Ende einer Ägide: Vogts scheitert am deutschen Fußball
Montag, 7. September 1998
[Blockierte Grafik: http://fs5.directupload.net/images/161111/hes7shm5.jpg]
Nach acht Jahren im Amt gibt Berti Vogts überraschend seinen Rücktritt als Fußball-Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft bekannt. In 102 Länderspielen verzeichnete der frühere Mönchengladbacher Publikumsliebling sowie Nationalverteidiger 67 Siege, 23 Unentschieden und zwölf Niederlagen. Vogts muss Abschied von seinem Traumposten nehmen.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) teilte in einer Presseerklärung die Entscheidung des Bundestrainers mit. Vogts hatte in einem Telefongespräch mit Egidius Braun seinen Rücktritt mit der Begründung angeboten, dass er keine Möglichkeit mehr sähe, angesichts des großen öffentlichen Drucks die Nationalmannschaft mit der nötigen Kraft und Konzentration auf die bevorstehende Qualifikation zur Europameisterschaft 2000 vorzubereiten. Braun akzeptierte diese Begründung und sagte: ,,Es tut menschlich unglaublich weh, diese Trennung zu vollziehen, doch als Präsident des DFB, musste ich zu der Erkenntnis kommen, dass diese Entscheidung unausweichlich war." Kritik an der Arbeit des 51 Jahre alten Bundestrainers kam in den vergangenen Tagen von vielen Seiten.
DFB-Teamchef Franz Beckenbauer schnürte seinem Nachfolger Berti Vogts, der nach dem WM-Sieg 1990 das Amt des Bundestrainers antrat, ein schönes Paket. ,,Auf Jahre hinaus wird unsere Nationalmannschaft unschlagbar sein", prophezeite die Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Und der gelernte Werkzeugmacher reagierte nicht gerade begeistert auf den prallen Optimismus seines Vorgängers.
Der ehemalige Abwehrspezialist Hans-Hubert Vogts verkörperte stets den Typus des außerordentlich gewissenhaften, des ernsthaften, des unverdrossenen, des vergleichsweise unzugänglichen Realisten. Der Fußballlehrer tat sich lange schwer, doch kapitulierte nicht, sondern der "Terrier" aus Büttgen widersetzte sich dem Druck. Mit Erfolg: Europameister 1996 - das "Golden Goal" durch Oliver Bierhoff im Finale von Wembley entfachte eine Extremsituation für den Bundestrainer, der plötzlich vom Geächteten zum Geachteten wurde. Ehrungen, Anerkennungen, Bundesverdienstkreuz und Lob auch von denen, die vorher so geringschätzig lästerten und seine fachlichen Qualitäten in Frage stellten: ,,Er hat sich aus dem Schatten seines Vorgängers Franz Beckenbauer gelöst und sich zu einer eigenen, bemerkenswerten Persönlichkeit entwickelt", rühmte die Presse. Große Genugtuung für ihn, diesen besessenen Eiferer, der rund um die Uhr für den Fußball lebt.
Doch leider nur ein Lichtblick von kurzer Dauer. Denn zwei Jahre später wiederholte sich jenes Missgeschick, das eigentlich auf immer und ewig ein amerikanischer Betriebsunfall anno 1994 bleiben sollte: Auch das Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich wurde zur Sackgasse anspruchsvoller Erwartungen. Die DFB-Auslese, deren Klasse mindestens für den Einzug ins Endspiel von Paris hätte reichen sollen, scheiterte dieses Mal an Kroatien (0:3).
Der Neuaufbau der Fußball-Nationalmannschaft nach der enttäuschenden Weltmeisterschaft war in der vergangenen Woche auf der Malta-Reise, beim mühevollen 2:1 über Malta und dem 1:1 gegen Rumänien, nicht gelungen. Nach den Spielen hatte DFB-Präsident Braun bereits erklärt, dass die Länderspiele weder erhoffte Fortschritte gebracht, noch eine Aufbruchstimmung erzeugt haben.
Wie sein Mentor Hennes Weisweiler konnte auch Vogts nicht verlieren und erkannte die Zeichen der Zeit nicht. Weisweiler wurde, trotz aller Triumphe in Köln, entlassen. Berti Vogts dachte noch, er könne sich mit seinem Fachwissen und seinen Konzepten zur Nachwuchsarbeit in eine weitere Periode retten. Denn, der Bundestrainer sah seit geraumer Zeit bereits enorme Probleme in der Jugendarbeit auf den Deutschen Fußball-Bund zukommen, aber jegliche Warnungen und Ideen wurden stets in den Wind geschlagen.
Vogts ist gescheitert, als er auf öffentlichen Druck hin seine Geradlinigkeit verlor. Als Trainer des Europameisters hatte er zumindest eines: Glaubwürdigkeit. Doch mit der Rückkehr von Lothar Matthäus (37) lieferte sich der grundsolide Sportsmann aus. Vor der Europameisterschaft 1996 kritisierte nämlich der Weltfußballer des Jahres 1991 öffentlich Bundestrainer Berti Vogts sowie Mannschaftskapitän Jürgen Klinsmann. Der "Terrier" verbannte folgerichtig Matthäus aus der A-Nationalmannschaft, während dieser zwischen 18.12.1994 und 27.5.1998 kein einziges Länderspiel bestritt, um diese Ausbootung vor der WM-Endrunde in Frankreich zu revidieren. Durch den Rücktritt von Vogts könnte sich die Zusammenstellung in der Nationalmannschaft wieder deutlich verändern. Viele erfahrene Spieler hatten angekündigt, dass sie sich durchaus vorstellen könnten, wieder für Deutschland zu spielen, wenn der Bundestrainer nicht mehr Berti Vogts heißt.
Quellen:
https://www.welt.de/print-welt…-nimmt-Ruecktritt-an.html
http://www.dfb.de/die-mannscha…undestrainer/berti-vogts/
http://www.focus.de/politik/de…ide-braun_aid_175041.html
http://www.heiko-schomberg.de/bertikomplett.html
http://archiv.rhein-zeitung.de…8/sport/news/presse1.html