Kapitel 1: Der Rauswurf
Es durfte eigentlich alles gar nicht wahr sein. Zu jung, hieß es, man nimmt Sie nicht ernst, hieß es, wir sind zu höherem berufen, hieß es, na vielen Dank auch.
Einige hundert Meter weiter stieg eine riesige Aufstiegsparty, und ich, der Macher, der Planer, derjenige, der unseren Verein nach oben geführt hat, wurde vom Hof gejagt.
Arne: "Was soll das? Wo willst du hin?"
Henning: "Weg hier, siehst du doch, die brauchen mich ja nicht mehr. DAS IST ALSO DER DANK?!? IHR KÖNNT EUCH EUREN MISTVEREIN IN DEN ALLERWERTESTEN SCHIEBEN, HABT IHR DAS VERSTANDEN???"
Arne: "Henning, jetzt warte doch mal...das haben die bestimmt nicht so..."
Henning: "Das haben die genau so gemeint, undankbares Pack."
Arne: "Geht das schon wieder los...kommst du jetzt zurück, oder was soll das werden?"
Henning: "Vergiss es. Der einzige Weg, den ich jetzt gehe, ist zu Frank in die Kneipe. Und entweder du kommst mit, oder du kannst schön zurück zu diesen heuchlerischen..."
Arne: "Man man man Henning, das ist doch auch keine Lösung..."
Henning: "Du hast leicht reden, du hast solche Probleme ja nicht, du kannst da nicht im geringsten mitreden, also was soll das überhaupt?"
Arne: "Das frag ich dich, was das alles soll...ein ganzes Jahr einfach so wegwerfen. Ja, wegwerfen, du wirfst deine Karriere weg mit deinem Gehabe, und meine noch dazu!"
Henning: "Ich habe durst!"
Arne: "Was hat das denn jetzt damit..."
Henning: "Was ist? Willst du hier draußen wie eine Litfaßsäule rumstehen? Erstmal einen trinken..."
[Blockierte Grafik: http://www.schmidtskneipe.de/tl_files/Bildergalerie/Theke.jpg]
So war Arne eben. Wenn ich dran denke, wie unsere erste Begegnung verlaufen ist, damals im Spätsommer 1990, schon kurios, dass wir 22 Jahre später zusammen in Frankies Kneipe saßen, obwohl unser Start in die Freundschaft ein denkbar schlechter gewesen war.
Im Gegensatz zu mir filigranem, offensivem Fliegengewicht war Arne als Spieler eher ein bulliger Verteidiger, und schon 1990 waren erste Ansätze davon deutlich zu sehen. Mein Vater hatte mich in einer Art weltmeisterlicher Euphorie beim Fußballtraining angemeldet, und beim ersten Mannschaftstreffen der G-Jugend passierte es.
Unser Trainer war Herr Schmidkte gewesen, ein knorriger, älterer Herr aus dem Schwäbischen, der stets mit der Pfeife im Mund, uns Kinder oftmals ein ums andere Mal über die Laufbahn scheuchte. Damals war Fußball noch Athletiktraining mit Ball, und so kannte ich über die Jahre bald jedes einzelne Körnchen rotes Granulat der Laufbahn persönlich.
Es versteht sich von selbst, dass ich davon alles andere als begeistert war, aber die Vorfreude auf das Trainingsspiel, das stets nach dem Lauftraining stattfand, ließ mich diese Art der körperlichen Ertüchtigung ein ums andere Mal überstehen.
Heute würde man natürlich die Hände überm Kopf zusammenschlagen, aber damals sah das Training in den Jugendmannschaften der umliegenden Dörfer nicht gerade anders aus, als bei uns. Selbst mein allererstes Fußballtraining lief nach diesem Schema ab, und als nach schier endloser Lauferei endlich die Mannschaften zum Trainingsspiel eingeteilt wurden, konnte ich noch nicht ahnen, dass dieses Trainingsspiel nahezu mein komplettes weiteres Leben beeinflussen würde.
Nominell spielte ich zentral im Angriff, doch die kindliche Herumwuselei bei solchen Trainingsspielen machte natürlich alle Positionseinteilungen nahezu sinnlos.
Arne war natürlich als Verteidiger eingeteilt, vom Trainer selbstredend mehrmals ermahnt, unter keinen Umständen auch nur irgendjemandem mit rotem Band um den Oberkörper passieren zu lassen.
Dass er sich schon damals Traineranweisungen sehr zu Herzen nahm, bekam ich schmerzhaft zu spüren, als Arne mir unverhofft mit beiden Beinen voran ins Geläuf sprang, nicht ohne danach zu bemerken, dass das der Buchwald im Fernsehen doch auch immer so machen würde.
Kurzum, ich lag am Boden, flennte und durfte mir von Herrn Schmidkte noch ein herzliches "Mensch Karger-Junge, wir haben den Rasen heute schon bewässert!" anhören, während Arne sich keiner Schuld bewusst war, und entspannt in Richtung Kabine schlenderte.
Das war sozusagen der Startpunkt, und seitdem sind wir fußballerisch und auch abseits des Platzes fast zu einer Einheit verschmolzen, was bei Arnes Frau meist nur ungläubiges Kopfschütteln auslöste. Immerhin hatte Arne eine Frau, ich war abgesehen von kurzzeitigen Romanzen beim weiblichen Geschlecht bisher weit weniger erfolgreich gewesen.
