Panthera: Super, dass du wieder dabei bist, Lektoratsoffizier! Aber zunächst mal heißt es nur: rühren! Denn der erste Abschnitt ist ja sattsam bekannt, wenn man ihn im Board verfolgt oder das (verschütt gegangene) pdf gelesen hat. In der kleinen Rahmenhandlung ist Emmo tatsächlich schon etwas reifer, denn da befinden wir uns ganze vier Jahre in der Zukunft! (Siehe ansonsten auch mein Gespamme im Spam-Thread.)
@siika: Schön, dass wir dich froh machen. Und Lancelot wird für diese Story sowieso unbedingt gebraucht!
Abschnitt 1: Der Weg zum ersten Vertrag
Prolog
Als ich Emmo zum ersten Mal begegnete, war er 14 Jahre alt. Das war im Sommer 2011. Er kickte mit ein paar anderen Jungs und Mädchen auf dem Bolzplatz hinter dem großen Wohnkomplex, in dem überwiegend vielköpfige Familien mit geringem Einkommen leben. Es war sommerlich warm, die Kids hatten Ferien, aber ihre Eltern nicht das Geld zum Verreisen. Also traf man sich draußen, und die meisten derer, die keinen Bock auf Rumhängen und Alk hatten, spielten Fußball.
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(Quelle: frauenhofschule.de)
Es waren viele. Zu viele für den kleinen Platz mit den löcherigen Toren. Und dennoch fiel einer von ihnen sofort auf, und das war Emmo. Er tanzte seine Gegner auf dem engen Spielfeld förmlich aus, verteilte die Bälle ein ums andere Mal klug an seine Mitspieler und lenkte das Geschehen so geschickt, dass seine Mannschaft zwangsläufig als Sieger vom Platz ging.
An den folgenden Tagen beobachtete ich den Jungen des Öfteren, und es wurde mit jedem Mal offensichtlicher, dass er ein riesiges Talent besaß. Einmal, als er nach einem Spiel auf dem Weg in einen der Wohnsilos war, kamen wir miteinander ins Gespräch. Ich erfuhr, dass er dieselbe Schule besuchte, auf die auch meine Kinder gegangen waren, und dass er in keinem Verein spielte, weil seine Eltern weder für die Mitgliedsbeiträge noch für die Sportausstattung Geld auszugeben bereit waren. Okay, dachte ich, da muss man etwas tun. Ich fragte Emmo zuallererst selbst. Seine Reaktion erstaunte mich total: Nein, sagte er, das geht auf gar keinen Fall. Seine Eltern würden ihn auslachen. Und wenn überhaupt, dann müsste zuerst sein älterer Bruder Kevin gefördert werden. Das sagte er. Aber in seinen Augen konnte man etwas ganz anderes lesen.
In der nächsten Woche sprach ich mit Emmos Eltern. Der Vater, Frank Winter, arbeitete als Springer in einem Fuhrunternehmen, die Mutter war arbeitslos. Sie hatten vier Kinder: Saskia, die Älteste, dann Kevin und Emmo, schließlich noch die kleine Ivonne. Zuerst verhielten sie sich mir gegenüber sehr reserviert, nahezu feindselig, aber das gab sich allmählich, als sie erfuhren, was für Möglichkeiten ich für ihren Sohn zu sehen meinte. Immerhin erklärten sie sich damit einverstanden, dass ich den Jugendtrainer des Sportvereins ansprach, immer vorausgesetzt, dass sie nichts, aber auch gar nichts zu bezahlen hatten.
Zehn Tage später waren Kevin und Emmo eingetragene Mitglieder des VfB Lübeck.
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(Quelle: VfB-Lübeck - VfB Lübeck)
1. Teil: Ein ungewöhnliches Talent
(1. Juli 2011)
In der nächsten Zeit ging ich, wann immer ich konnte, zum Jugendtraining und stellte fest, dass Emmo sich sehr gut in das Team einfügte. Er selbst war mächtig stolz darauf, dem Verein anzugehören und sein Wappen auf der Brust zu tragen, und stets, wenn ich kam, begrüßte er mich, indem er mir zuwinkte. Meistens gingen wir anschließend zusammen nach Hause, und er erzählte mir, wer die anderen Jungs in seiner Klasse, der B-Jugend, waren.
Am besten verstand er sich mit Pan und Lan, und die drei wurden bald ein unzertrennliches Trio, das sich auch auf dem Platz nahezu blind verstand. Pan Thera war ein sehr robuster Linksverteidiger, der eigentlich Panaiotis hieß und Eltern griechischer Abstammung hatte. Lan dagegen war sehr schnell auf der rechten Seite unterwegs; sein Name war Lancester Christopher Lott, aber alle nannten ihn nur Lan. Schon im Training ließ sich erkennen, dass sich da ein sehr effektives Dreieck bildete, denn entweder versorgte Pan Emmo von der linken Abwehrseite mit langen Pässen oder rechts holte sich Lan die Bälle von hinten, sauste die Außenlinie entlang und brachte präzise Flanken nach innen. Stark in der Abwehr war auch Ingo, gemeinsam mit Emmo der Jüngste im Team, der alles, was bis zu ihm durchkam, konsequent nach vorne drosch, und für die meisten Tore sorgte Wolfgang, der zurzeit wohl als der stärkste Spieler des Teams gelten konnte.
