Leonid Vassilijewitsch Maximkov - Mein Leben als Trainer

  • 24. September 2055


    Flughafen London Heathrow
    Als ich meinen Sitz einnehmen will, spricht mich mein Nachbar an:
    "Sdrastwuijte!"
    Ich schaue ihn an. Ende vierzig, mittlere Statur, gut gekleidet, moderner Haarschnitt, etwas zu modern für meinen Geschmack und sein Alter. Diese jungen Leute... Woran hat er erkannt, dass ich russisch spreche?
    "Sdrastwuijte! Kennen wir uns?"
    Er wirkt kurz verunsichert, doch dann lächelt er:
    "Nein, Sie kennen mich bestimmt nicht, aber viele Menschen kennen Sie."
    Verwechselt er mich mit jemandem? Oder hat er mich tatsächlich erkannt? Dabei habe ich mich vor über zehn Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und damals war ich noch viel robuster, viel vitaler, nicht der traurige und gebrechliche alte Mann, der gestern seinen letzten und langjährigsten Freund beerdigt hat.
    "Oder sind Sie etwa nicht Leonid Maximkov?"
    Er lächelt mich erwartungsvoll an. Ich bringe es fertig, einigermaßen freundlich zurückzulächeln.
    "Doch, der bin ich. Es wundert mich, dass Sie mich noch erkennen, nachdem ich so lange nicht in der Öffentlichkeit gewesen bin"
    Er lacht freundlich.
    "Wissen Sie, ich war seit frühester Kindheit glühender ZSKA-Fan. Es hat mich immer stolz gemacht, dass Sie ihre Karriere bei uns begonnen haben. Es ist mir wirklich eine große Freude, Sie kennen zu lernen."
    Er will gerade weitersprechen, als die Sicherheitseinweisung beginnt. Ich lehne mich im Sitz zurück und schließe die Augen.


    [...]


    Flughafen Moskau-Domodedowo
    Ich wache erst wieder auf, als wir bereits kurz vor der Landung in Moskau sind. Mein Nachbar ist offensichtlich immer noch begeistert, sein Idol getroffen zu haben, ist aber zu höflich, um mich mit Fragen zu löchern. Nach der Landung, als wir gerade ausgestiegen sind, spricht er mich aber doch noch einmal kurz an.
    "Es ist wirklich schön, ihnen begegnet zu sein, Herr Maximkov. Do swidanja."
    Mir fällt auf, dass ich seinen Namen gar nicht kenne. Wie unhöflich von mir, dass ich ihn das nicht gefragt habe.
    "Dankeschön. Do swidanja, Herr..."
    "Matkov. Ivan Matkov"
    "Do swidanja Herr Matkov"


    [...]


    26. September 2055
    Sacholustnaja Uliza 3 - Malenkaja Sacholustje bei Moskau
    Die Begegnung mit dem ZSKA-Fan im Flugzeug hat mich dazu bewegt, meine Akten von damals hervorzukramen. In den letzten zehn Jahren haben sie ganz schön Staub angesetzt. Kein Wunder, schließlich habe ich mich seit meinem Rückzug nicht mehr mit meiner Karriere oder Fußball im Allgemeinen befasst. Und den Staub in meiner Wohnung habe ich auch länger nicht mehr gewischt...
    Nun scheint es mir eine geeignete Möglichkeit, mich von meinen traurigen Gedanken abzulenken. Ich möchte mein Leben als Trainer noch ein Mal Revue passieren lassen.


    Ich suche eine Weile und schlage dann den ersten Ordner auf:


    2012/13 ZSKA Moskau


    Zunächst schaut mir das Deckblatt entgegen, auf dem das Logo ZSKAs zu sehen ist.


    Auf der nächsten Seite findet sich der ausgedruckte Wikipediaartikel über ZSKA aus dem Jahre 2012.


    Danach ein Auschnitt aus der Moskva Sportivnaja Gasjeta vom 31. Juni 2012



    Zeit meiner Karriere hatte ich nie das beste Verhältnis zu Journalisten und Medien, aber in diesem Fall hatten sie völlig Recht - die Erwartungen waren groß. In der Liga sollte erstmals seit 2006 der Meistertitel geholt werden, das war das einzige akzeptable Ziel, im Pokal sollte mindestens das Halbfinale erreicht werden und in der Europa League wurde das Viertelfinale erwartet.


