PROLOG
Da saß ich nun. Am Tresen der Bar des Restaurants "Theo" in der Stadt Trier mit Blick auf die Porta Nigra. Ich schwenkte ein Glas meines Lieblingsrums Mulata de Cuba, aber zum ersten Schluck konnte ich mich bisher nicht hinreißen lassen.
"Du sitzt hier schon 'ne ganze Weile und hast noch nicht einen Schluck genommen. Muss wohl ein echt schlechter Tag gewesen sein, was?", fragte mich Antonio, der Besitzer.
Gerade als ich antworten wollte, setzte sich ein verhüllter Mann mit Fedora, Sonnenbrille und Trenchcoat neben mich und stellte die gleiche Frage: "Schlimmer Tag, was?"
"In der Tat...", antwortete ich leicht irritiert, "... so ist das, wenn man sich an seine Ideale hält." Und plötzlich kippte ich mir meinen Drink auf einmal in die Kehle.
"Darf man fragen, was passiert ist?"
Ja was war eigentlich passiert? Das ganze begann einen Tag vorher, am 29.06.2012. Ich arbeitete für den Trierischen Volksfreund. Eine lokale Zeitschrift. Ich wurde ins Büro des Chefs beordert.
"Wissen Sie was, Waldrichter? Sie werden uns diese Schlagzeile besorgen!".
Ich stand wie erstarrt da. Das konnte er nicht ernst meinen. Er verlangte von mir, dass ich mich als Trainer ausgebe, um bei den Auswahlgesprächen für die neue Saison anwesend zu sein. Der Plan meines Chefs war es, die Namen zu erfahren, um dann in einem Artikel über den zukünftigen Trainer zu spotten. Es war davon auszugehen, dass es kein großer Name werden würde. Seit Jahren hängt der SV Eintracht Trier 05 in der 4. Liga, um genau zu sein der Regionalliga Südwest. Und obwohl die ganze Stadt fest damit gerechnet hatte, dass der Aufstieg gelingt, wurde es auch dieses Mal wieder nichts. In 2 Tagen sollte die neue Saison beginnen und es gab noch keinen neuen Übungsleiter. Und so deprimiert wie die Fans nach dem Nichtaufstieg waren, würde so ein Artikel die Lager weiter spalten.
"Chef, ich bitte Sie. Das kann ich nicht machen. Ich weiß Sie sind Fan von Saarbrücken, aber das geht nicht!"
"Und wie das geht, lieber Waldrichter! Wenn Sie es sich nicht tun, dann werde ich Sie feuern! Und ich wüsste nicht, wer Sie nach so vielen Entlassungen noch nehmen sollte."
Da war etwas dran. Eigentlich war ich auch kein Journalist. Eigentlich war ich Marketingberater in dem Büro meines Vaters bis dieses vor 3 Jahren schließen musste. Danach war ich Tellerwäscher, Kellner, Putzkraft und habe mich auch - nach dem ein oder anderen Glas Rum zu viel - als Autor versucht. Jetzt wieder entlassen zu werden, wäre so langsam mein Ende. Auch aus finanzieller Sicht. Aber die Eintracht hintergehen? Das ist mein Verein. Meine Stadt! Davon mal abgesehen ist das auch ohne Fussballbezug völlig verwerflich.
"Hier nehmen Sie diese Bewerbungsmappe für den Fall der Fälle. Und nun verschwinden Sie aus meinen Augen!", winkte mein Chef ab und Griff zum Hörer um mit einem anderen Redakteur zu telefonieren. Am Folgetag sollten die Gespräche zwischen 10.00-15.00 Uhr stattfinden. In dieser Zeit hielt ich mich jedoch im "Theo" auf. Die Gespräche mussten schon seit einer Weile gelaufen sein.
"Also haben Sie es nicht gemacht?", fragte mich der Fremde im Trenchcoat.
Natürlich nicht. Aber was bringt es mir mit diesem Kerl darüber zu reden? Immerhin bin ich ab Morgen arbeitslos. Mehrere Anrufe aus der Redaktion hab ich bereits ignoriert. Aber aus Höflichkeit schüttelte ich wenigstens den Kopf.
"Haben Sie denn mal trainiert? Oder selber gespielt?", fragte der Fremde weiter.
Ich griff zum Volksfreund, die vor mir lag und fragte: "Haben Sie schon gelesen, Katie Holmes und Tom Cruise haben sich getrennt! Kaum zu glauben, was so auf der Welt passiert."
Ok, zugegeben. Nicht grade mein smartester Einfall, aber mir war wirklich die Lust vergangen, weiter darüber zu reden.
"Markus hier hat mal in der Jugend der Eintracht gespielt, deswegen liegt ihm der Verein auch so am Herzen! Und er war auch mal Jugendtrainer beim SV Trier-Irsch 1948.", mischte sich plötzlich Antonio mit ein, während er mir einen weiteren Drink eingoss.
"Danke Antonio, dass du mir hilfst das Thema zu wechseln...", sagte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue und mit genervtem Unterton. Nunmehr konnte ich den nächsten Schluck aus meinem Drink kaum erwarten.
"Markus Waldrichter also, hab ich das richtig verstanden?", der Mann stand auf, legte sein Sonnenbrille ab, drehte sich zu mir und reichte mir die Hand. "Wenn Sie Interesse haben, dann würde ich mich freuen, wenn Sie morgen einen Vertrag als Cheftrainer der SV Eintracht Trier 05 unterschreiben!"
Geschockt drehte ich mich zu ihm. Ohne die Sonnenbrille erkannte ich den Mann plötzlich. Das war der Präsident der Eintracht, Daniel Adlung!
"Herr Adlung! S-S-Sie nehmen mich doch auf den Arm?! Das können Sie doch nicht machen! W-W-Wieso denn ich?", fragte ich leicht stotternd, noch völlig geschockt von der Situation.
"Offensichtlich tragen Sie das Herz am richtigen Fleck und in diesem Herz brennt das Feuer für die Eintracht. Und trotz Ihrer vermutlich geringen Erfahrung als Trainer, wären Sie wohl nicht schlechter als die ganzen Kandidaten, die wir alle heute wieder weggeschickt haben. Sie sind doch ab morgen arbeitslos nehme ich an? Dann steht dem ja nichts mehr im Wege!", lächelte mir Daniel Adlung beruhigend entgegen. Mit seinen 67 Jahren strahlte er eine Gelassenheit und Zuversicht aus, dass sich meine Zweifel schnell verflüchtigten. Zudem war er ein Mann, der seine Versprechen hält. Das wusste man in der ganzen Stadt. Das einzige Versprechen, dass er bisher nicht halten konnte, war der Aufstieg der Eintracht. Doch wenn er mir diese Chance geben sollte, wäre ich bereit alles dafür zu geben, dass er auch dieses Versprechen einhalten kann.
Ich schlug ein und konnte nicht mehr aufhören zu lächeln. Ich blickte aus dem Fenster und betrachtete die Porta Nigra.
Das wird mein Neustart.