23. Teil: Saisonabschluss
(16. Juni 2012)
Um halbwegs meine Ruhe vor Sabrina zu haben, versäumte ich dieser Tage zwei Spielergeburtstage und begleitete sie stattdessen ins Theater. Als sie dann auch noch ihr Herz für Origami entdeckte, war sie davon so erfüllt, dass sie beinahe vergaß, sauer auf mich zu sein. Nur lagen, standen und flogen seitdem ständig irgendwelche Papiertiere und -blumen in unserer Wohnung herum, was mich dazu veranlasste, noch mehr Zeit als bisher im Büro zu verbringen.
In den Vereinsdateien, auf die ich eigentlich keinen Zugriff hätte haben sollen, fand ich so interessante Screens wie „Auf- und Abwertungsrunde“ und „Die besten Jugendspieler der Welt“. Da in beiden keine B-Junioren des VfB Lübeck vorkamen, übersprang ich sie. Wesentlich interessanter fand ich dagegen schon den Finanzstatus des Vereins. Wie sich zeigte, hatte der Herr Manager ganz gut Miese gemacht. Okay, bei den Einnahmen sah es so aus, als wenn die Erwartungen übertroffen worden waren, aber die Ausgaben waren eindeutig zu hoch. Immerhin erfuhr ich, dass die Lizenz für die nächste Saison ohne Auflagen erteilt worden war, und aus der nächsten Übersicht konnte ich auch schließen, warum.
Fünf Minuten vor der Angst war da offensichtlich noch einmal ein größerer Bankkredit aufgenommen worden, der auch dazu führte, dass die Budgets einigermaßen ausgeglichen erschienen. Ein uralter Trick! Aber das sprach weder für ein verantwortungsbewusstes Haushalten des Managers noch tat er damit dem Verein einen Gefallen, denn das Geld würde nun jahrelang zurückgezahlt und verzinst werden müssen. Aber ein Vorstandsvertrauen von 15/20 hatte er sich damit immerhin erkaufen können.
Einen Blick wert war mir schließlich noch die Vertragsliste der B-Junioren. Verträge gab es hier natürlich noch keine, aber eine Einschätzung der Marktwerte lag vor, in der sogar der gerade erst hinzugekommene Reginald Zarb enthalten war. Danach wurde von den Eigengewächsen allein Wolfgang ein Wert beigemessen. Nun, ich nahm mir vor, das zu beobachten, denn Jungs wie Emmo und Lan würden hier gewiss auch bald eine Hausnummer bekommen.
Nebenbei pflegte ich übrigens weiterhin meine eigenen Statistiken. So zum Beispiel diese:
Unser Vorlagenkönig der Saison war demnach Lan (6) vor Emmo (4), die besten Noten hatten sich von den Stammspielern Hany (TW) und Wolfgang (ST) verdient, aber auch Emmos Schnitt hatte sich seit der Winterpause deutlich verbessert. Beim Ein- und Auswechseln war Kristian sehr konsequent gewesen, hatte doch jeder Feldspieler immer mal seine Chance erhalten bzw. rausgemusst. Insgesamt hatten nur Angelo (IV), Stephan (RV), Emmo und Gunnar (OM) sämtliche Spiele gespielt.
Die zweite Hälfte des Monats Juni war dann geprägt von der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Etliche Spiele, vor allem die der deutschen Mannschaft, sah ich mir gemeinsam mit Mitarbeitern, Jugendlichen und ein paar Profis im Vereinshaus an. Auch Emmo und Kevin waren immer dabei. Alle hatten viel Spaß, denn in der Vorrunde wurden England, Dänemark und Norwegen geschlagen, ehe es in der K.-O.-Phase zwar stets knapp, aber sehr erfolgreich weiterging.
Gomez, Özil und Lahm landeten in der Elf des Turniers, mit Abstand die meisten Tore erzielte allerdings der Italiener Giampaolo Pazzini (11). Und damit war die Saison 2011/2012 dann auch endgültig beendet.
24. Teil: Die zweite Saison
(01. Juli 2012)
Anfang Juli endete beim VfB Lübeck die trainingsfreie Zeit, aber der 1. Juli war ein Sonntag, was mir die Gelegenheit verschaffte, mich, bevor es richtig losging, noch einmal ungestört auf dem Vereinsgelände umzusehen – und im Computernetzwerk. Wenn ich in der Saison 2012/2013 meinen Einfluss auf die Geschicke des Vereins ausweiten wollte, musste ich zunächst einmal mehr wissen. Dabei galt mein Augenmerk zwar nach wie vor weniger den Profis als der Jugend, aber wer weiß – auch Insiderwissen über das Tätigkeitsfeld von Manager Gaston Deneuve konnte mir vielleicht durchaus noch nützlich werden.
