Langer Weg zum Ruhm -




  • 24.06.2020 – 14:30 Uhr


    Die Zeit verging wie im Flug. Hätten sich nicht irgendwann Mones‘ Magen gemeldet – der immer etwas früher dran war als meiner – hätten wir beiden gar nicht gemerkt, dass es schon früher Nachmittag war.


    Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte unbarmherzig auf die wenig Schatten spendenden Büsche.


    „Ich habe Durst.“ Mone‘ setzte sich unter einen uralten verkrüppelten Olivenbaum.


    Ich nahm neben ihr Platz. „Und mir knurrt der Magen.“


    „Kehren wir um?“ merkte ich an und spürte, dass ich eigentlich keine Lust mehr hatte, den Hügel noch weiter hinaufzulaufen.


    „Unser Boot geht eh in zwei Stunden und wir müssen vorher noch etwas essen. Es wird eine lange Fahrt.“


    Ergeben nickte meine Freundin, stand auf und trottete mir hinterher, während ich versuchte mich zu orientieren.


    Es war aber offensichtlich nicht so leicht, den Weg zurückzufinden. Der Wind hatte unsere Spuren im Sand verweht und ich hatte während der Wanderung nicht auf den Weg geachtet und waren mal hier und dort hingelaufen.


    Nicht so clever, wenn man bedenkt, dass wir uns auf der Nebeninsel eines uns fremden Landes befinden.


    Gozo war die schönere Variante des kleines Inselstaates Malta, die wir während unseres 16-tägigen Urlaub einmalig besuchten.



    Früh morgens um acht aufgestanden, um mit dem Bus rechtzeitig am Hafen anzukommen, damit wir die Fähre erreichten.


    Wandern bei 26 Grad.


    Nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung. Ich wollte aber unseren ersten gemeinsamen Urlaub als Paar nicht vermasseln. Da muss man auch mal oder gerade trotz meiner üppigen Figur durch.


    Und wie sagt man so schön? Jeder Gang macht schlank.


    Blicken wir auf Anfang des Jahres zurück. Da brachte ich 182 Kilo auf die Waage. Mit viel Disziplin und der Unterstützung meiner Freundin, die Physiotherapeutin war, hatte ich es geschafft in einem halben Jahr knapp 30 Kilo zu verlieren.


    Jetzt war es aber Zeit für eine Auszeit. Die Arbeit stresste, Corona stresste und wir wollten die kurze Gelegenheit nutzen, um aus Deutschland zu fliehen. Der Sonne entgegen. Drei Wochen am Pool oder Meer. Cocktails schlürfen. So hatte ich mir das eigentlich vorgestellt.




    Meine Freundin aber nicht. Einen Tag wandern durch Valetta, den anderen hier eine Ruine besichtigen, da eine Kirche. Jeden Tag über 15.000 Schritte. Sah so ein Urlaub aus? Ich denke nicht.



    Heute war dem aber ein Ende gesetzt. Ich hatte um 16:20 Uhr eine private Bootstour gemietet. Mit Ritt in den Sonnenuntergang. Das Wetter schien heute dafür zwar nicht überragend, die 150€ wollte ich aber nicht in den Sand setzen.



    So brachen wir auf, griffen unterwegs Pommes auf und machten uns auf den Weg zum Gozo Ferry Terminal.


    Dort sollte Josef auf uns warten, mit dem ich seit zwei Tagen im regen Austausch war. Ein kleines Boot, nur Platz für Simone und mich. Und ganze vier Stunden um die Insel, alle Sehenswürdigkeiten mitzunehmen.


    Aber der Wellengang heute war monströs. Josef hatte alles im Griff. Meine Freundin ihren Magen aber weniger. Sie genoss die erste Stunde auf dem Boot also eher weniger.


    Während sie an meine Schulter gelehnt die Augen zu machte, kamen Josef und ich ins Gespräch.



    Ich war in solchen Sachen nicht gut. Eher introvertiert. Aber über ein Thema konnte ich mich bei jeder Person auf der Welt öffnen – Fußball.


    Ich hatte mich im Vorhinein zwar über die heimische Liga informiert, leider war es mir aber missgönnt, ein Spiel auf de Insel live zu sehen.


    Josef fing an zu erzählen. Ich erzählte ebenfalls von mir. Er wirkte überrascht, als ich ihm sagte, dass ich daheim in Deutschland selbst eine Mannschaft trainierte. Sogar eine B-Lizenz hatte. Und dass trotz meiner üppigen Figur. Wir redeten über Philosophien und Taktiken, ehe wir von einem lauten Grölen aus unserer Blase gerissen wurden.


    Simone hatte es fertiggebracht, sich in das Mittelmeer zu übergeben. Wir lachten, ich versuchte ihre Haare zu halten, doch der Wind machte dies zu einer unmöglichen Aufgabe.


    Auf mein Grinsen kam nur ein böser Blick. Ich rollte zwar mit den Augen, nahm sie aber wieder an meine Schulter. Josef und ich kamen wieder ins Gespräch.


    Er erzählte, dass sein Vater gerade einen neuen Trainer für eine Mannschaft suchte. Es war aber schwierig auf Grund der aktuellen Zeit einen Trainer vom Festland zu akquirieren. Und der Maßstab an Trainern auf Malta war nicht sehr hoch.


    Ich sagte ihm scherzhaft, dass er ihm ja meine Nummer geben könne.



    Seine Frage, ob er das wirklich tun könnte, kam überraschend ernst rüber. Anschließend drückte er mir eine selbstgebaute Angelschnur in die Hand.


    „Tunas“, und zeigte mit dem Finger auf das Wasser. „A lot of Tunas“.



    Vergeblich versuchte ich drei Mal die Schnur so schnell wie möglich an Board zu ziehen. Schien aber nicht schnell genug zu sein. Josef hingegen schaffte es in der Zeit drei Stück zu fangen.


    Zwei ließ er wieder frei. Den dritten, den er am Wied il-Mieah Window fang nahm er mit. „Bringt Glück,“ sagte er.



    Dann ging es langsam wieder zum Hafen zurück. Volle Spannung erwarteten Mone' und ich den Sonnenuntergang auf dem Mittelmeer. Auch der Wellengang hatte sich langsam, aber sicher beruhigt. Meine bessere Hälfte ebenfalls.






    So schipperten wir also dem Sonnenuntergang entgegen, ehe wir am Hafen ankamen und die letzte Fähre zurück nach Mellieħa nahmen.


    In unserem Hotel gönnten wir uns noch auf dem Dach noch am Pool ein paar Cocktails, ehe mein Handy klingelte.


    Simone rollte mit den Augen.


    „Hallo Herr Zwick, Bjorn Vassallo hier. Sie wissen zwar nicht wer ich bin, ich ebenso wenig, aber…“


    Wenige Minuten später legte ich auf.


    „Du zittert ja“. Mone nahm mir meinen Cocktail ab und stellte sie an den Poolrand.


    „Ich dachte, du wolltest dir wirklich frei nehmen und nicht arbeiten, geschweige denn nicht ans Telefon gehen.“


    Ich erwiderte ihren bösen Blick. „Das war nicht die Arbeit.“


    Also erzählte ich ihr genau die Worte, die mir Herr Vassallo gerade erzählt hatte. Letzteres war Präsident der MFA. Der Malta Football Association. Der Vater von unserem Kapitän am heutigen Nachmittag.


    Josef hatte es tatsächlich für bare Münze genommen und seinem Vater von mir erzählt. Mir von meinen Vorstellungen vom erfolgreichen Fußball erzählt. Meine Methoden. All das, was er heute im Laufe des Abends aus mir herausbekam.



    Während meine Freundin dachte, ich wolle Sie auf dem Arm nahm, tippte ich den Termin für ein Vorstellungsgespräch am kommenden Freitag ein. In meinem Kopf ratterte es. Es schien so, als wäre das nicht einfach nur eine an den Haaren herbeigezogene Idee, sondern ein neuer Lebensabschnitt. Weg aus der Kleinstadt Lohne, weg aus einem mittelständigen Unternehmen und selbst der Boss sein.



    Ob meine Freundin diesen möglichen neuen Abschnitt gemeinsam mit mir bestreiten würde?



    27.06.2020 7:30 Uhr


    Seit einer Stunde robbte ich mich im Bett hin und her. Um Simone nicht aufzuwecken, nahm ich mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und setzte mich auf den Balkon des Zimmers. Die Aussicht zu Sonnenaufgang war traumhaft. Links hatte ich den Blick auf das Mittelmeer. Rechts wartete einer von drei Pools auf mich.


    Aber der Reihe nach.


    Am gestrigen Abend vergnügte sich Simone an der Bar, während ich zum Treffen mit dem Verbandspräsidenten antanzte.


    Essen in einem traditionellen Restaurant in Valetta. Kurz vorher hatte ich einen wilden Ritt auf den Straßen Maltas hinter mir. Enge Straßen - schnelle Autos. Alle paar Meter mussten wir Platz für einen Bus machen.


    Im Restaurant angekommen gab es Stuffat tal Qarnit zu probieren. Eine reichhaltige und herzhafte Mischung aus Oktopus mit gekochtem Gemüse wie Kartoffeln und Fenchel.


    Die Hölle für jemanden, der die deutsche Küche gewohnt war. Aber ich riss mich zusammen und hatte einen schönen Abend. Es schien weniger um Fußball zu gehen und es schien Björn eher daran zu legen, dass wir uns zwischenmenschlich auf einer Wellenlänge befanden.


    Zum Ende des Gespräches trat er dann mit dem Fuß in die Tür und machte mir ein Angebot als Teammanager.


    Eine Traineranstellung wäre erst möglich, sobald ich die dafür benötigten Statuten der UEFA erfüllen würde. Das könne er aber unter der Hand geregelt werden, sagte er, während er mir mit einem leichten Grinsen zuzwinkerte.



    „Ein Haus, Auto und einem Gehalt von knapp 3000€ netto monatlich. Für den Anfang. Mehr kann ich Ihnen nicht bieten. Aber ich will Sie unbedingt im Team haben – abgemacht?“. Vassallo streckte mir selbstsicher die Hand entgegen.



    „Ich fange am 06.07 an – Sie können mir die Adresse ja schicken.“ Antwortete ich und schlug ein.


    „Das ist für mich in Ordnung – meine Sekretärin informiert Sie über alles nötige. Und bitte mein Name ist Björn“. Vassallo‘ beendete das Gespräch und ich überlegte Simone anzurufen und sie schon einmal auf die Nachrichten vorbereiten sollte.


    Ich verwarf diese Idee aber gleich wieder. Wir würden nur darüber streiten und wenn sie mir gegenübersteht, würde sie niemals wütend werden. Eher im Gegenteil. Wann würde ich mit diesen Rezensionen nochmal eine solche Chance bekommen?




    Vermutlich nie. Nicht mit dieser Vorgeschichte. Ein keiner Inselstaat machte es also möglich. Aber habe ich diese Entscheidung nicht zu voreilig geschlossen?


    Mein Kopf würde vermutlich mit ja antworten… Vermutlich war das der Grund, warum ich mich im Bett nur noch von links nach rechts drehen konnte…


    Das Gespräch mit meiner Freundin wird sicherlich alles andere als positiv ausgehen.




