23. Wohin?
(08.07.2023)
Okay, ich gebe zu: auf die nächsten zwei Monate war ich von Beginn an vor allem deswegen gespannt, weil ich mir so dachte, vielleicht ist man schon woanders auf mich aufmerksam geworden. Nachdem Roberto Mancini von mir weiß, könnte er mich ja eigentlich auch schon mal für die squadra azzurra in Betracht ziehen, oder? Also, ich meine: für die vera squadra azzurra! Denn was da aktuell an Stürmern im Aufgebot steht, ist nun auch nicht sooo überzeugend:
Überhaupt wird der Kader allgemein als überaltert angesehen. Die Hälfte der Spieler ist über dreißig, nur Gianluca Boscolo (OM, 23), Francesco Sacenti (TW, 24) und Paolo Minardi (RM, 25) sind jünger als 26. Bis zur nächsten Weltmeisterschaft 2026 dürften die meisten gar nicht mehr dabei sein, und auch zur EM im nächsten Jahr wäre die Aufnahme ein paar jüngerer Talente sicher keine schlechte Idee.
Beim Club war am 1. Juli nicht vieles anders als am Ende der alten Saison. Auch wenn es da anscheinend unterschiedliche Ansichten gab.
Ich und Linksaußen? Mai e poi mai! Ich bin ein reiner Rechtsfuß und könnte mit links nicht mal einen leeren Eimer umtreten! Aber dieser Adrian Pisot ist mir, glaube ich, sowieso nicht so richtig wohlgesonnen. Meine LA-Stärke liegt übrigens bei 47, das nur so am Rande…
Ach ja, ein paar wichtige personelle Veränderungen gab es auch: Stéphane M’Bia (ZM) hat uns verlassen. Er war schon 36 und mit einer Spielstärke von 67, Tendenz abnehmend, ohne echte Perspektive im Team. Stéph ging auf eigenen Wunsch. Und wir haben zwei Neue im Team:
Die beiden Marceli kosteten den Club keinen Centesimo. Metzelder (25) kam ablösefrei vom VfL Bochum und Ruprecht (18) aus der eigenen Jugend. Das heißt, so ganz gratis war der nicht, denn der Chef hatte ihn gerade erst vor einer Woche vom FC Barcelona losgeeist und ihm dann gleich einen Profivertrag angeboten. Egal, er ist auf jeden Fall ein super Typ und eine echte Verstärkung für unsere Abwehr. Damit sah unser Kader zum Saisonbeginn also so aus:
Wer von euch jetzt richtig aufgepasst hat, dem ist sicher aufgefallen, dass noch zwei fehlen: Alexander Schwolow (TW) hat mit 31 sein Karriereende erklärt und war mit seiner Spielstärke von 51 auch keine geeignete Nummer zwei im Tor mehr. Da haben wir selbst in der A-Jugend bessere Keeper. Und Robert Mak (RA) wurde in die zweite Mannschaft versetzt, wo jetzt mein Kumpel Alessandro Fiorotto (IV) mit seiner 62-er Stärke zu den Besten zählt.
Für das Mittelfeld muss nun natürlich Ersatz her. DM, ZM oder OM ist eigentlich egal, der Chef passt das sowieso jeweils an. Weil aber der Transfermarkt nichts Brauchbares hergibt, hat er erstmal die Scouts Hanno Flender und Nicolas Fromlowitz losgeschickt. Und auch auf dem linken Flügel sollte sich am besten noch was tun.
Die Stimmung im Team hielt ich übrigens eigentlich für gut, bis dann eine Schlagzeile im Kicker für Aufregung sorgte.
Was hat Javier sich dabei bloß gedacht? Ich weiß es nicht und will es auch gar nicht wissen. Ich mache mein Ding. Der Trainer und unser capitano hatten danach jedenfalls erst mal Redebedarf.
Am 4. Juli kam dann prompt der nächste Neuzugang:
Max ist 25 und hat eine Grundstärke von 72. Zweieinhalb Jahre spielte er beim VfB Lübeck, mit dem er auch Deutscher Meister wurde, aber da wollten sie ihn wohl nicht mehr haben, so dass er aktuell vereinslos war. Er kam dann auch gleich ins Trainingslager Donaueschingen dazu, wo wir seit Samstag für eine Woche sind. Da gab es am Mittwoch unser erstes Testspiel der Saison.
