Fast ganz unten ...


  • Die nächste Partie führte uns zum Tabellennachbarn SV Bevern. Um nach Bevern zu kommen, mussten wir nach Essen fahren. Ihr erinnert euch? Essen in Oldenburg, nicht Essen in NRW. Mit 1:4 hatten wir dort vor Kurzem eine empfindliche Pleite kassiert - das sollte uns heute tunlichst nicht passieren.


    Und dafür bastelten Bojan und ich wieder kräftig an der Ausrichtung. Offensiver, mutiger wollten wir spielen. Nachdem Berkenbaum als MZ wegen seiner Sperre nicht zur Verfügung stand, stellten wir Döll auf die Position des OMZ. Dazu mit Halstenberg und Altendorf Flügelspieler und zwei Stürmer. Einer davon war Neziri, dem ich trotz mäßiger Trainingsleistungen den Vorzug vor Nikolaev gab - einfach weil er sich einsichtig gezeigt hatte, nachdem ich ihn nach dem Training beiseite genommen hatte.


    Ob es sich lohnte? Jedenfalls war es „ausgerechnet“ Neziri, der sich den Ball schnappte, als der Schiedsrichter nach nicht einmal 100 Sekunden auf den Elfmeterpunkt zeigte. Vorausgegangen war ein Foulspiel an Schultz, der in eine Freistoßflanke von Döll reinlaufen wollte und daran unsanft gehindert wurde.

    Neziri also lief an und ... verwandelte sehr sicher zum 1:0 für uns!


    Das sollte uns doch genügend Sicherheit geben. Bevern aber zeigte sich nicht geschockt, legte den Vorwärtsgang ein und markierte schon wenige Minuten später den Ausgleich. Touré kam an der Strafraumgrenze frei zum Schuss.


    Nur fünf Minuten später kam es zu einer ähnlichen Situation. Dieses Mal war es Samuel Bonney, der mit einem Distanzschuss an die Unterkante der Latte ein „Tor des Monats“ erzielte. Und schon lagen wir wieder zurück.

    In der Folge hatte weiterhin Bevern mehr vom Spiel und kam zu zwei hochkarätigen Abschlüssen. Kurz vor der Pause ließ dann Döll mit einem famosen Distanzschuss das Heimtor erzittern. Da fehlte nicht viel am Ausgleich.


    Zur Pause versuchte ich mich als Aufbau- und Motivationskünstler. Hier war definitiv noch etwas drin für uns, daran bestand ja gar kein Zweifel. Wir mussten nur selber auch daran glauben.

    Die erste Viertelstunde plätscherte so dahin, dann hatte Neziri im Anschluss an eine Ecke die Kopfballgelegenheit, aber der Winkel war zu spitz. Wir bekamen aber tatsächlich so nach und nach das Spiel unter Kontrolle. Döll war fleißig, holte sich immer wieder die Bälle hinten ab, spielte aber meistens den langen Ball in die Spitze - und diese Bälle verpufften wirkungslos, weil unsere Stürmer sich einfach nicht gut durchsetzen und den Ball behaupten konnten.

    Zehn Minuten waren noch zu spielen, als Schultz den Ball auf den linken Flügel zu Halstenberg spielte. Der dribbelte an und zog nach innen. Dann ein kluger Pass in den Lauf von Nikolaev, der zwischenzeitlich reingekommen war. Und Anton nahm den Ball mit seinem starken linken Fuß an und mit und gegen seinen Schuss aus 13 Metern war kein Kraut gewachsen. 2:2! Was für ein wichtiges Tor.


    Zwei Minuten vor Schluss hatten wir sogar noch die Chance, den Sieg mitzunehmen, aber Dölls Kopfballflanke war etwas zu hoch angesetzt.



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    Gegen den SV Brake, den aktuellen Tabellen-4. der Landesliga Weser-Ems, waren wir wieder einmal nur krasser Außenseiter, gerade in der derzeitigen Verfassung. Brake war gut in Form und hatte aus den letzten fünf Spielen immerhin zehn Punkte geholt. Wir waren im selben Zeitraum nur auf vier Pünktchen gekommen. Auch die lange Anreise von etwas mehr als zwei Stunden würde die Gäste nicht irritieren, da müssten wir uns schon etwas Besseres einfallen lassen.


    Weil es immer noch nicht erlaubt war, einen Bus im Tor zu parken (und unser Mannschafts“bus“ ja auch nicht mehr als ein Neunsitzer war), mussten wir auf andere Weise erreichen, defensiv sicherer zu stehen.

    Aus diesem Grund stellten Bojan und ich zum ersten Mal in dieser Saison auf eine Viererkette in der Abwehr um. Das war natürlich insofern ein Risiko, als weder Piesche ein ausgebildeter VL war noch Castillo ein VR. Aber meine Güte, sie sollten ja auch nicht Flankenläufe wie weiland Philipp Lahm vollführen, sondern „nur“ den Laden dicht halten.

    Darüber hinaus ordneten wir die vier Mittelfeldspieler so an, dass drei in einer Reihe standen und Döll davor als OMZ agierte.

    Ob ich mir bewusst war, dass das alles etwas hilflos wirkte? Gewiss doch. Aber irgendetwas mussten wir doch versuchen, damit das nächste Spiel nicht komplett den Bach runterging.


    Und tatsächlich schienen die Maßnahmen zu greifen. Wir standen stabil und hatten in der 6. Minute die erste kleinere offensive Aktion des Spiels, aber der Kopfball ging in die Arme des Braker Torhüters. Auch die nächste Gelegenheit in der 10. Minute gehörte uns: Kuleszka schoß einen Freistoß mit seinem starken linken Fuß knapp am Tor vorbei. Alles in allem ließ sich das alles gut an bisher.


    Hätte ich das mal nicht gedacht ... Nach 15 Minuten wurde Brake ein Freistoß auf der linken Außenbahn zugesprochen. Die Flanke flog an den Fünfmeterraum, Knystock kam nicht richtig hinter den Ball, seine Faustabwehr segelte vor die Füße eines Braker Spielers und der traf mit der ersten halbwegs ordentlichen Torchance. Meine Güte ...

    In der Folge wurde Brake etwas gefährlicher, aber wir standen weiterhin stabil. Wir lagen nur halt wieder mal durch ein blödes Gegentor mit 0:1 hinten.


    In der Pause versuchte ich den Jungs Mut zu machen und Zuspruch zu geben. Auch Didi Döll, der eine richtig schwache Leistung zeigte, bekam nette Worte mit auf den Weg und so ging es raus in die zweite Spielhälfte.

    Kurz danach waren wir zu einer Umstellung gezwungen, nachdem Castillo einen Schlag abbekommen hatte und nicht mehr weiterspielen konnte. Trotzdem beließen wir es bei der Viererkette, die ihre Arbeit ja wirklich gut gemacht hatte. Am Gegentor jedenfalls war sie unschuldig.


    Nach etwas mehr als einer Stunde gelangte der Ball zu Kozlowski, der aus 25 Metern einfach mal draufhielt und den Ball im Winkel versenkte. Immer wieder die alte Leier: Wir fingen uns blöde Gegentore und Tore des Monats.


    Mit dem zweiten Gegentreffer war im Grunde auch alles egal. Defensive Stabilität brachte uns jetzt nicht mehr weiter, daher stellte ich wieder auf drei Verteidiger um und schob das Mittelfeld weiter nach vorne, um in der Offensive mehr zu bewirken.

    In der 80. Minute wurde das belohnt, wenn auch nicht aus dem Spiel heraus: Kuleszka zeigte, was für ein guter Freistoßschütze er war und traf wunderbar in die Mauerecke zum Anschluss.

    Fünf Minuten später spielten wir uns trotz Pressings durch den Gegner schön in Ruhe aus der eigenen Hälfte heraus. Döll, der sich im Vergleich zur ersten Hälfte deutlich steigerte, mit einem schönen Ball in die Tiefe auf Nikolaev. Aber der Bengel schoss nicht sofort, sondern brauchte bei der Ballan- und -mitnahme eine halbe Ewigkeit. Naja, vielleicht nicht ganz, aber doch so viel Zeit, dass der Gegenspieler dann da war und den Schuss blocken konnte. Meine Güte ... so ging unsere letzte Gelegenheit dahin, hier doch noch einen Punkt zu holen und am Ende standen wir mit leeren Händen und einer 1:2-Niederlage da.


  • Der SV Holthausen-Biene war eine der Enttäuschungen in dieser Saison. Vor Beginn der Spielzeit von den Experten auf Rang 4 getippt, lag die Mannschaft derzeit nur auf Platz 11 der Tabelle. Nach einem starken Beginn mit zwei Siegen setzte es sechs Partien ohne Sieg (ein Remis, fünf Niederlagen). Zuletzt deutete sich aber eine Trendwende an, als aus drei Spielen zwei Siege und damit sechs Punkte geholt wurden.

    Holthause und Biene waren zwei Stadtteile von Lingen - und damit hatte dieses Spiel Derbycharakter, denn Lingen und Nordhorn liegen nur etwa 25 Autominuten voneinander entfernt.


    Bojan und ich bauten die Mannschaft für dieses Spiel erneut taktisch um. Wir spielten mit zwei VZ und zwei FV, die hauptsächlich verteidigen sollten. Im Mittelfeld agierten wir mit drei Mann auf einer Linie (ML - MZ - MR), wobei der MZ als ballerobernder Mittelfeldspieler vorgesehen war. Vor den beiden äußeren Mittelfeldspielern war jeweils ein offensiver Mittelfeldspieler platziert und ganz vorne drin stand ein Stürmer.

    So gelang es uns, nahezu alle Zonen des Feldes adäquat abzudecken (was vorher nicht der Fall war).

    Letztlich sah die Aufstellung folgendermaßen aus:


    Auch an den Einstellungen schraubten wir:

    Bei eigenem Ballbesitz sollten die Spieler den Fokus auf das Spiel über die Flügel legen - logisch bei der personellen Ausstattung.

    Neu war auch die Ansage, die Flanken früher zu schlagen und - vor allen Dingen - bei freier Bahn einfach mal zu schießen. Bisher hatten wir es eher nach dem Motto „Geduldig spielen“ versucht, wobei zu wenig rumgekommen war.

    Bei gegnerischem Ballbesitz wollten wir wieder eng stehen und tiefer als bisher, sowohl mit der Pressinglinie als auch mit der Defensivlinie.

    Außerdem gaben wir die Devise aus, dass die Gegenspieler enger gedeckt werden sollten.


    Das Spiel war ... nun, wie soll ich es sagen?

    Seltsam?

    Surreal?

    Kaum verständlich?


    Wir lieferten eine tolle erste Hälfte ab.

    Wir spielten offensiv so stark wie eigentlich noch nie in der bisherigen Saison.

    Wir kamen zu vielen Torchancen.

    Wir hatten deutlich mehr Ballbesitz als Holthausen-Biene.


    Wir lagen nach 42 Minuten mit 0:4 zurück.


    Beim 0:1 (15. Minute) ließen sich Schulz und Bremser von Paulus‘ Antritt überraschen und kamen dann nicht hinterher.

    Der Ausgleich durch Schäfer nur vier Minuten später wurde wegen Abseitsposition nicht anerkannt - völlig zurecht übrigens.

    Beim 0:2 in der 20. Minute pennte wieder die Hintermannschaft. Im Anschluss an einen Freistoß, der in den Strafraum flog, waren zwei gegnerische Spieler frei, bevor meine Jungs auch nur ihre Position verlassen hatten. Einer vollstreckte leicht und locker.

    Beim 0:3 in der 30. Minute stieß wieder Paulus in die Lücke zwischen Bremser und Schulz und hatte keine Mühe, zu verwandeln.