  • 02.07.2020


    Nach einer langen, entspannten Fahrt im gemieteten Cabrio fuhren Simone und ich zum Hotel zurück. Es war ihr zweiter Tag, an dem sie eine Spritztour mit dem Wagen machten, wie Mone es so gerne nannte.


    Sie waren sich windende Landstraßen entlanggefahren, durch nahegelegene Städte an Pferdefarmen vorbei und schönen, eleganten Häusern hier und da.

    Heute haben wir an einem Park angehalten, um unter einem wunderschönen Pavillon zu picknicken, bei Chicken-Salatsandwiches, Fruchtsalat und Bier zu plaudern.


    Es gab in den letzten Tagen nach meiner spontanen Entscheidung nur noch ein Thema.

    Jedenfalls drehte sich im Kopf meiner besseren Hälfte nur noch alles um unsere nicht vorhandene gemeinsame Zukunft.


    Simone zeigte sich mit meiner, wie sie sagt, egoistischen Entscheidung nicht einverstanden und versuchte alles, um mich vom eingeschlagenen Weg abzubringen.


    Jeder kann sich hier sicherlich vorstelle, wie schwierig ein zusammenleben die letzten Tage war. Gott sei Dank war Freitag der letzte gemeinsame Tag auf der Insel.


    Es war Zeit abzureisen. Noch nicht für mich, aber der reguläre Urlaub ist vorbei.

    Während Sie schon auf gepackten Koffern sitzt, hänge ich nur noch am Laptop und informierte mich über Land, Spieler und Mitarbeiter.


    Mein Arbeitgeber war bereit mich auf unbestimmte Zeit freizustellen, bot mir aber mit weinenden Augen an, dass ich mich jederzeit melden könne.


    Es stand also niemand mehr im Weg. Außer meiner hysterischen Freundin, die mich partout vom großen Traum abhalten wollte.

    Klar Malta war jetzt nicht der Große Fingerzeig auf der europäischen Landkarte, aber ein Anfang.


    Die ersten Termine standen bereits im Kalender. Am Wochenende stand ein Termin mit meinem zukünftigen Co-Trainer auf dem Programm, ebenfalls würde ich am Sonntag das erste Mal in meiner neuen Wohnung schlafen.

    Der Ausdruck Haus war übertrieben. Immerhin ein kleines Apartment inmitten der Hauptstadt gelegen. Auf Dauer werde ich mir aber wohl was anderes suchen. Der Stadtverkehr ist einfach unausstehlich laut.


    Am Montag gab es dann auch direkt die erste offizielle Pressekonferenz. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dort überhaupt Journalisten anwesend waren.


    „Du bist gar nicht mehr anwesend“, war eine Freundin mir plötzlich vor.

    „Bitte, was?“

    „Ja! Ich mache mir hier Gedanken, wie es weiter geht und scheinbar ist alles, woran du noch denken kannst, dein beschissener Fußball.“

    „Baby, das…“

    „Doch,“ fiel sie mir ins Wort. „Sieh mir in die Augen und sag mir, dass es nicht so ist.“

    Ich überlegte. Wohl zu lang.


    „Siehst du. Ich weiß auch nicht was das für einen Sinn macht. Ich glaube das sind die letzten gemeinsamen Stunden, die wir hier verbringen. Ich bin nur noch enttäuscht und traurig.“


    Enttäuscht? Wirklich?

    Ich sollte wohl eher enttäuscht sein, dass sie mich auf meinem Weg nicht unterstützt. Sie muss nicht mal hier sein. Meine Vertrauensbasis könnte auch die etlichen Kilometer zwischen uns aushalten. Sie sah das anscheinend anders.


    „Hör mal“, blickte ich Sie an. Es ist nur so, dass ich gerade einen anderen Fokus habe. Wenn dir das nicht passt, kann ich das verstehen. Aber du musst mich auch mal verstehen. Diese Chance die auf mich wartet.“


    Simone schüttelte nur mit dem Kopf.

    Es machte keinen Sinn, hier noch zu diskutieren. Also verblasste das Gespräch und e machte den Anschein, als würden wir uns die letzten Stunden aus dem Weg gehen...


    Ich ließ sie also gehen und am Freitag verabschiedeten wir uns unter Tränen. Es schien, als wäre diese Beziehung nach knapp 15 Monaten vorbei, ehe sie richtig begonnen hatte.


    Ihr mag es vielleicht radikal vorkommen, aber vielleicht besteht ja noch Hoffnung, wenn sie genug Abstand zu der Sache gewonnen hat. Einen besseren Mann, das hat sie selbst gesagt, wird sie so schnell wohl nicht finden. Also bleibt ein letzter Funke Hoffnung.


    04.07.2020


    Ich machte es mir in einem großen Samtsessel bequem und nahm mir einen Doppelkeks vom Tisch, die Davide Mazzotta extra wegen mir dort platziert hatte.

    Währenddessen fuhr dieser mit seinem Monolog fort. Als er davon anfing, dass er unter Antonio Conte als Videoanalyst bei Chelsea gearbeitet hatte, musste ich plötzlich nach Luft schnappen.


    Irgendwie verklemmte sich der Keks dabei in meiner Kehle und ich musste verzweifelt husten.

    „Ah ja." Versuchte ich mich zu retten.


    Doch Davide ließ sich davon nicht abhalten. Er erzählte seinen Lebenslauf mit solch einer arroganten Selbstsicherheit, dass er wohl gleich über seine eigene Nase stolpern würde.

    „Und was hast du so zu bieten?“ blickte er plötzlich kritisch in den Raum.


    Ich biss einmal kräftig in meinen Keks und deutete auf meinen Mund, während ich kaute.

    Jetzt sehr gründlich kauen. Ich kann unmöglich über meine nichtexistierende Trainerkarriere sprechen.


    Davide lehnte sich lässig in seinen Sessel zurück. „Das hatte ich mir schon gedacht“, erwiderte er auf die peinliche Stille.

    Ich schluckte.


    „Nun, viel habe ich tatschlich nicht zu bieten. Aber hat das andere Trainer davon abgehalten, an einer erfolgreichen Laufbahn zu arbeiten?“


    Davide nickte.

    „Ich habe da noch was vorbereitet. Du kannst unmöglich alle Spieler kennen. Ich habe dir deshalb eine Übersicht zusammengestellt. Für dich wird es wohl in den nächsten Wochen wichtig sein, so viele Spiele wie möglich zu sehen. Alle Spieler zu beobachten.

    Ich habe mir dafür extra ein Zimmer hergerichtet. Wenn du magst, können wir einige Spieler auch im Videoraum anschauen. Ansonsten teilen wir uns was die Stadionbesuche angeht besser auf."


    Ich nickte höflich und machte mmmhhmm an den, wie ich hoffte, richtigen Stellen.

    Davide stand auf und bat mich in seinen Raum voller Bildschirmen, Pinnwände und DVD-Bändern.


    Für seine 50 Jahre war Dave ordentlich digitalisiert. Der kleine, glatzköpfige Knurrer wie ich ihn ab sofort in meinem Kopf nannte, schien stolz zu sein, und schmiss seinen Laptop.

    Dort poppte direkt eine vorgefertigte Präsentation der aktuellen maltesischen Nationalmannschaft auf.

    Und der Knurrer fuhr mit seiner perfekt vorbereiteten Arbeit fort:


    „Fangen wir bei den Torhütern an." Er zeigte auf den rechten von vier Bildschirmen.





    „Henry Bonello ist unser aktuell bester Torwart. Seit 2012 hütete im Wechsel mit Justin Haber das Tor unseres Landes. Mittlerweile wo Haber sich aber eher auf seine verdiente Rente vorbereitet übernimmt mehr und mehr die Verantwortung. Er wird wohl auch die nächsten Jahre nicht verdrängt. Mit Jake Galea wartet ein solider dritter Torwart, der aber noch lange nicht an das Niveau der erstgenannten herankommt.

    In den Juniorenmannschaften laufen ebenfalls ein paar sehr vielversprechende Talente herum.
    Hier auf der Gegenseite siehst du eine Komplettansicht unserer Verteidiger."




    „Ich würde behaupten hier strotzen wir nur so vor Qualität. Für unser Niveau haben wir eine Handvoll gute Innenverteidiger, dass es eigentlich nur darauf hinauslaufen kann, dass wir auch unter dir in Zukunft mit einer Dreierkette auflaufen. Zach Muscat ist wohl von allen der beste Mann. Sein sauberes Passspiel sowie seine Antrittsschnelligkeit sind in der Defensive unschlagbar."


    „Dahinter tummeln sich aber dicht gefolgt unter anderem Steve Borg, ein 32-jähriger Routinier mit mehr als 50 Länderspielen sowie Andrei Agius, der aber ebenfalls in die Jahre gekommen ist."


    "Dort werden wir, wenn diese Achsen wegfallen ein echtes Problem bekommen. Auch wenn Kurz Shaw, ein 21-jähriger Frischling auch variabel in der Hintermannschaft einsetzbar wäre."


    „Auf links ist Joe Muscatt gesetzt. Und ebenso wie hier gibt es auf der rechten Seite bis auf Joseph Mbong keine echten Alternativen.

    Weder im Kader noch im nationalen Pool. Hier sind wir wirklich dünn besetzt und müssen experimentieren, wenn einer der beiden ausfallen würde.

    Daher der Vorschlag mit der Dreierkette.

    Juan Corbalan könnte in der Not den linken Verteidiger geben und Steve Borg ebenfalls auf rechts rücken.“


    „Das klingt sehr interessant. Ich habe eine Vorstellung vom Fußball. Und plane meine Taktik durchzusetzen. Komme, was wolle.“

    Dave‘ warf mir einen kritischen Blick entgegen.


    „Dann kommen wir zum Mittelfeld."




    „Der beste Spieler des gesamten Kaders ist hier noch nicht aufgeführt. Teddy Teuma einer der vier Spieler die außerhalb der Insel spielen.


    Das aber am sportlich attraktivsten. Während Zach Muscat in der zweiten portugiesischen Liga kickt – Versuchen Joe Muscatt in der Oberliga in Deutschland und Luke Gambin in der vierten englischen Liga Fuß zu fasen.


    Aber Teddy Teuma spielt sehr erfolgreich beim belgischen Zweitligisten Royale Union Saint Gilloise. Teuma ist frisch eingebürgert, nachdem man in seinem Blut maltesische Vorfahren gefunden hat. Er wird in den kommenden Monaten sein Länderspieldebüt feiern. Ist aktuell aber noch verletzt.

    Er wird dann vermutlich die Chefrolle im Mittelfeld übernehmen.


    Auf der “Sechs“ ist Rowen Muscat wohl der geeignetste Spieler. Und neben Teddy Teuma wird Luke Gambin eine feste Größe sein. Dahinter kommt eher lange nichts. Die Qualität des Kaders ist in der Breite unbefriedigend.


    Hier gilt es in Zukunft eine gute Basis zu schaffe. Jugendspiele zu fördern. Wir versuchen gerade einen Lösungsweg mit der heimischen Liga zu finden. Leider setzen die Mannschaften immer mehr auf alternde ausländische Spieler. Das bringt uns als Nationalmannschaft nicht voran.


