfuhren.


    Am nächsten Morgen klingelte mein Handy, während ich gerade unter der Dusche stand. Da ich immer für möglich halte, dass es um etwas Wichtiges geht, schlang ich mir nur notdürftig ein Handtuch um und tropfte auf dem Weg ins Wohnzimmer den Teppich voll.


    „Ja?“


    „Hi Malte, Emmo hier.“


    Ich muss sagen, ich freute mich, dass er anrief. In letzter Zeit war es zwischen uns irgendwie ruhig gewesen, fast könnte man sagen: eisig. Vermutlich wollte er jetzt mit mir besprechen, was wir nach dem Weiterkommen in der Champions League planten, vielleicht lud er mich sogar ein, mit ihm nach Straßburg zu fliegen, wo die Auslosung der Achtelfinals stattfinden und im Fernsehen übertragen werden sollte.


    „Hallo Emmo. Wie geht’s, wie steht’s?“


    Einen Moment war Stille.


    „Mir geht es gut, danke. Wo warst du gestern?“


    „Ich…“


    „Und am Samstag?“


    „Da, äh, musste ich mein Auto…“


    „Malte, ich sage dir eins: Wenn ich einen Sportdirektor bezahle, dann dafür, dass er mir zur Verfügung steht. Und nicht dafür, dass er in andere Stadien geht, wenn meine Mannschaft ein wichtiges Spiel hat. Okay, du hast viel für den VfB getan, aber das ist Vergangenheit. Ebenso wie dein Job.“


    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Und er offenbar auch nicht. Wir schwiegen uns eine ganze Weile an, keiner legte auf. Dann kam von ihm schließlich:


    „Mach’s gut, Malte.“


    Das war also das Ende meiner Tätigkeit für den VfB Lübeck. Lächerlicherweise dachte ich im ersten Moment nur: Da wird bei ihm jetzt die Nachricht aufpoppen, dass er mir eine saftige Abfindung zahlen muss.


  • Großes Kino, wirklich großes Kino - wieder mal - nur wo wird es hinführen. Diese und andere Fragen werden wir ihnen beim nächsten Mal beantworten...


    Wenn es denn man so wäre, doch wie man dich kennt, gibt es statt Antworten noch ein paar neue Fragen oben drauf.


    What ever, gut gemacht Alter!

  • Großes Kino, wirklich großes Kino - wieder mal - nur wo wird es hinführen. Diese und andere Fragen werden wir ihnen beim nächsten Mal beantworten...


    Wenn es denn man so wäre, doch wie man dich kennt, gibt es statt Antworten noch ein paar neue Fragen oben drauf.


    What ever, gut gemacht Alter!

    Die ganze Story sollte man verfilmen!

    Siamesen kann niemand trennen.
    Schizophrene sind nie allein.
    Pädophile haben immer Bonbons.
    Und wir hassen Hoffenheim!
    :beer:

  • 292. Teil: Ein Neustart
    (09.12.2021)


    Die Achtelfinal-Auslosung sah ich mir dann im Fernsehen an. Mehrmals fing die Kamera den Trainer und Manager des VfB Lübeck, Emmo Winter, ein. Anschließend äußerte der sich in ein Mikro zu seinem nächsten Gegner.



    „Das ist ein harter Brocken, aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit dieser sensationellen Mannschaft eine reelle Chance haben.“


    Der Journalist fragte nicht nach der Entlassung seines Sportdirektors und früheren Managers. Niemand interessierte sich dafür, nicht einmal Rob Referee. Im Grunde war es das, was mich am meisten wurmte. Und vielleicht gab mir das ja auch den zusätzlichen Impuls dafür, nun eine Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung, die nicht nur Rob Referee wieder zur Feder greifen und über Malte Womerde berichten lassen würde.


    Emmo ließ den Posten des Sportdirektors jedenfalls nicht lange unbesetzt. Schon nach zwei Tagen war mein Nachfolger engagiert. Im Intranet des Vereins, zu dem ich immer noch Zugang hatte – warum eigentlich? Vergessen? – tauchte ein gesichtsloser 44-Jähriger auf, der zwei Fähigkeitspunkte weniger als ich aufwies, dafür aber mit 330.000 Euro 85 Riesen mehr verdiente. Ärgerte mich das? Ja, das ärgerte mich.



    Am Samstag hätte ich mir das Heimspiel gegen den VfB Stuttgart auch dann nicht angesehen, wenn es nicht wegen Nebels verschoben worden wäre. Stattdessen saß ich unter den Dortmund-Fans im Stadion des TSV 1860 München. Die Löwen waren Vierzehnter, der BVB Dreizehnter. Eigentlich ein klarer Remis-Tipp, nur hatten die Weiß-Blauen drei ihrer letzten vier Spiele gewonnen. Beide Clubs hatten jeweils 16 Punkte auf dem Konto, drei mehr als Jena auf dem Relegationsplatz. Es ging also um so etwas wie Abstiegskampf.