    Beim 0:4 ließ sich Knystock bei einem Freistoß in die kurze Ecke düpieren.


    Immerhin gaben wir nicht auf. Kuleszka nahm in der Nachspielzeit der ersten Hälfte einen schönen Pass von Schäfer gekonnt an und konnte sich gegen zwei Gegenspieler behaupten und zum 1:4 treffen.

    Zehn Minuten nach der Pause war Schäfer selbst erfolgreich, als er einen Querpass von Döll aus 18 Metern ins Tor beförderte.

    Zu mehr Toren kamen wir aber leider nicht mehr.


    Knystock wehrte in der 85. Minute noch einen Foulelfmeter ab, musste drei Minuten später aber erneut einen Freistoß von von Holt passieren lassen - am Ende hieß es also 2:5.


    Was soll ich sagen? Trotz der deutlichen Niederlage war ich nicht am Boden zerstört. Denn ich hatte einige gute Ansätze gesehen, die sich in den oben beschriebenen Daten widerspiegelten. Ich war also durchaus frohen Mutes, als ich nach dem Spiel in meiner Wohnung ankam und mich zu meiner Freundin auf’s Sofa gesellte. Doch ehe wir es uns gemütlich machen konnten, klingelte mein Handy.


    „René Stonk“, meldete ich mich.

    „Hallo René, hier ist Martin!“ Der 1. Vorsitzende also.

    „Martin! Was kann ich für Dich tun?“

    „Du kannst mir mal erzählen, was heute los war ...“

    Darum drehte es sich also. Worum auch sonst. Ich erhob mich vom Sofa, verschwand in die Küche und versuchte Martin meine Sicht der Dinge zu erklären und dabei doch objektiv zu bleiben. Letztlich blieb es wohl bei einem Versuch ...

    „Gut und schön René, aber sehen wir es mal nüchtern: Du hast von den letzten zehn Ligaspielen gerade mal eines gewonnen. Dazu gab es noch zwei Unentschieden, aber sieben Niederlagen. Das war heute das zweite 2:5 in dieser Saison, wir sind die Schießbude der Liga und stehen auf einem Abstiegsplatz.“

    Ich wollte einhaken, doch Martin gab mir keine Gelegenheit.

    „Nein, lass mich weiter reden. Es gibt hier einige, die Dich lieber heute als morgen rausschmeißen würden. Philipp und ich können die noch im Zaum halten. Noch. Du machst Dich mit Deinen taktischen Spielereien aber auch angreifbar. Erst spielst Du mit Dreierkette, dann stellst Du Piesche hinten in die Abwehr, obwohl das gar nicht seine Position ist. Dann soll ein gelernter Innenverteidiger plötzlich Rechtsverteidiger spielen - das wirkt alles etwas planlos. René, Du brauchst Erfolge. Schnell. Sonst kann ich für nichts garantieren.“


    Ich hätte darauf sicher einiges erwidern können.

    Zum Beispiel, dass ich mich nicht um den Job gerissen hatte.

    Dass ich nur 16 Spieler zur Verfügung hatte, die nun mal nur ein bestimmtes Niveau hatten.

    Dass kein Geld für die kleinste Verstärkung da war.

    Dass die ersten Jugendspieler erst in einem Dreivierteljahr einsetzbar waren, weil sie erst dann 17 Jahre alt wurden.


    All das sagte ich nicht. Ich bin nicht der Typ für so etwas. Offene Konflikte scheue ich wie der Teufel das Weihwasser. Lieber bleibe ich ruhig und nehme die Vorwürfe klaglos hin.

    Denn hatte Martin nicht auch Recht? Muteten meine Versuche, die Mannschaft hinzubekommen nicht manchmal etwas seltsam an?

    Es war schon als Kind so und passierte mir auch als Erwachsener immer wieder: In manchen Situationen stellte ich mir vor, dass andere mich beobachteten und sich kaputt lachten, wie ich zum Beispiel ziellos vor einem Supermarktregal stand und mich nicht entscheiden konnte, welchen Kochschinken ich einkaufen wollte. Oder wie ich die Markierungshütchen auf dem Trainingsplatz wieder und wieder verschob, weil ich einfach nicht in der Lage war, fünf Kappen in einer geraden Linie auszurichten.


    Ich hatte ohne Zweifel meine Schwächen. Aber ich wusste das und ich kannte sie. Und stand zu ihnen.

    Und ich kannte meine Stärken. Davon hatte ich nämlich auch einige. Und eine meiner Stärken war es, Dinge auszusitzen und mit Gleichmut zu ertragen. Ich würde mich auch als Trainer einer Ersten Herren nicht verbiegen lassen und ich würde auf keinen Fall hinschmeißen. Wenn die Ergebnisse nicht stimmten, sollten sie mich doch rauswerfen. Bis dahin würde ich weitermachen und mein Herzblut für diese Mannschaft und diesen Verein geben.


    Das Tolle war, dass mich meine Freundin darin bestärkte. Sie wusste, wie viel mir der Fußball bedeutete und sie war bereit, das mitzutragen - bis zu einem gewissen Grad zumindest.

  • In der folgenden Woche arbeitete ich wie immer und versuchte den Jungs Spaß und Freude zu vermitteln. Wir hielten eine Teambesprechung ab, in der ich Zuversicht verbreitete.

    „Wir werden aus dem Tabellenkeller wieder raus kommen. Gemeinsam schaffen wir das!“, so lautete das Motto. Das war zwar fast schon ein Griff in die „Floskelkiste“, aber dennoch mein voller Ernst. Und die Mannschaft schien mitzugehen. Marcel Piesche war es, der das Wort ergriff und stellvertretend für alle zustimmte. Ich fand interessant, dass grade Piesche den Mund aufmachte und nicht der Kapitän. Aber Didi Döll schien damit kein Problem zu haben, weder mit Piesches „Vorpreschen“ noch mit dessen Aussage, also warum sollte ich eines haben?


    In Spielformen versuchten wir, die Taktik aus dem Spiel gegen Holthause/Biene weiter einzustudieren. Es würde noch ein wenig dauern, bis wir alle Spieler so weit hatten, aber ich war zuversichtlich, dass es klappen würde. Die Frage war nur, ob ich noch genügend Zeit bekam.


    Am Samstag früh erlebte ich eine freudige Überraschung: In einem Interview mit einem örtlichen Blatt hatte sich Maximilian Bremser ausdrücklich für mich stark gemacht. Ich verdiente die Unterstützung der Spieler, des Vorstands und der Fans, meinte er. Der Verein müsse geduldig bleiben und solle nicht übereilt einen neuen Trainer einstellen.

    Mich berührte das, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen freute ich mich über den öffentlichen Zuspruch aus dem Kreis der Mannschaft. Sollten die Spieler es nicht am besten wissen, ob ich der richtige Trainer war?

    Zum anderen machte mir das Interview auch deutlich, dass ich ganz offensichtlich stark unter Druck und kurz vor dem Rauswurf stand.


    Am Sonntag kam es dann zur Partie gegen den SV Bad Rothenfelde. Die Gäste kamen als Tabellen-3. ins Waldstadion und als echte „Hopp-oderTop-Mannschaft“: Sieben Siege, drei Niederlagen und nur eine Punkteteilung standen auf dem Konto..


    Vor dem Spiel war ich tatsächlich noch angespannter als ohnehin üblich. Es trug auch nicht gerade zu meiner Beruhigung bei, dass die Mannschaft mit meiner Marschrichtung, die Sache kontrolliert-offensiv anzugehen und nicht nur abwartend zu spielen, ganz offenkundig nicht einverstanden war.

    Und dann goss es auch noch in Strömen ... beste Rahmenbedingungen für eine Beerdigung erster Klasse ...


    Wir kamen aber gut in die Partie und hatten nach etwas mehr als zehn Minuten die erste Tormöglichkeit. Über Berkenbaum und Schäfer kam der Ball bis an den Strafraum. Schäfer ging ins Dribbling und verlor den Ball, der aber bei Döll landete. Didi hatte einen seiner Geistesblitze, die ihn zu einem besonderen Spieler machen konnten und legte in den Lauf des startenden Starke. Der ging in spitzem Winkel von links auf das Tor zu und schoss ... nicht, sondern legte kurz vor der Grundlinie nach innen ab, wo unser Torschütze vom Dienst, Kuleszka, bereitstand und einschob! 1:0 für uns!


    Was folgte, was eine Druckphase vom Bad Rothenfeld. Ein Freistoß strich nur knapp am Tor vorbei. Der nächste Freistoß, nur fünf Minuten später, ging über die Latte. Und dann ... war die Druckphase auch schon wieder vorbei.


    Wir konnten relativ unbehelligt den Vorsprung in die Pause bringen. Und auch danach hatten wir das Spiel sehr gut im Griff und ließen kaum etwas zu.

    Die nächste dicke Chance hatten dann auch wieder wir: Starke köpfte nach einer schönen Freistoßflanke von Halstenberg knapp vorbei. Da waren dann schon 70 Minuten rum.

    Bad Rothenfelde hatte kurz darauf noch eine Gelegenheit, aber auch dieser Kopfball verfehlte sein Ziel. Und so verstrich die Zeit, wir führten immer noch, wir hielten „hinten dicht“ ... Es kam die 90. Minute, der Schiedsrichter zeigte die Nachspielzeit an: Fünf Minuten. Fünf Minuten können seeehr lange dauern, wenn man auf ihr Ende wartet. Aber auch diese fünf Minuten verstrichen und am Ende der Zeit hatten wir gewonnen und drei Punkte mehr auf dem Konto.


    Nach dem Abpfiff gab es kein Halten mehr, trotz strömenden Regens liefen alle zusammen, bildeten einen Kreis und hüpften vor Begeisterung auf und ab. Dann lief die Mannschaft Hand in Hand zu den Fans und ließ sich feiern, wobei sie „So seh’n Sieger aus!“ anstimmte.

    Ich freute mich ebenfalls, aber nur kurz, dann machte ich mich auf den Weg in die Kabine. Ich musste einen kurzen Moment alleine sein und die Anspannung abschütteln. Auf dem Weg über den Rasen sah ich Martin, der sich auf den Weg nach Hause machte. Er hob grüßend die Hand, machte den Daumen hoch - und ging dann weiter seiner Wege. Na klar, es war nur ein einziger Sieg, es mussten noch weitere folgen.



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    Dass ich weiterhin unter Druck stand, zeigte ein Blick in die Sozialen Netzwerke (oder hatte das Känguru vielleicht doch Recht und es musste „Asoziale Netzwerke“ heißen?):


    Immerhin war eine knappe Mehrheit der Befragten (noch) der Meinung, dass ich der Richtige sei.


    Während meine Zukunft weiterhin unsicher war, versuchte ich die Zukunft der Mannschaft zu sichern. Alle, aber wirklich alle Verträge würden zum Ende der Saison auslaufen, sodass gehandelt werden musste. Da man schon bei dem einen oder anderen Spieler munkeln hörte, dass andere Vereine durchaus Interesse hätten, wollte ich mit einer Vertragsverlängerung nicht bis zur Winterpause warten. „Streichkandidaten“ gab es aus meiner Sicht keine. Alle 16 Spieler sollten am besten an Bord bleiben und das Gerüst für die kommende Spielzeit bilden, dass durch verschiedene, dann 17 Jahre alte und spielberechtigte, Jugendspieler aufgestockt werden sollte. Mit dieser Ansage ging ich in die Vertragsverhandlungen, wobei Sven mich natürlich dabei unterstützte.