    Aktuell laufen noch einige Einbürgerungsverfahren. Das sollte aber keine Zukunft sein, sondern maximal ein Übergang. Unser Kader ist einer der ältesten in Europa.


    Auf den Außenbahnen verfügen wir zwar über schnelle Spieler, technisch sind sie aber alle maximal limitiert."

    Auch im Sturm verfügen wir in Form von Kyrian Nwoko über einen maximal unterdurchschnittlichen Stürmer. Hier gilt das gleiche, was ich gerade gesagt habe.




    Kyrian ist zwar erst 23 Jahre, aber wir müssen weiterhin den Nachwuchs im Blick haben.“



    „Interessant“ sagte ich. „Wir haben hier also allemal eine maximale, wenn ich das mal Vergleiche gute Regionalligamannschaft, von der der Vorstand aber erwartet, dass wir in der Champions League mithalten.“

    „Verrückt, oder?“


    Auf was für ein Abenteuer hatte ich mich hier eingelassen?


    „Ich habe ein Meeting nächste Woche mit dem Kader arrangiert. Die Spieler von außerhalb werden per Videoschalte dazukommen. So haben wir eine Chance uns vorab kennenzulernen. Mittwoch um 18:00 Uhr.“

    „Und Montag war die erste Pressekonferenz, richtig?“

    „Richtig.“



    Ich klatschte mit den Händen auf meine Oberschenkel.


    „Nun gut Davide – ich danke dir. Ich werde mich jetzt erstmal auf den Weg nach Hause machen. Kannst du mi die Dateien über das nationale Pool und der Mannschaft per E-Mail schicken?“


    Davide willigte ein und mit einem mulmigen Gefühl machte ich mich mit meinem Auto auf den Weg nach Hause…




  • 06.07.2020



    „Ich darf Sie recht herzlich begrüßen zu unserer ersten Pressekonferenz der neuen Saison. Es ergibt sich gleich ein besonderer Anlass, denn nach knapp sieben Monaten endet unserer Trainersuche“, eröffnete Björn Vassallo die PK. Er blickte zu mir rüber und zeigte mit der Handfläche auf mich.


    „Zu meiner rechten Seite befindet sich Hilger Zwick. Er wird der neue Trainer unserer Nationalmannschaft und somit Devis Mangia beerben, der im Dezember das Handtuch war.

    Hilger ist der dritte deutsche Trainer in unserer langen Historie. Er wird vielen, eigentlich allen Menschen auf der Welt relativ unbekannt vorkommen. Das liegt daran, das er neu im Trainerbusiness ist.

    Er hat uns aber in allen Belangen, mit seiner Eifer, Motivation und seiner Vorstellung wie unsere Nationalmannschaft in Zukunft auftreten soll, überzeugt. Wir glauben an seine Vision und daran, dass er das Volk stolz machen kann.


    Bitte geben Sie ihm diese Zeit und heißen Sie ihn mit einem herzlichen Applaus Willkommen.“


    Ich blickte mich um.


    In einem kleinen Vorraum im Nationalstadion war Platz für 20 Stühle gemacht worden. 12 davon blieben leer.


    Kritische Gesichter blickten auf mich hinauf und es dauerte einen kurzen Moment, ehe der erste Reporter die Hand hob.


    „Hallo, mein Name ist Sheldon Taliana, von Sport in Malta. Herr Zwick, erst einmal ein herzliches Hallo auch von mir. Wie sind Sie an den Job gekommen? Und was planen Sie für die Zukunft? Wird es einen anderen Fußball hier geben als den, den wir gewohnt sind?“


    „Hallo Herr Taliana, vorab, Sie können mich gerne beim Vornamen nennen. Ich bin noch jung, und pflege gerne das Du. Ich versuche die Fragen mal chronologisch zu beantworten.

    Sagen wir mal so: Dass ich hier sitze, ist mehr Zufall und vermutlich scheint es die gleiche Wahrscheinlichkeit zu haben, wie ein Lottogewinn. Aber es geht nicht darum wie oder warum.

    Wichtig ist, dass ich hier sitze. Ich werde versuchen deutsche Tugenden auf den Platz zu bringen. Fleiß, Kampf und volle Hingabe für die Sache. Meine Devise lautet eigentlich immer voller Angriff. Und vor allem gilt, wer den Ball hat, bei dem kann hinten erst einmal nichts passieren.“


    „Ja, Sheldon noch einmal“


    „Haben Sie sich schon mit der Mannschaft bekannt gemacht? Wie ist der erste Eindruck?“


    „Persönlich noch nicht. Nein. Aber ich hatte am Samstag ein Treffen mit meinem neuen Co-Trainer Davide. Er hat mich den Spielern nähergebracht. Wir werden uns aber zeitnah mit dem aktuellen Kader bekannt machen. Davor scheue ich mich auch nicht. Ich freue mich auf die Zukunft. Die Mannshaft verfügt über Qualität. Die gilt es in Zukunft auf den Platz zu bringen.“


    „Eman Petrovic von UEFA.com, bitte.“


    „Herr Zwick, keine Erfahrungen im Geschäftsleben. Keine Erfahrungen mit Profisportlern. Glauben Sie die Mannschaft hat Respekt vor Ihnen? Gerade weil Sie erst 25 Jahre alt sind?


    „Ich denke, mein Alter sollte mit dem entgegengebrachten Respekt nichts zu tun haben. Wer Respekt erwartet, sollte aber vorher auch Respekt zeigen. Ich denke, wenn die Spieler merken, was ich für ein guter Trainer, guter Mensch sein kann, wird es keine Probleme geben.“


    „Wie stehen Sie dazu, dass sich einige ausländische Spieler für die Nationalmannschaft ins Spiel bringen?“


    „Das muss man abwägen. Wenn Sie die Mannschaft in der Breite verstärken, warum nicht? Aber ich finde erst einmal sollte der Fokus darauf liegen, den heimischen Nachwuchs zu fördern und bei guten Leistungen auch mal zu belohnen.“


    „Ich glaube, dass reicht erst einmal für heute. Bei weiteren Fragen bitte ich Sie unsere Pressesprecherin zu kontaktieren. Diese wird Ihre Fragen dann an die entsprechenden Personen weiterleiten.“

    Wir sehen uns zum ersten Länderspielblock Anfang September. Der Kader wird wie gehabt eine Woche den Länderspielen bekannt gegeben. Wir sehen und hören uns dann. Macht es gut und bleibt gesund! Hinter uns veröffentliche ich ebenfalls noch den Fahrplan für die Nation League.

    Vielen Dank!"




    Coronabedingt verzichteten wir heute auf ein gemeinsames Foto. Ich empfand es also eine gute Eröffnung. Die Journalisten hier wirkten nett. Noch. Mit Sicherheit kann es auch für mich hier ungemütlich werden…



    18.07.2020


    Einige ereignisreiche Tage lagen hinter mir. Ein erstes Kennenlernen mit der Mannschaft, die mich erstaunlicherweise sehr gut aufnahm. Viele Stunden verbrachte ich zusammen mit dem Knurrer und sichtete Tonnen voller Videomaterial. Es gab, so empfand ich es jedenfalls, ein bisschen Potential, um Fußball spielen zu lassen.


    Ebenfalls erreichten mich in den letzten Tagen viele Nachrichten von Spielern , die sich auf Malta haben einbürgern lassen, um eine Chance zu haben für die Nationalmannschaft zu spielen. Ebenfalls bekam ich auf allen meinen Social-Media-Kanälen viele Willkommensnachrichten.


    Auf eine SMS von meiner Freundin, oder was auch immer zwischen mir und Simone war, wartete ich vergeblich.


    Nach einem langen Tag, mit Reisen über die gesamte Insel, kam ich erschöpft nach Hause. Ich öffnete die Tür zu meinem Schlafzimmer und sah mich noch einmal um. Ich zwang mich förmlich, die Unordnung zu ignorieren – das Bett war nicht gemacht, meine Klamotten lagen überall auf dem Boden verteilt und einige leere Gläser standen auf dem Nachttisch. Ich nahm mein Handy und steckte meine Kopfhöreins Ohr und ging auf den Crosstrainer.

    ___


    Ein wenig später hatte ich es mir auf dem Sofa mit einem Kissen und einer Decke gemütlich gemacht, um ein wenig deutsches Fernsehen zu genießen als sich mein Handy meldete.


    „Hallo?“


    „Ach,… hi, Hille. Ich habe dich nur aus Versehen angerufen, als ich deine Nummer in mein neues Handy eingespeichert habe.“


    Ich überlegte kurz.


    „Knappi?“


    „Ja man. Alles fit, Alter? Ich hab gelesen, dass du nicht mehr da bist. „


    An der anderen Leitung war Julian, einer meiner besten Freunde aus de Schule. Eigentlich auch danach, aber seitdem er seine neue Freundin hatte, war es wie es halt in den meisten Fällen war. Man verlor sich aus den Augen.


    „Na klar – bei mir ist alles dufte. Bei dir auch? Und ja, ich komme nicht mehr aus Malta zurück. Und Mone vermutlich auch nicht zu mir. Aber ich habe hier eine echte Chance bekommen.“


    „Dann weiß ich ja, wohin meine nächste Reise geht. Ach, die Frauen, was will man da schon machen. Es ist halt, wie es ist. Bei mir und Sarah ist übrigens auch Schluss. Ich hab‘ da ein wenig Mist gebaut.“


    „Du bist hier jederzeit willkommen. Sag nur Bescheid. Dann können wir uns auch über unsere Frauen unterhalten! Ich muss jetzt aber langsam ins Bett. Mach es gut.“


    „Das hört man gerne, alter Freund. Ich glaube nicht, dass du darauf lange warten musst…Munter!“



    15.08.2020


    Vier Wochen später hatte sich nicht viel getan. An diesem Wochenende würde sich das aber ändern. Wir kamen der finalen Entscheidung bezüglich meiner ersten Kadernominierung näher und an diesem Wochenende stand der erste Spieltag der heimischen BOV Premier League an. Ich entschied mich aber dafür nach Belgien zu reisen um mich vor Ort von Teddy Teumas‘ Gesundheitszustand zu überzeugen.


    Der beste Spieler unseres Landes hatte die letzten sechs Wochen damit verbracht einen komplizierten Außenbandriss auszukurieren und die Saisonvorbereitung Stück für Stück nachzuholen.


    Am Samstag empfang sein Team die Royal Unions den Tabellennachbarn Lommel United. Und Teddy würde dort, so versicherte er es mir in die Startaufstellung stehen.


    Und er kam besser aus der langen Pause als erwartet. Er war in diesem Spiel der Dreh und Angelpunkt seiner Mannschaft. Es schien so, als wäre er die gesamte Saisonvorbereitung bei seinem Team gewesen.


    Dabei war er erst Anfang der Woche dazu in der Lage gewesen 100% des Teamtrainings zu absolvieren. Das zeigte seinen Stellenwert.


    In der 34. Minute bereitete er das 0:1 für sein Team per langem tödlichen Pass vor, ehe er selbst in der 69. Minute den 0:2 Endstand per Elfmeter herstellte.