    Und wen traf ich dann tatsächlich im Gästefanblock? Richtig, Draggy! Natürlich hatte ich Stillen darauf gehofft, und wirklich, unter den Dortmunder Anhägern erkannte ich sie sogleich. Dann saß sie neben mir und schwang eine schwarz-gelbe Fahne. Zudem wäre ich bis dahin niemals auf die Idee gekommen, dass jemand in einem BVB-Trikot sexy aussehen könnte. Wir feuerten die Gastmannschaft gemeinsam aus voller Kehle an und durften zweimal jubelnd aufspringen.



    Anschließend gingen wir gemeinsam am Marienplatz essen, dann ins Kino – keine Ahnung, was für ein Film lief – und nahmen schließlich ein gemeinsames Hotelzimmer. Über Fußball sprachen wir erst beim Frühstück wieder.


    „Bist du jetzt ein Dortmund-Fan?“, wollte sie wissen.


    „In erster Linie bin ich ein Draggy-Fan“, antwortete ich. „Aber weil es vermutlich das ist, was du wirklich wissen willst: Ich habe gestern Mittag mit Maximilian Bröcker telefoniert.“


    Sie wusste natürlich, wer das war.


    „Soll das heißen, du übernimmst…?“


    Ja, genau das sollte es heißen. Bröcker hatte sein Angebot aufrecht erhalten, auch für den nun eingetretenen Fall, dass Benjamin Inauen in seinem letzten Spiel als Dortmund-Trainer einen Dreier einfahren sollte. Im Gegenteil war der Präsident begeistert zu hören, dass ich nun doch dazu entschlossen war, seinen Verein aus der Misere zu führen. Und auf dem Weg dahin war es immerhin ein erster Schritt, dass mein neuer Club zwar weiterhin auf Platz 13 der Tabelle lag, nun aber sechs Punkte Vorsprung auf die Abstiegszone aufwies.



    „Sechs Punkte auf Platz sechs, sieben bis zur Champions League“, kommentierte Draggy die Tabelle mit der Zeitung in der Hand am Frühstückstisch im Hotel. „Ich würde mal sagen, spätestens im März 2022 befinden wir uns im oberen Tabellendrittel.“


    Für mich war es – von allem anderen ganz abgesehen – ein völlig neues Gefühl, eine Frau an meiner Seite zu haben, die derart fußballbegeistert war. Okay, Margit war auch ein Fan gewesen – aber von Hertha BSC! Mit Draggy verband mich erstmals eine identische Sichtweise auf das, was meinen Lebensinhalt bildete.


    „Früher, wollen wir wetten?“


    Unsere Euphorie war grenzenlos. Zunächst beschlossen wir, dass ich in ihrer Wohnung unterkam, bis ich etwas Eigenes fand.


    „Und weißt du, was überhaupt das Größte ist?“, fragte sie.


    „Was meinst du?“


    „Na, hast du mal geschaut, wer am Samstag unser nächster Gegner ist?“


    Au weia, das war mir ja noch gar nicht so richtig klar geworden: Am letzten Spieltag der Bundesliga-Hinrunde traf Borussia Dortmund auf den VfB Lübeck!


    „Dann werde ich mich mal beeilen, dass ich dann auch wirklich auf der Trainerbank sitze. Und zwar auf der richtigen!“


    Bevor es zum Vertragsabschluss kam, absolvierte der VfB Lübeck noch sein Nachholspiel. Natürlich würde Emmo den Elf-Punkte-Abstand auf die Bayern gern mit einem Sieg wieder herstellen wollen, denn die hatten am Samstag Wolfsburg mit 3:0 geschlagen. Gewinner des Spieltages war ansonsten der FC Schalke 04, der dank eines 2:1 gegen den HSV den Sprung in die Champions-League-Ränge geschafft hatte. Da wollte der heutige Gegner des VfB Lübeck allerdings auch hin.


    16. Spieltag Bundesliga

    14. Dezember 2021

    VfB Lübeck – VfB Stuttgart

    Vorbemerkung:

    Aus alter Gewohnheit erstelle ich auch heute eine Spiel-Karteikarte – zum letzten Mal? Ich schaue mir das Spiel auch im Pay-TV an und werfe den üblichen Blick auf die bisherige Bilanz: Von acht Spielen gegen die Schwaben haben „wir“ sieben gewonnen bei nur einem Unentschieden (27:10 Tore).