    Tatsächlich gelang es uns, die Verträge von einem Dutzend Spielern (Schäfer, Berkenbaum, Starke, Schultz, Piesche, Bremser, Neziri, Bähre, Halstenberg, Altendorf, Nikolaev und Kuleszka) für ein weiteres Jahr zu nahezu gleichen Bedingungen wie bisher, zu verlängern. Die Gehaltszahlungen konnten für die Genannten auf dem Stand des bisherigen Vertrages belassen werden, lediglich bei der einen oder anderen Prämie stockten wir ein wenig auf.


    Dieter Döll bekam als einziger eine kräftige Gehaltserhöhung. Didi war aber auch der Kapitän, der absolute Führungsspieler und - auch wenn er zuletzt nicht mehr so überragend war - immer ein Vorbild für Mannschaft und Verein.


    Die Gespräche mit Knystock und Castillo wurden erst einmal vertagt, da diese über die reinen finanziellen Dinge hinaus Perspektiven aufgezeigt bekommen wollten, ehe sie sich für Vorwärts Nordhorn entschieden. Das war ein wenig überraschend, letztlich aber nachvollziehbar und in Ordnung. Ebenso in Ordnung sollte es dann aber sein, dass sich die Vereinsseite vorab ihre Gedanken machte - daher die Vertagung. Vor der Winterpause wollte ich das Thema aber endgültig vom Tisch haben.


    Gespielt wurde schließlich auch: Wir hatten beim 5. der Tabelle, bei Blau-Weiß Lohne, anzutreten. Lohne hatte eine nahezu makellose Heimbilanz. Fünf Siege standen dort zubuche, lediglich die Tabellenführer aus Dinklage konnten beim 1:1 im zwei Punkte aus Lohne mitnehmen. Und dabei handelte es sich um ein Derby, sodass man zwischen Heim- und Auswärtsspiel kaum unterscheiden konnte.


    Das Spiel begann - und nach exakt 52 Sekunden konnte die Heimmannschaft jubeln. Die Lohner konnten sich in der Zentrale ziemlich unbedrängt den Ball zupassen, rückten immer weiter nach vorne, bis sie einen Spieler in Schussposition hatten, der dann erfolgreich aus 23, 24 Metern abschließen konnte. Da konnte man sehen, dass die neue Ausrichtung auf dem Platz noch nicht das Gelbe vom Ei war.


    Auch die nächste Chance hatte Lohne: Ein Freistoß aus 20 Metern verfehlte aber knapp das Tor von Knystock.

    Mehr gab es aus der ersten Hälfte nicht zu berichten. Wir hielten gut dagegen und ließen keine weitere Chance der Lohner zu, hatten aber unsererseits keine wirkliche Möglichkeit zum Abschluss.


    Rund eine Stunde war bereits vorüber, als wir die erste richtig gute Möglichkeit bekamen. Auf dem rechten Flügel konnten wir uns gut durchspielen, Schäfer brachte den Ball in den Strafraum und Kuleszka tat das, was er als „Knipser“ tun sollte: Er knipste! Bedrängt von einem Gegenspieler behielt er Ruhe und Übersicht und schoss aus sieben Metern den Ausgleich - sein achter Saisontreffer!


    In der Folge neutralisierten sich beide Mannschafter weiter, Chancen blieben Mangelware, bis die fünfte Minute der Nachspielzeit anbrach. Da kam Blau-Weiß Lohne noch ein letztes Mal nach vorne, aber der schöne Schlenzer ging zum Glück vorbei. 1:1 hieß es also am Ende, wir konnten einen Punkt mitnehmen und blieben zum zweiten Mal in Folge ohne Niederlage. Darauf konnte man aufbauen.


  • „Natürlich kann man darauf aufbauen“, gab Bojan zu, als wir uns nach dem Montagstraining zusammensetzten, um das Lohne-Spiel zu analysieren.

    „Aber trotzdem - das passt nicht! Bei uns klafft im Mittelfeld das dicke Loch. Nur ein Mann in der Zentrale, da öffnen wir dem Gegner riesige Räume. Schau Dir mal an, wie wir das Gegentor kassiert haben - wir lassen den anderen die Räume zum Passen, die legen sich uns zurecht und dann kommt irgendwann der Schuss.“

    Bojan kramte in seiner Aktentasche herum und zog eine Grafik hervor.

    „Und sieh Dir das mal mal, René: Von den 27 Gegentoren, die wir in der Liga kassiert haben, sind 15, also mehr als die Hälfte, von außerhalb des Strafraums gefallen.“



    „Nur mal so zum Vergleich: Von unseren 20 Toren haben wir fünf von außerhalb des Strafraums erzielt und 15 in der Box.“

    Er zückte die nächste Grafik.

    „Bei der Verteilung der Vorlagenorte ist es dasselbe. Alles geht beim Gegner über die Mitte - die wir ihm ja auch kampflos preisgeben.“



    Ich atmete tief ein.

    Und wunderte mich.

    Und schämte mich.

    Und fragte mich, wer hier eigentlich der Trainer sein sollte.


    Ich wunderte mich, dass Bojan so viel sprach. Das hatte er bisher nicht gemacht. Unser Verhältnis war mit der Zeit besser geworden, aber immer distanziert geblieben. Viele Worte hatte mein Co-Trainer bisher nie gemacht. Und nun haute er eine solche Analyse raus. Offenbar hatte er die Zeit sinnvoll verbracht und eine Menge analysiert.


    Ich schämte mich. Zum einen, weil ich Bojan unterschätzt und bisher nicht wirklich für voll genommen hatte. Vermutlich, weil er bisher so wenige Worte gemacht hatte und nicht wirklich in Erscheinung getreten war. Zum anderen, weil es eigentlich meine Aufgabe hätte sein müssen, mir die Gedanken zu machen, die Bojan sich gemacht hatte. Doch ich hatte mich mit allem Möglichen beschäftigt, aber nicht damit.


    Und daraus folgte zwangsläufig der Gedanke, ob ich der richtige Trainer war oder ob Bojan nicht vielleicht der richtige Mann für den Job wäre.


    Diese Gedanken gingen binnen Sekunden durch meinen Kopf, während mein Blick auf den Grafiken vor mir ruhte. Ob Bojan mitbekam, was in meinem Kopf passierte, wusste ich nicht. Wenn das der Fall war, ließ er es sich zumindest nicht anmerken.


    „Und was schlägst Du vor?“, fragte ich Bojan. Der holte tief Luft und erläuterte mir dann, was er sich überlegt hatte.


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    Zwei Tage später. Ich holte tief Luft und erläuterte dem Team, was Bojan sich überlegt hatte. Er selber hatte mir vorher zu verstehen gegeben, dass er lieber im Hintergrund bleiben wolle, als vor versammelter Mannschaft Rede und Antwort zu stehen. Das Training hatten wir eine halbe Stunde früher beendet und die Jungs in der Kabine vor einer Taktiktafel versammelt. Wo ich mit meinen Worten letztlich das wiederholte, was mir mein Co-Trainer vermittelt hatte.

    Kam ich mir dabei blöd vor? Nein. Überhaupt nicht. Was solche Dinge angeht, bin ich total schmerzfrei. Ich hatte erkannt, dass Bojan Recht hatte. Dass er derjenige war, der besser die taktischen Vorgaben erarbeiten sollte. Ich würde insoweit sein Sprachrohr sein. Unsere Arbeitsteilung erinnerte so ein wenig an Klinsmann und Löw bzw. später Löw und Flick. Aber natürlich alles ein paar Nummern kleiner.


    „Wir stellen also wieder um auf zwei Stürmer?“, wollte Anton Nikolaev sichergehen?

    „Ja, genau. Wir brauchen zwei Stürmer, damit wir vorne mehr Anspielmöglichkeiten haben und variabler sind.“

    Nikolaev nickte zustimmend, auch Neziri schien angetan - kein Wunder, immerhin verdoppelte sich die Zahl der zu besetzenden Planstellen im Sturm wieder. Ohne diese Maßnahme hätte es höchstens Kurzeinsätze für die beiden gegeben, denn Kuleszka hatte sich einen Startplatz und -bonus erarbeitet.


    „Im Mittelfeld vier Mann auf einer Linie?“

    „Ja, genau. Wir brauchen Leute in der Zentrale - wenn wir die Außenpositionen zu stark besetzen, laufen die gegnerischen Angriffe ungehindert auf Lukas zu, der als Wellenbrecher vor der Abwehr nicht mehr viel ausrichten kann.“ Berkenbaum nickte zustimmend. „Mit einem Vierer-Mittelfeld können wir das Zentrum dichter machen.“


    „Und weiter Viererkette hinten?“ Die Frage kam von Marcel Piesche.

    „Ja, genau. Wir brauchen auch hier vier Mann, um die Außenpositionen abzusichern. Zu oft und zu einfach kam der Gegner durch das Zentrum nach vorne und dort hat er entweder den Ball reingeschossen oder am Strafraum nach außen gespielt, wo oft ein gegnerischer Stürmer ziemlich blank stand. Beides müssen wir unterbinden.“


    Didi Döll fasste das zusammen, was die meisten wohl dachten: „Ein Versuch kann nicht schaden. Schauen wir mal, wie weit wir damit kommen.“


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    Am Sonntag kam der SV Grün-Weiß Mühlen ins Waldstadion. Richtig rund lief es beim Gegner zuletzt auch nicht: In den letzten acht Spielen gelang nur ein einziger Sieg und das gegen den Vorletzten aus Papenburg. Dennoch waren die Gäste vor uns platziert und hatten drei Punkte mehr auf dem Konto.


    Das Spiel begann mit einem Paukenschlag: Schon nach 200 Sekunden zeigte der Schiedsrichter auf den Punkt,. Nach einer Ecke von Bähre wurde Piesche von seinem Gegenspieler gestoßen - Grund genug für den Unparteiischen, uns einen Elfmeter zuzusprechen. Döll lief an ... und hämmerte den Ball mittig in die Maschen, während Mühlens Torwart in die von ihm aus gesehen linke Ecke sprang.


    Das Spiel ging ausgeglichen weiter, beide Mannschaften versuchten nach vorne zu spielen. Mühlen gelang es zuerst, einen Versuch zu veredeln. Kahric erhielt den Ball per Verlagerung auf der linken Seite. Am Strafraumeck nahm er ihn an, legte ihn mit einer fließenden Bewegung an Schultz vorbei und schlenzte ihn von der Strafraumgrenze mit rechts vorbei an Knystock in die lange Ecke. Ein richtig schönes Tor, das musste man neidlos anerkennen.

    Die nächste Torgelegenheit hatte nach einer knappen halben Stunde Kuleszka. Sein Kopfball touchierte noch die Oberkante der Latte, war aber nun mal nicht drin.

    Kurz vor der Pause hatten wir dann eine Riesendoppelchance: Zunächst ein Freistoß von Kuleszka aus zentraler Position, 25 Meter Torentfernung. Mühlens Torwart Brackelmann ließ den Ball nach vorne prallen, richtig gut sah er da nicht aus. Umso besser allerdings dann zwei Sekunden später, als er den Schuss von Bremser per Reflex zur Seite abwehren konnte. Das hätte nun wirklich die Führung sein müssen ...


    In der zweiten Hälfte wogte das Spiel hin und her, ohne sich entscheiden zu können, wo es denn nun hingehen sollte. Mehr als 70 Minuten waren gespielt, ehe Kuleszka nach altbekanntem Muster das nächste kleine Ausrufungszeichen setzen konnte: Freistoß mit links, gefährlich, vorbei. Wenn er doch nur mal etwas besser zielen würde ...

    Dann kam die 89. Minute: Kuleszka, Freistoß mit links, gefährlich, TOR! Der Ball ging flach in die lange Ecke zur späten, aber nicht unverdienten Führung.