    Damit hatte ich ein ganz schönes Brett zu nageln - national waren mit Spartak Moskau, Zenit St. Petersburg, das über 80 Millionen € in neue Spieler investiert hatte, und Anschi Machatschkala einige sehr starke Konkurrenten vorhanden und im internationalen Geschäft mussten wir erstmal die Gruppenphase erreichen, um dann über weitere Ziele zu reden.


    Der Schlag traf mich aber beinahe, als mir der Sportdirektor die Budgetverteilung zuschickte. Von den Zahlen, die in den Verhandlungen vor meinem Amtsantritt besprochen waren, war da nichts zu sehen - Obwohl das Bankguthaben 51,9 Mio € betrug, war das Gehaltsbudget um 26,9 Millionen € überzogen, Transfers waren nicht vorgesehen (was allerdings nicht weiter schlimm war, denn die hatte das Management schon vorgenommen), für die Infrastruktur standen mir beachtliche 74.700 € zur Verfügung und ein sonstiges Budget existierte auch nur auf dem Papier. Die Finanzkalkulation sah einen Verlust im zweistelligen Millionenbereich vor, was sich auch nicht änderte, nachdem das Management einen Trikotsponsoren aufgetrieben hatte, der bereit war, über vier Jahre ingesamt 12,24 Millionen €, also 3,06 Mio pro Jahr, zu überweisen.


    Ich beschloss, mich vorerst nicht damit aufzuhalten und konzentrierte mich auf den Sportlichen Bereich. Ich fing an mit dem Reservebereich, dort fanden sich bis auf einen recht talentierten Torwart keine interessanten, geschweige denn erstligareifen Kandidaten.


    In der A-Jugendauswahl spielten mit Mikhail Lazarev, Mikahil Komarov und Anton Kleschenko drei interessante Jungs, die allerdings dort zu den jüngsten gehörten und noch ein bis zwei Jahre brauchen würden, bis eventuell eine Verpflichtung vorgenommen würde.


    Der Name Mikahil garantierte übrigens offenbar ein gewisses Talent - der einige interessante B-Jugendliche, Mikahil Ibragimov trug ebenfalls diesen Namen, war aber auch noch Zukunftsmusik.


    Nach den Seiten mit Kalkulationen und Kopien von Verträgen sowie den Notizen zu Reserve und Jugend finde ich die Kaderbetrachtung, die ich eilig zusammengstellte hatte:



    Das Spielermaterial legt mir ein 4-2-3-1 System mit dominanter und offensiver Spielweise nahe. Fernschüsse sind bei vielen dieser Jungs eine gute Option.


    Ich blättere um. Als nächstes findet sich die Berichte zu den Ereignissen des ersten Halbjahres, aber diese werde ich ein andernmal lesen.


  • Der erste Gedanke war, ja es ist an der Zeit mal wieder eine Story aus Russland zu haben, der zweite Gedanke kam nach den ersten Zeilen, cule es wird Zeit das du dich mal näher vorstellst, woher kannst du russisch? Wir haben da so eine Sparte, vielleicht solltest du dich da mal outen.


    Starker und ungewöhnlicher Beginn, eigentlich nicht, da kann man schon drauf kommen den Beginn als Rückblick zu starten, aber verwendet wurde er merkwürdiger Weise noch nicht so oft. Jedenfalls nicht in letzter Zeit. ZSKA ist sicher eine interessante Truppe, wenn ich früher die Moskauer Vereine betrachtete dann waren die immer etwas besonderes für mich. Spartak o.k. Lok, o.k. Torpedo o.k. (wo sind die überhaupt geblieben), Dynamo naja vielleicht, nein es war ZSKA die mich interessierte. Schön, ich find´s einfach schön.


    Deine Jungs die du da vorgestellt hast sind mir natürlich nicht verborgen geblieben, im Gegenteil, in meiner Bremerstory fallen sie mir beim scouten immer mal wieder vor die Füße. Auch von daher hab ich sofort gesagt, ja das ist es.


    So, letzte Frage, sag mal hast du kein Bett? 4:09 Uhr, das ist zum schlafen gehen eindeutig zu spät, zum Aufstehen aber auch eindeutig zu früh.

    "Lohnt es sich denn?" fragt der Kopf.
    "Nein, aber es tut so gut!" antwortet das Herz.


    Autor: unbekannt

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