    Aufstellung:

    Elez
    Matthews - Negrão - Meywald - Torosidis
    Maiello - Winter
    Rildo - Ruckendorfer - Ganz - Deulofeu

    eingewechselt: Labyad (ZM), Werner (ST)

    Bank: Albornos, Rolff, Reus, Rasmussen, Marquet

    Tribüne: Rüdiger, Trindade Meireles, Esswein; verletzt: Bonaventura


    Tore:

    1:0 Winter (5.)

    2:0 Ruckendorfer (Rildo) (18.)

    3:0 Ganz (Rildo) (27.)

    4:0 Winter (31.)

    Endstand: 4:0


    Ereignisse:

    :redcard: Ganz (Lübeck) :yellowcard: Livermore (Stuttgart)

    bester Lübecker: Emmo Winter (1,0)

    Spieler des Spiels: Emmo Winter

    11 Elf des Tages: ---


    Kommentar:

    Bei einem Zusammenprall von Ganz mit Robert Labus (IV) will Schiri Jansen einen Ellenbogenstoß gesehen haben – lächerlich! So spielt Emmos Mannschaft ab der 73. Minute in Unterzahl, was aber lediglich ein Versiegen der Torflut bewirkt.


    Draggy, die das Spiel in ihrer Dortmunder Wohnung ebenfalls verfolgt hatte, konnte sich über die Fehlentscheidung überhaupt nicht ärgern.


    „Solche Sachen passieren halt“, sagte sie, „und das Gute daran ist: Emmo muss jetzt am Samstag gegen uns auf Ganz verzichten!“


    Mir kam es immer noch fremd vor, wenn sie „uns“ sagte. Aber natürlich hatte sie recht, denn mir spielte der Platzverweis durchaus in die Karten. Und zwei Tage später war es dann so weit: Ich unterzeichnete doch noch einmal einen Trainervertrag.



    So viel hatte ich in meinem Leben nicht annähernd verdient! Zuletzt bei Union waren es 223.000 Euro gewesen. Deshalb versuchte ich auch gar nicht daran herumzufeilschen. Das Pokalziel war nach dem Aus in München in der zweiten Runde natürlich nicht mehr zu erreichen, aber das blieb da von meinem Vorgänger stehen und hatte keine Bedeutung. Die obere Tabellenhälfte der Bundesliga hingegen war das Mindeste dessen, was ich selbst erwartete. So waren Maximilian Bröcker und ich uns sehr rasch einig, und ich startete mit einem Vorstandsvertrauen von 20/20 in meinen neuen Job.


    Nachdem das erledigt war, begab ich mich auf den Trainingsplatz und begrüßte sämtliche Spieler und alle anwesenden Mitarbeiter mit Handschlag und einigen nachdrücklichen Worten, die Zuversicht verbreiten sollten. Tatsächlich konnte ich das aus echter Überzeugung tun, denn ich war mir sicher, dass – auch wenn da keine leichte Aufgabe vor mir lag – gute Aussichten bestanden, die Saison noch einigermaßen erfolgreich zu Ende zu bringen.


    Spät am Abend kam ich nach Hause – und mein Zuhause war jetzt Draggys Mietwohnung im Dortmunder Stadtteil Hombruch. Sie wollte alles ganz genau wissen, doch da musste ich sie auf morgen vertrösten, denn nach diesem Tag war ich ziemlich kaputt. Kaum bekam ich noch mit, wie sie mir vom Ausgang der diesjährigen Wahl des „FIFA World Player“ erzählte, die mir in der Aufregung total entgangen war.



  • 293. Teil: Startvoraussetzungen im neuen Job
    (17.12.2021)


    Viel Zeit blieb natürlich nicht, um die Mannschaft auf das Spiel gegen den Tabellenführer, Titelverteidiger und amtierenden Champions-League-Gewinner vorzubereiten. Zudem gab es daneben ja noch allerlei Organisatorisches zu regeln, und selbstverständlich wollte ich meinen neuen Club mit allem und allen kennenlernen. Dafür stand mir im Grunde nur der Freitag zur Verfügung. Und weil nicht nur auch Draggy sich für alles interessierte, sondern weil ich selbst großen Wert darauf legte, dass sie über alles Bescheid wusste, nahm ich sie überall hin mit. Schließlich – wer weiß! – kann ein Mann in den Sechzigern ja schon mal etwas Wichtiges vergessen, oder?


    Zunächst zu meiner Person: Hatte man mir vor einem knappen halben Jahr, als ich bei Union Berlin ausschied, noch den Managerlevel 7 zugestanden (3939/4000, also beinahe 8), so war ich durch die zwischenzeitliche Untätigkeit in der Bewertung auf Level 6 abgesunken.