    Jetzt ging es darum, das Spiel nach Hause zu schaukeln bzw. Zuhause zu behalten. Mühlen kam nach dem Anstoß noch mal nach vorne. Die Flanke wurde aber von Schultz aus dem Strafraum geklärt. Der Ball kam zu Hobbins und der mit einem wunderbaren langen Ball in die gegnerische Hälfte, wo Kuleszka startete. Der hatte vier, fünf Meter Vorsprung vor dem Verteidiger, lief auf den Torwart zu, ließ den mit einer Körpertäuschung aussteigen und schob den Ball ins Tor. Zehntes Saisontor für ihn, aber was für eine Vorlage war das ...



    Drei Spiele hintereinander ohne Niederlage - das hatten wir noch nicht geschafft.

    Der Sieg brachte uns aus Mühlen vorbei und auf Platz elf in der Tabelle - so gut waren wir seit dem siebten Spieltag nicht mehr platziert.


  • „Streichkandidaten“ gab es aus meiner Sicht keine. Alle 16 Spieler

    Wen will man bei 16 Mann auch streichen. Da müssen selbst die Blinden bleiben :lach:


    Dieter Döll bekam als einziger eine kräftige Gehaltserhöhung.

    Wie sieht es denn mit den Budgets beim Verein aus? Könntest du denn noch Spieler verpflichten oder aber deine Truppe mit lukrativeren Verträgen binden?


    „Im Mittelfeld vier Mann auf einer Linie?“

    Sicher sinnvoller als ein Mann, aber immer noch leicht(er) zu überspielen. Wie sieht es mit einer Raute aus? Oder einem 4-1-3-2?


    Ich lese hier weiter unglaublich gerne mit und da ich heute mal früh dran bin, ist auch noch nicht alles bereits gesagt worden :)

  • Ich tue mich selbst immer schwer mit einem flachen 4-4-2... Ich bin auch eher Fan der Raute. Aber ich finde das Probieren immer spannend.


    Das erinnert mich nämlich an PES6 - damals war Real Madrid die als einzige Mannschaft mit einem DM, ZM, OM und RM gespielt hatten. Der DM stand etwas weiter rechts und ZM/OM etwas weiter links ohne dabei Flügelspieler zu sein. Hinweis war dabei, dass man damit quasi alle Arten von Mittelfeldspielern aufbieten konnte. Seitdem stelle ich auch bei einem 4-3-3 nicht mit Doppelsechs sondern DM-ZM-OM auf.


    Und mal ein ganz dickes Lob für deine Trainer-Gefühlswelt-Zwischensequenzen. Ich erkenne da immer so viel Bildungspotenzial drin, das ist echt faszinierend! Klar hatte Bojan jetzt eventuell etwas mehr Ahnung bzw. konnte besser analysieren. Aber wenn er den Mund halt nicht aufkriegt, ist er eben nicht für den Posten des Cheftrainers gemacht. So einfach ist das. Und wenn Rene die Spieler erreicht, ist es auch keine Schande sich Experten zu holen die ihm beim fachlichen unterstützen. Beispiele hast du ja selbst schon gebracht.


    „Natürlich kann man darauf aufbauen“, gab Bojan zu

    Und über die Szenenübergänge brauch ich wohl nichts mehr sagen ;)

  • Eine Woche später, am 04.11., hatten wir unser nächstes Spiel, gleichzeitig das letzte der Hinrunde.

    Erneut zuhause, wo wir bisher alle unsere insgesamt vier Saisonsiege holen konnten.

    Gegner war ein klangvoller Name - BSV Kickers Emden.


    In den 1990er Jahren klopften die Kickers sogar an die Tür zur zweiten Liga, und noch in der Spielzeit 2008/2009 spielte man in der 3. Liga, die man als Sechster beendete. Dann folgte aber aus wirtschaftlichen Gründen der Rückzug aus dem Profifußball und Kickers Emden spielte in der Oberliga weiter, aus der man schließlich in der Saison 2011/2012 zwangsabstieg, nachdem der Verein Insolvenz anmelden musste. Seitdem war die Landesliga Weser-Ems Heimat der „Deichkicker“.

    Wie gesagt: Ein großer Name, der finanziell mittlerweile auf solider Basis stand, der dafür allerdings grade den sportlichen Ansprüchen hinterherhinkte. Kickers Emden galt vor der Saison durchaus als Aufstiegsaspirant und befand sich nun, vor dem letzten Hinrundenspieltag, auf dem ersten Abstiegsplatz. Nach einem soliden Start mit zwei Auswärtssiegen und einer Heimniederlage folgte eine Serie von sieben sieglosen Spielen. In den letzten vier Partien konnte man aber wieder punkten und zwei Mal gewinnen.


    Die Kickers kamen besser in die Partie: Nach einem langen hohen Ball wollte Piesche per Kopf klären. Leider direkt zum Gegenspieler. Es folgte der Querpass parallel zur Strafraumgrenze und Abdellaoui schmetterte den Ball an die Querlatte. Knystock konnte da nur hinterhergucken.

    Nach diesem Knalleffekt präsentierten wir uns aber wacher und konnten das Spiel ausgeglichen gestalten. Richtig viel passierte erst mal nicht. Nach 25 Minuten zeigte Castillo starken Einsatz, als er sich den Ball in einem rustikalen Zweikampf erkämpfte, und Übersicht, als er den Ball mit einem schönen langen Ball in den Lauf von Nikolaev gab. Der Ball sprang einmal auf, ein zweites Mal und dann war Anton mit seinem Fuß dran und brachte ihn irgendwie am Torwart vorbei in der kurzen Ecke unter. 1:0 für uns!

    Kurze Zeit später versuchte es erst Bähre und dann Bremser mit einem ähnlichen Ball in den Strafraum. Die Situationen konnten jeweils von Den Gästen geklärt werden. Dann baute Schultz von hinten auf. Per Flachpassstafette kam das Leder über Altendorf zu Döll, weiter zu Nikolaev, der zu Kuleszka ablegte - und der drehte kurz danach jubelnd ab und feierte seinen elften Saisontreffer. Mit einem Flachschuss aus 15 Metern hatte er Emdens Keeper keine Chance gelassen.


    Nach 30 Minuten stand es also 2:0 und Kuleszka konnte ein paar Minuten später schon alles klar machen. Sein Linksschuss ging aber an den Pfosten.

    Vier Minuten vor der Pause wollte Knystock einen in den Strafraum geschlagenen Flankenball abfangen. Dabei hatte er aber überhaupt nicht aufgepasst und nicht gesehen, dass Abdellaoui den deutlich kürzeren Weg zum Ball hatte. Der Emden-Stürmer hielt seinen Fuß hin und verkürzte zum 1:2. So ging es in die Pause.


    Ausgeglichen ging es weiter, ehe Emden in der 55. Minute einen Eckball zugesprochen bekam. Der Ball segelte an den Fünfmeterraum - und wurde per Kopf aus dem Strafraum befördert. Jedoch kam er postwendend zurück und die Geschichte dieser Hinrunde setzte sich fort: In zentraler Position vor dem Strafraum stand Nasreddine frei, nahm den Ball an, lief zwei, drei Schritte und versenkte ihn dann mit einem Traumschuss ... Ausgleich. Was für ein Treffer und was für ein Comeback von Kickers Emden.


    Zehn Minuten waren noch zu spielen. Wir hatten zwischenzeitlich gewechselt und Halstenberg für Döll gebracht. Halstenberg war es auch, der einen Freistoß, den wir fast auf der rechten Auslinie bekommen hatten, vor das Kickerstor zog. Der Ball ging über Freund und Feind hinweg, an den zweiten Pfosten, wo Castillo aufgerückt war, locker sein Bein hob und den Ball ins leere Tor beförderte - Kickers’ Torwart hatte die Flanke komplett unterlaufen.

    Drei Minuten vor Ende des Spiels hatte Kuleszka noch einmal eine Möglichkeit, als er nach einem gewaltigen Abschlag von Knystock in Richtung Tor zog. Sein Schuss wurde aber abgewehrt.


    Kurze Zeit später war die Partie vorüber und wir hatten gewonnen!


    Mit diesem Sieg blieben wir weiterhin auf Platz elf der Tabelle, hatten aber erstmal drei Punkte Luft auf die Abstiegsränge und kamen so langsam in Schlagdistanz zu den Mittelfeldplätzen.


    Mit den zehn Punkten aus den vergangenen vier Spielen hatte die Hinrunde doch noch ein gutes Ende genommen. Das Saisonziel „obere Tabellenhälfte“ erschien wieder realistisch. Unter den Spielern herrschte ein guter Zusammenhalt, die Kaderatmosphäre war sogar sehr gut. Das galt auch für die Unterstützung der Spieler für mich.


    Und auch der Vorstand war wieder zufrieden mit meiner Arbeit, mein Job war wieder sicher (Jobsicherheit: stabil, 54 %). Martin hatte mich nach dem Emden-Spiel zu sich nach Hause eingeladen, wo wir die Hinrunde besprachen und letztlich unter „lehrreiche Erfahrung für alle“ verbuchten. Wenn wir so weiter spielen würden, wie zuletzt, könnte man sicher auch über eine Vertragsverlängerung sprechen. Wer hätte das noch vor vier Wochen gedacht?


    Die positive Grundstimmung wollte ich nutzen und die letzten offenen Vertragsverhandlungen über die Bühne bringen. Knystock und Castillo hatten sich ja noch nicht dazu durchringen können, einen neuen Vertrag zu unterschrieben. Dabei ging es beiden gar nicht mal ums Geld, jedenfalls nicht in erster Linie. Beiden war es wichtig, dass der Verein Ziele und Ambitionen hatte. Beinahe schien es, als hätten sie sich in ihren Forderungen abgesprochen.

    Und so sicherte ich ihnen beiden zu, dass wir schon in der übernächsten Saison in der Oberliga spielen würden. Natürlich war mir bewusst, dass dieses Versprechen nach hinten losgehen und mir noch gewaltig um die Ohren fliegen könnte. Aber es ging mir um die Lösung eines aktuellen Problems, nämlich die Vertragsunterzeichnung der beiden. Mit künftigen Problemen würde ich mich beschäftigen, wenn sie akut wurden.

    Knystock und Castillo sicherten mir zu, sich bald zu melden, ob sie auch in der kommenden Spielzeit für den SV Vorwärts Nordhorn auflaufen würden.


    Am Montag nach dem Spiel war traditionell trainingsfrei, um die Spieler nicht zu sehr zu belasten. Ich war mit meinen Kindern aber trotzdem auf dem Platz. Das machte ich vor allen Dingen deshalb, weil sie danach erschöpft und glücklich waren - und einfach besser zur Ruhe kamen und einschliefen. Ohne körperliches Auspowern wurden sie schneller unleidlich und brauchten abends länger, um einzuschlafen.

    Wir kickten also noch ein bisschen. Der Große stand im Tor und seine Brüder und ich machten Torwarttraining mit ihm. Durchaus mit Zug und Einsatz: Der Kleine schoss aus 7, 8 Metern flach auf die kurze Ecke und der Mittlere versuchte aus zehn, zwölf Metern den Ball hoch in den gegenüberliegenden Winkel zu bringen. Ich feuerte an und sammelte die Bälle wieder ein. Das machte eigentlich allen Spaß, jedenfalls bis zu dem Punkt, an dem sich einer ärgerte. Entweder der eine, weil er zu viele Bälle reinbekommen hatte oder einer der anderen beiden, weil er zu wenige Bälle reingeschossen hatte. Nach diesem vorgegebenen Drehbuch verliefen nahezu alle Trainingsabende im Familienkreis.