    Ein gelungenes Saisondebüt würde ich sagen. Zur Gratulation lud ich ihn nach Spielende ein, mit mir eine Pommes essen zu gehen und wir plauderten ein wenig übers Team und seine Ansichten die nächsten Spiele anzugehen…



  • Ich bin so aufgeregt über die Idee und deine Entscheidung einen der Zwergenstaaten zu übernehmen. Grundsätzlich ist es ja schon mal ganz was anderes eine Story über eine Nationalmannschaft zu lesen, aber dann noch Malta? Einfach fantastisch... und dank der Nations League gibt es sogar durchaus echtes "Wettbewerbsfeeling", wenn so will.


    Viel Glück auf jeden Fall! :hutab:

  • Ich bin so aufgeregt über die Idee und deine Entscheidung einen der Zwergenstaaten zu übernehmen. Grundsätzlich ist es ja schon mal ganz was anderes eine Story über eine Nationalmannschaft zu lesen, aber dann noch Malta? Einfach fantastisch... und dank der Nations League gibt es sogar durchaus echtes "Wettbewerbsfeeling", wenn so will.


    Viel Glück auf jeden Fall! :hutab:

    Yes, das war auch mein Gedanke. Das Land ist mir einfach ans Herz gewachsen.

    Ich habe zwar eine Grundidee, aber mal sehen wie es wird, die große Zeitspanne zwischen den Spielen zu überbrücken.


    Danke auf jeden Fall!

    Es ist auf jeden Fall mit viel Off-Topic zu rechnen.



  • 28.08.2020


    Es war so gekommen, wie ich es erwartet hatte. Knappi als Mitbewohner – das konnte nicht gut gehen.


    Heute Morgen blockierte er das Bad.

    Warum war er nicht wie sonst in den letzten Tagen im Bett geblieben, bis ich zur „Arbeit“ ging?


    „Ich bin gleich fertig!“, rief er, als ich an der Tür rüttelte.

    Also wartete ich und sah dabei auf die Uhr.


    „Verdammt, ich komme zu spät“, fluchte ich. „Das gibt Ärger mit Björn.“

    „Gemach, gemach“, scholl es zurück.

    „Machst du dich jetzt auch noch lustig über mich?“

    „Würde ich nie tun.“

    „Da hilft nur ein Badezimmerplan“, sagte ich ungehalten, als Julian endlich herauskam.

    „Nun reg dich doch nicht auf“, meinte er gelassen.

    „Du musst doch damit rechnen, dass ich das Bad benutze.“

    „Aber nicht um diese Zeit.“

    „Krieg dich wieder ein, schließlich bezahle ich genügend Miete.“


    Um eine weitere Diskussion zu vermeiden, verschwand ich schnell im Bad, um die notwendigsten Restaurationen an meinem Körper vorzunehmen. Zum Duschen blieb keine Zeit mehr. Deshalb war heute nur eine Katzenwäsche angesagt.


    Als ich das Bad verließ, roch es verführerisch nach Kaffee. Das kannte ich nicht, denn Simone hatte sich zum Frühstück immer Tee gekocht.


    „Willst du auch einen?“, rief Knappi aus der Küche, als ich gerade meinen Pullover überzog.

    „Einen was?“

    „Kaffee natürlich.“

    „Geht nicht, bin spät dran.“

    „Wer um alles in der Welt ist eigentlich Björn?“, fragte er und ignorierte die Tatsache, dass ich unter Druck stand.

    „Mein Chef natürlich“, rief ich, schnappte meinen Rucksack und verließ die Wohnung. Eigentlich schade, dachte ich, als ich die Treppe runterlief. Ein Kaffee wäre nicht schlecht gewesen. Aber heute stand die erste Pressekonferenz an, in der ich den Kader für einen Länderspielblock nominierte.



    Glücklicherweise war der Verkehr auf Malta heute nicht so drastisch und ich kam nicht zu spät. Ich nahm sogar die ersten Journalisten selbst in Empfang.


    Heute war der Raum gut gefüllt und es blieb kein einziger Stuhl frei. Währenddessen eröffnete Björn die Pressekonferenz und hieß alle Anwesenden Willkommen.

    Ich bekam nicht mit, dass er mir das Wort bereits übergeben hatte, als er mich an meinem Fuß antickte.

    Mit voller Hose servierte ich den Menschen vor Ort die Liste der 23 Spieler, die ich für die ersten beiden Spieler nominieren würde.


    Ich vertraute erst einmal der alten Garde, um mir ein Bild zu machen, ehe ich den Umbruch einleitete. Gegen Lettland würde es ein schwieriges Eröffnungsspiel werden. Da wollte ich die Erfahrung der alten Jungs nicht missen.


    So kam es wie es kommen musste und ich erntete nach meiner Darbietung leichte Kritik von den anwesenden Pressesprechern.

    Das machte mir aber nichts aus. Wer bestehen will, brauch ein dickes Fell.

    Nachdem ich mich bei Letzteren gerechtfertigt hatte, ging es nach einer Stunde wieder nach Hause.



    Als ich nach Hause kam, saß Julian in der Küche und trank Tee.


    „Na, hast du dich wieder beruhigt?“, fragte er.

    „Geht so, wir sollten uns echt absprechen, was das Bad betrifft.“

    „Kann sein. Und du solltest mal abends deinen Obstsalat wegstellen oder wenigstens zudecken und ab in den Kühlschrank damit. Mir wird schlecht, wenn ich so was am frühen Morgen sehe“

    „Der Kühlschrank quillt über von deinen Sachen. Vielleicht wäre mehr Platz für den Obstsalat vorhanden, wenn du deine faulen Eier mal wegwerfen würdest. „

    „Wie bitte, meine Eier sind nicht faul“, verteidigte sich Knappi.

    „Darauf achte ich schon.“

    „Also gut“, versuchte ich einzulenken, „dann teilen wir den Platz genau auf.“

    „Das ist doch hirnrissig. Darf ich jetzt nur noch auf Sparflamme einkaufen, weil der Platz im Kühlschrank begrenzt ist?“

    „Mach doch, was du willst“, sagte ich und pfefferte meinen Rucksack in die Ecke.


    Genervt ging ich ins Wohnzimmer. Ich hatte recht behalten, wir waren zu verschieden. Mit Simone war alles so unkompliziert gewesen. Verdammt, warum hätte sie nicht einfach mit mir zusammen hierbleiben können.


    Stattdessen hauste jetzt einer meiner besten Freunde bei mir, weil er sich von seiner Freundin getrennt hat und Abstand von zuhause brauch.

    Kann man auch keinem erzählen, dass man dafür in ein fremdes Land ziehen muss.


    ____


    31.08.2020



    Noch drei Tage bis zum ersten Heimspiel gegen die lettische Nationalmannschaft. Die ersten Einheiten mit der Mannschaft lagen hinter mir. Das was ich sah, gefiel mir.


    Die Jungs schienen hungrig und motiviert für einen jungen Trainer für mich zu arbeiten. Taktisch trainierten wir darauf hin im Spiel am Mittwoch möglichst sicher in der Defensive zu stehen um anschließend Konter zu lauern.


    Die Gäste waren uns vermutlich in allen Belangen überlegen und wir mussten uns irgendwie wehren. In vier Tagen Vorbereitung würde ich es nicht schaffen meine taktische Identität bereits im ersten Spiel zum Tragen zu bringen.


    Gegen Andorra plante ich aber bereits meine Vorstellungen von Ballbesitzorientierenden Fußball umzusetzen.


    Ebenfalls war ich bereit auf Davide zu hören, indem ich in Zukunft auf eine Dreierkette setzen würde. Abe in abgewandter Form. Darauf trainierte ich mit der Mannschaft hin. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit versteht sich. Aber als ob irgendein Sven auf der Insel dieser Mannschaft beim Training zuschauen wollte…



    Einen Tag vor dem Gruppenspiel stand erneut eine Pressekonferenz an. Diesmal meisterte ich diese ohne große Nervosität. Aktuell stempeln mich die einheimischen Pressevertreter als arroganten Schnösel ab. Als ob ich etwas für meine introvertierte Art könnte…


    Scheinbar müsste ich an meinem Wesen arbeiten. Aber das erste Mal in meinem Leben wurde es so richtig Ernst…

  • Herzlich Willkommen hier bei den FM-Welten! :friends:


    Du hast einen starken Auftakt hingelegt mit der Story wie ich finde! Freue mich darauf, mehr zu lesen. Und keine Sorge, "off-topic" ist selten fehl am Platz. Andere Geschichten hier haben nicht trotz, sondern gerade wegen den Nebenschauplätzen ganze Oscar-Regale leegeräumt, wage ich zu behaupten. ;) Eine reine NT-Story ist auch mal was Neues, oder zumindest hatten wir es länger nicht. Malta also - normalerweise hätte ich gesagt, eine ganz undankbare Aufgabe. Doch für die Fussballzwerge ist die Nations League ein Segen, endlich trägt man regelmässig Wettbewerbsspiele gegen andere Teams auf Augenhöhe aus. Damit sollte ab und zu für ein Erfolgserlebnis gesorgt sein. Soll denn Malta als Sprungbrett für eine grössere Trainerkarriere dienen oder ist ein längeres Engagement geplant? Und falls letzteres, frage ich mich, wieviel Einfluss du wirklich nehmen kannst auf die Förderung der Nachwuchsspieler?


    Übrigens, bezüglich des besten Freundes habe ich ein paar gemischte Signale bekommen :D


    Knappi als Mitbewohnerin

    Heute Morgen blockierte er das Bad.

    „Na, hast du dich wieder beruhigt?“, fragte sie.

    Stattdessen haust jetzt einer meiner besten Freunde bei mir

  • Verdammt dachte ich hatte alles korrigiert. Habe mich kurzfristig bei der Hauptfigur von Freundin zu besten Kumpel umentschieden, weil es da auf Dauer mehr Stoff gibt.

    Habs mal korrigiert, danke dafür :D


    Bezüglich deines Feedbacks - danke erstmal! Ich schaue erstmal wohin die Reise geht. Erstmal bleibt nur die Nati. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. ;)8o

  • Ich wei´ß noch nicht so recht wohin das hier führen wird, gerade das macht aber auch den Reiz aus den es für mich hat. Ich hatte dir ja schon geschrieben das ich es gut finde. Schaun wir mal, könnte was ganz großes werden...

    "Lohnt es sich denn?" fragt der Kopf.
    "Nein, aber es tut so gut!" antwortet das Herz.


    Autor: unbekannt


  • 02.09.2020




    Hier waren wir also. Ich stand einem Kreis voller Spielern und Betreuern. Und ich wusste nicht so recht, was ich jetzt sagen sollte.


    Sollte ich eine motivierende Rede halten? Oder einfach nichts sagen? Den Spielern das reden überlassen?


    Davide schien meine Unsicherheit zu spüren und ergriff das Wort.