    „Na, du alter Hase!“, frotzelte Draggy.


    „Tja, da kannst du mal sehen!“


    „Und das mit den positiven Schlagzeilen kann ich bestätigen. Guck mal hier!“



    Nun ja, wie ein Lobgesang auf mich klang das nun gerade nicht, aber was sollte man auch erwarten? Mehrere andere Agenturen brachten die gleiche Nachricht noch etwas kürzer. Egal, ich würde ohnehin durch Taten und Erfolge überzeugen müssen, das war mir klar.


    Mein erster Weg führte mich – mit Draggy an meiner Seite – zum Geschäftsführer des Vereins, Halil Spikker. Der bat uns Platz zu nehmen und rief über sein Handy die Co-Trainer, den Sportdirektor und den Pressesprecher dazu. Vorzustellen brauchte ich mich nicht, meine sportlichen Erwartungen waren ebenfalls schon bekannt, und so ließ ich mich vorrangig darüber unterrichten, wer hier welche Aufgaben im Verein wahrnahm.


    „Am besten gebe ich Ihnen erst mal einen Überblick, was wir für Mitarbeiter haben“, sagte Spikker, der wie zwei weitere Angestellte als maximal kompetent (99) galt.



    Dass offenbar alle hier noch mit 100 Prozent Motivation am Werk waren, fand ich nicht selbstverständlich. Dagegen gefiel mir nicht so sehr, dass ein paar Angestellte qualitativ deutlich unter dem für einen Spitzenclub erwartbaren Niveau lagen. Doch wollte ich meinen Job nicht gleich mit Entlassungen beginnen.


    „Weshalb haben wir keinen Bauleiter?“, fragte ich.


    „Nun, unsere Bürokapazitäten lassen momentan keine Aufstockung des Personals zu“, war die Antwort.


    Gut, da würde ich demnächst ansetzen. Für mein Empfinden waren keine fünf Scouts erforderlich, und speziell bei Sebastian Kehl schien mir, dass man ihm nach dem Ende seiner aktiven Karriere wohl einen Posten hatte zuschustern wollen. Auf einen hochtalentierten, aber bestenfalls mittelmäßigen Rechtsanwalt konnte ich ebenfalls gut verzichten.


    „Das gilt dann wohl auch für die Leitung des Jugendcamps in Manchester?“


    Das fand ich nun wirklich ein Unding. Wenn man sich schon so eine Einrichtung leistete, dann musste es da auch eine geeignete Führungspersönlichkeit geben und nicht irgendeinen ehrenamtlichen Heini.



    „Finanziell steht der Verein aber doch nicht schlecht da, oder?“


    Auch dazu händigte mir der Geschäftsführer ein paar Unterlagen aus.


    „Geld ist genug vorhanden“, erklärte er, „aber die Budgets könnten für mein Empfinden durchaus mal angepasst werden.“



    Da hatte mein Vorgänger, Mohamed Zidan, wohl ein wenig geschlampt. Das würde ich mir noch genau angucken müssen. Schließlich hatte ich vor, die Mannschaft in der Winterpause punktuell spürbar zu verstärken, und dafür musste es ein angemessenes Transferbudget geben. Schließlich wandte ich mich noch an Julian Frenger:


    „Wie würden Sie denn die Mannschaft aktuell aufstellen, wenn Sie das für das Spiel gegen den VfB Lübeck tun sollten?“


    Dies war seine Antwort:



    Das schwebte mir dann aber doch gänzlich anders vor. Weshalb spielte man mit LM und RM, wenn man gar keine Leute für diese Positionen hatte? Dass es für den Ausfall von Wallace keine Kompensationsmöglichkeit gab, war natürlich ein schweres Versäumnis, aber selbst für eine Dreierkette langte es nicht wirklich. Den angeschlagenen Kagawa durfte man nicht von Beginn an bringen und Kacar gehörte nicht in die Abwehr. Vor allem aber waren drei Feldspieler auf der Bank eindeutig zu wenig.


    „Danke“, sagte ich, „da machen wir noch was. Jetzt würde ich mir gern das Training ansehen.“


    „Selbstverständlich“, buckelte Spikker, „aber zuerst möchte ich Ihnen noch etwas zeigen.“


    Damit war die Versammlung aufgelöst und der Geschäftsführer führte Draggy und mich in mein Büro, das genau so aussah, wie derartige Büros in allen Vereinsanlagen aussehen. Doch zu meiner Überraschung öffnete er eine in der Wand verborgene Tapetentür.