    Wir waren in dem gottgegebenen Drehbuch der familieninternen Trainingsabende gerade an dem Punkt angelangt, an dem der Große nach einem Gegentor platt auf dem Bauch liegen bleibt und leicht frustriert mit der Faust auf den Boden hämmert, als uns jemand ansprach.


    „Entschuldigen Sie ...“

    Ich drehte mich um und sah einen jungen Mann von etwa Anfang 20, etwas kleiner und schmaler als ich und von tiefschwarzer Hautfarbe. Er lächelte mir schüchtern zu, während meine Jungs aufhörten zu kicken und interessiert herüber schauten.

    „Mein Name ist Joseph, Joseph Amaefule. Ich habe Sie von draußen hier Fußball spielen sehen und wollte fragen, ob ich vielleicht mal bei den Herren mittrainieren könnte. Sie haben hier doch Herrenmannschaften?“

    „Ja, haben wir. Ich bin übrigens René.“ Das ich die Ersten Herren trainierte, wollte ich erst einmal für mich behalten.

    „Papa trainiert hier die Ersten Herren!“ platzte da Nummer 3 heraus. Na, das mit meinem Plan hatte ja super geklappt.

    „Und die können jede Hilfe brauchen“, ergänzte Nummer 2.

    Damit hatten sie das Interesse an Joseph auch schon verloren und begannen wieder damit, ihrem großen Bruder die Bälle um die Ohren zu hauen.

    Josephs Gesichtsausdruck schien zwischen „irritiert“ und „amüsiert“ zu schwanken. Auf meine Bemerkung „Immer diese vorlauten Kinder!“ ging er nicht weiter ein. Stattdessen wartete er ab, ob da noch etwas aus meinem Mund kommen würde.

    „Ja ... also ... ich bin tatsächlich der Trainer der Ersten. Haben Sie denn schon mal im Verein gespielt?“

    Joseph nickte.

    „Beim SC Waldgirmes, den werden Sie vermutlich nicht kennen ...“

    „Hessenliga“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Hat früher mal zusammen mit Viktoria Aschaffenburg in einer Liga gespielt.“

    „Stimmt! Woher wissen Sie das?“

    „Ach“, ich lächelte matt. „Das ist eine lange Geschichte.“

    Joseph und ich unterhielten uns noch eine Weile, dann kickten wir bei ein wenig mit meinen Jungs und zum Abschluss nannte ich ihm unsere Trainingszeiten und lud ihn herzlich zum nächsten Training ein. Er sagte zu.


    Zwei Tage später war Joseph mit beim Training dabei. Der Neuankömmling wurde reserviert, aber wohlwollend aufgenommen.

    Das Training wurde aber überschattet von einer Verletzung, die sich Lukas Berkenbaum zuzog, als er einem Ball hinterherjagte. Wie sich herausstellte, erlitt er eine Dehnung der Knöchelbänder im rechten Fuß. Damit würde er schon eine Weile ausfallen. Christopher Langer schätzte, dass es wohl drei bis sechs Wochen dauern würde. Das war natürlich Mist, denn Berkenbaum war im Grunde unser einziger gelernter zentraler Mittelfeldspieler.


    Am nächsten Tag besuchte ich Berkenbaum zuhause, um ihm ein wenig Mut zuzusprechen. Nach dem üblichen Begrüßungsvorgeplänkel kam ich zu dem Grund meines Besuches.

    „Mach Dir mal keine Sorgen wegen Deiner Verletzung. Ich weiß, so etwas kann frustrierend sein, aber versuch’ Dich auf die Reha zu konzentrieren.“

    Berkenbaum reagierte aber keineswegs so, wie ich das erwartet hätte. Etwas unwirsch antwortete er:

    „René, lass mich einfach in Ruhe. Ich brauche Dein Mitgefühlt nicht!“

    „Hey, bleib cool. Ich will Dir einfach nur zu verstehen geben, dass Dein Ausfall ein großer Verlust für das Team ist.“

    „Meine Verletzung und Genesung steht an erster Stelle. Gib mir einfach die Zeit und den Raum, den ich brauche, um wieder mein altes Niveau zu erreichen.“

    Und damit komplimentierte er mich zur Tür.

    „Bis die Tage!“ sagte er noch und dann war der Besuch auch schon vorbei.


    Als ich meiner Freundin am Abend davon erzählte, reagierte sie empört.

    „Schmeiß ihn raus!“ sagte sie.

    Ich war mir nicht sicher, ob sie das ernst meinte oder mich foppen wollte. Manchmal sagte sie Dinge einfach nur, um zu sehen, wie ich reagierte. Das machte ihr einen Heidenspaß.

    Dieses Mal schien es ihr aber doch recht ernst zu sein.

    „So eine Mimose! Der soll froh sein, dass Du bei ihm warst und Dich um ihn kümmern wolltest. Und er kann von Glück sagen, dass ich nicht dabei war. Sonst hätte ich den aber rund gemacht! Was denkt der sich überhaupt?“

    Letztlich konnte ich ihr das auch nicht sagen, denn ich konnte mir Berkenbaums Verhalten auch nicht wirklich erklären. Hatte er Angst um seinen Platz in der Mannschaft? War er einfach nur frustriert wegen seiner Verletzung? Oder steckte etwas ganz anderes dahinter? Ich wusste es nicht.

  • Joseph und ich unterhielten uns noch eine Weile, dann kickten wir bei ein wenig mit meinen Jungs und zum Abschluss nannte ich ihm unsere Trainingszeiten und lud ihn herzlich zum nächsten Training ein. Er sagte zu.

    Sieh einer an. Wenn Joseph nur halb so talentiert ist wie sein jüngerer Bruder Emmanuel, könnte dir ein echter Glücksgriff gelungen sein. ;)



    Letztlich konnte ich ihr das auch nicht sagen, denn ich konnte mir Berkenbaums Verhalten auch nicht wirklich erklären. Hatte er Angst um seinen Platz in der Mannschaft? War er einfach nur frustriert wegen seiner Verletzung? Oder steckte etwas ganz anderes dahinter? Ich wusste es nicht.

    Tja, die Spielergespräche sorgen bei mir manchmal auch für Stirnrunzeln. Vor allem bei Lob oder Glückw¨ünschen muss man zuweilen schon vorsichtig sein. Die Spieler bekommen das gerne mal in den falschen Hals. Mittlerweile habe ich mir angewöhnt, solche Aussagen nicht auf die Goldwaage zu legen.


    Bin gespannt, wie du mit dem Ausfall von Berkenbaum taktisch umgehst. Gibt es wieder eine Umstellung oder muss einer in den sauren Apfel beissen und die Position so gut wie möglich übernehmen?

  • Am Sonntag begann auch schon die Rückrunde. Wir empfingen den TSV Wallenhorst, gegen den wir zum Saisonauftakt ein 2:2-Unentschieden erkämpft hatten. Die Gäste waren fünf Punkte und damit fünf Ränge vor uns platziert. In der Liga war Wallenhorst seit elf Spielen unbezwungen, die letzte Ligapleite lag beinahe drei Monate zurück. Dagegen nahm sich unsere Serie von vier niederlagenfreien Spielen noch äußerst bescheiden aus.


    Dennoch konnten wir mit Selbstbewusstsein in die Partie gehen, was wir auch taten. Schon nach vier Minuten testete Kuleszka mit einem Freistoß aus 25 Metern die Beschaffenheit der Torlatte. Auch die nächste Chance resultierte aus einem Kuleszka-Freistoß. Den aufs kurze Eck kommenden aufspringenden Ball parierte Wallenhorsts Keeper gerade noch so. Den Abpraller wollte Altendorf verwerten - da war aber noch ein Abwehrbein dazwischen.

    In der Nachspielzeit der ersten Hälfte hieß es dann: „Kuleszka zum dritten.“ Döll spielte einen langen Ball aus der eigenen Hälfte in den Lauf unseres Topstürmers. Der ließ sich auch von zwei Gegenspielern nicht irritieren und zog mit links von links aus spitzem Winkel und 14 Metern Torentfernung ab. Der Ball rauschte an den Händen des Torwarts vorbei in die lange Ecke, touchierte den Innenpfosten und überquerte die Torlinie. Ein tolles Tor, genau zum richtigen Zeitpunkt!


    Auch nach der Pause blieben wir spielbestimmend, von Wallenhorst war weiterhin nichts zu sehen. Bähre probierte es mit einem Distanzschuss, der aber doch recht weit am Tor vorbei ging. Dann brachte Starke von der rechten Außenbahn den Ball in die Mitte, Kuleszka war schneller als sein Gegenspieler und traf erneut - allerdings aus Abseitsposition. Es blieb beim 1:0.

    Zwei Minuten später schickte Schultz mit einem langen Ball Nikolaev. Dessen Schussversuch wurde aber abgeblockt. In der 58. Minute machte er es dann besser, als er einen Steckball von Kuleszka bekam, alleine auf den Keeper zuging und nervenstark vollendete.

    Mit diesem 2:0 war das Spiel im Grunde vorbei. Von Wallenhorst kam weiter gar nichts nach vorne. Zehn Minuten vor Schluss traf Bähre mit einem Distanzschuss noch die Latte. Zwei Minuten vor Schluss kam es für Wallenhorst noch dicker, als der Schiedsrichter wenig Fingerspitzengefühl zeigte und einen gelbbelasteten Spieler nach einem Handspiel im Zweikampf mit gelb-rot vom Platz schickte.


    Am Ende stand also ein verdienter 2:0-Erfolg und der Fortbestand unserer Serie von ungeschlagenen Spielen.


    Die Stimmung in der Mannschaft war nach dem fünften Spiel hintereinander ohne Niederlage natürlich richtig gut. Ob das auch dazu beitrug, dass zwei Tage später sich Wolfgang Knystock und Eder Castillo meldeten und bereit waren, den ihnen angebotenen Vertrag zu unterschreiben? Vermutlich.

    Letztlich wollte ich das nicht weiter hinterfragen, sondern die Gunst der Stunde nutzen - die Verträge wurden also verlängert.


    Die gute Stimmung zeigte sich auch auf dem Trainingsplatz. Eine Trainingswoche ohne eine einzige „auffällig schlechte“ Trainingsleistung, das hatten wir noch nie. Im Moment lief es also.


    Dazu passte auch die Nachricht vom Spiel der U 19, die ich am Samstag Nachmittag bekam: Joseph Amaefule, der junge Mann aus dem Hessenland, lieferte beim 4:0-Sieg gegen die U 19 des FC Inde Hahn eine beeindruckende Leistung ab und stellte seine Kreativität mit nicht weniger als drei Torvorlagen unter Beweis. Wenn er uns erhalten bliebe (und das war angesichts des Loches im Gehaltsbudget keineswegs sicher), hätten wir sicher auch in der Ersten eine Menge Freude an ihm. Vor dem 01.01. war er dort aber nicht einsetzbar.


    Am Sonntag danach stand das Spitzenspiel an. Naja, zumindest das Spiel der aktuell formstärksten Mannschaften und das waren nun einmal wir und der TV Dinklage. Zwölf Spiele ohne Niederlage konnte der Tabellenführer zuletzt aneinander reihen und damit einen komfortablen Sechs-Punkte-Vorsprung auf seine ärgsten Verfolger aus Melle aufbauen. Dinklage war klarer Favorit, da musste man sich keiner Illusion hingeben. Alles andere als eine Niederlage wäre ein großer Erfolg für uns.


    Bei strömendem Regen gingen die ersten Minuten des Spiels an uns. Wir hatten zwar weniger Ballbesitz als Dinklage, brachten aber - anders als der Tabellenführer - Aktionen zustande, die zu Torgefahr führten. Wir hatten zugegebenermaßen nicht die Riesengelegenheiten, aber immerhin schossen wir zwei, drei Mal aufs gegnerische Tor. Von Dinklage konnte man das nicht behaupten.

