Der gestrige Tag hatte mich mental ziemlich gefordert. Einfache Entscheidungen, wen man für neue Spieler opfert gab es nicht. Wie beim Mikadospielen galt es ein Stäbchen nach dem anderen zu ziehen - respektive einen Spieler entlassen - und hoffen, dass das Gebilde nicht in sich zusammenfällt. Jedwede Entscheidung würde ab jetzt auf mich zurückfallen. Denn ich war letztlich dafür verantwortlich. Dementsprechend unruhig hatte ich vor dem ersten Training, welches ich leiten sollte, geschlafen. Neben diesem Training sollte die Entscheidung, wer den Verein verlassen sollte, dem oder denjenigen Spielern von mir persönlich mitgeteilt werden. Alles in allem keine guten Zutaten um ruhig zu schlafen.
Gerädert wachte ich schließlich um ca. 7 Uhr 30 morgens im Bed & Breakfast auf. Die morgendliche Szenerie wiederholte sich. Mehr umnachtet als wach ging ich ins Bad, putzte meine Zähne und musste feststellen, dass wieder einmal eine Rasur fällig geworden war. Mehr schlecht als recht quälte ich mich zu einer anständigen Rasur, um mich dann in den Frühstücksraum zu begeben. In meinen ersten Tagen musste ich dieses englische Frühstück verdrücken. Mittlerweile hatte ich meiner Gastgeberin und deren Sohn bereits deutlich machen können, dass abgesehen von einer Tasse heißer Schokolade ich kein Frühstück benötigen würde. Eines war heute jedoch anders. Auf meinem Platz befand sich eine Ausgabe des Gloucestershire Echo.
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Für mich galt das Sprichwort „Morgenstund hat Gold im Mund“ nicht. So nahm ich als erstes „Teacher, 43, dies in garage smash“ wahr. Tat mir für den Lehrer und seine Familie wirklich leid, aber warum diese Ausgabe auf meinem Platz lag erschloss sich mir auf den ersten Blick nicht. Bis ich es checkte vergingen noch einige Sekunden, aber dann war ich auch geistig wach: „Österreicher wird Trainer bei den Tigers“. Außenstehende haben wohl bemerkt wie es in meinem Kopf vor Gedanken zu rattern begann. Ein Portrait über mich. Zur Amtseinführung bei City. Wow! Ich war Thema in einer Zeitung. Eine Premiere! Ein mehrseitiges Portrait noch dazu. Jetzt war ich wirklich stolz, aber bereits die Art und Weise wie ich zu meinem Posten gekommen war, lehrte mich hinsichtlich dieses Artikels vorsichtig zu sein.
In den vergangenen Jahren hatte ich bei meinem Lieblingsverein immer die Neuigkeiten rund um einen Trainerwechsel verschlungen und noch so jedes unwichtige Detail in mich aufgesaugt. Nun war ich das Thema in Gloucester. Auf drei Seiten wurde ein Portrait über mich und meinen Hintergrund gebracht. (Wie die wohl an die Infos gekommen waren? Mich hatte niemand befragt.) Für mich ergab sich nichts Neues, aber es war allemal interessant zu lesen, dass ich 31-jährig, ledig und fußballverrückt sei. Zudem wurde ausführlich über mein Mathematik- und Geschichtestudium geschrieben.