    „Ciao Männer, ihr seht wir haben hier einen nervösen Trainer und vermutlich seid ihr genauso nervös wie er. Wir stehen vor einem schwierigen Spiel. Lasst die Köpfe nicht hängen, wenn mal etwas nicht kappt. Habt einfach Spaß und lasst wie immer euer Herz auf dem Platz. Einer für alle…“


    „Und alle für einen“, stimmten die Spieler lautstark ein und fingen an zu klatschten.

    Ich warf Dave‘ einen dankbaren Nicker zu und kam einen Schulterklopfer als Retourkutsche.


    „Wir schaffen das schon“, munterte er mich auf und begleitete mich nach draußen.


    Im Kabinengang wartete ein Reporter auf mich.


    „Herr Zwick, Herr Zwick, auf ein Wort?“

    Wirklich, so direkt vor dem Spiel, dachte ich mir. Ich wollte aber an meinem angekratzten Image arbeiten, also ließ ich mich darauf ein.


    „Gehen Sie ein Stück mit mir“, erwiderte ich also und bekam daraufhin ein Mikro ins Gesicht geschoben.

    „Hilger, heute Ihr erstes Spiel. Wie nervös ist man da?“

    „Schon ein bisschen.“

    „Für Ihre Nominierung hagelte es von außen viel Kritik. Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?“ Was waren das für bescheuerte Frage?

    „Nein.“

    „Und wie schaut es heute aus? Glauben Sie an einen Sieg?“

    „Ja, warum sollte ich das auch nicht?“


    Der Reporter schien zu merken, dass ich heute kurz angeboten war und wenig Lust hatte.


    „Ich wünsche viel Glück, bis zum nächsten Mal.“

    „Dankeschön“

    Kopfschüttelnd betrat ich den Platz.


    Leider war das Stadion leer. Nur ein paar Vertreter der Presse, TV und Offizielle der UEFA.

    Und langsam kamen mir Zweifel, ob die defensive Strategie die richtige war.



    Vor einer Viererkette, sollte Rowen Muscat den Abräumer spielen, während Teddy Teuma der einzige in der Zentrale sein sollte, der sich nach vorne orientierte.

    Gambin kam über links und vorne im Sturm sollte Motebello wechselnd über rechts agieren und bei Ballbesitz vorne in den Sturm rücken.

    Piciollo, der heute nicht der einzige Debütant war, sollte als einzige echte Stürmer Lücken reißen.

    Noch während meiner kleinen Gedankenblasse ertönte der Anpfiff. Hatte ich die Nationalhymnen verpasst? Ich kann mich nicht erinnern, so nervös war ich.


    Bei milden Temperaturen an einem schönen Sommerabend taten wir es uns extrem schwer ins Spiel zu kommen.


    Die Letten kontrollierten das Mittelfeld und ließen uns die ersten zehn Minuten hinter dem Ball herlaufen.

    Meine Jungs liefen sich die Lunge aus dem Hals, doch wir fanden einfach keinen Zugriff. Und wenn wir den Ball mal in unseren Reihen hatten, wurde er koordinationslos in die Gegnerische Hälfte gebolzt.

    Das war zwar nicht zu hundert Prozent der Matchplan, aber solange wir dadurch in der Verteidigung sicher blieben, war es noch kein Problem.


    In der 25.Minute gab es dann aber doch Probleme. Das erste Mal kamen die Gäste unserem eigenen Strafraum gefährlich nahe. Mbong konnte mit seinem Gegenspieler nicht mithaltenund packte die Schere aus.


    Der Unparteiische fackelte nicht lange und zeigte, ohne zu zögern auf den Punkt.

    Den Elfmeter schoss Sorokins trocken in die untere Ecke. Keine Chance für unseren Torwart.


    Ich fluchte durch die Gegend. Der Matchplan war somit erst einmal über den Hafen geworfen. Unsicher blickte ich nach links.

    Auch Davide schien frustriert. Unsere Mannschaft schleppte sich in die Pause. Unser Videoanalyst steckte mir auf den Weg in die Kabine eine Übersicht zu.


    Zitat

    1 zu 4 Torschüsse. 43 Prozent Ballbesitz, 73 Prozent angekommene Pässe. 9 Fouls.


    Ernüchternde Statistiken, die meinen Eindruck aber bestätigten. Wir waren von vorne bis hinten unterlegen.

    Und das Bild sollte sich in der zweiten Hälfte nicht ändern. Trotz einiger Umstellungen fanden wir einfach nicht in diese Begegnung.

    Zu allem Überfluss verloren wir in de 73.Minute unseren besten Mann. Teddy hatte einen auf sein gerade erst genesenes Fußgelenk bekommen und humpelte in die Kabine.


    Ohne echte Alternativen wurde es noch schwerer einen vernünftigen Angriff aufzubauen.

    So taumelte die Begegnung vor sich hin und die Letten retteten den Auswärtssieg über die Zeit, ohne dabei bedroht zu werden…


    Mit hängenden Köpfen verließen wir den Platz und weder Davide noch meine Wenigkeit fanden die richtigen Worte für diese Niederlage…




    03.09.2020



    Einen Tag nach der ersten Niederlage meiner noch so jungen Karriere musste ich zu dieser Schmach öffentlich Stellung beziehen.

    Dank des Abfluges nur zwei Stunden später konnte es heute, Gott sei Dank, nicht allzu lange dauern.


    Wie gewohnt eröffnete Björn die PK. Er schient nicht gut geschlafen zu haben. Nach diesem Spiel aber auch nicht verwunderlich.

    „… und hiermit übergebe ich an den Trainer.“


    Ich blickte in eine Runde voller gespannter Gesichter.

    „Also… Erst einmal möchte ich mich für Ihr Erscheinen bedanken. Es fällt Ihnen auf Grund des Spiels gestern sicherlich einfacher, heute auf mich einzuprügeln. Ich kann mich für diese Leistung nur entschuldigen.

    Gleichzeitig möchte ich aber auch um Geduld beten. Haben wir gestern gut gespielt? Nein.

    Haben wir es uns so vorgestellt? Auch nein.

    Wir werden aber definitiv am Samstag eine Reaktion zeigen.“


    Die Hände gingen hoch, da hatte ich meinen Satz noch nicht beendet. Sheldon war der erste der seine Fragen loswerden durfte.


    „Hilger, deutlich unterlegen. Keine wirkliche Taktik vorhanden. Ist Ihre Kaderauswahl vielleicht doch falsch gewesen?“

    „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber ich kann auch hier nur um Geduld bitten. Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.“


    „Vielleicht sollte man weitere Einbürgerungen beschleunigen, um das Nationalteam nach vorne zu bringen?“

    „Auch hier kann ich nur auf meine Antwort auf die vorherige Frage hinweisen.“


    „Und wie sehen Sie den nächsten Gegner Andorra? Sie stehen nach diesem Spiel gestern enorm unter Druck, oder?“

    „Inwiefern unter Druck?“


    „Nun ja, es ist ja kein Geheimnis, dass sie nicht über die nötige Erfahrung verfügen, um so einen Rückschlag aufzufangen.“

    „Das lassen Sie ruhig meine Sorge sein, Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir am Samstag eine völlig andere Mannschaft sehen werden.“


    „Haben sie schon einen Plan?“

    „Ja, aber den werde ich Ihnen sicherlich nicht verraten. Sie dürfen gespannt sein,“


    „Bevor das hier jetzt in einem Verhör endet, beende ich die heutige Runde. Ich wünsche unsere Mannschaft für den Samstag viel Glück. Ich bin mir sicher, dass wir mit einigen positiven Aspekten zurückkommen werden“, sprang mir Björn zur Seite.

    „Amen.“


    Das war es also für heute. Ich packte meine Sachen und machte mich auf den Weg zum Mannschaftsbus, der uns in Richtung Flughafen bringen würde.

    Auf ging es also in das Abenteuer Andorra…



  • 05.09.2020


    „Jungs, hört mir zu.

    Ich will, dass ihr euch heute mit allen was ihr habt den Arsch aufreißt. Wir werden heute in unserer neuen Taktik agieren. Klar, wir können noch nicht alle die perfekten Laufwege draufhaben. Klar werden sich einige Lücken für den Gegner bilden. Abe ich will, dass wir uns den Ball hin und her schieben, wie wir es im Training gemacht haben.

    Und wenn wir nicht den Ball haben? Pressen, pressen und nochmal pressen. Lauft den Gegner mausetot. Ich will hier heute drei Punkte holen. Und ich brauche alle Spieler hinter mir! Einer für alle!“


    „Alle für einen!“

    Die Jungs schienen heiß. Während des Abschlusstrainings haben wir uns gemeinsam dazu entschieden, meine 3-3-3-1 Taktik für das Spiel in Andorra zu wählen. Denn läuft alles nach Plan sollten wir dieses Spiel irgendwie gewinnen.


    Für den bereits abgereisten, verletzten Teddy berief ich einen jungen Mann nach. Ohne Länderspielerfahrung. Kurt Sha, flexibler Innenverteidiger sollte in diesem Spiel auch direkt in die Startelf rücken.


    Der Plan sah vor, viel Druck über die außen auszuüben. Mit viel Ballbesitz und schnellen Vorstößen sollte der Gegner überrascht werden.


    Ob eine direkte Umsetzung funktionieren würde? Das sollten wir nach den kommenden 90.Minuten erfahren.





    Unser heutiger Gegner hatte ebenfalls seine erste Partie verloren. Es hagelte gegen die Färöer-Inseln ein verdientes 0:2. Auch hier bestand also schon ein gewisser Druck, sollte man sich noch Chancen auf einen möglichen Gruppensieg ausmachen.


    Dementsprechend nervös gingen beide Mannschaften die Partie vom Anpfiff an, an.


    Keiner meiner Spieler wollte den ersten, möglich entscheidenden Fehler machen wollte. Das merkte man.

    Wir machten es in den ersten Minuten aber gut. Verteidigten ansprechend und auch im Aufbauspiel zeigte die Mannschaft gegenüber dem ersten Spieltag eine deutliche Steigerung.


    Doch die erste Schrecksekunde folgte nach gut 25. Minuten. Einen langen Befreiungsschlag aus der Hälfte der Gastgeber erreichte Fernandez mitten in unserer Hälfte und stand plötzlich mutterseelenallein vor Henry Bonello.


    Dieser hatte keine Chance, als er vom Stürmer umkurvt wurde.

    Aber, irgendwie hatten alle die Fahne vom Linienrichter übersehen. Fernandez war bei der Ballabgabe wohl einige Zentimeter im Abseits gewesen.


    Dieser Schreck ließ meine Spieler aufwachen. Langsam, aber sicher gewannen wir die Überhand in dieser Partie.

    Plötzlich funktionierten einige Diagonalbälle, Ballstafetten wurden clever ausgespielt. Es fehlte nur das nötige Glück im Abschluss.


    So ging es mit einem gerechten Remis in die Pause.

    Im Gegensatz zum ersten Spiel, war ich im Großen und Ganzen zufrieden damit, was ich gesehen hatte. Dies ließ ich die Spieler ach spüren. Wir mussten hier nur irgendwie den Sack zu machen. Ein erfolgreicher Angriff würde vermutlich schon reichen.


    Statistiken zur Halbzeit:




    Auch lernte ich aus meinem Fehler und wechselte keinen Spieler zur Halbzeit aus.