Mein erster Blick galt deshalb den Mannschaftsstärken zu Saisonbeginn. Unsere Profis belegten dabei in ihrer Liga den sechsten Platz, was die beste Elf anging, und hinsichtlich der Durchschnittsstärke teilten sie sich mit Magdeburg Platz sieben. Topfavorit waren hier diesmal die Leipziger Dosenkicker, gefolgt von den zweiten Mannschaften aus Bremen, Hamburg, Wolfsburg und Berlin. Unsere Reserve war hingegen in jeder Hinsicht Zweitbester in der Schleswig-Holstein-Liga, deutlich hinter dem FC St. Pauli II. Aber gar nicht recht glauben wollte ich dann, was ich über unsere Jugendarbeit zu sehen bekam.
War es möglich, dass wir die Statistiker derart beeindruckt hatten? Nun, ich nahm an, dass jetzt, ganz am Anfang der Saison, die Zahlen einfach noch nicht komplett ermittelt waren. Deshalb beschloss ich, das künftig weiter zu beobachten.
Weitere interessante Informationen fand ich noch, zum Beispiel dass die Vorsaison mit einem Verlust von 345.000 Euro abgeschlossen worden war, dass der VfB im Pokal zuerst gegen Hoffenheim spielte und dass es bei den Profis zwei namhafte Neuzugänge gab: Denis Wolf (ST, 29) und Patrick Herrmann (RV, 24). Übrigens spielten der VfB Lübeck und Holstein Kiel diesmal in keiner einzigen Liga zusammen: Die erste Mannschaft der Kieler war in die Dritte Liga aufgestiegen, die zweite war abgestiegen und die vier Jugendmannschaften trafen ebenfalls nicht auf den Derby-Konkurrenten.
Neugierig war ich natürlich auch auf die Konkurrenz der B-Jugend.
Unser erstes Spiel bestritten wir am 13. August beim Mitaufsteiger Heidenheim. Da würde es wichtig sein, nicht gleich unter die Räder zu kommen, besser noch einen oder drei Punkte mitzunehmen, um sich in der neuen Liga nicht von Beginn an wie der sichere Absteiger zu fühlen. Denn was sich da an Kontrahenten tummelte, hatte schon ganz beachtliche Namen: Union, Cottbus, Braunschweig, auch die Rostbüchsen waren diesmal dabei – na, das würde den Jungs ganz schön Dampf machen!
Die C-Jugend nahm, wie ich sehen konnte, dieses Jahr ebenfalls am Ligabetrieb teil. Sie waren in die fünfte Spielklasse aufgestiegen, während A und D erneut viertklassig spielten.
Nachdem ich mir die wichtigsten Daten angesehen hatte (darunter auch die problematische Finanzkalkulation für die nächsten zwölf Monate), machte ich einen Rundgang über das Gelände. Die Arbeiten am Jugendzentrum waren beendet und es war eindeutig eine Nummer kleiner geworden.
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(Quelle: Familie und Bildung - Hansestadt Lübeck)
Ein paar Blicke durch die Fenster verdeutlichten mir, dass wir im Vereinshaus weiterhin besser aufgehoben sein würden. Diese Baracke war dagegen eher das Richtige für die Kleineren.
Als ich zu meinem Büro zurückkehrte, traf ich auf Kristian, der irgendwie erleichtert wirkte, mich zu sehen.
„Malte, hast du einen Moment? Ich muss mit dir reden.“
„Okay, gern. Komm doch mit rein.“
Wir setzten uns in meine Sofaecke – nein, da war jetzt gerade kein Geld mehr drin! – und ich versuchte gar nicht, ihm einen Whisky anzubieten, sondern stellte Mineralwasser und zwei Gläser auf den Tisch. Das Thema schien ernst zu sein.
„Die Sache ist die: Der Boss, also Gaston Deneuve, hat die Parole ausgegeben, dass wir drittklassig werden wollen. Und zwar auf allen Ebenen.“
„Du meinst, nicht nur die Erste, sondern auch die Jugendmannschaften?“
„Richtig. Die B hat es ja nun schon geschafft, und das hat ihn angespitzt. Naja, irgendwie hat es ihn wohl auch gewurmt, dass uns der Aufstieg gelungen ist und ihm nicht.“
„Na, da hat er sich ja was vorgenommen!“
„Stimmt. Aber nicht nur er für sich. Von mir erwartet er jetzt, dass auch die A-Junioren den Sprung nach oben schaffen.“
„Und – wird das klappen? Auf welchem Platz haben sie denn gleich noch die vorige Saison abgeschlossen?“
„Naja, sie sind Sechster geworden. Wenn man sehr intensiv rangeht, könnten sie oben mitspielen. Aber das bedeutet, dass mir kaum noch Zeit für etwas anderes bliebe.“
„Für die B-Jugend zum Beispiel?“
Er nickte. „Und die Sache ist halt die, dass ich Daniel Celio damit nicht betrauen möchte. Er wäre dem wohl nicht gewachsen, und außerdem brauche ich ihn dringend als Unterstützung für allerlei anderen Kram.
„Du meinst also im Ernst…?“
Wieder nickte er nachdrücklich. Und so kamen wir überein, dass ich mich nun hauptverantwortlich um die Belange von Emmos Team kümmern sollte. Er hingegen hatte die Qual der Wahl, aus 26 Jungs mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten und Potenzialen eine erfolgreiche Mannschaft zu formen.