Allerdings hatten die Winters mir auch zu verstehen gegeben, dass es mit Emmos schulischen Leistungen nicht immer zum Besten bestellt war. Deswegen sprach ich nach einer Woche den Jugendtrainer an, der Daniel Celio hieß.
„Emmo ist ja sehr willig, mehr für die Schule zu tun“, sagte ich, „aber in ein paar Fächern bräuchte er unbedingt Nachhilfe, und das Geld dafür haben die Eltern einfach nicht.“
„Nein, Herr Womerde, ich sehe da überhaupt keine Probleme.“, war die Antwort. „Der Emmo scheint tatsächlich ein immenses Potenzial zu besitzen, und da zeigt sich der Verein dann gerne auch einmal großzügig. Ich will sehen, was ich machen kann, aber in so einem Fall lässt sich bestimmt eine geeignete Lösung finden.“
Es war ein sehr freundliches und fruchtbares Gespräch, aber es stellte sich auch heraus, dass Herr Celio nur ein ehrenamtlicher Mitarbeiter war, der weder großen Einfluss auf das Vereinsgeschehen hatte noch sonderliche Qualitäten als Trainer vorweisen konnte.
„Wenn Sie beim VfB mehr für Ihren Schützling erreichen wollen“, riet er mir, „dann sollten Sie sich direkt an die Leitungsebene wenden.“
„Naja“, sagte ich, „Schützling ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Ich habe nur den Eindruck, dass Emmo unbedingt gefördert werden sollte und dass die Eltern da anscheinend ein bisschen überfordert sind.“
Aber ich befolgte seinen Rat. Und so lernte ich noch am selben Tag Jérôme Vollborn, den Präsidenten des Vereins, kennen. Er lud mich in sein großzügig ausgestattetes Büro ein, bot mir Kaffee und schon nach erstaunlich kurzer Zeit das Du an.
„Also, Malte, du sprichst da einen ganz wunden Punkt an.“, gab er unumwunden zu. „Die Jugendarbeit liegt bei uns ziemlich im Argen. So ungern ich das sage: es liegt schlicht und einfach am lieben Geld. Gerade kürzlich habe ich versucht, einen kompetenten Jugendtrainer einzustellen, aber wenn du unser Budget sehen könntest, dann wüsstest du, was ich meine.“
Er sah mich mit einem betont leidenden Blick an, der bei mir Zweifel aufkommen ließ, ob er nicht konnte oder nicht wollte. Wie er da in seinem wuchtigen Chefsessel thronte, machte er eher den Eindruck, als wäre es ihm völlig gleichgültig, ob er einem Fußballverein oder einem beliebigen anderen Unternehmen vorstand. Aber immerhin gelang es mir ihn dazu zu bewegen, Emmo einen Mentor zuzuteilen, der sich um seine Integration in den Club kümmern und ihm bei Fragen und Problemen zur Seite stehen sollte. Es handelte sich dabei um Gottfried Ehrenreich, einen Mittelfeldspieler aus der zweiten Mannschaft, der das Amt dann auch sehr gern annahm.
„Ja“, sagte er bei einem ersten kurzen Gespräch, „ich habe schon gehört, dass wir da so ein großes Jugendtalent haben sollen. Bin mal gespannt, ob wir sogar eines Tages zusammen in einer Mannschaft stehen. Auf jeden Fall kann ich ihn beim Donnerstagstraining immer mal zur Seite nehmen und ihm dies und das zeigen und erklären.“
Gottfried war 23, also selbst nur neun Jahre älter als Emmo. Seine stärksten Positionen (RM, OM, ZM) entsprachen denen von Emmo und wie jener war er der Typ eines Spielmachers. Seit einem Jahr spielte er für die Reserve des VfB und hatte einen Vertrag bis zum 30. Juni 2015.
„Das wäre natürlich super.“, erklärte ich. „Vor allem kann er bestimmt auch hin und wieder jemanden gebrauchen, zu dem er mit Schulproblemen und dergleichen kommen kann.“
„Also, kein Ding – da ist er bei mir immer richtig.“, versicherte Gottfried, und ich hatte das Gefühl, dass er es wirklich ehrlich meinte.
2. Teil: Ein unverhofftes Interview
(7. Juli 2011)
Schon am nächsten Donnerstag erschien Gottfried tatsächlich beim Jugendtraining, sprach mit Emmo und den anderen, zeigte ihnen ein paar Tricks und alle hatten offensichtlich Spaß. Ich hielt mich etwas abseits, wechselte höchstens mal ein paar Worte mit Daniel Celio, der sich hier buchstäblich um alles kümmerte. Übrigens auch um technische Dinge und EDV-Fragen, was mir später noch einmal sehr nützlich werden sollte. Und plötzlich fiel mir am gegenüberliegenden Spielfeldrand ein Typ auf, den ich irgendwo schon mal gesehen hatte.