    Nach rund 25 Minuten konnten wir uns mit der Führung belohnen. Dölls Schussversuch wurde noch geblockt, den Abpraller schob Didi dann an den Elfmeterpunkt, wo Nikolaev den Ball stoppte, sich drehte und mit links einschoss.


    Wir blieben weiter die aktivere Mannschaft. Döll brachte einen Freistoß in den Strafraum, da ertönte ein Pfiff. Castillo sollte gestoßen worden sein, es gab Elfmeter für uns und keine Proteste vom Gegner. Käpt’n Döll schnappte sich den Ball, lief an und schoss in die Mitte des Tores. Dinklages Keeper hatte aber darauf spekuliert und konnte abwehren. Mist, das war die große Chance ...

    Wir blieben trotz des kleinen Rückschlags dran und hatten noch zwei Möglichkeiten, von denen ein Kuleszka-Kopfball nach schöner Flanke von Bähre die beste war. Aber auch unser Toptorschütze traf nicht mehr vor der Pause.


    Kurz nach der Pause änderte sich das aber: Freistoß aus 17 Metern Torentfernung, etwa auf Höhe des rechten Strafraumecks. Kuleszka mit links -TOR! Das Freistoßtraining, das er nebenbei schob, hatte sich erneut ausgezahlt.

    Eine Stunde war rum, da hätte Kuleszka beinahe sein nächstes Tor gemacht. Sein Schuss knallte aber an den rechten Innenpfosten und von dort in die Arme des Keepers.

    Kurz darauf kam Dinklage zu zwei Torschüssen, die für Knystock aber kein Problem darstellten. Im Gegenteil, aus dem zweiten entwickelte sich eine Konterchance: Knystock hielt den Ball, lief ein paar Schritte nach vorne und schlug dann aus der Hand den Ball weit in die Dinklager Hälfte. Aber nicht einfach blind, sondern passgenau auf Kuleszka. Der kontrollierte den Ball und zog aus 22 Metern einfach mal ab. Damit überraschte er jeden, auch den Torwart des Gegners, der zu spät reagierte. 3:0.


    Das Spiel war damit natürlich gelaufen. Und wie es so ist, wenn es läuft - dass passt alles: Halstenberg flankte in den Strafraum, wo außer Dinklages Orhan Turan eigentlich kein anderer Spieler stand. Turan ließ den Ball aber zu weit vom Fuß prallen, Nikolaev spritzte dazwischen und machte seinen zweiten Treffer heute.



    Nach der Demontage des Tabellenführers fanden wir uns auf Platz 9 wieder. Der Vorsprung auf einen Abstiegsplatz war auf sechs Punkte angewachsen, sechs Punkte betrug auch der Rückstand auf Platz 2.


    Martin, Sven und der Rest des Vorstands schauten wieder ganz zufrieden drein, wenn sie mich sahen. Sogar das eine oder andere scherzhafte Wort wurde gewechselt. Wie schnell sich das wieder ändern könnte, dessen war ich mir bewusst.

    Das Bewusstsein wurde am Abend noch dadurch geschärft, dass zwei Ligakonkurrenten sich von ihren Trainern getrennt hatten: Lukas Gruber wurde beim SV Grün Weiß Mühlen entlassen und der SV Bevern hatte die Geduld mit Thomas Diedam verloren. Die Teams auf Platz 13 und 14 in der Tabelle hatten also die Notbremse gezogen.

  • Andreas Brehme hat mal gesagt: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.“

    Abgesehen von der geradezu philosophischen Schönheit glaube ich, dass das auch im umgekehrten Fall gilt. Also quasi „Haste Gold am Schuh, haste Gold am Schuh.“ Oder anders: „Wenn’s läuft, dann läuft’s!“

    Wir ritten allerspätestens nach dem Dinklage-Triumph auf einer Welle der Euphorie. Die Kaderatmosphäre war exzellent. Die Spieler hatten Spaß am Fußball und alle zogen an einem Strang. Die Unterstützung für das Trainergespann war sehr gut. Die Spieler schienen glücklich zu sein, dass Bojan und ich insoweit den Verein führten und freuten sich auf die weitere Zukunft. Das Teambuilding war gut, die Spieler hatten einen starken Zusammenhalt entwickelt. Die Trainingsbeteiligung war spitze, die durchschnittliche Trainingsnote lag bei 7,41 und es gab keinen, der hinten runterfiel. So machte es einfach Spaß, Trainer zu sein.


    Die gute Stimmung wirkte sich natürlich auch positiv auf mich und damit auf meine Umgebung aus. Ich war wesentlich ruhiger und entspannter, auch und besonders im Umgang mit meinen Kindern. Die waren mir noch vor ein paar Monaten manches Mal gehörig auf den Puffer gegangen. Gar nicht zu reden von der Stimmung, die vor einem, eineinhalb Jahren herrschte. In der Zeit stand ich beruflich gehörig unter Stress und war zuhause nicht genießbar. Jede Kleinigkeit konnte mich zur Explosion bringen - für meine Umgebung war ich vermutlich eine Zumutung.

    Die eingetretene Veränderung fasste meine Frau mit der Aussage zusammen, dass ich „seit meinem Auszug ein bessere Vater sei“. Ein zweischneidiges Lob, bedeutete es doch auch, dass ich vorher kein guter Vater war.

    Aber ich wollte nicht mehr so oft zurück blicken, sondern vielmehr nach vorne. Mit meiner Frau fand ich eine Regelung zum Kindesumgang, so nennt man das wohl. Wir einigten uns jedenfalls darauf, dass die Kinder zwei Nächte in der Woche und jedes zweite Wochenende bei mir sein sollten. Das funktionierte auch ganz gut. Genau genommen funktionierte es richtig gut, einziger Wermutstropfen war die kleine Wohnung, die für drei heranwachsende Jungs einfach nicht genügend Möglichkeiten bot, sich auszutoben. Es war einfach zu klein, umgeben von Nachbarn, ohne wirklichen Garten. Hier müsste sich über kurz oder lang etwas ändern, zumal die Jungs ja größer und nacheinander in die Pubertät kommen würde. Aber das Problem musste nicht sofort gelöst werden.


    [-----]


    Am Sonntag reisten wir nach Firrel zu den dortigen Grün-Weißen. Fünf Punkte standen erst auf deren Haben-Seite, der Abstieg stand bei 15 Punkten Rückstand auf das rettende Ufer quasi schon fest. Das Spiel bot also hohes Fettnäpfchen-Potential ...


    Der strömende Regen schien uns nichts auszumachen. Nach fünf Minuten wurden wir zum ersten Mal gefährlich, aber Nikolaev scheiterte am Torwart des Gastgebers. Drei Minuten später gewann Schäfer im Mittelfeld den Ball und startete an der Außenlinie einen Lauf tief in die Hälfte des Gegners. Er zog nach innen, legte dann quer rüber auf Kuleszka - und der konnte im Moment machen, was er wollte, er traf einfach. 20 Meter vor dem Tor, zentrale Position, mit links, unerreichbar flach neben den rechten Pfosten. „Haste Gold am Schuh, haste Gold am Schuh.“ Oder anders: „Wenn’s läuft, dann läuft’s!“


    Die nächsten 15, 20 Minuten gehörten eindeutig uns. Besonders Starke, den ich von Anfang an gebracht hatte, machte auf seiner linken Seite mächtig Dampf und flankte ein ums andere Mal gefährlich vor das Tor von Grün-Weiß Firrel. Allein - und wollte kein weiteres Tor gelingen. Auch nicht durch Kuleszka, der einen Freistoß drei Meter vom linken Strafraumeck entfernt direkt auf den kurzen Pfosten zog und nur knapp das Ziel verfehlte. Das war frech und zeugte von großem Selbstbewusstsein. Oder war das schon Überheblichkeit?


    Fünf Minuten vor der Pause verletzte sich dann mit Thomas Altendorf der nächste (und letzte) gelernte zentrale Mittelfeldspieler. Neben unseren vergebenen Torchancen der nächste Schuss vor den Bug. Langsam, aber sicher wurde mir etwas flau in der Magengegend zumute. Das schien heute so ein Tag zu sein, an dem so einiges schief gehen konnte.

    Kurz nach der Pause schien sich mein Gefühl zu bestätigen: Bei der erst zweiten halbwegs ordentlichen Offensivbemühung der Grün-Weißen kam der Ball in den Strafraum und sprang dort Marcel Piesche an die Hand. Der Elfmeter war berechtigt, gar keine Frage. Firrels Eggestein lief an und schoss mittig auf’s Tor, aber Knystock war stehen geblieben und konnte parieren!


    Danach lief das Spiel so vor sich hin. Wir waren bestimmend, ohne dabei wirklich zwingend zu sein. Das war mit Sicherheit das schlechteste Spiel seit dem Start unserer Serie ungeschlagener Spiele. Doch Firrel war so schwach, dass es sich nicht zu rächen schien.

    Dachte ich zumindest bis zur 80. Minute. Dann war er nämlich plötzlich da, der Ausgleich und wir waren die Gelackmeierten. 13:3 Torschüsse waren plötzlich Makulatur, es stand 1:1 und ich fühlte mich, als sei mir der Stecker gezogen worden.

    Nach kurzer Absprache mit Bojan reagierten wir und brachten Neziri, auch wenn der nach seiner Verletzung noch nicht wieder richtig fit war. Nikolaev, der heute kein gutes Spiel gemacht hatte, kam dafür runter.

    Wir nahmen das Heft wieder stärker in die Hand und spielten druckvoller. Es gab eine und dann noch eine Freistoßflanke von Döll, die aber auch harmlos blieben - bis zu dem Moment, als der Pfiff ertönte: Elfmeter für uns. Virrels Verteidiger hatte den am zweiten Pfosten lauernden Castillo weggeschubst, Castillo nahm das dankend an und ging zu Boden. Neziri schnappte sich den Ball, legte ihn sich zurecht, lief an - und verwandelte!



    Trotz des 2:1-Sieges war meine Laune nicht wirklich gut. Mir gefiel nicht, dass wir nicht in der Lage waren, gegen das abgeschlagene Tabellenschlusslicht unsere Überlegenheit der ersten Hälfte in Tore umzumünzen. Und die zweite Hälfte ... darüber wollte ich erst recht nicht reden. In der Kabine schluckte ich meinen Groll aber herunter. Nach dem fünftem Sieg in Folge wäre es schwierig gewesen, den Jungs zu vermitteln, dass das heute nix war. Aber ich würde die Augen offen halten und einschreiten, wenn der Schlendrian um sich zu greifen drohte.


    Abends wurde meine Laune besser, was natürlich daran lag, dass meine Freundin da war und wir einen gemütlichen Abend verbrachten.

    Aber auch der Anruf von Christopher Langer trug dazu bei:

    „N’Abend René, ich will nicht lange stören. Altendorf wird nur ein, zwei Tage ausfallen, dann ist er wieder dabei.“

    „Oh, das ist eine gute Nachricht. Was hat er denn überhaupt?“

    „Eine Achillessehnenverhärtung.“

    „???“ So etwas hatte ich noch nie gehört, aber ich war auch kein medizinischer Experte.


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    Das Spiel bei Hansa Friesoythe könnte zu einem Gradmesser für den weiteren Saisonverlauf werden. Sollten wir auch beim Tabellen-5. bestehen, wäre vielleicht sogar noch der Anschluss nach ganz oben drin. Wenn nicht, würden wir bis zum Saisonende im Tabellenmittelfeld verbringen.