    Angeführt von einem gut aufgelegten Luke Gambin pressten wir den Gegner zu vielen unnötigen Fehlern.


    Nach fünf Minuten der zweiten Halbzeit zeigte Michael Mifsud an, dass er raus musste.

    Nwoko betrat dafür den Rasen.

    Ein Wechsel, der sich auszahlen sollte.


    In der 56.Minute gab es auf der rechten Seite einen Einwurf auf Höhe des Sechzehners.

    Mbong brachte den Ball zu Piciollo. Dieser fackelte nicht lange und spielte den Ball an der Strafraumkante mit einem leichten Chip weiter zu Nwoko, der den Ball mit seiner ersten Ballberührung in die lange Ecke schob.


    Und was für ein Gefühlsausbruch das war. Angesichts der guten Anfangsminuten empfand ich diese Führung mehr als verdient.


    Doch diese Führung wackelte nur drei Minuten später erneut.

    Nach einer geklärten Ecke schlug ein Spieler der Gastgeber den Ball vors Tor, Dort hielt Martin den Fuß hin und bugsierte den Ball in die Maschen.

    Doch wieder war die Fahne des Assistenten oben. Abseits.

    Und jetzt war ich mir sicher – wir verlieren dieses Spiel heute nicht.


    Es sollte noch besser kommen.

    Vierzehn Minuten vor Spielende lief Nwoko nach einem Steilpass von Gambin direkt auf den Torhüter der Gastgeber zu und lupfte den Ball perfekt unter die Latte. Wieder hatte der Schiedsrichter den Arm oben. Erneut abseits.


    Doch nur zwei Minten später gab es nach einem Foul an den vermeintlichen Doppelpacker gab es Achtzehn Meter vor dem Tor einen Freistoß in zentraler Position.

    Luke Gambin legte sich den Ball zurecht und hämmerte ihn ohne jegliche Reaktion in die Torwartecke. Jubelnd drehte die gesamte Mannschaft zu mir ab und wir feiern diesen vermeintlichen Siegtreffer alle zusammen.



    „Läuft heute“, zwinkerte mir Davide zu.


    Wir taten aber gut daran, nicht nachzulassen, also pushte ich meine Mannschaft noch einmal zu einer Höchstleistung.


    Doch statt den Deckel auf diese Partie zu machen, lief man nach einer eigenen Ecke in einen Konter und fing sich durch Fernandez den Anschlusstreffer.

    Die vier Minuten Nachspielzeit überstanden wir aber irgendwie und konnten so einen durchaus verdienten Sieg einfahren.


    Gott habe uns selig. Ein tolles Gefühl und wir ließen die Erleichterung hinaus und feierten das zusammen Arm in Arm im Mittelkreis.

    Die Jungs konnten nur ahnen, wie stolz ich auf diese Leistung in der zweiten Hälfte war. Gegentor hin oder her – wir hatten ein großartiges Spiel gemacht. Es den Kritikern gezeigt. Ich konnte es nicht abwarten, wieder in die Heimat zurückzukehren.




    Vorher stand aber mal wieder eine dieser überflüssigen Pressekonferenzen an. Gott hasste ich dieses Wort. Da wäre ich lieber wieder in der Heimat. Nach dem Spiel in der zweiten Kreisklasse gab es Bier und kein unnötiges Gerede. Ich beglückwünschte meine Spiele und begab mich also auf den Weg Richtung Katakomben.


    Dort angekommen gab es einen Handshake mit dem gegnerischen Trainer und ein Raum voller nerviger Menschen begrüßte mich.


    Es dauerte nicht lange, da wurde die erste Frage in meine Richtung gestellt. In der letzten Reihe erkannte ich Sheldon. „Gott, dieser Mann war auch überall.“


    „Herr Zwick. Ein bravouröser Sieg heute. Die Reaktion auf die Kritik an Auftreten und Aufstellungen scheint bei Ihnen gefruchtet zu haben. Wie kam es dazu?“

    „Erst einmal einen wunderschönen guten Abend Sheldon. Mir geht es auch gut, danke der Nachfrage. Ich hoffe bei Ihnen ist auch alles in Ordnung. Um auf die Frage zu antworten – es lag weniger an den Kritiken, viel mehr an der Mannschaft.

    Wir haben auf diese Taktik bereits vor dem ersten Spiel hingearbeitet und es nach unserem ersten Auftritt gemeinsam entschieden.

    Und wie Sie sehen – es hat funktioniert. Das lag weniger an Ihren Äußerungen – Ich kann Ihnen heute leider keinen Orden verleihen.“


    „Da große Manko war heute die Chancenverwertung. Haben Sie da schon Pläne für die Zukunft? Bessere Spieler zu akquirieren zum Beispiel?“

    „Ich verstehe die Frage nicht. Wir haben gerade einen Konkurrenten dank einer guten Leistung besiegt. Das war ein Verdienst unserer Mannschaft. Der gesamten Mannschaft. Offensiv, wie defensiv. Warum heben wir nicht mal die positiven Dinge hervor?

    Zum Beispiel, dass wir 60 Prozent Ballbesitz gehabt haben. Das jeder einzelne Spieler heute alles für sein Land gegeben hat? Das über 85 Prozent unserer Pässe angekommen sin. Ist das so schwer?!“


    Sheldon stutzte kurz. Er schien mit so einer stutzigen Antwort nicht gerechnet zu haben und antwortetet mit zittriger Stimme.

    „Es… es tut mir leid. Ich mache hier nur meinen Job. Herzlichen Glückwunsch zu ihrem ersten Sieg. Das war es von mir heute.“

    „Hat sonst noch jemand Fragen an mich?“

    „Nein?“

    „Dann einen schönen Abend noch. Bis demnächst. Unserem heutigen Gegner noch viel Erfolg.“


    Ich stand auf und ging mit einem breiten Grinsen vom Podium hinunter.

    Man, das fühlte sich gut an. Gewonnen, es den Kritikern gezeigt. Und das an meinem Geburtstag.

    Jetzt gilt es nur noch – ab zum Flughafen und wieder nach Hause. Mein Bett musste aber noch warten.


    Dort wagte ich einen Blick auf die restlichen Spiele. Lettland und Färöer trennten sich unentschieden - 2:2.

    Gut für uns - dieser Ausgang könnt für uns noch wichtig werden.




    06.09.2020


    In Valletta angekommen, bestellte ich mir ein Taxi, dass mich nach Hause bringen sollte.

    Knappi, der sich dafür entschieden hatte, die nächsten Monate auf Malta eine Auszeit von seinem Leben daheim zu nehmen, ging nicht ans Telefon. Vermutlich hatte er am Vorabend wieder zu lange in irgendeiner Kneipe am Rande der Stadt verbracht.


    Unsere Streitereien der letzten Tage gingen mir aber nicht mehr aus dem Kopf.


    Das gegenseitige Anzicken brachte auf die Dauer nichts.

    Doch wie konnte ich jetzt ein möglichst versöhnliches Gespräch mit Julian führen?

    Eigentlich gab keinen Grund, mich zu entschuldigen. Ich ging in die Küche und füllte mir etwas von dem Nudelsalat, den ich im Supermarkt gekauft hatte, auf einen Teller.


    Dann suchte ich nach einer Gabel. Knappi saß mal wieder auf seinem Stuhl und schlürfte Tee.

    Irrte ich mich oder sah er tatsächlich blass aus? Das könnte bedeuten, dass ihm unsere Streitereien ebenfalls etwas ausgemacht hatte.

    Warum nahm ich das überhaupt an? Er war dafür viel zu ausgebufft.


    „Keine Interviews heute, Superstar?“, fragte er und versuchte scheinbar, dabei möglichst interessiert auszusehen.

    „Ich habe heute frei“, entgegnete ich


    „Kannst du eigentlich kochen?“, wollte Julian aus heiterem Himmel wissen und zeigte auf den Nudelsalat.

    „Wie … wie kommst du darauf?“


    „Ich weiß, dass du auf Obst- und Nudelsalat stehst, aber mit Kochen hast du es wohl nicht so.“

    Ich sah ihn verblüfft an. Was für eine verrückte Gesprächseröffnung aus dem nichts heraus, oder?


    „Na ja, das Übliche kann ich schon. Ja, und dann backe ich gern.“

    „Was backst du denn so? Haschbrownies?“

    „Käsekuchen. Käsekuchen kann ich richtig gut. Das hat mir meine Oma früher beigebracht. – Und wie sieht es bei dir aus?“

    Julian grinste.


    „Ich kann nur Rühr- oder Spiegelei. Das mache ich öfter. Deshalb werden bei mir die Eier auch niemals schlecht.“

    „Das ist natürlich ein umfangreiches Repertoire.“

    „Absolut. Gut, dass du das anerkennst.“


    Aha, von Ironie verstand Knappi imerhin etwas.


    „Hab‘ dich noch gar nicht brutzeln sehen.“
    „Du warst nicht da.“

    „Eier sind nicht so mein Fall“, erklärte ich mit einem Blick auf die Pfanne, die an der Wand hing und die ich nur einmal benutzt hatte.

    Sie sah blitzblank aus.


    „Schon klar, du isst lieber Nudelsalat aus der Packung“, spottete mein Gegenüber.

    Ich überlegte, wie ich dem Gespräch eine Wendung geben konnte. Mir fehlten aber mal wie so oft die Worte für einen Konter.


    Aber besser mir fehlt ein Konter als in Zukunft meiner Mannschaft…

    Was das Kochen anging mussten wir beiden uns in Zukunft etwas einfallen lassen..




  • 29.09.2020


    „Klopf, klopf!”, rief ich um sieben Uhr am Montagabend durch die offene Fliegengittertür an Davides Haus.


    Dieser wohnte in einem wunderschönen viktorianischen Haus, weiß mit schwarzen Fensterläden und einer umlaufenden Veranda. Das Haus und der Garten waren wunderschön in Schuss. Die beiden hatten es erst frisch gekauft und renoviert.


    Das Haus stand auf der anderen Straßenseite von einer der Kneipen, in der sich Julian die letzten Tage herumtrieb. Ein paar Straßen weiter als unser Haus.


    Davides Frau erschien an der Tür. Sie trug ein weißes T-Shirt mit bunten Blumen, blaue Leggins und Sneaker. Kurze, weiße Strähnen von ihrem Kurzhaarschnitt schauten unter dem dunkelblauen Schirm der Mütze hervor, die sie auf dem Kopf trug.


    „Hallo, Herr Zwick. Was führt Sie denn heute hierher?”

    „Oh, hallo Frau Mazzotta. Darf ich hereinkommen?”

    „Klar, kommen Sie rein.”


    Ich folgte ihr über den glänzenden Hartholzfußboden des vorderen Eingangsbereichs in ein repräsentatives Wohnzimmer.


    Ein Kamin, der so richtig zum Haus passte mit seinem weißen, gemeißelten Kaminsims und der Ziegelfassung, bildete den Mittelpunkt eines Sitzbereiches mit passenden roten Samtsesseln, einem kleinen Sofa in goldenen Schattierungen mit fröhlichen Gänseblümchen und einem antiken Beistelltisch.