    „Aha – wo führt die hin?“


    „Das ist Ihr ganz persönlicher Trophäenraum!“



    Das Wort „Raum“ war durchaus übertrieben, eigentlich handelte es sich nur um ein Regal, aber ich fand es ausgesprochen rührend, dass man mir hier derart huldigte. Mir selbst war gar nicht wirklich bewusst, dass ich zehnmal Manager des Monats geworden war, und die Trophäe für die Wahl zum Manager des Jahres mussten sie auch irgendwo im Lübecker Vereinsfundus ausgebuddelt haben. Draggy aber hatte von beidem nichts gewusst und drückte mich in den Arm, als wollte sie mir ihren Stolz zeigen.


    Auf dem Trainingsplatz ließ ich die Assistenztrainer gewähren, klatschte nur mal hier und da einige Spieler ab, wenn sie gerade vorbeikamen – kennengelernt hatten sie mich gestern ja schon, mal ganz davon abgesehen, dass ein Malte Womerde doch durchaus jedem Bundesligaspieler ein Begriff war. Überwiegend trainierten erste und zweite Mannschaft zusammen, und so stand für mich ziemlich schnell fest, wer zumindest für morgen den Kader der Profis verstärken sollte.


    „Wie ist die Reserve zuletzt aufgestellt gewesen?“, fragte ich Amateurtrainer Cornelius, und der reichte mir einen Zettel.



    „Okay, danke“, sagte ich und ließ einen raschen Blick darüber gleiten. „Und jetzt schicken Sie bitte die Spieler Taten und Klopp zu mir.“


    Doll war das natürlich auch nicht, aber keinesfalls konnte ich es zulassen, dass morgen mehr als ein Platz auf der Bank frei blieb. Marc Klopp war der Älteste im Team und zugleich der Kapitän, weshalb ich ihn hier nicht lange fehlen lassen mochte, aber als routinierten, wenngleich nicht (mehr) sehr spielstarken Rechtsverteidiger wollte ich ihn morgen zumindest auf der Bank dabei haben. Und mit der temporären Beförderung von Alex Taten (IV) gab ich an alle das Signal, dass es sich für jeden talentierten jungen Spieler lohnen sollte, sich reinzuknien, wenn man mehr wollte als im Mittelfeld der NRW-Liga zu spielen.



    „Ich finde, für deinen ersten Tag hast du eine ganze Menge geschafft“, erklärte Draggy am Abend, als wir einigermaßen erschöpft in ihrer Wohnung ein Glas Wein zusammen tranken.


    Wir, mein Schatz“, widersprach ich, „denn ohne dich wäre ich wahrscheinlich irgendwann zusammengebrochen.“


    Tatsächlich war es recht anstrengend gewesen, alle wesentlichen Vereinseinrichtungen zu inspizieren, den wichtigen Leuten die Hand zu schütteln und einen groben Überblick über alle Zahlen und Daten zu gewinnen.


    „Jetzt sehen wir erst mal, dass wir das Spiel gegen Emmo morgen halbwegs glimpflich über die Bühne bringen. Dann kümmere ich mich um alles Weitere.“


    „Du wirst nach Dortmund ziehen?“


    „Ja, klar. Aber mit der Budensuche lasse ich mir Zeit. Schließlich wollen wir ja etwas richtig Gutes finden, oder?“


    Draggy strahlte. „Du meinst also wirklich, dass wir zusammenziehen?“


    „Wenn du das auch willst?“


    Und wie sie wollte! Am liebsten in einem tollen großen Haus mit ganz vielen Zimmern.


    „Wird dir das nicht zu leer vorkommen, nur für uns zwei?“


    „Wieso nur für uns zwei? In meiner Heimat wohnt eine Familie zusammen!“


    Für einen kurzen Moment bekam ich einen Riesenschreck. Hatte sie womöglich eine große Familie, die dann hier eintrudeln würde mit dem Plan, bei uns unterzukommen? Aber als sie das merkte, lachte sie.


    „Keine Sorge, von meiner Seite hast du nichts zu befürchten! Aber du hast doch von deinen zahlreichen Kindern erzählt, auch wenn ich mir vielleicht nicht immer ganz richtig merken konnte, wer da jeweils die dazugehörige Mutter war.“


    Dann stand sie auf und holte einen Stift und einen großen Zettel. Augenscheinlich hatte sie schon ganz konkrete Vorstellungen entwickelt, wer mit uns in das neue gemeinsame Heim einziehen sollte. Und ich staunte, wie sie sich Namen und Alter so gut hatte merken können – es geht für einen alternden Mann doch nichts über eine Partnerin mit einem perfekten Gedächtnis!