„Wer ist eigentlich der da drüben, mit dem Notizblock? Gehört der hier irgendwie dazu?“
„Ach, das ist so ein Pressefuzzi.“, erklärte Daniel. „Normalerweise verfolgt der alles, was die Erste macht. Dass er heute hier ist, wundert mich allerdings auch.“
Und da fiel mir auch ein, woher er mir bekannt vorkam. Als ich neulich beim Training der Männer mit Gottfried sprach, stand er genauso lauernd in der Gegend herum wie jetzt da hinten. Presse? Was konnte es für die denn hier Interessantes geben? Aber das sollte ich dann schon recht schnell erfahren. Denn gerade, als ich nach dem Training heimwärts abziehen wollte, sprach mich der Mann von hinten an.
„Herr Womerde?“
Ich wandte mich um. Woher kannte der meinen Namen?
„Kennen wir uns?“
„Ulrich Leitenberg, Lübecker Express.“ Er reichte mir die rechte Hand entgegen, der Kuli steckte noch zwischen Zeige- und Mittelfinger. Ich griff vorsichtig hin, sodass es nach einem Handschlag aussah, ohne dass eine Verletzungsgefahr bestanden hätte.
„Worum geht es?“
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(Quelle: animaatjes.de)
„Herr Womerde, wie man hört, wächst in der B-Jugend eine hervorragende Spielergeneration heran. Was dürfen wir in Zukunft von diesen Jungs erwarten? Ist es das beste Team, das der VfB je zu seiner Jugendabteilung zählen konnte?“
Ich war einfach nur baff. Der Mann wirkte ja nicht unsympathisch, aber diese Direktheit machte mir irgendwie zu schaffen. Ich beschloss, mich zurückhaltend zu geben. Vielleicht würde er dann ja doch eher die Leute interviewen, die zum Verein gehörten und wirklich etwas zu sagen hatten.
„Naja, die Jungs sind schon alle super. Aber das beste Team… ich weiß nicht. In der Jugend kommt es ja jedes Jahr zu Verschiebungen, etliche aus der Vorsaison spielen jetzt in der A-Jugend, dafür sind Jüngere nachgekommen und einige sind auch ganz neu im Verein.“
Herr Leitenberg kritzelte irgendwas, ehe er fortfuhr.
„Besonderes Aufsehen erregt der junge Emmo Winter, der als Jahrhunderttalent gehandelt wird. Was ist da dran? Ist der Junge wirklich so gut? Und passen er und sein Bruder als Bolzplatzkicker überhaupt in eine richtige Mannschaft, auch was den Charakter betrifft?“
Meine Güte, der hatte sich ja richtig krasse Fragen zurechtgelegt. Über die musste ich selbst erst mal nachdenken. Doch auf die Schnelle antwortete ich ihm:
„Ja, der Emmo, der kann wirklich was. Sie haben recht, dass sich jetzt im Verein erweisen wird, was er in einem echten Team beisteuern kann. Für Kevin gilt im Prinzip dasselbe. Das hängt dann natürlich auch sehr vom Trainer ab.“ Ich verkniff mir aber eine Bemerkung dazu, dass es dem Verein anscheinend am Geld für einen ordentlichen Jugendtrainer fehlte. Doch auch da hatte er schon gleich den richtigen Riecher.
„Angesichts der finanziellen Lage drängt sich die Frage auf, ob Jungs wie die Winters, Thered, Zurawsky, Thera, Henn oder auch Lott überhaupt jemals für den VfB auflaufen werden. Bei einem anderen Verein wäre doch für solche Leute eine bessere Infrastruktur vorhanden, von den finanziellen Aussichten ganz zu schweigen.“
Wahnsinn, dieser Leitenberg kannte ja sogar die Namen der Jungs! Wieso, schoss es mir durch den Kopf, hatte er sich so mit dem B-Jugendteam befasst? Ob Gottfried ihn mobilisiert hatte, oder Daniel? Oder er war einfach nur so einer von diesen irren Journalisten, die sich in ein Thema verbeißen in der Hoffnung, damit mal bei ihrer Zeitung groß rauszukommen.
„Stimmt schon, das liebe Geld.“, sagte ich sibyllinisch. „Hier beim VfB sprudelt es jedenfalls nicht gerade, und ich persönlich bin sowieso chronisch pleite.“ Dazu versuchte ich ein vielsagendes Grinsen. „Aber in diesem Alter, glaube ich, wollen die Jungs vor allem spielen, und das können sie hier jedenfalls. Ihre Mannschaft spielt in der vierten B-Jugendliga, und da treffen sie auf Gleichaltrige, die genau so wild auf Fußball sind wie sie. Und aufs Gewinnen.“
Nun, sehr intelligent fand ich die Antwort selbst nicht, aber Herr Leitenberg war's zufrieden. Er machte sich noch ein paar Notizen und verschwand dann in Richtung seines schwarzen Golf, der auf dem Parkplatz des Vereinsgeländes stand. Schwarzer Golf – das passte zu einem wie Ulrich Leitenberg.