    Eine große, pflaumenviolette, selbst gehäkelte Decke war über das Sofa geworfen. Sehr anheimelnd.


    „Kann ich Ihnen einen Tee machen?”, fragte Frau Mazzotta. „Ich habe das Wasser eh schon aufgesetzt.”

    „Das wäre sehr nett”, antwortete ich und folgte ihr in die kleine, vollgestopfte, aber gemütliche Küche. Die Fenster waren offen, sodass es einen angenehmen Durchzug gab. Die Luft roch frisch und nach einem Hauch von Rosen. Ich sah der älteren Frau zu, wie sie die Teebeutel herausholte.


    „Wo ist denn ihr Mann?“ fragte ich.

    „Der gute duscht gerade. Herzlichen Glückwunsch übrigens zum ersten Sieg. Auch wenn etwas verspätet kommt”, antwortete sie.

    Frau M. hielt kurz inne, um mich anzulächeln. „Sahne oder Zucker?”

    „Weder noch, ich mag ihn einfach so.”

    Verwirrt runzelte sie die Brauen. Wer trinkt seinen Tee überhaupt mit Sahne? Das kann doch nur wieder eine Idee von den Engländern sein, dachte ich.


    Mein Gegenüber bat mich darauf hin, auf dem Stuhl Platz zu nehmen.

    Es dauerte nicht lange, da trat auch Davide in den Raum ein.


    „Na Dickerchen, alle gut bei dir?“, klopfte er mir Schulter.

    Er meinte das nicht, weil wir befreundet waren, sondern bezog das freundlich gemeint auf meine Figur.

    Ich konnte es ihm weder übelnehmen noch etwas dagegen sagen. Ich war darauf bedacht, mich wieder auf meine Ernährung zu konzentrieren.

    Schließlich wollte ich demnächst auch wieder auf Frauen zugehen, um mir vielleicht eine Verabredung zu ergattern.

    Aber den Gedanken beiseitegeschoben. Ich war heute hier, um über den anstehenden Kader zu sprechen, der die beiden nächsten Länderspiele bestreiten sollte.
    Davide und ich waren viel Unterwegs, haben unsere Augen und Ohren offen gehabt. Auch der restliche Trainerstab setzte sich ein, um den bestmöglichen Kader für die anstehenden zwei Spiele gegen die Färöer und Lettland zu nominieren.


    Er schaute mich an.

    „Zur Feier des Tages, dass wir alle Spiele durch haben, werden wir alles beim Essen besprechen?“

    „Würde ich echt gern, aber ich bin doch auf Diät.“


    „Aber heute ist doch ein ganz besonderer Tag!“

    „Na gut, überredet“, ließ ich mich prompt breitschlagen und stellte fest, dass so ganz viel Überredungskunst dafür nicht notwendig war. An meiner Konsequenz musste ich scheinbar noch feilen.

    Okay, ich gehe mit, meiner Gesundheit zuliebe, halte ich mich aber beim Essen zurück.


    „So einen Kohldampf hatte ich schon lang nicht mehr“, freute sich David wenig später bei seinem Lieblingsinder in Mellieha als er die Speisekarte beiseite und den Kellner herbeiwinkte.


    „Für mich bitte zuerst den gemischten Salat mit Ei und Thunfisch, dann Das scharfe Curry mit Lammfleisch und Reis. Als Nachtisch die Bananeneisschale … und eine extra Portion Sahne, bitte.

    Und was nimmst du, Hilger?"


    Ich rang mit mir.

    Essen war meine Schwachstelle, das wusste ich nur zu gut. Aber diesmal würde ich eisern bleiben.


    „Einen Tomatensalat bitte, aber ohne Soße, und den Peperoni-Teller, aber ohne Schafskäse und Oliven bitte und ohne Öl, wenn’s geht.

    Und dazu ein Mineralwasser ohne Kohlensäure.“


    „Peperoni und Tomaten? Das ist alles?“, empörte sich Davide.

    „Nix da. Bringen Sie ihm dasselbe wie mir. Und dazu zwei anständige Halbe, bitte.“

    „Gern!“, sagte der Kellner und entfernte sich wieder.


    Ich wollte noch widersprechen, doch meine bislang stumme innere Stimme, jene, die die Welt seit gerade eben nur noch aus der astrologischen Perspektive betrachtete, meldete sich zu Wort:

    Hallo? Es ist zunehmender Mond! Da wird das eh nichts mit dem Fasten. Also sei kein Depp, Curry mit Lamm und Eis - obendrein noch gratis!


    „Wann ist eigentlich Vollmond?“, fragte ich, um schon mal den – diesmal unumstößlichen – Beginn meiner Diät festzulegen.

    „Übermorgen. Das weiß ich so genau, weil ich mir einen Mondkalender für meinen Garten besorgt habe.“


    „Du hast was? "

    „Ja. Das ist hochinteressant. Meine Frau hat gesagt, dass sich der Mond auf alle Lebensbereiche auswirkt. Und das stimmt! Hast du zum Beispiel gewusst, dass man nicht jede Gartenarbeit zu jeder Zeit machen sollte?“


    „Ach, das ist ja witzig, beim Abnehmen ist das nämlich genauso. Das geht am besten bei abnehmendem Mond.“

    „Na bitte. Dann lass es dir heute noch mal richtig schmecken und Donnerstag fängst du an.“


    Ich sah ein, dass es überhaupt keinen Sinn hatte, ausgerechnet vor dem Vollmond mit dem Fasten zu beginnen.

    Das war ein Kampf gegen Windmühlen. Eigentlich hätte ich längst von selbst drauf kommen können, denn alle Versuche, weniger zu essen, waren bisher kläglich gescheitert.

    Während wir auf die Vorspeise warteten, begannen wir über die eigentliche Sache, wegen der wir hier waren zu reden.


    Zwischendurch servierte der Kellner das Bier und wir prosteten uns zu.


    Was das anging, hatten wir im Großen und Ganzen eigentlich die gleiche Meinung. Da letzte Spiel gegen Andorra war so gut, dass selbst die sonst so kritische Presse auf Malta ausschließlich lobende Worte für uns fand.

    Der Kader sollte dementsprechend unverändert bleiben. Wir wollten also die gleichen 23-Mann für den Länderspielblock nominieren, wie vier Wochen zuvor. Jedenfalls so lange, wie es keine Verletzungen oder Absagen gab.

    Da wir uns in der Hinsicht einig waren, fing Davide an, über wichtigere Dinge zu sprechen und erzählte, dass er und seine Frau immer öfter aneinandergerieten.


    „Mensch, Mensch, Mensch. Was habt ihr beiden denn schon wieder?“

    „Ach, ich verstehe sie einfach nicht mehr. Sie hat sich so verändert in der letzten Zeit. Ich dachte, gut, so ein Umbau ist nun mal kein Alltag und wenn wir erst umgezogen sind, wird alles wieder wie zuvor. Aber nichts war wie zuvor, am allerwenigsten meine Gaby.“


    „Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, warum sie so ist?“

    „Wie, warum? Wie meinst du das?“


    „Also, für mich ist das eindeutig: Sie ist hoffnungslos unterfordert. Mit dem Umbau hatte sie noch eine Beschäftigung und dann ist plötzlich alles fertig. Und was macht sie? Sie langweilt sich zu Tode. Ich kenn das von meiner Mutter, die war ja zum Schluss auch ein bisschen neben der Spur. Wenn die Alten unterfordert sind, suchen sie sich ihre Erlebniswelt in der Fantasie, im wirklichen Leben passiert ja nichts mehr.“

    „Du meinst, meine Gaby ist verrückt?“


    „Na ja, ganz so drastisch würde ich es nicht ausdrücken.

    Und dann musst du noch Folgendes bedenken: Du bist ein erfolgreicher Mann, dich kennt man, du bist angesehen, verdienst gut, wer aber lobt sie denn schon, hm? Niemand. Neben so einem Mann wie dir, in der Blüte seiner Jahre, hat sie echt keinen leichten Stand. Dabei rackert sie sich so ab mit ihrer Arbeit, die Ärmste.“


    Davide fiel es wie Schuppen von den Augen.

    „So hab‘ ich das noch gar nicht gesehen“, seufzte er einsichtig.

    „Na, siehst du. Zeig etwas mehr Verständnis für ihre Situation, sei einfühlsamer, nimm teil an ihren Sorgen, das mögen Frauen. Dann fühlen sie sich verstanden und behandeln dich auch mit Respekt.“


    „Aber eins verstehe ich nicht: Wenn sie wirklich unterfordert ist, warum kümmert sie sich nicht um den Haushalt? Da hätte sie doch eine schöne und mehr als ausreichende Beschäftigung.“

    Ich schüttelte mit dem Kopf. Mein Co-Trainer war anscheinend in seiner Weltansicht und den 80ern‘ stecken geblieben.


    Aber die Probleme musste er selbst klären. Gott, so sehr ich Mone vermisste, ich war froh solche Probleme nicht mehr zu haben.


    Stattdessen konnte ich einen solchen Abend wie heute bis zum Ende genießen…

    Falls es mal mit dem Job hier in die Hose gehen sollte, könnte ich mich ja noch irgendwo an einer Hochschule für ein Psychologie-Studium einschreiben lassen.





    05.10.2021





    Bis auf die beiden Jungs, die sich im Ausland ihre Butterbrote verdienten, waren alle Spieler zum ersten Training erschienen.


    Es wurde weiterhin daran gearbeitet, meine Interpretation einer Dreierkette nachzukommen.

    Einen Innenvertediger – gepaart mit zwei Außenspielern. Zwei Sechser davor, einen zentralen Mittelfeldspieler. Zwei Außenspieler, sowie einen offensiven Zehner und einen Stürmer davor, der aber eher als falsche Neun agiert.

    Offensiv war es wichtig, die absolute Ballkontrolle zu haben. Denn wenn im Angriffsmodus den Ball verliert sichern maximal zwei Mitspieler an der Mittelinie ab.


    Sicherlich gefährlich, aber als Underdog, in quasi allen Spielen, die man spielt – so jedenfalls in meiner Ansicht- sollte man sich auch einmal was trauen. Egal ob der Gegner Spanien oder Lettland heißt.

    Ob ich damit das ein oder andere Gegentor in Kauf nehme? Natürlich.


    Aber nach vorne hin war es in meiner Überlegung zumindest – auch deutlich attraktiver.

    Die Spieler gingen damit apart, wenngleich sich einige Mitglieder Sorgen machten, dass sie in Zukunft nicht mehr gebraucht werden würden, weil nur eine Innenverteidigerposition zu vergeben war.


    Von drei auf eins. Das kann ich schon verstehen, dass die Jungs sich Gedanken machen.

    Viele von ihnen waren so variabel auf den Außenbahnen oder vor der Abwehr, dass es keinen Grund gab, sie aus dem Kader zu schmeißen.


    Am Samstag stand das dritte Gruppenspiel gegen die Färöer auf dem Plan. Ein Heimspiel in dem wir uns zumindest einen Punkt erhofften.