    „Okay, möchtest du es nochmal hören?“


    „Ja, bitte!“


    „Gut, pass auf: Silvia und Simon sind schon erwachsen, ihre Mutter ist Sabrina. Ebenso wie von Lukas, das sind unsere drei gemeinsamen Kinder. Malte war mal so ein … ehm, Fehltritt von mir und heißt mit Nachnamen eigentlich Wessels. Patrick ist der Sohn von Simon, also mein Enkel, aber weil Corinna Simon kürzlich verlassen hat, hat er mich gebeten, ob Patrick nicht zu mir ziehen kann. Silvia hat auch eine Tochter, Leonie (7), aber die lebt bei ihrer Mutter. Und richtig kompliziert wird es dann bei Hertha: Deren leibliche Eltern sind Sabrina und mein früherer Amateurtrainer, dessen Name mir gerade nicht recht über die Lippen kommen will; die hat aber meine Ex-Freundin Margit nach der Geburt in ihre Obhut genommen, und dann wurde sie von Anita und mir aufgezogen, bis vor einiger Zeit Silvia sie zu sich genommen hat. Alles klar?“


    Doch da musste ich feststellen, dass Draggy während meiner Erklärungen mit dem Weinglas in der Hand eingeschlafen war. Naja, es war ja auch ein anstrengender Tag gewesen.

  • Ich war ja nie grosser Fan von Maltes Trainerabenteuern abseits des VfB Lübeck, das sage ich hier glaube ich auch nicht zum ersten Mal. Aber mit den letzten Teilen hast du dich mal wieder selbst übertroffen! Die sind so gut geschrieben, dass sogar ich richtig Lust auf das Engagement in Dortmund bekomme. Bin gespannt, was Emmo dazu meint.


    Schön übrigens, wieder mal einen Überblick über die komplizierten Familienverhältnisse im Hause Womerde zu bekommen. Wobei es mir ähnlich wie Draggy geht, das werde ich noch ein paarmal nachlesen müssen. Ansonsten hege ich ausserdem langsam den Verdacht, dass Malte ein Toupet trägt. Entweder das, er hat wirklich noch keine grauen Haare oder er beschönigt regelmässig sein Portraitbild. Für letzteres würde sprechen, dass sich selbst Falten kaum abzeichnen.

  • Eijeijei da ist ja fast nichts geblieben außer der große Name "BVB". Das wieder aufzubauen dürfte eine Mamutaufgabe werden. Wie alt ist Götze jetzt? 29? Schick die Oldies Kießling, Kuranyi und Co. in Rente und hol dir schnell ein paar Junge Talente. Wie wäre es z.B. mit der Verpflichtung eines Spielers Namens "Winter"?


    Und zeig denen endlich mal in Lübeck das Malte auch Eier hat. Bring das Konstrukt Lübeck zum Einsturz und zwar gründlich.

  • 294. Teil: Dortmund gegen Lübeck
    (18.12.2021)


    Schon beim Frühstück war ich so aufgeregt wie lange nicht. Mein Trainer-Comeback, das erste Spiel, und dann ausgerechnet gegen Emmo und den VfB Lübeck! War ich eigentlich total bescheuert, mir das anzutun? Im Grunde konnte das ja nur schwer danebengehen, auch wenn allseits damit gerechnet wurde, dass die Motivation auf Dortmunder Seite besonders groß war. Selbst Emmo wurde gewarnt.



    „Lass mal“, sagte Draggy kauend mit bewundernswerter Gelassenheit, „erstens ist dir die Anerkennung von allen Seiten sicher, dass du dich an diese Aufgabe ranwagst, und dazu hast du die Sympathie und Unterstützung des Außenseiters gegen den Allesgewinner, den jeder gern mal stolpern sehen will.“


    „Hm, mag sein. Und zweitens?“


    „Und zweitens werdet ihr nicht verlieren!“


    Nun, Draggys Worte in Gottes Ohr! Ich machte mir da nichts vor: Großen Einfluss auf das Spiel meiner Mannschaft konnte ich kaum nehmen. Sie waren so fit und so stark und so gut in Form, wie sie eben waren. Trotzdem war ich natürlich von Beginn an beim Abschlusstraining dabei und sprach mit jedem Einzelnen, um ihn zusätzlich zu motivieren und auf die Rolle einzuschwören, die ich für ihn vorgesehen hatte.


    „Tun Sie Ihr Bestes!“


    Diesen Satz hörte ich heute mehrfach. Sportdirektor Zickler versuchte mich auf diese Weise aufzumuntern, Pressesprecher Andre meinte damit die zu erwartenden Fragen der Presseleute und schließlich steuerte sogar Präsident Bröcker mit diesen Worten auf mich zu.