    Hansa begann druckvoll und hatte in der ersten Hälfte die besseren Gelegenheiten: Die größte Chance hatte der Gastgeber schon nach zwölf Minuten, aber Piesche rettete zwei Meter vor der Torlinie für den schon geschlagenen Knystock.

    Nach einer knappen halben Stunde zeigte sich unser Torwart wieder komplett auf der Höhe und wehrte einen Schuss von der Strafraumgrenze gekonnt ins Toraus ab. Die nachfolgende Ecke ergab eine Kopfballmöglichkeit, die Knystock aber locker abfing.

    Kurz vor der Pause endete ein Sololauf von Gbadan aus der eigenen Hälfte mit einem fulminanten 22 Meter-Schuss, der nur haarscharf über das Tor ging.


    In der Kabine munterte ich die Jungs auf und verbreitete - wie eigentlich fast immer - Lob und Zuversicht. Besonders kümmerte ich mich um Starke, der auf der linken Seite bisher ein eher schwaches Spiel gemacht hatte.

    Ganz offenbar fand ich die richtigen Worte, denn 22 Sekunden (!) nach Wiederanpfiff war er es, der sich frei schlich und einen schönen Pass von Döll in den Strafraum mit Schmackes in die Maschen drosch. 1:0 führten wir und die ganze schöne Feldüberlegenheit von Hansa Friesoythe aus der ersten Hälfte war für die Katz. Wir dagegen hatten mit unserer ersten richtig großen Gelegenheit gleich getroffen.


    Effizient blieben wir auch in der Folge: 56. Minute, Freistoßflanke von Döll auf den zweiten Pfosten, Eder Castillo war da ziemlich ungedeckt und brachte den Ball im Tor unter.

    Und eine Viertelstunde vor Schluss war endgültig alles in trockenen Tüchern, als Friesoythes Kurz unserem Bähre im Strafraum die Beine wegzog und Neziri den fälligen Strafstoß ebenso locker verwandelte wie in der Vorwoche gegen den Tabellenletzten. 3:0 war auch das Endergebnis.



    Mit dem Erfolg hatten wir uns in der Tabelle weiter nach vorne geschoben:

  • Als mir Martin und Sven davon berichteten, dass sie per Zeitungsannonce zu einem „Tag des Probetrainings“ für interessierte Fußballer von 16 bis 22 Jahren geladen hatten, war ich ehrlich gesagt skeptisch. Zu oft waren insbesondere Martins Ideen ziemlich nach hinten losgegangen.

    Ich erinnerte mich da an den Plan, Spiele unserer Jugendmannschaften bei sportdeutschland.tv live im Internet zu zeigen.

    Oder an die Idee, einheitliche Übungen zu filmen und den Jugendteams zur Verfügung zu stellen, um ein gleichartiges Training über viele Altersklassen umzusetzen.

    Oder an den Lichtschrankendribbelparcour.

    Oder das kontaktlose Fußballspiel ...

    Alles hatte er mit glänzenden Augen als das nächste große Ding angekündigt und herausgekommen war ... nichts.


    Um so überraschter war ich, als beim „Tag des Probetrainings“ dann tatsächlich ein paar Jungs dabei waren, die für die U 19 oder auch die Erste Herren in Betracht kamen. Insgesamt sieben Spielern boten wir an, eine bzw. zwei Wochen bei uns mitzutrainieren und auch in Spielen der U 19 mitzuwirken:

    • Philipp Heemsoth, 20 Jahre alt, offensiver Mittelfeldspieler (links, zentral)
    • Luca Bremser, 21 Jahre alt, defensiver Mittelfeldspieler
    • Fuseini Baidoo, 22 Jahre, Linksverteidiger
    • Philipp Kontny, 20 Hare alt, ebenfalls Linksverteidiger
    • Tim Wallenborn, 21 Jahre, Innenverteidiger,
    • Niclas Halstenberg, 21, offensiver zentraler Mittelfeldspieler und
    • Johannes Aggensteiner, 20 Jahre, Stürmer.

    Ich war gespannt ...


    [-----]


    Bei allem Trubel und aller Anspannung wegen des „Tages des Probetrainings“ durfte natürlich das normale Tagesgeschäft nicht vernachlässigt werden. Und das brachte uns am vorletzten Spieltag des Jahres ein Auswärtsspiel beim SC Blau-Weiß Papenburg ein. So abgeschlagen Grüß-Weiß Firrel Tabellenschlusslicht war, so zementiert war der vorletzte Tabellenplatz der Papenburger. Sechs Punkte vor Firrel, ebenso viele hinter dem Drittletzten aus Bevern und mit elf Punkten Rückstand auf den Tabellenplatz, der so poetisch als „rettendes Ufer“ bezeichnet wird, war die Situation der Gastgeber schon mehr als prekär. Ende Oktober hatte Papenburg zuletzt gewonnen und nun war Nikolaus schon vorüber - wenn sie wirklich noch den Abstieg vermeiden wollten, mussten sie quasi sofort damit anfangen, Spiele zu gewinnen.


    Ich versuchte meine Jungs darauf einzustimmen und führte als warnendes Beispiel die mühsame Partie gegen Firrel an. Aber ob das sich in den Köpfen festsetzte, wenn man in der Zeitung Dinge lesen konnte wie „Selbstgänger für Vorwärts Nordhorn“ und „Papenburg wird Barrikaden aufbauen müssen, um gegen Vorwärts etwas zu holen“?


    Meine Bedenken sollten sich aber ziemlich schnell zerstreuen, denn schon unser erster planvoller Angriff führte zum Torerfolg. Kuleszka erzielte auf Pass von Bähre seinen schon 16. Saisontreffer. Zehn Minuten waren da erst vorüber und alles lief nach Plan.

    Und es wurde noch besser, denn Bähre, der das 1:0 vorbereitet hatte, erzielte das zweite Tor mit einem schönen Schuss aus rund 18, 19 Metern selber. Für ihn war es das erste Saisontor. Und für Papenburg war damit nach 13 Minuten quasi schon alles gelaufen.


    Philipp Bähre spielte auf der rechten Seite auch danach weiter wie entfesselt. Nach 20 Minuten schlug er eine Flanke an den Fünfmeterraum, die Papenburgs Torwart durch die Hände gleiten ließ. Tim Starke war zur Stelle und schob zum 3:0 ein.


    Bis zur Pause passierte dann nicht mehr viel und auch danach dauerte es fast 20 Minuten bis zum nächsten Highlight. Es schien so, als würden wir bei dem Schneeregen nicht mehr wollen und die Papenburger nicht mehr können. Wie aus heiterem Himmel fiel dann das 1:3 als Cavusoglu eine Unachtsamkeit entschlossen ausnutzte und freistehend aus fünf Metern einschoss. Sollte es hier noch einmal eng werden?

    Drei Minuten später: Ecke für Papenburg, wir konnten den Ball nicht klären und Papenburgs bester Torschütze, Niclas Schultz, konnte den Anschlusstreffer erzielen. Wieder fehlte es uns an Durchsetzungskraft und -willen. Das konnte doch nicht wahr sein!


    Bojan und ich reagierten und wechselten drei Mal. Außerdem versuchten wir durch verstärkte Zurufe, die Jungs wieder zu mehr Konzentration zu ermahnen.

    Das zeigte Wirkung, wir bekamen die Partie wieder in den Griff und hielten Papenburg von unserem Tor fern.

    Die Nachspielzeit brach an und durch die Ergebnisse auf den anderen Plätzen waren wir mittlerweile auf Platz 4 der Tabelle vorgerutscht, nur noch drei Punkte hinter der Spitze. Aber hier war es noch nicht vorbei, Papenburg kam noch einmal nach vorne, spielte sich sicher den Ball zu und bekam dann noch eine letzte Schusschance - drin! Ich muss nicht besonders erwähnen, dass es sich um ein Traumtor handelte, ein Schlenzer aus 25 Metern in den Winkel.


    Unglaublich. Wir hatten ein 3:0 hergeschenkt und es stand auf einmal 3:3. Was für eine verf..... Drecksk....! Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Das kotzte mich an! Um so mehr, als wir in den restlichen drei Minuten der Nachspielzeit wieder Fußball spielten und zu drei guten Tormöglichkeiten kamen. Dass wir keine davon nutzen, war dann wieder symptomatisch.


    In der Kabine schienen dann auch nur wenige Spieler an dem interessiert zu sein, was ich zu sagen hatte. Das änderte sich, als ich die Tür knallte und mit der Hand gegen die Taktiktafel drosch, dass es nur so klatschte. Ich pfiff die Jungs gehörig zusammen und sagte, ach was, schrie ihnen entgegen, dass sie heute nicht gut genug gewesen waren und dass wir dieses Spiel hätten gewinnen MÜSSEN! Bei den meisten schien die Botschaft anzukommen, sie sahen betreten zu Boden oder signalisierten Zustimmung. Bei Wolfgang Knystock und Didi Döll hingegen schien die laute Ansprache das Gegenteil zu bewirken. Ich beließ es für heute dabei, wir würden sehen, ob und was sich aus der Standpauke entwickelte.


  • Meine klaren Worte nach dem Papenburg-Spiel schienen nicht nur deutlich, sondern auch laut gewesen zu sein. So laut, dass sie sogar Erwähnung in der Zeitung fanden. In der Überschrift der kurzen Berichts hieß es wörtlich „SV Vorwärts Nordhorn-Trainer putzt Team runter!“ Es war die Rede davon, dass ich über die Leistung des Teams „völlig aufgebracht“ war und meinem „unbändigen Ärger in unmissverständlicher Weise Luft“ gemacht hätte. Wenn das bei den Jungs so angekommen war, wäre es ja gut ...


    Die Trainingswoche verlief unspektakulär. Lukas Berkenbaum stieg wieder ins Training ein, niemand verletzte sich, alle zogen mit - zumindest fast alle. Tatsächlich war es zum wiederholten Male Marcel Piesche, der sich nicht so reinhängte, wie ich mir das vorstellte. Ich nahm nach dem Training aber nicht ihn beiseite, sondern Bojan. Ich bat ihn, mal ein Auge auf Piesche zu haben und aus ihm herauszukitzeln, ob es etwas gab, das ihm auf der Seele lag.

    Vor dem Freitagstraining kam Bojan auf mich zu und berichtete, dass Piesche erste leise Zweifel habe, weil es der Mannschaft seiner Meinung nach so langsam an Tiefe im Angriff fehle. Da Marcel ein sehr einflussreicher Spieler war, der in der Teamhierarchie weit oben stand, würden wir die Sache zumindest beobachten und gegebenenfalls reagieren müssen.


    Am Sonntag, den 16.12.2018 hatten wir unser letztes Spiel in diesem Jahr. Das nächste Pflichtspiel war für den 03.02.2019 angesetzt. Natürlich wollten wir uns nach Möglichkeit mit einem weiteren Erfolgserlebnis in die Winterpause verabschieden, aber die Messlatte lag ziemlich hoch: Wir empfingen den Tabellen-2., den SC Melle 03. Melle lag vier Zähler vor uns und damit war klar: Wenn wir im neuen Jahr tatsächlich noch mal oben angreifen wollten, sollten wir tunlichst nicht verlieren.


    Trotz des Schneeregens entwickelte sich in der Anfangsphase ein munteres Spiel. Vielleicht bewegten sich auch alle nur deswegen so viel, weil das Wetter so ungemütlich war. Sowohl Melle als auch wir hatten in der ersten Viertelstunde schon zwei, drei gute Spielzüge, es blieb aber nur bei Torannäherungen. Die bis dahin beste Gelegenheit war sicher ein Kopfball von Bähre nach schöner Flanke von links durch Starke. Der Kopfball ging aber ebenso am Tor vorbei wie mehrere Fernschüsse.