    Obwohl die Inselgruppe nur von ein bisschen mehr als 50.000 Einwohner bewohnt wurde, hat sie sich in den letzten Jahren still und heimlich zu einer guten Truppe gemausert. In der Weltrangliste lag die Mannschaft von Håkan Ericson in der Weltrangliste knapp 70 Plätze vor uns.

    Unfassbar wenn man sieht, dass auf Malta knapp 500.000 Menschen wohnen.

    Aber auch dort hielt sich kaum ein Spieler der Nationalmannschaft im Ausland auf. Bester Spieler auf der Seite der Färinger war mit Sicherheit Jóan Símun Edmundsson, der sein Geld in der Bundesliga bei Arminia Bielefeld verdiente.

    Auf ihn galt es auch ganz besonders aufzupassen.


    Gute Übersicht, mit einem strammen Fernschuss, der aber auch den ein oder anderen tödlichen Pass spielen kann.


    Eine gute Restverteidigung war also zwingend erforderlich und stand am heutigen Montag auch gesondert auf dem Trainingsplan.

    Am Abend stand dann ein Gemeinschaftsabend an. Den Spaß an der Sache darf man nicht verlieren und ich war immer noch drauf und dran die Jungs besser kennenzulernen…



  • 10.10.2020




    Perfektes Fußballwetter für einen perfekten Fußballabend.

    22°Grad waren es im weiten Rund des Ta’ Qali-Stadion, das aber auf Grund der Pandemie immer noch keiner Zuschauer beherbergte.


    Kurzfristig hatte sich Luke Montebello erkrankt gemeldet, weshalb ich den eigentlich ausgemusterten Rekordtorjäger des Landes nachnominieren musste.

    Dieser schob sich auch direkt in die Startelf was bei den Reportern, die mich auf dem Weg zum Platz aufhielten, durchaus zu kritisieren wussten.


    Mittlerweile hatte ich gelernt, dass die Reporter nicht nur Reporter waren. Sie spiegelten die Worte der maltesischen Bevölkerung wider.

    Ich verneinte dies ausdrücklich und wies darauf hin, erst einmal das Spiel wirken zu lassen, ehe hier irgendwer für irgendwas kritisiert werden würde.


    Meine Mannschaft hingegen war so heiß auf dieses Spiel, dass sie in der Kabine gar nicht mehr motiviert werden musste. Ich gab ihnen nur noch auf den Weg, dass es heute nur darum ging mich und alle anderen Eidgenossen stolz zu machen.

    Egal ob Sieg oder Niederlage. Ich verlange nur, dass sich an alle Vorgaben gehalten wird und jeder 100% auf dem Rasen lässt.




    Der Anpfiff des Schiedsrichters holte mich mal wieder aus meinen Tagträumen.

    Davide tickte mich an. „Pass mal auf. Die Jungs sind heiß.“


    Und wie heiß sie waren. Die Jungs legten los wie die Feuerwehr. Die Männer in den offensiveren Positionen begannen vom Anstoßpunkt weg den Gegner anzupressen, die Kette dahinter schob gut nach.

    Nach zwölf Minuten dann die erste Chance. Mifsud bekam den Ball auf der rechten Seite und spazierte über diese an die Strafraumkante, bevor er den Ball an den Elfmeterpunkt spielte.


    Dort nahm Luke Gambin den Ball entgegen und hätte nur noch einschieben müssen.

    Der Ball kullerte aber in die Arme des gegnerischen Torhüters. Eine vergebene Chance…


    Zwei Minuten später zirkulierte das Spielgerät über die linke Seite. Muscatt und Teuma spielten einen Doppelpass und ersterer lupfte den Ball über den gegnerischen Verteidiger in die Mitte zu Jurgen Degabriele nahm den Ball am Ende des Strafraums an und zog anschließend mit seinem starken linken Fuß ab.


    Der Ball flog und flog. Plötzlich ein Raunen im weiten Rund. Der Ball knallte gegen die Latte und sprang von dort aus ins Aus.

    „Wahnsinn“, ärgerte ich mich und schaute zu meinem Co-Trainer hinüber.

    „Sagte ich doch“, antwortete Davide selbstlobend und klatschte in die Hände und sprach unseren Jungs Mut zu.


    Doch nach diesen fulminanten Anfangsminuten ließ der Druck unserer Mannschaft vorerst nach. Wir ließen das Auswärtsteam den Ball in den eigenen Reihen zirkulieren, doch sobald der Ball über die Mittellinie ging, marschierte die erste Pressing-Linie hoch und versuchte den Ball zurückzuerobern.

    Doch die ersten Phasen des anschließenden Spielaufbaus landeten immer wieder beim Gegner und wir gaben somit den Ballbesitz aus unseren Händen.


    In der 30.Minute sprang dann unsere ganze Bank auf. Piciollo hatte den Ball nach einer Flanke von Mbong souverän per Kopf in das Tornetz der Färöer geköpft.

    Eine verdiente Führung, doch der Schiedsrichter hatte etwas dagegen. Matteo hatte bei der Ballabgabe vermutlich einen Hauch im Abseits gestanden.

    Ich fluchte. Doch war direkt danach darauf bedacht, meine Männer zu motivieren.


    Während die einzige Minute der Nachspielzeit lief, marschierte Joe Muscatt wie so oft in dieser Hälfte über seine linke Seite. Wieder schickte Teddy ihn mit einem Doppelpass in den vorderen Teil der gegnerischen Hälfte.


    Wie in der 14 Minute ging der Ball in die Mitte zu Jurgen Degabriele. Dieser nahm den Ball diesmal nicht wie bei seinem Lattenknaller an, sondern drosch den Ball mit voller Wucht auf das Tor von Gunnar Nielsen.

    Gefolgt war ein lauter Jubelschrei der gesamten Mannschaft. Auf dem Spielfeld, als auch auf der Bank.


    Mein Blick ging zum Schiedsrichter.

    Dieser zeigte zum Mittelpunkt. Und Jurgen rannte plötzlich in meine Richtung und sprang mir in die Arme.


    Der Mann hatte gerade in seinem ersten Länderspiel seit 2018 direkt sein erstes Tor erzielt.

    Nachdem sich die Jubeltraube beruhigt, hatte pfiff der Schiedsrichter einmal kurz an und bat anschließend zum Pausentee.


    „Jungs, was für ein Wahnsinnspiel heute! Mir gefällt, was ich gesehen habe und hoffe, dass ihr die Kraft habt, genauso weiterzuspielen. Ist jemand hier kaputt? Wenn ja, kann ich das vollkommen nachvollziehen. Diese Intensität! Überragend!

    Schaut euch die Statistik an. 62 Prozent Ballbesitz. 89 Prozent der Pässe angekommen. 8 Schüsse. Die Färöer hatten einen.

    Aus 30 Metern über das Tor."


    Macht so weiter und wir gewinnen das Spiel! Und jetzt raus und holt die drei Punkte für all die, die bei diesem Spiel nicht vor Ort sein können!


    „Einer für alle!"

    „Alle für einen!"


    Die Jungs wirkten entschlossen. Aber die konnten unmöglich das Tempo der ersten Halbzeit über zwei ganze Halbzeiten durchhalten. Fünf Wechsel standen zu Verfügung.

    Davide und ich spielten bereits mit dem Gedanken uns einen Plan B zu überlegen. Eine defensive, zurückhaltende Formation, um die Jungs durchzukriegen.

    _____


    Wir wollten jedoch die Anfangsminuten aber erst einmal abwarten. Wer weiß wie der Gegner aus der Pause kam.

    Und entgegen unser Erwartungen blieben die Gäste genauso ungefährlich wie in der ersten Halbzeit.


    Das Adrenalin innerhalb unserer Spieler muss in einer Höhe sein, die nicht mehr messbar sein müsste.

    Aber bei den ersten Spielern machten sich nach 60 Minuten erste Probleme breit.


    So entschieden Davide und ich uns dazu aus der 3-4-3 Formation eine Fünferkette zu bilden.

    Wir nahmen Michael Mifsud hinunter, der mit seinen fast Vierzig Jahren verständlicherweise müde wurde und brachten mit Enrico Pepe einen Innenverteidiger.


    So ergaben sich einige Räume für die Gäste, die diese allerdings erst einmal nicht nutzen konnten.

    Es fehlte einfach an Durchschlagskraft und Ideen, um unser Abwehrbollwerk zu knacken.


    Doch in der 71.Minute kam es wie es kommen musste. Der vor dem Spiel als bester Spieler der Gäste angepriesene Jóan Símun Edmundsson setzte sich 25 Metern gegen drei unserer Gegenspieler durch und schoss einfach aufs Tor.


    Am Sechzehner wurde der Ball des eingewechselten Enrico Pepe unglücklich abgefälscht und das Spielgerät schlug unhaltbar für Henry Bonello in der rechten Ecke ein.


    So eine verdammte Scheiße.

    Wir dominieren das Spiel und kriegen durch so einen verfluchten Ball wurden wir hier um unsere harte Arbeit belohnt werden.

    Und als wir noch vom Gegentor geschockt waren, griffen die Gäste erneut an.

    Der Ball landete wieder im Tor, doch auch hier entschied der Unparteiische glücklicherweise auf Abseits.


    Die letzten Minuten des Spiels wurde von zwei müden Mannshaften bestritten, die jeweils mit der Punkteteilung zufrieden wirkten.

    Ich konnte der Mannschaft nichts vorwerfen, deswegen trudelte die Partie zu Ende, ehe der Schiedsrichter diese Partie beendete.




    Ich weiß noch nicht genau, für welche Emotion mich entscheiden sollte. Positiv, weil wir einen Punkt gegen einen eigentlich stärkeren Gegner geholt hatte oder eher negative Gefühle deswegen hegen, weil wir hier die bessere Mannschaft waren und eigentlich zwei oder drei Tore mehr hätten schießen sollen?


    Ich entschied mich für letzteres und ließ dies meiner Mannschaft dieses auch spüren, als ich in der Kabine angekommen war:



    „Jungs, ich weiß, ihr seid glücklich über diesen gewonnenen Punkt, jedoch möchte ich euch heute an meiner Gefühlswelt teilhaben lassen. Ich habe da draußen eine Mannschaft gesehen, die sich bis zum letzten Moment in jeden Zweikampf reingeworfen hat. Dennoch werde ich euch heute auch kritisieren.

    Mit ein bisschen mehr Kaltschnäuzigkeit gewinnen wir diese Partie heute mit zwei, drei Toren Unterschied. Euer Fitnesszustand ist miserabel. Trainiert ihr überhaupt, wenn ihr bei euren Vereinsmannschaften seid?


    Versteht mich nicht falsch, ihr habt heute vermutlich eines der besten Spiele gemacht, die je eine maltesische Mannschaft auf diesem Niveau gespielt hat. Der Fußball, die Kombinationen, all die ganzen Laufwege waren heute nicht umsonst. Wir können daraus lernen, darauf aufbauen. Und wir werden im nächsten Spiel stärker zurückkommen.


    Okay?"


    Meine Spieler wirkten verwirrt. Einige machten auch den Eindruck als wären sie mit dieser Standpauke nicht einverstanden. Am Ende sprang jedoch ein kollektives Kopfnicken heraus, als ich mich auf den Weg zur Pressekonferenz machte…




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