    „Na klar, darauf können Sie sich verlassen“, war meine Antwort.


    „Die Fans stehen hinter Ihnen und wollen fürs Erste nur sehen, dass Sie sich mit dem BVB identifizieren.“


    Das waren natürlich kaum mehr als gutgemeinte Floskeln. Die letzte Bemerkung des Präsidenten brachte mich allerdings auf einen Gedanken. Schnurstracks ging ich in mein Büro und rief meinen Bankberater an, der zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Ohr für mich hatte. Und um zu beweisen, wie sehr ich mich mit meinem neuen Verein identifizierte, erteilte ich ihm eine unmissverständliche Order.



    Für mein erstes, noch nicht einmal ausgezahltes Monatsgehalt erstand ich 10.000 Dortmund-Aktien, deren Kurs zuletzt ziemlich auf Talfahrt war. Niemand sollte den Verdacht hegen, dass ich nicht an den Erfolg des BVB glaubte!


    Und dann legte ich mir meinen Plan zurecht. Natürlich war es durchaus möglich, dass Emmo damit rechnete, dass ich das Spiel wieder mit dem von mir favorisierten System beginnen würde. Sollte er! Ich hielt meine Mannschaft für fähig, dieses System umzusetzen, hatte die Spieler bereits darauf eingestimmt und die entsprechenden taktischen Weisungen erteilt. Wenn wir eine Chance hatten, dann so!



    Da wir keinen echten ZM hatten, sollte Kacar etwas defensiver agieren und Amini offensiver. Wo wir wirklich schwach besetzt waren, das war rechts hinten und links vorne. Aber Iturbe kannte ich aus Lübecker Zeiten gut genug um zu wissen, dass er durchaus beide Flügel beackern konnte. Und auf der rechten Verteidigerposition, wo Wallace noch sieben Tage ausfiel, setzte ich ganz bewusst nicht, wie vom Co-Trainer vorgeschlagen, Haider ein, sondern den kaum schwächeren Klopp, den ich gerade erst aus der Reserve geholt hatte und der mit seiner Erfahrung viel von dem wettmachen konnte, was ihm an Spielstärke fehlen mochte.


    Und dann ging es los. Das Stadion war zu knapp 90 Prozent gefüllt – fast 82.000 Zuschauer, eine Zahl, von der der VfB Lübeck meilenweit entfernt war! Ich gebe zu, ich hatte etwas weiche Knie, als ich mit Co-Trainer Julian Frenger und den sechs Reservisten den Weg zur Trainerbank zurücklegte. Dann erst reichte man mir die Mannschaftsaufstellung unseres heutigen Gegners.



    Emmo, der Fuchs! Natürlich hatte er gewusst, dass ich damit rechnete, dass er sein übliches 4-2-4 spielen würde. Und genau deshalb tat er es nicht. Was insofern gut passte, als ja Ganz wegen seiner Sperre ausfiel, so dass es durchaus plausibel erschien, mit nur einer Spitze aufzulaufen und dafür das Mittelfeld zu stärken. Drei Personalia überraschten mich aber doch, nämlich dass Torosidis, Rildo und Ruckendorfer zunächst auf der Bank saßen.


    Während die Spieler auf dem Platz auf den Anpfiff von Schiri Walter Ulmer warteten, bemerkte ich, dass einige der Lübecker immer mal zu mir herüberschauten. Einige scheinen sogar zu lächeln oder mit einer leichten Kopfbewegung zu grüßen. Ich beschränkte mich darauf, freundlich dreinzuschauen.


    Wie es Draggy jetzt wohl erging? Irgendwo da drüben im großen Fanblock der Südkurve saß sie, denn die Ehrentribüne – auf der ihr durchaus ein Platz zugestanden hätte – mied sie aus Sicherheitsgründen. Man konnte nie wissen, meinte sie, ob da nicht plötzlich irgendein dubioser Kroate auftauchte, und sei es nur aus reinem Zufall. Sicher hatte sie wieder ihr gelbes Trikot an. Ich erhob mich von meinem Platz, tat ein paar Schritte nach vorn und fuhr mit meinem Blick durch den schwarz-gelben Block. Natürlich konnte ich sie nicht ausmachen. Deshalb hob ich kurzentschlossen einfach so die Hand und winkte aufs Geratewohl zu ihr hinüber. Und war dann über die Reaktion überrascht: zigtausend Kehlen verfielen in frenetischen Jubel, alle Fans erhoben sich von ihren Plätzen und schwenkten ihre Fahnen, Schals und Wimpel und skandierten: „Womerde, Trainergott! Womerde, Trainergott!“


    Ich fand das ein bisschen übertrieben.