Die Münchner „Löwen“ stehen seit Mitte der 1960-er im Schatten des Stadtrivalen Bayern München, aber jetzt sind sie immerhin die sechste Saison in Folge erstklassig, auch wenn sie zuletzt mit Platz 15 den Abstiegsrängen nur knapp entgangen sind.
In dem Spiel waren wir von Beginn an überlegen und nach acht Minuten machte ich auf Vorlage von Martínez das 1:0. Aber schon nach gut zwanzig Minuten konnte der Gegner nach einer Ecke ausgleichen. Kurz vor der Pause spielte mir Simons (ZM) den Ball sehr schön mit der Hacke zu und mein Schuss wurde von einem Abwehrspieler noch unhaltbar abgefälscht. 2:1 zur Pause.
Im Verlauf der zweiten Hälfte wurden sämtliche Spieler von der Bank eingewechselt, ich durfte aber auf dem Platz bleiben. So erzielte ich noch ein drittes Tor, das aber zu Recht wegen Abseits nicht anerkannt wurde. Am Ende durften wir uns freuen, einen Bundesligisten mit 2:1 geschlagen zu haben. Unsere Neuen fügten sich gleich gut ein: Metzelder (TW) und Ruprecht (IV), die von Beginn an spielten und nach einer Stunde ihren Platz räumten, ebenso wie Marquet (LA), der gleich nach dem Seitenwechsel kam.
Und jetzt sitze ich hier in meinem Zimmer im Trainingslager Donaueschingen, das ich mit Turhan Algür teile, und bin total durcheinander. Morgen früh geht es zurück nach Nürnberg und ich frage mich, ob ich wohl gerade mein letztes Spiel für den Club gemacht habe. Denn gestern gab es gleich drei Anfragen:
„Was würdet ihr machen?“, habe ich Turhan, Joel und Thomas beim Abendessen gefragt.
„Also, Gladbach scheidet schon wegen der Summe aus“, meinte Thomas. „Einskommaneun, das ist ja wohl eine ziemliche Frechheit!“
„Ich würde Mönchengladbach ja aus zwei anderen Gründen streichen“, sagte Joel. „Erstens“ – und dazu grinste er mich an – „weil sie dieses O-Umlaut im Namen haben und zweitens weil sie diese Saison nicht international spielen.“
„Das stimmt“, pflichtete Turhan ihm bei, „Werder und Stuttgart sind ja in der Europa League dabei. Das solltest du dir unter keinen Umständen entgehen lassen!"
Das war natürlich ein wichtiger Aspekt. Ich lud mir gleich nochmal die Abschlusstabelle der Vorsaison aufs Handy:
Viel lieber wäre es mir ja gewesen, wenn es auch ein Angebot aus der Serie A gegeben hätte. Aber vielleicht kommt da ja noch was. Und wenn ich mir die aktuellen Mannschaftsstärken so ansehe, dann kommt eigentlich nur einer der drei Clubs infrage.
Leider wird es Werder Bremen nicht werden. Außer wenn sie es sich doch nochmal anders überlegen. Denn nach dem Essen kam der Chef zu mir und berichtete, dass es schon die ersten Verhandlungsrunden gegeben hätte, und zwar mit Werder und dem VfB. Dabei hatte er jeweils eine Ablöse von nicht unter drei Millionen verlangt.
„Du musst das verstehen“, erklärte er mir, „der Verein denkt auch wirtschaftlich. Du wirst aktuell auf einen Marktwert von 5,3 Millionen taxiert, da kann ich dich nicht für die schlappe Hälfte gehen lassen.“
Die Bremer waren daraufhin schon gleich mal ausgestiegen. Dafür lag jetzt ein weiteres Angebot auf dem Tisch, und zwar von der TSG Hoffenheim, ebenfalls in Höhe von 2,7 Millionen. Die spielten nun sogar Champions League, allerdings war der Club als übermäßig kapitalorientiert verschrien, und mir war er auch nicht sonderlich sympathisch. Hoffenheim ist ein Stadtteil von Sinsheim, einem Kaff mit 35.000 Einwohnern, allerdings deutlich näher an Mailand dran als Bremen, Gladbach oder auch Nürnberg. Nur von Stuttgart aus ist es noch näher.
Gut, ich weiß, letztlich ist es nur zu einem geringen Teil meine Entscheidung. Aber mal im Ernst: Was würdet ihr machen?