    Danach verflachte das Spiel etwas. Interessant wurde es erst 20 Minuten später und das war Ergebnis eines Zufallsproduktes. Döll schlug aus dem Anstoßkreis einen langen Ball in den Meller Strafraum. Das war eigentlich komplett harmlos, denn im Radius von sieben, acht Metern um den Meller Verteidiger mit dem schönen und schwierigen Namen Sylwestrzak war keiner Nordhorner Spieler. Sylwestrzak versprang der Ball bei dem Versuch der Annahme aber derart, noch dazu rutschte er beim Antrittsversuch ein wenig weg, dass Kuleszka gefühlt den Bruchteil einer Sekunde Zeit hatte, zu handeln. Und das tat Maciej in seiner derzeit unnachahmlichen Weise - mit links nagelte er den Ball am verdutzten Keeper vorbei zur Führung in die Maschen. Wie gesagt: In der Entstehung ein Zufallsprodukt. Aber in der Verarbeitung ein Sahnestück!


    Kurz vor der Pause ging ein Passversuch von Döll dann ins Leere bzw. genau zum Gegner. Und dann spielte es Melle wirklich sensationell: drei, vier schnelle Zuspiele, ein direkter Abschluss von der Fünfmeterraumkante und es stand 1:1.


    In der zweiten Hälfte passierte lange Zeit gar nichts. Wir hatten die angeschlagen ins Spiel gegangenen Yeziri und Berkenbaum ausgewechselt, Piesche hatte (ebenso wie Döll vor der Pause) eine gelbe Karte gesehen, aber sonst plätscherte das Spiel wie der Nordhorner Regen.

    Nach 72 Minuten erhielten wir einen Einwurf, den Altendorf zu Piesche warf, der wiederum klatschen ließ. Altendorf flankte, der Ball wurde aber abgeblockt und landete in zentraler Position bei Döll. Der gab weiter auf die linke Seite zu Volker Schultz, der den Ball in Richtung des zweiten Pfosten zog. Bähre nahm ihn volley - und zwischen Pfosten und Handschuh des Meller Keepers schlug der Ball flach ein. Wir waren wieder in Führung.


    Würde es uns dieses Mal gelingen, die Führung zuhause zu behalten? Bojan und ich stellten das Team defensiver ein, nahmen mit der Auswechselung von Döll Zeit von der Uhr - und hatten Wolfgang Knystock. Nachdem der einen zum Glück harmlosen Meller Schuss gehalten hatte, lief er mit dem Ball bis an die Strafraumkante und drosch ihn dann weit in die Meller Spielhälfte. Dort lauerte Kuleszka, erlief den Ball und machte das, was ihm und uns am meisten Spaß machte - er schoss ihn unhaltbar ins Tor. Saisontor Nummer 18 für ihn. Und für Wolfgang Knystock war es die zweite Torvorlage nach seinem Geniestreich gegen Dinklage.



    In der Tabelle belegten wir nach diesem wirklich tollen Sieg Platz 6:



    Die Spieler traten quasi mit dem Schlusspfiff ihren Urlaub an, den sie sich wirklich redlich verdient hatten. Am Samstag, 12.01.2019 würden sie in das Training zurückkehren.


    Für Bojan und mich gab es bis dahin aber noch manches zu erledigen.

    Und auch meine Freundin hatte Gesprächsbedarf.

  • Vier Tage vor Weihnachten setzten wir uns in der kleinen Wohnung zusammen. Wir, das waren meine Freundin und ich. Wir hatten das so vor Beginn der Saison vereinbart - in der Winterpause wollten wir besprechen, wie es mit den drei großen „F“ in meinem Leben so klappen würde. Ich für meinen Teil war eigentlich ganz zufrieden mit der Situation:

    Mit der Familie (das heißt mit meinen drei Jungs) hatte sich alles so weit eingespielt. Die Wohnung war ein Problem, aber das würde sich schon lösen (lassen).

    Der Fußball stellte sich unproblematisch dar. Von den Trainingszeiten waren wir gar nicht betroffen und die Spiele einmal in der Woche ließen sich gut bewerkstelligen.

    Und mit der Freundin lief es gut. Wenn wir zusammen waren, war es immer sehr schön und innig. Wenn wir nicht zusammen waren, war das natürlich nicht so schön und doof. Aber ich hatte genug um die Ohren (arbeiten tat ich ja schließlich auch noch) und war gut abgelenkt. Die Skype- bzw. WhatsApp-Videotelefonate tagsüber und abends linderten das Herzeleid und - wenn ich ehrlich war, gefielen mir die ein bis zwei freien Abende, die ich alleine zuhause verbrachte, eigentlich ganz gut.


    Ich war also guter Stimmung und guter Dinge, als ich mich mit meiner Freundin zusammensetzte. Allerdings war ich mit meiner Einschätzung und der damit verbundenen guten Stimmung ziemlich alleine.

    Meine Freundin sah die Dinge etwas anders:

    Dass sich mit den Jungs alles so gut entwickelt hatte, freute sie von ganzem Herzen. Das mit der Wohnung würde sich finden, vielleicht wäre es aber besser, nicht auf ein Geschenk des Himmels zu warten, sondern sich in nicht allzu ferner Zukunft aktiv umzuhören, zum Beispiel im Bekannten- oder Kollegenkreis, und zu fragen, ob jemand vielleicht eine größere Wohnung zur Verfügung hätte. Wie wir das Ganze finanziell händeln würden, müssten wir dann sehen. Zur Not würde ich mit meiner Frau sprechen und die Finanzen neu regeln müssen. Ich hatte keine Lust mehr auf Gesprächsrunden mit meiner Frau und war froh, dass wir alles soweit am Laufen hatten. Der Gedanke daran, sie um finanzielle Entlastung bitten zu müssen, behagte mir nicht. Mir war wohl mein Unwohlsein deutlich anzumerken, denn meine Freundin sagte: „Lass Dich nicht ausnehmen oder über den Tisch ziehen! Sie wohnt mietfrei in einem Haus, während Du hier in einer Zwei-Zimmer-Wohnung hockst. Wenn Du die Kinder jetzt die Hälfte der Zeit hast, müsstest Du eigentlich auch die Hälfte vom Kindergeld bekommen.“ Ein heikler Punkt also ...

    Was den Fußball und unser Zusammensein anging, hatte sie ebenfalls eine etwas andere Sichtweise als ich.

    Sie erinnerte mich daran, unter welchem Druck ich noch vor sechs, acht Wochen gestanden hatte. „Das hat sich auch auf uns ausgewirkt. Wir haben so wenig Zeit miteinander, da will ich nicht, dass Du in Gedanken nicht bei mir, sondern beim Fußball bist.“ Auch dass jeder Sonntag durch die Ligaspiele zerrissen wurde, sprach sie an. „Wir haben nur jedes zweite Wochenende kinderfrei. Und dann will ich die Zeit mit Dir verbringen und Dich nicht mit dem Fußball teilen.“


    Und dann kam die Frage aller Fragen: „Wie stellst Du Dir vor, dass es weitergeht?“


    Ja, wie stellte ich es mir vor ...

    Bis auf Weiteres würde es so weiterlaufen wie bisher.

    Wie denn auch sonst?


    Zusammenziehen konnten wir nicht. Wo denn? Ich konnte nicht zu ihr ziehen, sie nicht zu mir - wir hatten beide je drei Kinder im schulpflichtigen Alter. Nach dem Auszug ihres Mannes war meine Freundin quasi allein erziehend. Mehr als alle zwei Wochen ein kinderfreies Wochenende war derzeit nicht drin für sie. Die Kinder sollten nicht zu einem Umzug gezwungen werden, sondern in ihrem Umfeld verbleiben. Abgesehen davon, dass unsere Ehepartner das wohl auch nicht so toll finden würden.

    Den Fußball aufgeben? Das kam mir derzeit unvorstellbar vor. Fußball war mir wichtig, sehr wichtig sogar. Und noch war der Leidensdruck nicht so groß, zumindest meiner nicht.


    Wir saßen lange zusammen, besprachen alles hin und her und überlegten, wie wir uns mehr gemeinsame Freiräume und Zeit verschaffen konnten.

    Ich würde künftig freitags im Homeoffice arbeiten, und dafür Donnerstags nach der Arbeit zu meiner Freundin fahren. Das Freitagstraining würde ich Bojan anvertrauen, zumindest taktisch war er mir ja ohnehin überlegen.

    Wir würden die Urlaube in den Ferien aufeinander abstimmen und dafür sorgen, dass wir zusammen Urlaub hätten, um auch mal gemeinsam - entweder alleine oder mit drei bis fünf Kindern - in Urlaub fahren zu können. In den Ferienzeiten, in denen die Kinder bei meiner Frau bzw. ihrem Mann waren, würde meine Freundin zu mir kommen und im Homeoffice arbeiten.

    So würden wir erst einmal bis zum Ende der Saison weitermachen. Was dann sein würde, stand ohnehin in den Sternen.


    [-----]


    Weihnachten verlief ruhig und ohne besondere Zwischenfälle. Heilig Vormittag war ich alleine - ehrlich gesagt fuhr ich ins Büro, um zu arbeiten. Nachmittags war ich bei meiner Frau und den Kindern. Wir hatten vereinbart, die Bescherung gemeinsam zu machen. Das war harmonisch und nett. Abends um halb zehn fuhrt ich wieder in meine Wohnung. Den ersten Feiertag verbrachte ich bei meiner Freundin zuhause. Am zweiten Feiertag brach ich morgens um 08:00 Uhr auf, um meine Kinder pünktlich um 10 Uhr abzuholen und mit ihnen die erste Ferienwoche zu verbringen.


    An einem Abend in den Ferien kam Bojan zu mir und wir analysierten die „Halb“serie. Alles in allem konnten wir mehr als zufrieden sein. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten hatten wir mehr als gut die Kurve bekommen, was natürlich mit den taktischen Umstellungen zusammenhing. Ich dankte Bojan hierfür noch einmal nachdrücklich, was er mit den Worten „Wir sind ein Team.“ beiseite schob. Für die ausstehenden Rückrundenspiele nahmen wir uns vor, alles dafür zu tun, noch einmal oben anzugreifen. Nach außen kommunizieren wollten wir das aber nicht groß´.


    Unsere Teamanalyse fiel recht schmal aus:


    Das lag auch daran, dass wir im Großen und Ganzen mit dem vorhandenen Kader weiter arbeiten würden.

    Zum 01.01. würde Joseph Amaefule hinzu kommen.

    Aber sonst?

    Nix sonst!


    Wir hätten zwar gerne einem oder zwei Spielern vom „Tag des Probetrainings“ einen Vertrag angeboten, besonders hatte es uns der Linksverteidiger Fuseini Baidoo angetan. Aber - und dieses A B E R wurde sehr groß und in Sperrschrift geschrieben - die Finanzen gaben es nicht her.

    Martin hatte mir die aktuellen Daten per Mail geschickt, vermutlich, um jede Budgetdiskussion bereits im Keim zu ersticken. Die Zahlen sahen nicht besser aus als die vor der Saison. Weiterhin mussten wir von einem Saisonminus von rund 200.000 EUR ausgehen. Die Finanzen von Vorwärts Nordhorn standen also weiterhin auf mehr als wackeligen Füßen ...


    Uns von einem der vorhandenen Spieler zu trennen, kam für Bojan und mich nicht in Betracht. Diejenigen, die an Bord waren, hatten sich trotz der kritischen Lage dazu entschlossen - da würden wir nicht einfach jemanden rauswerfen.

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