    Stefan Kießling und Gary Hooper führten den Anstoß aus. Der Ball rollte zunächst in unseren Reihen, Emmo und seine Männer versuchten zu stören, aber fürs Erste hatte ich das Gefühl, dass deren ungewohnte Formation noch zu Abstimmungsproblemen führte. So überstanden wir die ersten zehn Minuten ziemlich souverän und erspielten uns, wenn auch keine Chancen, so doch ein wenig Sicherheit.


    Das erste Tor der Partie entstand dann aus einer Nachlässigkeit der Abwehr – und zwar der VfB-Abwehr! Meine beiden Ex-Lübecker kombinierten schnell und sicher, Iturbe (LA) passte von links an den Fünfmeterraum, wo Kacar (ZM) viel wacher war als Meywald (IV) und den Ball mit der Fußspitze unhaltbar für Elez (TW) ins Tor lenkte (14.). Riesenjubel - wir führten mit 1:0!


    Leider hielt unsere Führung nicht lange. Zwei Minuten der Unaufmerksamkeit war es zu verdanken, dass der Gegner das Spiel drehte. Erst brachte Labyad (OM) mit einer weiten Kopfballvorlage Werner (ST) in Position, der mühelos einschob (32.), und sechzig Sekunden später hebelte Emmo (ZM) unsere Abseitsfalle aus, um schließlich Sommer (TW) keine Chance zu lassen (33.). Beide Male sah unsere Abwehr nicht gut aus.


    Für die verbleibenden sechzig Minuten war es ein ausgesprochen spannendes, hochklassiges Spiel. Wir hatten 49 Prozent Ballbesitz, allerdings deutlich weniger Chancen als Emmos Team, die die aber nicht zu nutzen vermochten. Ganz anders Gojko Kacar (44.): kurz vor der Pause leitete Amini (ZM) einen blitzschnellen Konter über links ein, passte etwas ungenau in die Mitte, aber trotzdem gelang es Kacar, den Ball am herausstürzenden VfB-Keeper vorbeizulegen – 2:2!


    In Halbzeit zwei ging es unverändert engagiert weiter. Beide Seiten wechselten dreimal aus: Ich brachte Kagawa (LA), Kuranyi (ST) und kurz vor Schluss Schwab (DM), auf Lübecker Seite kamen Rolff (IV), Torosidis (RV) und Ruckendorfer (ST). Eine Änderung des Spielstandes brachte das aber nicht mehr mit sich.



    Nach dem Abpfiff konnte ich mich vor Gratulanten kaum retten. Dabei hatten wir doch nur einen Punkt geholt und blieben auf Platz 13. Aber allgemein wurde dieses Unentschieden als mein persönlicher großer Erfolg gewertet (und der Erfolg des Präsidenten, der mich zum BVB geholt hatte), der allgemein die Zuversicht zu verbreiten schien, dass es ab jetzt mit dem Verein bergauf ging.



    Emmo tat der Punktverlust nicht weh, da die Bayern in Stuttgart ebenfalls nicht über ein Remis hinauskamen. So wurde der VfB Lübeck mit zehn Punkten Vorsprung Herbstmeister (vor einem Jahr waren es nur drei Punkte gewesen). Zur Vervollständigung der Statistik: der Borusse Tasci (IV) hatte die einzige Gelbe Karte des Spiels erhalten, beste Spieler ihrer Teams waren Timo Werner und Gojko Kacar (jeweils 2,0), wobei Letzterer auch als Spieler des Spiels ausgezeichnet wurde. In die Elf des Tages kam kein Dortmunder und kein Lübecker.


    „Es war großartig!“, schwärmte Draggy am Abend, als wir ermattet in die Sessel ihres kleinen, gemütlichen Wohnzimmers fielen. „Du hättest die Fans mal hören sollen: Alle glauben jetzt, dass der BVB noch einen Platz in der Europa League erreicht, wenn nicht sogar in der Champions League!“


    Aber so sehr ich mich auch freute und den Abend mit Draggy genoss, wurde ich doch ein wenig melancholisch. Zum ersten Mal hatte ich gegen die erste Mannschaft des VfB Lübeck gekämpft, und irgendwo tief drinnen war ich sogar froh, dass es unentschieden ausgegangen war. Emmo, die Lübecker Spieler und alle Vereinsmitarbeiter fehlten mir, Tramp fehlte mir und mein Haus, das Country Cottage, ebenfalls. Es war gar nicht so einfach, von einer Woche auf die andere von einem Lübecker zu einem Dortmunder zu werden.

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