Und während ich noch über die Gründe dieses Umstandes nachdachte, riss mich Arne aus meinen Gedanken rund um Fußball-Jugend und Frauen:
Arne: "Sorry dass ich vorhin so ausgeflippt bin. Bei mir läuft doch auch alles bescheiden in letzter Zeit...Bierchen?"
Henning: "Aber ein großes! Mal wieder Streß mit Wellmann?"
Arne: "Nee, Lydia."
Wenn Arne überhaupt mal mit irgendjemandem Probleme hatte, dann meist mit seinem Chef Herrn Wellmann oder seiner Frau, und er konnte mir bis heute nicht beantworten, welcher Streß eigentlich der schlimmere war.
Henning: "Schon wieder? War da nicht letzte Woche schon mal wieder alles vorbei?"
Arne: "Mach dich nicht lustig. Dieses Mal meint sie es wirklich ernst."
Henning: "Mensch Arne, wie lange seid ihr jetzt schon zusammen?"
Arne: "Das müssten mittlerweile fast 12 Jahre sein. Genau, mit 15 haben wir uns kennengelernt. Tja und jetzt..."
Henning: "Alter, das renkt sich schon wieder ein. Du weißt doch, Lydia ist schnell mal auf 180."
Arne: "Sie hat mich heute morgen rausgeschmissen, mir den Schlüssel abgenommen und danach über die Straße gebrüllt, dass ich mich ja nicht wieder blicken lassen soll."
Henning: "Was hast du denn angestellt? Mit den Fußballschuhen in die Wohnung gerannt? Den Fernseher mit fettigen Fingern angefasst?"
Arne: "Wir haben uns doch schon seit ewig auseinandergelebt. Du bekommst das in deiner Blase natürlich nicht mit. Ich bin also gerade ortsungebunden."
Henning: "Soll heißen du musst mal wieder bei mir wohnen? Verstehst du jetzt, warum ich überzeugter Single bin? Mir kann das nicht passieren."
Arne: "Ist ja auch nicht für lange, Henning. Außerdem, warst du es nicht, der sich letztes Wochenende im Biergarten noch lauthals beschwert hat, dass sich eh keine Frau für ihn interessiert? So viel zum Thema überzeugter Single..."
Henning: "Naja, ich kann dich ja nicht auf der Straße sitzen lassen. Trotzdem, mich kotzt das alles an hier. Immer dasselbe, ich kenne hier doch jeden Pflasterstein, ich glaube, ich brauche mal Urlaub."
Arne: "Ja, ein bisschen rauskommen wäre schon nicht schlecht. Aber was willst du machen? Großartig was leisten kann ich mir gerade nicht."
Henning: "Ich hab noch ein bisschen was gespart..."
Arne: "Sparen? Ist für mich ein Fremdwort...Lydia braucht dies, Lydia braucht das, da bleibt doch nichts über."
Henning: "Jetzt mach dir nicht ins Hemd, ich krieg das schon hin. Wir brauchen nicht mal ein Hotel, warte mal..."
Arne: "Deinen Rucksacktouristenmist per Anhalter kannst du dir in die Haare schmieren, Henning. Ich habe dir schon x-mal gesagt, das ist nichts für mich."
Henning: "Jetzt warte doch mal, ich mache da schon was für uns klar. Wozu hat man denn Verwandte..."
Arne: "Du hast Verwandte? Davon habe ich in den letzten 15 Jahren aber kaum was mitbekommen."
Henning: "Ach der Herr möchte lieber ein Hotel bezahlen? Kein Problem, ab 4,5 Sterne bin ich dabei..."
Arne: "Witzbold."
Ich setzte mich also erstmal intensiver mit meinem Telefon auseinander:
[Blockierte Grafik: http://up.picr.de/29240331rf.png]
Henning: "Alles klar, wir sind herzlich eingeladen. Hast du einen Reisepass dabei?"
Arne: "Reisepass?!"
Henning: "Ich buche mal unseren Flug."
Arne: "Flug?! Bist du wahnsinnig geworden? Henning, jetzt mach keinen Mist!"
Henning: "Ich ziehe das jetzt durch, ich verschwinde von hier! Ich muss mal hier raus."
Arne: "Erde an Henning Karger, hallo?!"
Henning: "Frankie, ich zahl dann mal meinen Deckel, und ruf uns ein Taxi. Wir sind mal für ne Weile verreist."
Arne:: "Bist du irre? Wir haben nichtmal Gepäck dabei! Wo geht es überhaupt hin?"
Henning: "Das erfährst du noch früh genug. Los jetzt, sonst wachsen wir hier fest."
-----------
Und damit herzlich Willkommen zu meiner ersten "echten" Story, in der ich all die gestalterischen Elemente ausleben möchte, die in meiner Kirchheim-Shortstory qua definitionem nicht vorkommen können.
Die Kirchheim-Story läuft natürlich trotzdem weiter, während wir hier den Weg von Henning und Arne beleuchten werden, zwei Newcomern im Fußballgeschäft.